Protocol of the Session on November 10, 2016

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Dombrowski für die Fraktionen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Hackenschmidt hat schon einiges zu den vorhergehenden Diskus

sionen in anderen Landtagssitzungen gesagt. Ich wollte mich eigentlich auf den Inhalt des Antrags der AfD - nämlich die Visaverhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation - beschränken, möchte aber etwas vorausschicken, da der Kollege Wiese die Türkei angesprochen hat: Natürlich reden wir ständig mit der Türkei. Aber die Türkei ist - das muss einem nicht gefallen - EU-Beitrittskandidat.

(Dr. van Raemdonck [AfD]: Ehemaliger!)

Daher ist es völlig normal, dass ständig Verhandlungen und Gespräche stattfinden, wenngleich das Ergebnis offen ist.

Hinsichtlich der Beziehungen zu Russland ist festzustellen - da widersprechen wir uns gar nicht: Ja, Deutschland, Brandenburg und die EU haben ein großes Interesse an guten Beziehungen zur Russischen Föderation - gerade wir Brandenburger. Von Brandenburg gehen auch Initiativen aus. Ich nenne als Beispiel die Stadt Spremberg, den Landkreis Spree-Neiße und die IHK Cottbus, die im Frühjahr, im Mai, gemeinsam in Kursk in Mittelrussland waren, um am dortigen Wirtschaftsforum teilzunehmen. Im nächsten Monat werden die drei Genannten dort mit Partnern aus dem Oblast Kursk eine deutsch-russische Kontaktstelle errichten, für die sie auch finanziell einstehen und von der aus wirtschaftliche Beziehungen in beide Richtungen geknüpft werden sollen. Das wird unterstützt, und ich denke, auch die Landesregierung wird sich im nächsten Schritt einbringen.

Auch wenn die Politik von Regierungen ab und zu Fragezeichen oder große Probleme aufwirft, wird keiner von uns vergessen, dass es nicht nur Beziehungen zwischen Regierungen, sondern auch zwischen Menschen und Institutionen gibt. Das heißt für das deutsch-russische Verhältnis, auch für unser Verhältnis zu Russland, dass die Beziehungen auf allen Ebenen selbstverständlich weitergehen.

Aber in der Frage der Visafreiheit - Kollege Wiese hat einige Bedingungen genannt, die ordnungsrechtlich erfüllt sein müssen - spielt etwas anderes eine Rolle: Da gibt es eine Währung. Diese Währung heißt nicht Euro, Dollar, Yen oder Rubel, sondern Vertrauen. Das Vertrauen zwischen der Europäischen Union, auch der Bundesrepublik Deutschland sowie dem Land Brandenburg, und der russischen Regierung ist nicht nur getrübt, sondern schwer getroffen. Ich werde im Weiteren darauf zurückkommen.

Ich möchte, um zu erinnern, auf die Geschichte der Visaverhandlungen eingehen; das ist wichtig. Sie haben in Ihrem Beitrag ein Dokument der EU genannt. Es gibt sechs weitere; diese will ich - sie sind alle recht kurz - einmal benennen.

2003: Die Europäische Union und die Russische Föderation beschließen, sich mittelfristig auf visaerleichterte und langfristig auf visafreie Reisen ihrer Staatsbürger zu verständigen.

2007: Das mittelfristige Ziel wurde 2007 über ein Visaerleichterungsabkommen umgesetzt, darin wurden gegenseitige Besuchervisa für die Dauer von 90 Tagen, vereinfachte Beantragungsverfahren und Ausnahmeregelungen für Verlängerungen oder andere Einreise- und Aufenthaltsstatus beschlossen.

