Protocol of the Session on May 30, 2013

Eltern brauchen Unterstützung und Vertrauen. Eine ordentliche Familienförderung, die in Berlin sträflich vernachlässigt wird, würde Familien mehr Vertrauen in die Institution geben und sinnvollerweise Versäumnisse oder Verweigerungen entgegenwirken als die Androhung von Bußgeldern.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Die Sprachstandfeststellung mit anschließender kurzzeitiger Förderung ist auch keineswegs ein Königsweg. Für eine gute Sprachentwicklung muss die Förderung früh einsetzen, möglichst schon, wenn die Kinder anfangen zu sprechen, also in der Kita. Eine ausreichende Zahl von U-3-Kitaplätzen ist aber noch nicht vorhanden, und daran wird sich kurzfristig auch nichts ändern.

Für gute Sprachentwicklung braucht jedes Kind die ungeteilte Aufmerksamkeit einer Erziehungsperson für mindestens eine Stunde täglich. Das haben wir im Ausschuss gehört. Bei der derzeitigen Personalausstattung in den Kitas ist das noch ein sehr ambitioniertes Ziel. Statt den Eltern mit Bußgeldern zu drohen, sollte besser daran gearbeitet werden, dass die Sprachentwicklung der Kinder ausreichend gefördert wird. Das heißt: mehr Familienförderung, ausreichend Kitaplätze mit mehr gut qualifizierten Fachkräften. Hier ist viel zu tun, also packen Sie die Probleme an und nicht die Eltern!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE) und Andreas Baum (PIRATEN)]

Das Sprachlerntagebuch soll dann nach Ihren Vorstellungen zwangsweise ein Teil der Schülerakte werden. Wir glauben, dass die Eltern entscheiden müssen und sollen, ob und wenn ja wie viel sie aus dem Sprachlerntagebuch an die Schule weitergeben wollen. Und wenn Sie sich ein bisschen Mühe gemacht hätten und schon mal vorab geprüft hätten, dann würden Sie wissen, dass auch die Senatsverwaltung Ihnen sagen wird, dass nichts gegen den Willen und ohne Zustimmung der Eltern gelingen wird. Das wird auch in der Stellungsnahme stehen. Da hätte ich gedacht, dass Sie auch in der Lage sind, das vorab schon mal zu prüfen.

Das Sprachlerntagebuch enthält viele intime Einblicke in die Familie, die diese Familien den Kitas gewährt haben, weil sie sich in der Zusammenarbeit ein Vertrauensverhältnis erarbeitet und entwickelt haben. Es gibt verschiedene Teile im Sprachlerntagebuch. Ich weiß nicht, was die Schule mit den bunten Bildern des Kindes macht, über die es sich mit seinen Mit-Kkitakindern unterhält, die für die Kinder in der Kita stehen, die sie herausnehmen, jeden Tag angucken und darüber sprechen. Ich glaube nicht, dass die Schule etwas damit anfangen kann. Die Kita können sich die Eltern aussuchen und auch wieder verlassen, wenn die Vertrauensbasis nicht stimmt. Das gilt für die Grundschule in der Regel nicht. Da wohnen sie im Einzugsbereich, und da müssen sie dann auch hin. Vertrauen muss sich hier erst neu entwickeln, bevor man von den Familien die Preisgabe intimer Details aus ihren Familienleben erwarten kann.

Viele Eltern möchten, dass ihre Kinder die Chance erhalten, quasi als unbeschriebenes Blatt in die Schule starten zu können, ohne dass zum Beispiel längst überwundene Entwicklungsprobleme die Einschätzung der Schule belasten. Damit die Schulen zu Beginn ein gutes Bild von den Schülerinnen und Schülern haben und bekommen können, lassen Sie uns an einen guten Übergangsmanagement arbeiten. Wenn sich Fachkräfte aus Schule und Kita und Eltern und Kinder rechtzeitig kennenlernen und gute Eingangsgespräche führen können, ist auch ein guter Grundstein für die weitere Elternzusammenarbeit gelegt.

