Protocol of the Session on September 9, 2010

Es gibt Irrtümer auf beiden Seiten bei der deutschen Einheit. Nicht ohne Grund hat Richard Schröder in seinem Buch Irrtümer von beiden Seiten aufgearbeitet. Deshalb lassen Sie uns an so einer positiven Identität gemeinsam arbeiten. Ich glaube, nur das bringt uns weiter. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Der Ministerpräsident hat das Bedürfnis zu reagieren.

(Zuruf von der CDU: Kann er es nicht einfach verstehen?)

- Wir sind in einer Debatte. Dazu gehört, dass man debattiert, Verehrtester. Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, aber ich werde darauf noch einen Satz sagen. - Kollegin Teuteberg hat soeben das starke Wort von der „Klitterung“, die hier betrieben werde, benutzt. Auch war hier von „künstlicher Aufregung“ die Rede, und dann wurde sehr viel Künstliches gesagt. Verehrte Frau Teuteberg, Sie haben von Geldflüssen gesprochen, die auf Gesetzen beruhten und deshalb keine Anerkennung gefunden hätten. Sie haben von den Verhältnissen in der DDR gesprochen, die beschönigt würden. Ich lege Wert darauf, dass sich von den fünf, sechs Punkten, die Sie in diesem Zusammenhang genannt haben, nicht einer - nicht einer! - in dem Interview wiederfindet, um das sich diese Aktuelle Stunden dreht.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Sie haben mit unterschwelligen Verdächtigungen ein künstliches Gebilde konstruiert, von dem sich in meinen Meinungen, meinen Äußerungen, meinem Buch oder meinen Artikeln nichts wiederfindet. Darauf lege ich Wert. Nichts von dem, was Sie gesagt haben, war oder ist meine Meinung. Das muss hier gesagt werden. Da schützt Sie auch die Jugend nicht, Frau Teuteberg; das war schlicht Klitterung. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, Sie sind in der glücklichen Lage, noch einmal drei Minuten und 20 Sekunden in Anspruch neh

men zu können. - Ich frage die FDP-Fraktion, ob sie davon Gebrauch machen möchte.

(Abgeordneter Goetz [FDP] signalisiert Redebedarf - Oh! bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE - Jürgens [DIE LINKE]: Vielleicht können Sie Ihrer Kollegin sagen, dass Gedenken auch mit Erinnerung zu tun hat, nicht nur mit Trauer!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute vieles gehört, was letztlich nichts anderes ist als die Perpetuierung von Erinnerungen aus der DDR, um einen politischen Vorteil für sich, für das rot-rote Lager hier erzielen zu können.

(Beifall FDP und CDU)

Man muss eben trennen. Man muss trennen zwischen persönlichen Erfahrungen des Einzelnen, der, wie ich, in der DDR gelebt hat, und der staatlichen Wirklichkeit. Auch ich habe viele schöne Erinnerungen an die DDR. Am 19. Mai 1989 habe ich geheiratet - ein toller Tag! Bis heute habe ich daran eine super Erinnerung. Das war mitten in der DDR, ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Ein wirklich tolles Datum! Aber was hat dieses Ereignis denn bitte damit zu tun, dass es in der DDR geschehen ist, an einem Tag in der DDR? Absolut nichts!

Ich habe allerdings vier Jahre lang in Halle studiert, im bekannten Dreieck Leipzig - Halle - Bitterfeld. Dort ist - Kollege Vogel sprach es schon an - großer Umweltfrevel begangen worden, um die Industrialisierung überhaupt vorantreiben und die Industrie aufrechterhalten zu können. Das war die Realität, das war die wirkliche DDR, genauso wie die Mauertoten, die auch wenige Kilometer von hier zu beklagen sind. Auch das war die DDR.

(Dr. Woidke [SPD]: Deswegen sind Sie auch in die Oppo- sition gegangen?)

