Protocol of the Session on August 29, 2002

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Bemerkung muss ich an den Kollegen Schmidt von der FDP vorneweg richten! – Lieber Kollege Schmidt, Sie haben es auch ein wenig an den Reaktionen im übrigen Teil des Hauses gesehen, ich fand nicht, dass es eine Rede war, die mit Ihren Grundsatzprogrammen und Ihrer praktischen Politik auch nur in kleineren Teilen in Übereinstimmung steht! Ich hätte es durchaus einem Kollegen der Grünen zutrauen können, diese Rede zu halten.

[Cramer (Grüne): Immer langsam! – Heiterkeit bei der PDS und bei den Grünen]

Wenn ich mir allerdings vor Augen halte, wie Sie das, was Sie formuliert haben, auch praktisch begleiten, ist zwischen Taten und der Rede ein wirklich extremer Unterschied gewesen.

[Cramer (Grüne): Frechheit! – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir debattieren hier im zweiten Teil auch über die Ergebnisse der Beantwortung der Großen Anfrage des für Umweltschutz zuständigen Senators Strieder. Erstaunlicherweise ist es den Vorrednern nicht aufgefallen – auch nicht den Anfragenden –, vielleicht deswegen, weil Sie sich hier auf eine bundespolitische Wahlkampfdebatte eingestellt haben, dass die meisten Punkte der Großen Anfrage nicht beantwortet wurden. Wir haben keine Aussage zur künftigen Behandlung der entwicklungspolitischen Leitlinien erhalten, die 2001 beschlossen wurden und wie der Senat künftig damit umgehen will. Wir haben keine Auskunft darüber bekommen, wie der Senat in Zusammenarbeit mit den Berliner Partnerstädten künftig das Prinzip des Joint Implementation finanziell in Klimaschutzaktivitäten umsetzen will. Wir haben keine Auskunft darüber bekommen, wie die Ergebnisse der Enquetekommission der 13. und 14. Wahlperiode vom Senat umgesetzt werden sollen.

Wir warten auf eine Antwort, wann der lange angekündigte Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt wird. Die Frage, wann dieser Nachhaltigkeitsbericht als Ersatz für den auch viele Jahre lang nicht erteilten Umweltbericht diesem Haus endlich gegeben wird, hat der Kollege Berger von den Grünen in der letzten Legislaturperiode wirklich als running gag dieses Hauses begriffen. Eine ganze Legislaturperiode lang hat er immer wieder im Umweltausschuss und in Parlamentsdebatten gefragt. Er ist immer wieder auf die nächstmögliche Zeit vertröstet worden. Aber das Papier liegt uns bis heute nicht vor. Das ist wirklich ein fundamentales Versagen dieses Umweltsenators. Wir hatten heute gehofft, zumindest ein Datum genannt zu bekommen. Inzwischen weicht er auch davon ab. Nicht einmal das wird geleistet oder die Vertröstung auf den nächsten Monat geboten.

Wir haben auch keine Auskunft darüber bekommen, wie der Nachhaltigkeitsprozess weiter in die gesellschaftliche Debatte verankert werden soll. Zu allen Fragen zum Komplex 3 dieser Großen Anfrage mit 4 Unterfragen zur Flächenversiegelung, zum Straßenbau, zu den Wasserstraßen und wiederum zu den Partnerstädten sind uns ebenfalls die Antworten schuldig geblieben. Ich habe Verständnis dafür, dass diese Fragen unangenehm

(A) (C)

(B) (D)

waren. Insofern ist auch klar, warum die Oppositionspartei der Grünen sie gestellt hat. Sie sind natürlich unangenehm, weil die Antworten einen Spagat zwischen den beiden Koalitionspartnern bedeuten. Deswegen hat man sich wohl eher vor der Antwort gedrückt, als hier eine parlamentarische Anfrage zu beantworten. Ich finde dies einen schlechten Stil. Solche Differenzen müssen auch innerhalb einer Regierungskoalition geklärt werden. Wenn das nicht möglich ist, kann man dieser Koalition wohl nicht mehr lange geben.