Dazu braucht es aber auch die personelle Voraussetzung. Sowohl in den Schulen als auch in den Kitas müssen dafür Zeitkontingente zur Verfügung stehen. Familien und Kinder brauchen eine gute, flächendeckende und rechtzeitige Förderung, wenn die Kinder auf einen erfolgreichen Bildungsweg vorbereitet werden sollen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dafür Voraussetzungen zu schaffen, und machen Sie nicht stattdessen die Eltern zu Sündenböcken für die Versäumnisse Ihres Senats!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion der Kollege Langenbrinck – bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich besuche in meinem Neuköllner Wahlkreis regelmäßig Grundschulen, um da den Schülern vorzulesen. Am Anfang stelle ich immer die gleichen zwei Frage. Erstens: Wer von euch liest denn gerade zu Hause ein Buch? Darauf melden sich dann einige der Kinder. Und Zweitens: Wer von euch bekommt zu Hause von Mama

oder Papa vorgelesen? Die aufgezeigten Finger kann ich meistens an einer Hand abzählen. Wenn die Kinder anschließend die Geschichte nacherzählen sollen, zeigt sich, dass nicht wenige von ihnen Aufmerksamkeitsstörungen und Sprachdefizite haben.

In diesem Zusammenhang hat der Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte kürzlich vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen gewarnt, dass der größte Teil der betroffenen Kinder zu Hause nicht ausreichend gefördert wird. Dabei ist das Vorlesen, Nacherzählen und Singen, das wissen wir alle, für den Spracherwerb und die Entwicklung der Kinder von großer Bedeutung. Die frühkindliche Bildung und Förderung ist extrem wichtig für den späteren Schulerfolg der Kinder: Wer Sprachmängel hat, hat Probleme, schreiben und rechnen zu lernen und in der Schule mitzukommen. Schuldistanz und Schulabbruch sind da leider keine Seltenheit.

Um den sprachlichen Entwicklungsstand der Kinder zu erfahren, müssen sie mit vier Jahren an dem Sprachtest teilnehmen. Dieser Test ist zur altersgerechten Förderung und Unterstützung vor der Einschulung wichtig, vor allem um ihre Startbedingungen für die Schule zu verbessern.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin BurkertEulitz?

[Uwe Doering (LINKE): Wat?]

Die Eltern von Kindern, die keine Kita besuchen, haben die Pflicht, ihre Kinder mit vier Jahren an diesem Sprachtest teilnehmen zu lassen, aber knapp 70 Prozent von ihnen melden ihre Kinder nicht zum Sprachtest an. Dabei wurden bei mehr als der Hälfte der Nicht-Kitakinder, die zum Test gekommen sind, Sprachprobleme festgestellt. Das ist Problem eins.

Wenn im Rahmen dieses verpflichtenden Tests Sprachmängel festgestellt werden, besteht für die Eltern die Pflicht, ihre Kinder an einer einjährigen Sprachförderung teilnehmen zu lassen, aber nicht alle Eltern schicken ihre Kinder da hin. Das ist das Problem zwei. Es ist nicht zu akzeptieren, das Eltern ihre Kinder nicht an dem Sprachtest oder an der Sprachförderung teilnehmen lassen. Dadurch werden ihnen Perspektiven verbaut, ein Jahr vor der Schule die notwendige Förderung zu bekommen. Diese Kinder werden mit Sprachmängeln eingeschult, weil der mögliche Förderbedarf zu spät oder gar nicht entdeckt wird.

Um diese beiden Probleme in den Griff zu bekommen, wollen wir das Bußgeld für Eltern einführen, die sich der

Pflicht verweigern, ihre Kinder zum Sprachtest oder zur Sprachförderung zu schicken, die der Verantwortung für ihre Kinder nicht gerecht werden und die ihnen damit bessere Startbedingungen für ihren Schulweg verbauen.

