Protocol of the Session on April 23, 2015

Stromnetzvergabe neu ausschreiben!

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2209

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2010 hat die SPD Berlin ihren Rekommunalisierungskurs mit einer Arbeitsgruppe unter Leitung des heute Regierenden Bürgermeisters Michael Müller eingeleitet.

[Torsten Schneider (SPD): 2007!]

In der Folge hat sie Ziele benannt, ein starkes Stadtwerk, das Gasnetz zu 100 Prozent in Landeshand und allem voran das Stromnetz zu 100 Prozent in Landeshand. Der Geburtsfehler dieser Strategie war, dass Sie die Rekommunalisierung als Selbstzweck gesehen haben und keine konkreten energiepolitischen Ziele damit verbinden.

Es ist heute, nach fünf Jahren, Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen. Beim Gasnetz haben Sie eine doppelte Niederlage vor Gericht kassiert. Die Vergabe sei rechtswidrig, das Angebot des Landes darüber hinaus ungültig. Beim Stromnetz haben Sie derartige Fehler im Vergabeverfahren gemacht, dass Senator Nußbaum das Verfahren selbst vor acht Monaten gestoppt hat. Bis heute ist es nicht wieder aufgenommen. Beim Stadtwerk haben Sie sich für

eine Bonsailösung entschieden: sechs Windräder bis 2016. Viele Dörfer in Schleswig-Holstein produzieren mehr als diese Stadtwerke Berlin à la SPD.

[Beifall bei den GRÜNEN – Martin Delius (PIRATEN): Und Brandenburg!]

Zusammengefasst: Die SPD-Rekommunalisierung ist gescheitert. Das muss man heute mal so festhalten.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wissen es selbst. Sie haben einen stillschweigenden Strategiewechsel eingeleitet. Statt Rekommunalisierung wollen Sie jetzt gemeinsame Sache mit den großen Konzernen machen.

[Daniel Buchholz (SPD): Reden Sie doch keinen Unsinn! – Weitere Zurufe von der SPD]

Genau das ist das Ziel. Genau das ist das, was Ihr Senator gerade verhandelt, was der Regierende Bürgermeister mit Herrn Teyssen von der E.ON besprochen hat: Wie bekommen wir gemeinsame Unternehmen des Landes Berlin mit E.ON, mit Vattenfall hin? Das ist im Moment Ihr Ziel. Das ist der stillschweigende Strategiewechsel. Und das wollen Sie uns am Ende dann als Rekommunalisierung verkaufen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oberg?

Ja, sehr gern!

Vielen Dank! – Herr Schäfer! Wie sind denn Ihre Anträge, die in dem Kontext Energie immer wieder gestellt wurden, zu verstehen, in denen es dann doch sehr deutlich wurde, dass Sie vor allem Interessen von Unternehmen mit im Blick haben? Ist es nicht so, dass Sie eigentlich von Anfang an mit großen Konzernen gemeinsame Sache machen bzw. die Sache der großen Konzerne machen wollten?

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Oberg! Ich bedanke mich für diese Frage, und ich kann das sehr klar beantworten: Wir wollen keinen gemeinsamen Konzern mit der E.ON machen. Wir wollen keinen gemeinsamen Konzern mit der Vattenfall machen. Das ist eine ganz klare Antwort

[Beifall bei den GRÜNEN]

Und da will ich an Sie einmal die Frage stellen. Ich würde mir von Herrn Stroedter jetzt auch mal eine Antwort

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

auf Ihre Frage wünschen. Das würde mich interessieren, denn ich habe den Eindruck, bei Ihnen geht es in die andere Richtung.

Die Konzerne sind dazu bereit. Die finden das sehr spannend. Warum finden die das so schön? – Weil sie ihre wirtschaftlichen Interessen mit Unterstützung des Landes als Mitgesellschafter besser durchsetzen können; weil sie einen Informationsvorsprung gegenüber dem Land haben und schön einen Teil der Gewinne am Land vorbei über irgendwelche Servicegesellschaften rausziehen wollen; weil sie die Beteiligung des Landes vor unangenehmer Klimapolitik schützen kann. Wenn das Land beteiligt ist, macht es dann noch die unangenehme Wärmenetzregulierung, die Berlin bräuchte? Oder denkt es dann eher an seine eigene Kasse? Da kennen wir doch das Beispiel. Wir wissen es doch. Gemeinsame Unternehmen des Landes mit den großen Energiekonzernen oder großen Konzernen – damals war die RWE mit dabei –, sind deshalb so spannend für die Konzerne, weil dann die wirtschaftlichen Interessen des Landes auf einmal deckungsgleich werden mit denen der Konzerne. Und wer wird geschröpft? – Wir haben es bei den Wasserbetrieben gesehen: die Bürgerinnen und Bürger, gemeinsam von Land und Konzern.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Dieses Modell Wasserbetriebe wollen Sie gleich mehrfach neu auflegen. Bei der GASAG reden Sie mit E.ON, GDF und Vattenfall, wie das Land dick einsteigen kann, und wollen uns das dann als Stadtwerk verkaufen. Die Angebote von Vattenfall für einen Einstieg des Landes bei Stromnetz und Fernwärme sind schon ausgesprochen. Und wenn Sie das Stromnetzvergabeverfahren nicht zurück auf null setzen, dann wird Ihnen gar nichts anderes übrigbleiben, als mit der Vattenfall gemeinsame Sache beim Stromnetz zu machen und auch da das Modell Wasserbetriebe zu machen.

[Daniel Buchholz (SPD): Sie wollten doch die Ausschreibung! Verkaufen Sie uns doch nicht für dumm hier!]