[Sen Strieder: Können Sie auch mal etwas zur Sache sagen?]

Insgesamt müssen wir feststellen, dass dieser Agenda-Prozess und die Auseinandersetzung mit dem, was Klimaschutz in und für diese Stadt bedeutet, weitestgehend im Verborgenen stattfindet. Wir haben zwar ein Agendaforum, das arbeitet, aber – wie vorhin schon ausgeführt – in Gesprächspunkten, die politisch unkritisch sind. Es sind insgesamt 6 in drei weiteren Arbeitsgruppen, die sich allerdings auch nicht mit den Kernfragen dieser Berliner Situation auseinandersetzen. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass beispielsweise sämtliche Ergebnisse der Kommission Staatsaufgabenkritik, die natürlich auch einen starken Anhaltspunkt darauf geben, was dauerhaft nachhaltige Politik für diese Stadt bedeuten könnte, und all diese Elemente in eine Nachhaltigkeitsstrategie und eine Nachhaltigkeitsdiskussion für diese Stadt bis heute nicht eingegangen sind. Es werden dort eine große Anzahl von Vorschlägen gemacht. Sie sind aber mit Entscheidungen verbunden. Sie sind damit verbunden, dass man anderen möglicherweise auch einmal auf die Füße treten muss und sind damit verbunden, dass man sein eigenes Politikhandeln im Hinblick darauf überprüft, was wirklich dieser Stadt nutzt und nicht hinsichtlich darauf, was in den eigenen Wahlprogrammen steht und woran unbedingt festgehalten werden muss.

Deswegen sind wir zum Kern dieser Nachhaltigkeitsdebatte noch nicht vorgedrungen. Ich hoffe, dass es uns nun endlich irgendwann einmal gelingt, wenn der Senat seine Hausaufgaben macht. Wiederum stellt sich zuletzt die Frage – vielleicht wird sie uns noch beantwortet – wann der seit Jahren ausstehende Nachhaltigkeitsbericht für die Stadt und die Zukunft der Stadt endlich vorgelegt wird.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Danke schön! – Für die FDPFraktion hat der Abgeordnete Thiel das Wort. – Entschuldigung! Das war jetzt ein Fehler meinerseits. Durch den Tausch ist mir das jetzt entgangen: Für die SPD-Fraktion hat zunächst der Abgeordnete Gaebler das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bilder vom Hochwasser und den Folgen haben bei vielen, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Parteien, das Gefühl der eigenen Ohnmacht gegen Naturgewalten geweckt und Nachdenklichkeit ausgelöst. Das ist gut, auch die Hilfe, die damit verbunden ist. Ich glaube aber, dass die Betroffenheit allein für kurze Zeit nicht ausreicht. Hier müssen auch wirklich Konsequenzen folgen. Zum einen ist es wichtig, dass alle Kräfte mobilisiert werden, um die Folgen der Hochwasserkatastrophe für die Betroffenen zu mildern und auszugleichen. Gleichzeitig müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, Wiederholungen solcher Katastrophen zu vermeiden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und bei den Grünen]

Dafür bedarf es gemeinsamer Anstrengungen national, auf europäischer Ebene und international. Dabei wäre es auch wichtig, dass der größte CO2-Produzent der Welt, die Vereinigten Staaten, das Thema Klimaschutz endlich ernst nehmen und nicht nach FDP-Manier sagen: „Das ist alles Sache des Marktes.“ Es wäre schön gewesen, wenn sich der amerikanische Präsident nicht nur Gedanken über Militäreinsätze macht, sondern über tat

sächlich weltweit wichtige Themen wie den Klimaschutz und in Johannisburg mitredet und entscheidet, so, wie es Senator Strieder nach dieser Sitzung tun wird.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und bei den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Den stellen wir nicht, noch nicht, Herr Gaebler]