Deshalb muss unterschieden werden zwischen der privaten Erinnerung, die jeder von uns hat, die jeder von uns mitbringt, die wertvoll ist und die auch ein eigenes Leben bestimmt mit all dem Schönen, was jeder von uns hatte, und der staatlichen Realität, die eben eine andere war und die auch in die Betrachtung einbezogen werden muss.

In diesem Zusammenhang ist zu Recht der Begriff „Klitterung“ benutzt worden. Zum anderen haben wir es mit einem Zusammenfügen, einem Verquicken privater Erinnerungen zu tun, die mit staatlicher Realität eben nichts zu tun haben. Es muss bitte sauber unterschieden werden zwischen der privaten Realität auf der einen Seite und der staatlichen Realität auf der anderen Seite. Gegen die Verklärung der staatlichen DDR-Realität durch die Einbeziehung privater Erinnerungen wenden wir uns. Es war eben eine Diktatur. Wir sind froh, dass sie nicht mehr existiert. Uns geht es heute besser. Wir haben Fortschritte gemacht in den 20 Jahren der Einheit, auch wenn Fehler begangen worden sind und noch viel zu tun bleibt; auch das stellt niemand in Abrede. Genau auf diesem Weg müssen wir gemeinsam vorankommen. Wir müssen auch diejenigen mitnehmen, die bisher nicht so weit gekommen sind.

Ich kann für mich und meine Mitabiturienten sagen - mein Abi hatte ich 1980; wir haben vor wenigen Tagen unser 30-jähriges

Abitur gefeiert -: Von uns, die wir da waren, will niemand eine DDR wiederhaben, weder eine große noch eine kleine hier in Brandenburg. Das ist der Weg, den wir auch anderen öffnen müssen, die wir mitnehmen müssen, um voranzukommen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Besteht bei der CDU-Fraktion Redebedarf? - Besteht bei der SPD-Fraktion Redebarf? - Besteht bei der Linksfraktion Redebarf? -

(Zuruf von der SPD: Oh ja!)

- Die SPD-Fraktion möchte doch reden. Bitte, Herr Ness.

Ich glaube, die zweite Runde hat den Eindruck bestätigt. Hier gibt es den Versuch der Opposition - vor allem dieser Seite dort -, die Regierungsparteien als vaterlandslose Gesellen darzustellen. Der Beitrag der jungen FDP-Abgeordneten Teuteberg war ein extremes Beispiel dafür. Es ist etwas seltsam und wird in der Öffentlichkeit auch als seltsam wahrgenommen, wenn einem Teil der Parteien hier in diesem Parlament unterstellt wird, sie wollten die deutsche Einheit nicht.

Das ist schlicht und ergreifend nicht so. Alle Parteien hier in diesem Parlament begrüßen die deutsche Einheit. Der Unterschied ist, dass die Regierungsparteien für sich in Anspruch nehmen, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bevölkerung im Gefolge des Prozesses der deutschen Einheit zu weiten Teilen auch Probleme hat und Probleme sieht. Es gibt nicht nur Gewinner, die am 3. Oktober glückselig mit Kulleraugen dasitzen und sich freuen, sondern es gibt auch Menschen, die die vergangenen 20 Jahre als verlustreich und tragisch für sich empfinden, die mit dieser Einheit leider nicht nur Gewinne verbuchen können.

Das Problem dieser Debatte ist, dass ein Teil der Parteien hier in diesem Haus das nicht zur Kenntnis nimmt. Deshalb dürfen Sie sich nicht wundern, dass viele bei dieser Diskussion den Kopf schütteln.

Zur Geschichtsdebatte möchte ich nur noch eine Anmerkung machen: Frau Teuteberg, ich habe vorhin gesagt - und dazu stehe ich auch -: Sie reden hier als Vertreterin der Nachfolgepartei der LDPD, einer Blockpartei.

(Zuruf von der FDP: Sie der SED!)

Ich habe das Glück, hier als Repräsentant einer Partei zu reden, die am 7. Oktober 1989 in der DDR gegründet worden ist - in der Illegalität, von Menschen, die dabei hohe Risiken eingegangen sind. Ich war nicht dabei. Ziel dieser Menschen war es damals, mehr Demokratie in der DDR zu erreichen. Sie haben sich im Gefolge des Prozesses als verantwortungsbewusst herausgestellt und den Prozess der deutschen Einheit mitgestaltet.

Viele von denen, die damals Gründer waren, sind heute noch politisch aktiv in meiner Partei. Sie nehmen für sich in Anspruch, in dieser Zeit Fehler gemacht zu haben, aber auch die

Kraft aufgebracht zu haben, sie zu korrigieren. Das ist das, was von demokratischen Politikern erwartet wird - eine Kraft, die, glaube ich, nicht alle Parteien in diesem Parlament aufbringen. Diese Debatte hat es gezeigt. Hier wird versucht, eine einseitige Jubelsicht durchzusetzen, und diejenigen, die nicht bereit sind, dieser Sicht zu folgen, in die Ecke zu stellen, zu diskreditieren. Ich glaube, das wird nicht nur die Mehrheit der Brandenburger nicht mitmachen, sondern das machen auch wir als Sozialdemokraten und diese Regierung nicht mit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herr Büttner hat eine Kurzintervention angemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich bewusst aus dieser Debatte herausgehalten, weil meine persönliche Überzeugung ist, dass ich als jemand, der im Westen dieser Republik aufgewachsen ist, eine Sichtweise habe, die vielleicht nicht ganz das erfassen kann, was den Menschen im Osten, in der DDR passiert ist. Deswegen habe ich bewusst die Entscheidung getroffen, mich aus dieser Debatte herauszuhalten.

Aber eines will ich hier sagen, Herr Ness: Ich habe es wirklich satt, dass Sie permanent die Mitglieder der LDPD und der NDPD diskreditieren. Sie werfen uns vor, wir würden die Menschen im Osten diskreditieren, und Sie tun es mit den Mitgliedern der LDPD und der NDPD. Sie diskreditieren das Ansehen von Arno Esch, von Günther Stempel, von Wolfgang Natonek, die im Rahmen der stalinistischen Säuberungen ermordet wurden, Herr Ness.

(Beifall FDP und CDU)

Sie diskreditieren die Mitglieder der LDPD, die Schutz gesucht haben, weil sie nicht in der SED aufgehen wollten, die versucht haben, sich ihre innere Freiheit zu erhalten. Im gleichen Maße regieren Sie aber mit denjenigen, die vorher LDPD-Mitglieder unterdrückt haben.

(Beifall FDP und CDU - Zuruf des Abgeordneten Dr. Woidke [SPD])

Hören Sie auf,

(Zuruf: Blockpartei!)

uns vorzuwerfen, wir wären eine Blockpartei. Die LDPD war die erste Partei, die aus der Nationalen Front herausgegangen ist. Hören Sie auf, uns vorzuwerfen, wir würden das Lebenswerk von Ostdeutschen diskreditieren, wenn Sie das mit Mitgliedern der LDPD und der NDPD tun. - Vielen Dank.

(Starker Beifall FDP und CDU)

Die Frage geht an die Linkspartei: Gibt es Bedarf, die drei Minuten Redezeit in Anspruch zu nehmen? - Die Frage geht an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. - Es gibt auch keinen Bedarf.

Damit sind wir am Ende der zwei Aktuellen „Stunden“ angelangt, und ich schließe Tagesordnungspunkt 1.

Ich habe jetzt die spannende Frage an Sie: Wie gehen wir mit der Tagesordnung weiter um?

(Frau Alter [SPD]: Wir machen alles schriftlich!)

Wir könnten - ich will nur die Alternativen aufzeigen - jetzt die Fragestunde anschließen.

(Zurufe: Nein!)

Wir könnten die Fragestunde auch ausfallen lassen.

(Zurufe: Ja! - Nein!)