Protocol of the Session on October 8, 2015

(Fabio Reinhardt)

Die geforderte enge Kopplung der Kommission an die Senatsverwaltung für Arbeit und Integration besteht bereits, denn der Integrationsbeauftragte ist ja Teil der Härtefallkommission. Also letzten Endes: Wenn er neue Erkenntnisse hat, dann kann er die auch in die Kommission mit einspeisen. Eine Änderung der Zuständigkeit liefe an dieser Stelle zudem dem Ressortprinzip zuwider.

[Canan Bayram (GRÜNE): Nein!]

Ein humanitäres Bleiberecht für alle ist wünschenswert. Um alle Härten zu berücksichtigen, haben wir die Berliner Härtefallkommission. Diese macht seit zehn Jahren – auch das wurde schon gesagt – eine sehr gute und wichtige Arbeit und leistet ihren Beitrag für eine humane und menschenwürdige Flüchtlingspolitik.

Ich bin allerdings bei Ihnen, die Aufgabe der Härtefallkommission zu stärken. Nicht jedes Mal war dies bisher erfolgreich: Nicht jedes Mal konnte eine Lösung im Interesse der Betroffenen gefunden werden. Ich weiß das, weil auch ich die Härtefallkommission in vielen Fällen angerufen habe. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir uns in wesentlich mehr Abschiebefällen für ein humanitäres Bleiberecht entscheiden könnten. Hier gilt es, den eingeräumten Ermessensspielraum positiv zu nutzen. Hier müssen wir im Auge haben, dass trotz geplanter Änderung des § 23a Aufenthaltsgesetz im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes Anmeldungen bei der Kommission möglich bleiben und die Funktion der Kommission nicht aufgehoben wird. Es muss Zeit für Verhandlungsspielraum und die Prüfung rechtlicher Grundlagen bleiben im Sinne jedes und jeder Einzelnen.

Im Falle Betroffener aus den Balkanstaaten, die ja seit der Gesetzesänderung zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden sind, ist es von besonderer Wichtigkeit, das Recht auf Asyl von Sinti und Roma aufgrund ethnischer Verfolgung zu gewährleisten. Hier ist aufgrund der allgemeinen Diskussion um die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge besondere Vorsicht geboten.

Zum Schluss noch mal ein persönliches Anliegen: Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 Prozent der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Deutschland krank oder mit einer Behinderung belastet. Behinderte Flüchtlingskinder gehören entsprechend der EU-Richtlinie 2003/9/EG zu den besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen. Dennoch sind sie oft von Ausweisung bedroht, was dazu führt, dass ihnen medizinische und sonstige Leistungen versagt bleiben oder erst nach Monaten oder Jahren bewilligt werden. Auch hier muss bei den Prüfungen der Härtefallkommission und der zu treffenden Entscheidungen ein besonderer Maßstab angelegt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Kollege Lehmann! – Frau Kollegin Bayram hat jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte sehr!

Vielen Dank! – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Zehn Jahre Härtefallkommission“ war neulich im Roten Rathaus der Titel einer Veranstaltung. Da haben wir Teilaspekte dessen besprochen, was jetzt in dem Antrag der Piratenfraktion und der Fraktion Die Linke hier vorgelegt wurde. – Aber interessant bei der Veranstaltung war auch, dass wir in Berlin eine längere Zeit schon eine Härtefallkommission haben als alle anderen Bundesländer. Es gibt hier eine andere Tradition. Interessant ist tatsächlich, dass wir das alles anders ausgestalten könnten, wenn wir wollten.

Da würde ich gerne zu dem Antrag der beiden Fraktionen kommen, weil diese Punkte, die dort angeführt sind, wie man es gerne verändern und stärken würde, etwas unentschlossen scheinen. Der Kollege Lehmann hat es gerade angedeutet: Entweder sagt man, wir ordnen das bei der Integrationsverwaltung ein, aber dann soll man den Rahmen des § 23a Aufenthaltsgesetz ausschöpfen und sagen, oberste Landesbehörde ist nicht mehr die Innenverwaltung, sondern die Integrationsverwaltung. Dann braucht es vielleicht auch nicht mehr die anderen Punkte, nämlich den Innensenator Henkel zu disziplinieren, dass er die Härtefallkommission nicht missbraucht, um Abschiebungen zu erleichtern, sondern tatsächlich das zu leisten, wofür die Härtefallkommission eigentlich gegründet wurde und nach dem Gesetzeszweck auch gedacht ist, nämlich besondere Härten, die das Gesetz so nicht wollte, die aber in der Allgemeingültigkeit von Gesetzen entstehen können, aufzufangen

[Beifall bei den GRÜNEN]

und für diese Menschen einen Weg zu finden, dass sie eine Bleibeperspektive bekommen und im Aushandlungsprozess eine Verbesserung erzielen.

[Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Wenn Sie mich fragen, würde ich schon sagen: Lassen Sie es uns ruhig bei der Integrationsverwaltung ansiedeln! Aber da brauchen wir nicht den Integrationsbeauftragten, denn in der Innenverwaltung macht das auch nicht der Abteilungsleiter, sondern der Referatsleiter. Da wäre es auch in der Integrationsverwaltung ausreichend, den Referatsleiter mit der Aufgabe zu beauftragen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich werde in der Ausschussberatung gerne Änderungsanträge zu dem Antrag der beiden Fraktionen einbringen. Einer liegt mir da besonders am Herzen, weil das die ganzen Jahre, die ich mit dem Thema beschäftigt bin, immer wieder zu Härten geführt hat, und zwar: Nummer 5 sagt, dass bei Strafbarkeit, also sogenannten

(Rainer-Michael Lehmann)

Ausweisungsgründen, der Härtefallantrag gar nicht zulässig sei. Das ist vom Aufenthaltsgesetz her gar nicht so zwingend erforderlich. Da steht „in der Regel“, es kann Ausnahmen geben, aber begründete Ausnahmen. Da würde ich gerne etwas öffnen. Wir haben alle den Fall von Menschen vor Augen, die einmal in ihrem Leben Pech gehabt haben, durch eine gute Resozialisierung bei uns wieder einen Weg in ein reguläres Leben gefunden haben, die dann aber nicht von der Härtefallkommission profitieren können, weil sie irgendwann in ihrer Biografie einmal eine Straftat in der Akte hatten.

Dann würde ich mit Ihnen im Ausschuss gerne darüber diskutieren, ob wir es nicht auch einmal besprechen sollten, dass wir wie in anderen Bundesländern Abgeordnete in die Härtefallkommission entsenden. Es gibt nämlich einige Bundesländer, die das machen.

Ein Punkt, der mir wichtig ist: Dort sind die Kirchen vertreten, dort sind einige andere Organisationen vertreten, aber explizit muslimische oder mehr Migrantenselbstorganisationen sind dort nicht vertreten. Ich glaube, wenn wir die Vielfalt unserer Stadt ernst nehmen, dann müssen wir auch darüber reden, warum wir nicht noch mehr Menschen, die die Lebenssachverhalte der Betroffenen kennen, dort aufnehmen.

Ein letzter Punkt: Warum brauchen wir eigentlich eine Zweidrittelmehrheit in der Härtefallkommission? Eine einfache Mehrheit dürfte doch auch genügen. – Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Danke schön, Kollegin Bayram! – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Kollege Dr. Juhnke. Er erhält das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sinn der Härtefallregelung ist es aus meiner Sicht, im Einzelfall zu untersuchen, obwohl es eine nach dem Gesetz richtige Entscheidung gegeben hat, ob hier eine unbillige Härte vorliegt, die entstanden ist, weil das Gesetz spezielle, individuelle Sachverhalte in ihrer Spezialität gar nicht abbilden kann. Da kann auch nach dem Sinn des Gesetzes eine Ausnahme möglich sein.

Das ist übrigens nicht abhängig vom Medieninteresse oder von anderen Dingen, sondern das ist eine Regelung, in deren Genuss jeder kommt, der sich bei dieser Kommission anmeldet. Er wird mit Sicherheit auch einen Fürsprecher finden, der das Anliegen dort im Kreis der Kommission weiter vortragen wird.