Gutes Zeichen für die schnelle Hilfe sind die ressortübergreifenden Aktivitäten auf Bundesebene. Neben dem, was hier schon genannt wurde, finde ich besonders bemerkenswert, dass das Bundesfamilienministerium die überwältigende Einsatzbereitschaft von jungen Leuten zum Anlass genommen hat, ein Programm „Jugend hilft“ mit 46 Millionen $ auszustatten, um die Arbeit von jungen Einsatzkräften vor Ort finanziell abzusichern. 1 000 zusätzliche Plätze in freiwilligen Diensten, 3 000 zusätzliche Zivildienststellen und die Finanzierung für Hilfseinsätze von 3 000 Jugendlichen aus dem Ausland sind das richtige Signal.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Denn die vielen freiwilligen und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die dort Einsatz zeigen, sind ein Beweis für die große Bereitschaft zu gesellschaftlichem Engagement. Dies verdient unseren besonderen Dank und unsere Anerkennung.

Die tatkräftige Hilfe vor Ort reicht aber nicht aus. Hinzu muss die finanzielle Unterstützung der Hochwasseropfer kommen. Hier wird sich Berlin trotz seiner schwierigen Finanzsituation auch in die bundesweite Solidarität einreihen. Die zusätzlichen Einnahmen aus der Verschiebung der Steuerreform werden selbstverständlich für die Gemeinschaftsaufgabe Flutopferhilfe zur Verfügung stehen. Die Berlinerinnen und Berliner haben in den vergangenen Wochen Millionen von Euro gespendet. Die Bereitschaft zur Verschiebung von Steuerentlastungen zu Gunsten der Hochwasseropfer ist in der Bevölkerung groß. Selbstverständlich muss unser Ziel sein, den Betroffenen so zu helfen, wie es der Bundeskanzler auch als Ziel der Bundesregierung formuliert hat, nämlich dass sie nicht schlechter gestellt sind als vor dem Hochwasser.

Umso befremdlicher ist es, wenn einige nun versuchen, ihr politisches Süppchen mit Doppelzüngigkeit, Falschinformationen und Luftbuchungen zu kochen. Während der bayerische Ministerpräsident täglich andere Einschätzungen zu Hilfsprogrammen und deren Auswirkungen gibt, lassen seine Länderkollegen die Maske fallen. Herr Beckstein hält alles für unseriös, Herr Milbradt aus Sachsen bemängelt sogar fehlende Hilfen, während sein Wirtschaftsminister die Auszahlung der bereits überwiesenen Gelder an die Hochwasseropfer blockiert. Das bedarf auch einer öffentlichen Diskussion. Vielleicht können auch Sie von der Union sich einmal dahinterklemmen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS und den Grünen]

Zum Alternativvorschlag, die Hochwasserhilfe aus Bundesbankgewinnen zu finanzieren und dafür die Tilgung der Verschuldung aus der deutschen Einheit auszusetzen: Allein aus den daraus entstehenden Zinsbelastungen für ein Jahr könnten sämtliche Schäden an den Bahnstrecken in den Hochwassergebieten finanziert werden. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, meine Damen und Herren von der CDU, dass Sie jetzt diese Form des Marsches in den Schuldenstaat aus 16 Jahren Kohl wieder aufnehmen wollen.

[Beifall bei der SPD – Niedergesäß (CDU): Irre, irre, irre, was Sie da erzählen!]

Dann sind auch alle Lippenbekenntnisse und Danksagungen an die jungen Leute, die vor Ort dort Einsatz zeigen, nichts wert, weil Sie denen genau die Lasten aufbürden, die Sie heute nicht selbst tragen wollen, zum Beispiel durch die Verschiebung der Steuerreform und Einsparungen im Bundeshaushalt. Das ist wirklich unseriös. Damit machen Sie den Leuten etwas vor, aber das werden sie auch erkennen.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Am 22. ist Schicht im Schacht, Herr Gaebler!]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niedergesäß?

Nein! Ich denke, ich rede hier zum Hochwasser. Insofern ist das Hauptpetitum von Herrn Niedergesäß erfüllt. Zum Zweiten habe ich hier noch 60 Sekunden. Geblitzt hat es noch nicht, aber ich will die letzten Punkte noch kurz nennen. – Jetzt hat es geblitzt!