Mit der Einführung des Bußgeldes greifen wir auch den drängenden Wunsch der Schulämter auf. – Das zu Ihrer Information. Außerdem werden wir im Sommer die verpflichtende einjährige Sprachförderung der NichtKitakinder von drei auf fünf Stunden täglich ausweiten. Das ist eine sehr schöne Sache.

Bei den vierjährigen Kitakindern wird der Sprachtest in der Kita gemacht. Hier haben sich die Ergebnisse in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Es gibt aber erhebliche Unterschiede zwischen den Bezirken. Während 2011 in Pankow nicht mal jedes zehnte Kind Sprachmängel hatte, wurde bei jedem vierten Neuköllner Kind Förderbedarf festgestellt. Kitakinder nichtdeutscher Herkunft haben doppelt so häufig Sprachprobleme wie Kinder deutscher Herkunft. Das ist aber ein soziales Problem. Da stimmen wir alle überein.

Deshalb wird die Sprachförderung immer bewusster als übergreifende Schwerpunktaufgabe in der pädagogischen Arbeit in den Kitas umgesetzt. Einen wesentlichen Beitrag leisten die Arbeit nach dem Berliner Bildungsprogramm, die kontinuierliche Arbeit mit dem Sprachlerntagebuch, die Verbesserungen in der Aus- und Weiterbildung der Erzieher, die kontinuierliche Erhöhung der für Sprachförderung eingesetzten Personalmittel in den Kitas seit 2008 und einige Maßnahmen mehr.

Die beitragsfreien Kitajahre tragen zum frühen Kitabesuch bei, sodass die Kinder auch länger in ihrer Sprachentwicklung gefördert werden können. Denn die Kinder – und darauf hat die Kollegin von den Grünen hingewiesen –, die schon in den wichtigen ersten drei Lebensjahren, in denen die entscheidenden Weichen gestellt werden, eine Kita besuchen, haben seltener einen Sprachförderbedarf als andere Kinder. Auf der anderen Seite schafft es keine Erzieherin und schafft es auch kein Erzieher die Defizite von Kindern durch gezielte Förderung zu verringern, wenn sie erst ein Jahr vor der Einschulung in die Kita gebracht werden. Ein frühestmöglicher Kitabesuch ist also die beste frühkindliche Förderung.

Damit die Lehrer aber wissen, woran sie sind, wenn ihnen die neuen Erstklässler anvertraut werden, ist es sinnvoll, das Sprachlerntagebuch mit Informationen über den jeweils individuellen Entwicklungs- und Lernfortschritt der Kinder von den Kitas an die Grundschulen weiterzugeben. Das dient ebenso wenig der Stigmatisierung, liebe Kollegin von den Grünen, wie die Feststellung, dass zu viele Kinder in den Grundschulen Sprachmängel haben. Das gehört einfach zur Wahrheit mit dazu, und wir Sozialdemokraten laufen ohne Scheuklappen durch die Welt.

Mit dem Sprachlerntagebuch können den Schulen hilfreiche Informationen mitgegeben werden, und die Lehrer können an die Beobachtungen und Fördermaßnahmen der Kitas anknüpfen – damit komme ich zum Ende –, ohne bei null anfangen zu müssen. Von Anfang an mehr über ihre neuen Schüler zu wissen, hilft den Lehrern, sie früh, nahtlos und gezielt auf ihrem Weg zu einem Schulabschluss zu unterstützen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Anja Schillhaneck (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke jetzt Frau Kollegin Möller!

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Nur mal zum Einstieg: Es gibt bereits jetzt für die Schulämter die Möglichkeit, auf der Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes Zwangsgelder anzudrohen und festzusetzen, wenn Eltern ihre Kinder nicht zur Sprachstandsfeststellung schicken.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wenn Sie es also lediglich auf Sanktionen anlegen, braucht es diese Gesetzesinitiative überhaupt nicht.