2007 bis 2011 erfolgte der nächste Schritt: Die international übliche 90-Tage-Regelung sollte auf 180 Tage erweitert werden. Im Rahmen der folgenden bilateralen Beratungen wurde

zudem das langfristige Ziel des visafreien Reiseverkehrs verhandelt sowie wurden langfristige Visa bis zu fünf Jahren in die Verhandlungen eingebracht. Gegen Ende der Verhandlungen - jetzt wird es spannend - führte die Russische Föderation die Forderung ein, Inhabern russischer Diplomaten- und ähnlicher sogenannter Dienstreisepässe visafreies Reisen zu gestatten, wohingegen die Europäische Union ihre Position beibehielt, diese Regelung für alle Bürger der Russischen Föderation einzuführen. Die Europäische Union sah und sieht diese Bedingung als Teil ihrer Politik der Förderung von Grund- und Menschenrechten. Die Regierung unter Putin - er war während dieser Verhandlungen Präsident, in der anschließenden Phase war er - von 2008 bis 2012 - Ministerpräsident - war nicht bereit, dies zu akzeptieren. Darum wurde das Abkommen nicht unterzeichnet. Ich will es noch deutlicher sagen. Die Europäische Union hat darauf bestanden: wenn Visafreiheit für russische Staatsbürger, dann für alle

(Beifall CDU, SPD und B90/GRÜNE)

und nicht nur für die Inhaber von Diplomaten- und Dienstreisepässen - man weiß, was das in solchen Ländern bedeutet.

Von daher: So traurig das ist - Herr Wiese erwähnte auch die Nachteile und dass die armen russischen Bürger jetzt nicht reisen können -, muss man einfach sagen: Die russische Regierung war und ist überhaupt nicht daran interessiert, dass alle russischen Bürger frei reisen können, sondern eben nur bestimmte. Allein das hat damals schon dazu geführt, dass die Verhandlungen ins Stocken geraten sind. Die Verhandlungen waren aus diesem Grund - von russischer Seite - zu dieser Zeit festgefahren. Aber die Europäische Union gibt so schnell nicht auf, weder bei Russland noch bei anderen Ländern.

2011 bis 2013: Zur Fortsetzung des Dialogs wurde Ende 2011 eine „Liste gemeinsamer Schritte“ beschlossen. Hierüber sollte das 2003 ausgehandelte langfristige Ziel der Visafreiheit für alle Staatsbürger beider Seiten peu à peu erreicht werden. Im Dezember 2013 stellte die Kommission in einem Bericht zum Stand der Verhandlungen - dieses Dokument haben Sie erwähnt, die anderen sechs nicht - fest, dass auf diesem Wege Fortschritte in zahlreichen Einzelaspekten erreicht werden könnten. Dem Visafreiheitsabkommen stünden aber seitens der Russischen Föderation noch immer ausstehende Verfahrensvereinfachungen für Kurzaufenthalte von EU-Bürgern, überlange Kontrollen und Abfertigungsprozeduren bei der Einreise in die Russische Föderation sowie fehlende Maßnahmen gegen Menschenhandel und Korruption im grenz- und ausländerpolizeilichen sowie im Verwaltungsbereich der Russischen Föderation entgegen.

Seit 2014 - das ist der nächste Schritt, dieser beschäftigt uns heute: Die Russische Föderation unternahm in der Ukraine, auf der Krim, Handlungen, die dazu führten, dass ab Februar 2014 umgehend Maßnahmen der EU eingeleitet wurden. Dazu gehörte auch die Aussetzung der europäisch-russischen Visaverhandlungen durch Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs am 6. März 2014. Die Verhandlungen wurden seitdem - zumindest zu diesem Punkt - nicht wieder aufgenommen.

Jetzt komme ich auf die Währung „Vertrauen“ zurück. Was ist geschehen? Ich habe in der Debatte zu einem anderen Ihrer Anträge ausgeführt, dass Russland nach dem Zerfall, der Auflösung der Sowjetunion im Zusammenhang mit der Übergabe

der Atomwaffen, die auf dem Hoheitsgebiet der jetzigen Ukraine und Weißrusslands lagerten, eine völkerrechtsverbindliche Vereinbarung geschlossen und damit eine Sicherheitsgarantie für die Ukraine abgegeben hat - über die territoriale, wirtschaftliche und politische Integrität und Selbstständigkeit der Ukraine. Die Russische Föderation ist durch einen völkerrechtlich bindenden Vertrag zur Schutzmacht der Souveränität der Ukraine geworden.

Wenn nun aber ein Staat völkerrechtsverbindliche Verträge bricht - und hier geht es um etwas sehr Wesentliches, nämlich die staatliche und territoriale Integrität eines Staates -, ist dies keine Kleinigkeit, sondern der größtmögliche denkbare Bruch, wenn es um Völkerrecht geht. Völkerrecht ist nicht nur eine Sache zwischen zwei Staaten, sondern - deshalb heißt es Völkerrecht - geht auch die anderen Völker etwas an.