Herr Rexrodt hat gesagt: Ich bin nur ein Sandkorn im Universum. Ich glaube, dieses Bewusstsein würde auch einigen hier im Hause, insbesondere Ihnen, Herr Lindner, und Ihren Kollegen, ganz gut tun – sich selbst weniger wichtig nehmen,

[Czaja (CDU): Sie haben es nötig, Herr Gaebler!]

die Probleme angehen und die richtigen Lösungen dafür finden.

Herr Gaebler, Sie nehmen aber hoffentlich unseren Blitz wichtig! Er bedeutet nämlich, das Ende der Redezeit ist erreicht.

Ich dachte, erst wenn er aufhört – –

Nein, er hört erst auf, wenn Sie zu reden aufgehört haben.

Also, dann nur noch der Hinweis: Die Entschließung, die von der CDU vorgelegt worden ist, ist vom Präsidenten bereits in seinen einleitenden Worten aufgenommen worden. Hier geht es nur darum, noch einmal irgendwelche Sache für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zusätzlich zur Bedingung zu machen. Wir werden diese Entschließung daher ablehnen, ebenso wie den unausgegorenen Antrag der FDP auf einen zusätzlichen Finanzierungsfonds. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Das ist so deutlich, was hier läuft!]

Danke schön! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thiel das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht unbedingt immer leicht für einen Redner aus der FDP, an Herrn Gaebler anzuschließen, aber ich greife Ihren Hinweis auf einen konstruktiven Vorschlag gern auf. Ich werde ausschließlich zu unserem dringlichen Antrag Drucksache 15/708 sprechen und die ökologischen Fragestellungen lieber den Fachfrauen und -männern der Ökologie überlassen.

[Cramer (Grüne): Das wollen wir ja gerade nicht! Jeder muss Ökologe sein!]

Herr Cramer, es reicht, wenn ich mich aufs Ökonomische beschränke. Sie werden gleich merken, warum.

Wir sind aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, wie diese riesige Katastrophe einigermaßen vernünftig und menschenwürdig behandelt werden kann. Das Spendenaufkommen, das verschiedentlich angesprochen wurde, ist derartig gigantisch und überwältigend, dass man erstaunt sein muss, was für eine Solidarität in der Bevölkerung doch herrscht. Gleichzeitig wissen wir, dass es nicht ausreichen wird, um die Schäden zu beseitigen. Wir haben uns in der Fraktion überlegt, was für einen Beitrag wir leisten können, der zusätzlich zu den Spendenaufkommen und zu dem, was die Regierung und Europa angeschoben haben, ein weiteres Standbein sein kann.

Aus unserer eigenen Geschichte heraus – damit meine ich die Berliner Geschichte – wurden wir fündig beim Berlinförderungsgesetz. Viele kennen es viel besser unter dem Stichwort Berlindarlehen. Wir setzen uns dafür ein, Spendensolidarität überzuführen in eine bürgerschaftliche Solidarität dadurch, dass wir den Senat bitten, bei der Regierung vorstellig zu werden, entsprechend dem Berlinförderungsgesetz ein neues Darlehens

programm aufzulegen. Wir wollen an das private Kapital der privaten Menschen heran. Wir sehen eine große Chance, dass mit einem entsprechenden Darlehensprogramm mehr Menschen zu investieren bereit wären. Gerade wir Berliner sollten uns daran erinnern, wie viele Jahre und Jahrzehnte uns dieses Programm unterstützt hat. Was liegt also näher, als aus den positiven Erfahrungen, die wir machen durften, eine Anregung zu geben und den Bund zu bitten, zu überprüfen, ob nicht analog dem Berlindarlehen ein bundesweites Darlehen für die Betroffenen aufgelegt werden kann.

Wir denken da vor allem an drei Gruppen: Erstens zur Finanzierung für Schäden von Privatpersonen, zweitens zur Finanzierung von Kleinst- und Kleinunternehmen und drittens zur Wiederherstellung der Infrastruktur.

[Beifall bei der FDP]