Aber dennoch: Sie haben hier zwei Anträge, die beide in die falsche Richtung weisen und rein aktionistisch sind. Ich frage mich, ob es überhaupt sinnvoll ist, im Fachausschuss Anhörungen abzuhalten, wenn die Koalition dann Schlussfolgerungen zieht, die den Ratschlägen der Experten und Expertinnen völlig entgegenstehen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Sie schlagen hier in zwei Anträgen die Aufkündigung der Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Bildungseinrichtungen vor, während sämtliche engagierten Fachkräfte in dieser Stadt an der Verbesserung der Kooperation zwischen Eltern, Kita und Schule arbeiten, weil es auf gute Übergänge ankommt. Die Sprachstandsfeststellung bietet neben der frühzeitigen Feststellung spezieller Förderbedarfe bei Nicht-Kitakindern auch einen guten Anlass, mit den Eltern in Kontakt zu kommen und sie als Gemeinwesen zur Kooperation einzuladen. Aus dieser Einladung soll nun eine Vorladung werden. Erziehungspartnerschaft baut man so nicht.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Unabhängig davon bringt eine Bußgeldandrohung ja bereits bei der Ordnungswidrigkeit Schulschwänzen überhaupt gar nichts. Das Thema war ja letzten November Gegenstand einer Großen Anfrage mit dem Ergebnis: Bußgeldverfahren lösen die Probleme nicht, noch dazu,

weil diese sozial determiniert sind und bei der Mehrheit der eventuell zu bestrafenden Familien nichts zu holen sein dürfte.

[Zurufe von Joschka Langenbrinck (SPD) und Heiko Melzer (CDU)]

Es wüchse gegebenenfalls nur der Schuldenberg, die Probleme würden größer statt kleiner. Bußgeld ist kontraproduktiv. Auch hier hilft nur Prävention.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Es geht vielmehr darum, den eingeschlagenen Weg einer Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Kita konsequent weiterzuverfolgen und weiter für den möglichst frühen Kitabesuch zu werben. Herr Langenbrinck, das haben Sie ja auch schon erkannt.

Bei der Anhörung zur Sprachförderung waren sich alle Experten und Expertinnen einig, dass das der richtige Weg ist. Wir wissen nach den Schuleingangsuntersuchungen für den Zeitraum 2005 bis 2011, dass von Kindern, die länger als zwei Jahre eine Kita besucht haben, nur 17,4 Prozent defizitär gesprochen haben, während es bei Kindern ohne Kitabesuch 60 Prozent waren. Heraus kam auch, dass sich bei Kindern nichtdeutscher Herkunft der Sprachstand bei Kitabesuch sehr positiv entwickelt hat, und wenn es um Spracherwerb und Sprachfähigkeit geht, muss der Fokus auf Kinder gerichtet sein, deren Familien sogenannt sozial benachteiligt sind.

Investieren Sie also lieber in den Ausbau von kieznahen Strukturen wie Familien-, Stadtteil-, Nachbarschaftszentren, Kiez- und Stadtteilmüttern – sprich: in niedrigschwellige Angebote –, um Eltern frühzeitig zu erreichen, und natürlich in gut ausgebildete, motivierte Erzieher und Erzieherinnen und in deren Fort- und Weiterbildung, anstatt wie jetzt das Personal zunehmend zu belasten, damit sie umso weniger Zeit zum Lesen und Vorlesen haben,

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

oder immer mehr Kollegen und Kolleginnen ohne Abschluss in den Kitas einzusetzen und bereits vor Beginn der Ausbildung zu 100 Prozent auf den Erzieherschlüssel anzurechnen! Hier muss angesetzt werden.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Und nehmen Sie die Personalkürzungen zurück! Die Untersuchungen zur Optimierung von Geschäftsprozessen haben wieder gezeigt: Gerade die Beratung von Eltern mit Kindern im Kitaalter ist sehr aufwendig und sehr wichtig. Das leisten die Kita- und Schulämter in den Bezirken, und die melden flächendeckend: Land unter! – Wir brauchen keine Bußgeldbürokratie oben drauf, sondern funktionierende Strukturen vor Ort.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) und Martin Delius (PIRATEN)]