Herr Buchholz! Sie müssen sich gar nicht so aufregen. Wir haben doch etwas gemeinsam. Wir Grüne wollen auch ein starkes wirtschaftliches Engagement des Landes für die Energiewende, weil wir wissen, es geht nicht ohne ein starkes wirtschaftliches Engagement. Aber wir müssen uns doch überlegen, wie wir das machen, damit wir die Energiewende auch voranbringen. Und da sieht man, Berlin hat genug Unternehmen, die ihr Geld damit verdienen, fossile Energien zu verkaufen. Berlin braucht ein Unternehmen, das sein Geld damit verdient, dass es fossile Energien verdrängt. Das braucht Berlin!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Da liegt die Aufgabe des Stadtwerks. Sie glauben doch nicht im Ernst, wenn Sie ein gemeinsames Unternehmen mit der E.ON machen, dass die dann Energieeffizienz

dienstleistungen glaubhaft anbieten können. Die verdienen ihr Geld doch damit, dass Energie ineffizient verwendet wird. Die Vattenfall verdient doch ihr Geld damit, dass zu viel Wärmeenergie ineffizient verwendet wird. Das ist doch nicht der Partner für Energieeffizienzpolitik, für ein gemeinsames Unternehmen. Wir müssen diesen Konzernen etwas entgegensetzen mit einem eigenen starken Stadtwerk. Das ist das, was wir hier wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir brauchen eine Menge Investitionen. Wir brauchen eine neue Klärschlammverwertungsanlage, und die ist nicht zu den Eigenkapitalrenditen zu haben, mit denen eine E.ON, eine Vattenfall oder eine Gaz de France rechnet, denn das sind kleine Renditen, die man da erwirtschaftet. Genau das kann das Land durch landeseigene Unternehmen leisten. Das können Sie aber nicht leisten, wenn Sie mit denen zusammen die Unternehmen machen, weil die auf ihren Renditen von 8 bis 12 Prozent bestehen werden und eine geringere Rendite nicht akzeptieren.

Beim Stadtwerk wird in dieser Legislaturperiode nichts mehr laufen. Gerade haben Sie unseren Vorschlag abgelehnt, den Etat zu erhöhen. Das Gasnetzverfahren ist in die Grütze gefahren. Das ist nicht mehr zu retten. Beim Stromnetz haben Sie das Verfahren verpatzt, aber da gibt es noch eine Chance, und darauf zielt der Antrag der Linksfraktion, den wir heute beraten, darauf zielt die eine Forderung, die die Opposition schon lange erhebt. Stellen Sie das Stromnetzverfahren zurück auf null! Im Moment ist quasi kein Wettbewerb mehr da. Da ist Vattenfall der einzige bietfähige Bewerber für die alleinige Netzübernahme.

[Daniel Buchholz (SPD): Bürgerenergie Berlin!]

Herr Buchholz, wenn Sie wollen, dass das Land Berlin eine Chance darauf hat, dann müssen Sie doch die Konsequenzen aus dem Gasnetzverfahren ziehen. Dann müssen Sie das Stromnetzverfahren auf null stellen, sonst haben Sie keinen Wettbewerb.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir wollen das Stromnetz der Vattenfall entreißen, und zwar rückstandsfrei! Dieses Bekenntnis würde ich von Ihnen auch gerne hören, und dann werden wir sehr schnell dabei landen, dass wir das Vergabeverfahren auf null zurücksetzen. Darum geht es heute, und deshalb bitte ich Sie – sonst laufen wir auch da in diesen gefährlichen Mischkonzern, der dem Land Berlin nichts bringt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Schäfer! – Für die SPD-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Stroedter das Wort. – Bitte!

(Michael Schäfer)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Schäfer!

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Nach Ihrer Rede muss ich meine Rede etwas anders halten, weil ich überrascht bin, dass Sie nach Ihrer sachlichen Arbeit, die wir gemeinsam in der EnqueteKommission bisher gemacht haben, hier eine Rede halten, die bar jeder Realität ist.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Daniel Buchholz (SPD): Richtig!]

Gehen wir es mal im Einzelnen durch und kommen zum Wasser: Da haben wir beschlossen, dass wir zuerst die Anteile von RWE und dann die von Veolia zurückkaufen. Jetzt haben wir das Wasser zu 100 Prozent im Land Berlin – eine erfolgreiche Rekommunalisierung. Wie haben die Grünen beim ersten Rückkauf abgestimmt? Wie haben die Grünen beim zweiten Rückkauf abgestimmt? – Beide Male haben Sie mit Nein gestimmt! Sie haben nicht die Kraft gehabt, die Position zu unterstützen, sondern sie haben erst für den Volksentscheid gestimmt und sind anschließend wieder einmal nicht gesprungen. Das ist das Problem der Grünen.

[Beifall bei der SPD]

Der zweite Punkt, das Gas: Da ist es noch spannender. Wir wollen Gas zu 100 Prozent rekommunalisieren. Das ist die ganz klare Position der SPD-Fraktion. Wie ist denn die Position der Grünen? – Ich sage einmal: Ungefähr 55, 56 Prozent wollen das eher nicht und sich nicht beteiligen, weil sie meinen, Gas sei in 15 Jahren am Ende und interessiere keinen mehr.

[Joachim Esser (GRÜNE): Das hat sich doch alles erledigt!]

Hören Sie auf zu schreien, Herr Esser! – Die anderen 44 oder 45 Prozent – das schwankt nach einem Parteitag immer – würden gern das mit der SPD zusammen machen. Herr Schäfer! Das ist die Position der Grünen. So kann man aber nicht regieren. Man muss sich schon entscheiden, was man will. Wir wollen 100 Prozent – Sie wissen nicht, was Sie wollen.

[Beifall bei der SPD]