Selbstverständlich kann die demokratische Welt nicht akzeptieren, dass ein Staat gegen völkerrechtliche Verträge verstößt und sich gewaltsam - militärisch -, politisch und dann mit halbseidenen parlamentarischen Maßnahmen in den Besitz des Territoriums eines anderen Staates bringt.

(Beifall CDU, B90/GRÜNE und vereinzelt SPD)

Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem Wertekanon der Europäischen Union. Man kann den ja diskutieren, aber: Es ist nicht unser Werteverständnis, wirtschaftliche Interessen gegen grundlegende Rechte - Völkerrecht und Menschenrecht - einzutauschen. Das ist mit uns nicht zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass die Demokratien in Europa und auch in anderen Teilen der Welt dies auch deutlich machen und nicht schweigen. Es kommt auf die Entschlossenheit an. Natürlich fällt mir keine kriegerische Maßnahme ein - daran denkt niemand -, aber alle Mittel, die möglich sind, um zu sagen: Wir werden das nicht akzeptieren. Denn wer einmal das Völkerrecht bricht und nicht darauf hingewiesen wird, der wird ermutigt, es ein zweites und ein drittes Mal zu tun, und das wollen wir bitte nicht erleben. - Danke schön.

(Beifall CDU, B90/GRÜNE und vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Ludwig zu uns.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung ist durchaus selbstbewusst, wenn es um die Interessen Brandenburgs geht. Aber bei dem, was mit dem Antrag der AfD-Fraktion heute verlangt wird - die Landesregierung möge Druck ausüben, sie möge auf die Bundesregierung einwirken, die Visaverhandlungen zwischen der EU und der Russischen Föderation wiederaufzunehmen -, unterstellen Sie uns eine Rolle, die wir nicht haben.

Wie Sie wissen, hat die Landesregierung wie jedes andere Verfassungsorgan den Grundsatz zu achten, dass man jeweils den Kompetenzbereich der anderen Verfassungsorgane und Behörden beachten muss. Hierbei geht es eindeutig um Bundes- und EU-Kompetenzen, und die Landesregierung beabsichtigt, diese zu achten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Als Reaktion auf die russische Intervention auf der Krim und die Ermächtigung des Präsidenten durch den Föderationsrat zum Militäreinsatz in der Ukraine beschloss der Europäische Rat am 6. März 2014 den Stopp der Verhandlungen über ein neues Abkommen sowie Gespräche über eine Visa-Liberalisierung. Zudem wurde eine dreistufige Strategie restriktiver Maßnahmen beschlossen, die seither im Lichte der weiteren Ereignisse sukzessive ausgeweitet wurde. Dazu ist hier einiges dargestellt worden, darauf kann ich mich beziehen.

Zugleich hat die Bundesregierung aber immer wieder deutlich gemacht, dass die Tür zu einem Dialog mit Russland offen steht und sie sich aktiv und mit Nachdruck dafür einsetzt, den Konflikt in der Ostukraine zu überwinden. Dabei ist man sich einig, dass Hindernisse auf dem Weg zu einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland auf dem diplomatischen Wege ausgeräumt werden müssen.

Deutschland - damit auch Brandenburg - trägt eine geschichtliche Verantwortung und steht damit auch in der Pflicht, die deutsch-russischen Beziehungen zu pflegen. Intakte und lebendige Beziehungen zu Russland liegen im Interesse aller europäischen Staaten und dienen der gemeinsamen Sicherheit in Europa.