Auch das weitere Prozedere hat sich nicht geändert. Es gibt eine Empfehlung. Diese Empfehlung wird dem Innensenator vorgelegt. Dazu gibt es einen sogenannten Verlauf. Das hat Herr Lehmann beschrieben. Das ist unabhängig davon, ob der Senator Körting hieß oder Henkel heißt. Insofern ist die Unterstellung, in der Praxis hätte sich irgendetwas geändert, falsch. Das sagen auch die Zahlen, ich habe sie mir angesehen und festgestellt, dass sich der Durchschnitt der abgelehnten Ersuchen praktisch nicht verändert hat. Von 2005 bis 2011 waren es 39,2 Prozent der Fälle, 2012 und 2013 waren es 36,1 Prozent. Man kann in etwa sagen, 60 Prozent Zustimmung, 40 Prozent Ablehnung oder zwei Drittel, ein Drittel, je nach Sichtweise. Von daher ist in diesem Gebaren kein Unterschied feststellbar.

Allerdings ist das Jahr 2014 in der Tat etwas anders. Das hat auch seine Gründe. Aufgrund der Vielzahl von vorliegenden Akten, die jetzt tatsächlich abgearbeitet werden müssen, hat man hier eine Priorisierung vorgenommen und hat vor allem diejenigen Fälle von Antragstellern herausgenommen, obwohl es hier trotzdem eine Einzelfallprüfung gibt, die aus den Westbalkanstaaten kommen, also aus sicheren Herkunftsländern, also von Personen, deren Prognose für das Hierbleiben grundsätzlich schon eher negativ war und ist und wo auch schwer zu begründen ist, dass es sich um einen humanitären Härtefall handelt. Aus diesem Grunde ist diese Statistik im Jahr 2014 umgedreht, und wir haben eine Mehrzahl an Ablehnungen. Das ist aber sinnvoll, diese Fälle vorzuziehen, damit der Aufenthalt an der Stelle beendet werden kann, weil das auch mit Geldzahlungen und anderen Dingen verbunden ist und auch Illusionen auf der einen oder anderen Seite abzubauen hilft.

Leider besteht hier ein Rückstau bei den zu bearbeitenden Fällen. Deswegen gibt es verschiedene Dinge, wie man dem entgegensteuern kann, indem man z. B. die Geschäftsstelle bei der Innenverwaltung verstärkt. Das soll auch geschehen. Es soll eine weitere Stelle dazukommen, dass sich in Zukunft praktisch zwei Mitarbeiter mit der Thematik beschäftigen können.

Ich appelliere an die Härtefallkommission, nur solche Fälle vorzulegen, die tatsächlich eine Aussicht haben, erhört zu werden. Da hat man eine gewisse Erfahrung, worum es da geht. Da geht es vor allem um Fälle, in denen Familien, Kinder und Jugendliche betroffen sind, wo möglichst großzügig gehandelt werden sollte, wo vor allem ernsthaft und nachhaltige Integrationsbemühungen eine Rolle spielen, denn diese sind von wesentlicher Bedeutung. Auch das Thema Lebensunterhalt, das in der Verordnung ausdrücklich genannt ist, muss eine Rolle spielen in diesem Zusammenhang. Ich glaube, das ist auch völlig klar.

Aber es gibt auch Fälle, wo wir es mit Straftätern oder Menschen, die vorbestraft sind, zu tun haben. Hier muss

(Canan Bayram)

auch konsequent der Aufenthaltstitel verweigert und dann noch die Ausreisepflicht vollzogen werden. Wir haben es vorhin gehört, vor dem Hintergrund der anwachsenden Zahlen ist eine Steigerung dieser Fälle dringend notwendig. Von daher sehe ich die von Ihnen gewünschten Maßnahmen als kontraproduktiv an, insbesondere bei diesem Ziel. Auch die Abkopplung aus der Innenverwaltung halte ich für unsinnig, weil dann ein kontinuierlicher Gang der Akten nicht mehr gewährleistet ist, was zu einer weiteren Verzögerung des ganzen Prozederes führen kann. Das ist wohl weder im Interesse der Betroffenen noch im Interesse unserer Stadt. Daher empfehle ich die Ablehnung des Antrags. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Canan Bayram (GRÜNE): Schon bei der Einbringung empfehlen Sie die Ablehnung?]

Vielen Dank, Kollege Dr. Juhnke! – Für die Linksfraktion spricht jetzt Kollege Taş. – Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seien wir ehrlich, die Härtefallregelung ist eine Krücke. Das Aufenthaltsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist kompliziert, selektiv und restriktiv. In weiten Teilen ist es ein Einwanderungsverhinderungsrecht. Es gibt diskriminierende Sondergesetze für Asylsuchende und Geduldete. Es gibt jede Menge Hindernisse und Fallstricke für Menschen, die hier in Deutschland bleiben wollen. Selbst Menschen, die einen legalen Aufenthaltsstatus haben, wird es schwer gemacht, diesen zu verstetigen und sich hier in Deutschland eine eigenständige Zukunft aufzubauen.

In diesem Kontext muss man die Härtefallregelung betrachten. Sie ist eine wichtige Auffangmöglichkeit für besondere Härten. In unserer Rechtsordnung gibt es viele, die trotz großer Anstrengungen und eines langjährigen Aufenthalts durch den Rost fallen. Berlin hatte übrigens 1990 die bundesweit erste Härtefallkommission eingerichtet. Über deren Arbeit sind seitdem viele Menschen zu einem legalen Aufenthalt in Berlin gekommen, doch mittlerweile ist das weniger geworden, denn es weht ein kalter Wind vom Innensenator Henkel.

[Zuruf von Canan Bayram (GRÜNE)]

Hierzu eine Einschätzung – wenn Sie vielleicht zuhören können, Herr Heilmann und Herr Henkel –

[Canan Bayram (GRÜNE): Die hecken wieder Bösartigkeiten aus!]

eines wahrhaft unverdächtigen Zeugen. Ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren, Herr Präsident!

[Zuruf von der LINKEN: Der hört nicht zu!]

Bernd Szymanski von der Evangelischen Kirche Anfang dieses Jahres wörtlich:

Wir haben keinen guten Dialog mit Herrn Henkel. Wir wünschen uns einen offeneren Umgang.

Zu Recht üben Kommissionsmitglieder aus den Nichtregierungsorganisationen massiv Kritik an Herrn Henkels übertriebener Härte. Henkel hat bislang zwei Drittel der Empfehlungen der Kommission abgelehnt. Sein Vorgänger Ehrhart Körting war dagegen in seiner Amtszeit rund zwei Dritteln der Empfehlungen gefolgt. Hier hat Innensenator Henkel sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übertroffen. Während das Bundesamt seit der Gesetzesänderung, die die Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt hat, in neun Fällen Sinti und Roma ein Recht auf Asyl wegen ethnischer Verfolgung zugestanden hat, weigert sich Henkel grundsätzlich, in diesen Fällen den Empfehlungen der Kommission zu folgen.

Mitglieder der Härtefallkommission beschwerten sich über die völlig unzureichende Zusammenarbeit des Innensenators mit der Kommission. So blieben viele Schreiben der Härtefallkommission wochenlang unbeantwortet. Deshalb ist eine Reform der Regelung zur Härtefallkommission dringend notwendig.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Härtefallkommission soll, wie der Name sagt, besondere humanitäre Fälle behandeln, wo die gesetzlichen Regelungen nicht greifen. Hier müssen humanitäre Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Es ist absurd, dass das Kriterium der vollständigen Lebensunterhaltssicherung oder eine Straffälligkeit von Herrn Henkel zu Ausschlusskriterien erklärt worden sind, ohne die Lebensumstände des Menschen zu berücksichtigen. Herrn Henkel scheint es auch nicht zu interessieren, dass Antragsteller in Berlin geboren bzw. aufgewachsen sind.

Das Verhalten von Innensenator Henkel hebelt den Sinn der Härtefallregelung aus. Sie bedeutet doch gerade, besondere Lebensumstände zu berücksichtigen und jeden Einzelfall zu betrachten. Die Härtefallkommission und der Innensenator entscheiden über Schicksale. Deshalb ist es notwendig, dass der Innensenator seine ablehnenden Entscheidungen der Kommission gegenüber schriftlich begründet und ihr die Möglichkeit einer Antwort gibt, bevor die endgültige Entscheidung gefällt wird.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Liebe Frau Bayram! Über Ihre Verbesserungsvorschläge werden wir sicherlich im Innenausschuss beraten. Ob auch Abgeordnete in der Härtefallkommission mitarbeiten können – dem steht, denke ich, nichts im Wege. – Herzlichen Dank!