Gute Beziehungen und eine kluge - nachhaltige - europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber Russland müssen das Ziel sein, denn nur durch eine Wiederannäherung kann es zu einer Entspannung kommen. Und wir tun etwas dafür. Wir versuchen, die historisch gewachsenen Verbindungen und Freundschaften nach Russland nicht einschlafen zu lassen, sondern innerhalb des vorgegebenen Rahmens in Deutschland zu beleben. An dieser Stelle möchte ich nur an den April dieses Jahres erinnern, als das Land Brandenburg spontan die Rolle des Partnerlandes der Deutschen Woche in Petersburg übernahm. Mit einem erheblichen Aufwand hat es das Land geschafft, innerhalb kürzester Zeit ein sehr ansprechendes breit gefächertes Programm auf die Beine zu stellen, und das war nur möglich, weil alle Ressorts und viele Beteiligte aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft an einem Strang zogen. Aber der Aufwand hat sich mehr als gelohnt. Alte Verbindungen wurden aufgefrischt, neue Kontakte geknüpft, und das freundschaftliche Klima während der Veranstaltungen und der Gespräche war von Offenheit geprägt. Daraus ist zum Beispiel eine neue Schulpartnerschaft zwischen der „Graf von Arco“Oberschule in Nauen und dem Gymnasium Nr 330 in St. Petersburg entstanden. Brandenburgische Schüler und Lehrer knüpften im September erste Kontakte in St. Petersburg. Der Gegenbesuch wird noch im Dezember stattfinden.

Oder denken Sie an das gerade stattfindende FilmFestival Cottbus. Gespräche vor Ort in St. Petersburg haben dazu geführt, dass mit Unterstützung unserer Landesregierung der Programmpunkt „Russkiy Den“ - der Tag des russischen Films - aufgenommen wurde. Allein aus St. Petersburg werden vier Filme vorgestellt.

Wir tun gut daran, uns auf unsere eigenen Möglichkeiten zu konzentrieren

(Zuruf von der CDU: Genau!)

und hier zu tun, was wir können.

Ungeachtet dessen bin ich davon überzeugt, dass eine Erleichterung des Reisens für europäische und russische Bürgerinnen und Bürger mehr Gelegenheiten zum Austausch von Erfahrungen, Wissen und Meinungen schaffen würde. Dies würde helfen, gemeinsam wirksam gegen die Entfremdung von politischen Beziehungen zu arbeiten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Der Abgeordnete Wiese erhält noch einmal das Wort.

Herr Dombrowski, ich bedanke mich für Ihre Ausführungen - ebenso für Frau Hackenschmidts.

Aber, Herr Dombrowski, eine Frage können Sie mir sicherlich beantworten: Wo war der Aufschrei, als Amerika 2003 in den Irak einmarschierte - mit den fadenscheinigsten Begründungen? Da hat die CDU nicht lamentiert, nicht geschrien.

Das Zweite ist: Die Türkei hat sich in ganz kurzer Zeit - seit dem Sommer - in einen Unrechtsstaat verwandelt. Der ist zwar noch nicht bei uns hier wirksam, weil immer noch der Schein gewahrt wird,

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

aber glauben Sie mir eines: Ich habe meine Freunde in der Türkei, die sich bitter beschweren über das, was sie nicht mehr können. Ich habe über zwölf Jahre dort gelebt und weiß, wie man in der Türkei früher gelebt hat. Und ich weiß auch, wie man jetzt dort lebt, weil ich erst vor kurzem dort war. Es ist nicht mehr die freie Türkei, die ich kennengelernt habe. Heute haben sie nicht mehr die Polizei, die Ordnung macht. Heute haben sie die Bärtigen - genau wie in den islamistischen Staaten, die wir auch verurteilen. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.

Dort unten in den arabischen Ländern wurde so viel Schaden angerichtet, dass man hier bei uns eigentlich nichts mehr sagen sollte.

Und was ich vor allen Dingen noch fragen möchte: Wodurch ist denn der Aufmarsch an der russischen Grenze von Litauen herüber gedeckt? Moldawien möchte man auch einbeziehen und Transnistrien noch mit ins Boot nehmen.

Warum werden in Deutschland und verschiedenen anderen Ländern Raketen - auch Atomwaffen - der Amerikaner gelagert? Auf diese Sachen sollten Sie auch Antwort geben, wenn Sie das schon in die Politik einbeziehen. - Ich bedanke mich.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. - Wir sind am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung. Wir stimmen über den Antrag der AfD-Fraktion in der Drucksache 6/5358 ab. - Wer diesem

Antrag seine Zustimmung gibt, bitte ich um ein Handzeichen. - Enthaltungen? - Gegenstimmen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: