Da wohl alle Landtagsparteien davon ausgehen, dass die Grundentscheidungen von 1989/90 richtig und im Grundsatz auch erfolgreich waren, kann man diese Fragen im Grunde recht entspannt und im Wettbewerb der demokratischen Parteien angehen.
In vielerlei Hinsicht handelt es sich hier um eine Evaluierung unserer, Ihrer eigenen Arbeit, also der politischen Entscheidungen der letzten 20 Jahre. In dieser Zeit waren wir im Ergebnis demokratischer Wahlen mehrfach in verschiedener Verantwortung. Regierungsseitig waren es über 19 Jahre SPD, BÜNDNIS 90, FDP und CDU. Es waren also sehr wesentlich auch Ihre Entscheidungen, Frau Blechinger, Frau Wanka, Herr Dombrowski, die nun analysiert werden, mit denen wir uns befassen. Frau Birthler - das sage ich in Richtung von Herrn Vogel - verließ die Regierung damals in der unmittelbaren Nachwendezeit nicht wegen der aktuellen Politik, wegen der Grundsatzentscheidungen - sie hat die Bildungspolitik der Jahre und den Umgang mit Biografien im Bildungssystem mitzuverantworten -,
sondern sie ging, wenn ich mich recht erinnere, allein wegen der Beurteilung der Biografie von Ministerpräsident Stolpe.
Das heißt, es ist unsere gemeinsame Entschlossenheit, und ich beglückwünsche die Opposition auch zu ihrem Wagemut, mit der sie nunmehr auch ihre eigene Arbeit unter die Lupe nimmt.
Zur klaren Verantwortung meiner Fraktion - ich möchte das an dieser Stelle gern sagen -: zu unserer politischen Verantwortung in der Geschichte und auch in der letzten Zeit sind hier in diesem Haus auch in dieser Legislaturperiode schon klare Worte gefallen.
Bei aller Entspanntheit und Übereinstimmung: Was wir uns heute vornehmen, verlangt zugleich Augenmaß und Präzision. Deswegen würde ich Frau Wanka gern antworten. Ich denke nicht, dass es bei ihren Vorstellungen zur Enquete um Denunziation von Absichten ging, sondern die Unruhe im Land, in der Landwirtschaft, in den Kommunen, bei den Lehrern, in der Medienlandschaft, die durch bestimmte Formulierungen entstanden ist, zeigt einfach, dass es von Ihnen offenbar ungewollte Interpretationen gab. Missverständnisse sind also künftig zu vermeiden. Seien wir präzise, handeln wir mit Augenmaß!
Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, die Koalitionsfraktionen entschieden sich, den Auftrag der Enquetekommission um folgende Fragen zu ergänzen: Konnten wir ein für das Land angemessenes, zukunftsfähiges und nachhaltiges ökonomisches Modell entwickeln? Gelang es, ein identitätsfähiges Gemeinwesen zu errichten und die politische Kultur demokratisch zu konsolidieren? Wie gelang der Prozess von beabsichtigter größtmöglicher politischer und sozialer Integration und Systemkonsolidierung einerseits und Aufarbeitung der SEDDiktatur andererseits? Eine weitere Frage ist die nach den Folgen der veränderten Eigentumsstruktur, auf die Eigentumsund Vermögensstruktur, sprich auf das soziale Gefüge im Land Brandenburg. Gibt es im Land gesellschaftliche Gruppen, die in den letzten 20 Jahren den wirtschaftlichen, also den sozialen Anschluss verpassten? Wohin führte uns der sogenannte Nachbau West? Wohin führte die Art der Rekrutierung neuer Funktionseliten aus den westlichen Bundesländern? Nicht scheuen sollten wir außerdem den Vergleich Brandenburgs mit anderen Ländern und Staaten in Mittel- und Osteuropa.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, achten wir darauf, bemühen wir uns, Aufklärung im besten Sinn zu betreiben! Ganz gut eignet sich heute, nachdem hier schon mehrere Klassiker genannt wurden, das Verständnis von Immanuel Kant, der in Unmündigkeit das Unvermögen sah, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Wir aber wollen mündig sein. Wir wollen mündige Bürgerinnen und Bürger. Bedienen wir uns also unseres Verstandes ohne Leitung eines anderen. Vertrauen wir vor allen Dingen auf die Bereitschaft und die Fähigkeit der Brandenburgerinnen und Brandenburger, auch schwierige Dinge in ihren Zusammenhängen und ihrer Entstehungsgeschichte zu begreifen und daraus ihre Perspektiven zu entwickeln. Unsere Arbeit muss Entschlusskraft und Mut für ein eigenes Urteil über die Geschichte, über unser Land bestärken.
Meine Damen und Herren, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution und über 20 Jahre lang bei der Gestaltung Brandenburgs
haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land in der Gesellschaft bis hin in das Privateste hinein einen tiefgreifenden Umbau erlebt. Natürlich gibt es Fragen, ob alles gut und richtig war, auch danach, was falsch gelaufen ist, ob sich etwas ändern lässt und ob sich etwas korrigieren lässt, wo die Hoffnungen und Versprechungen von 1989/90 nicht alle Wirklichkeit wurden.
Die Koalitionsfraktionen haben die klare Absicht, heute diese Fragen aus dem Gestern mit Nutzen für das Morgen zu beantworten, sie zunächst aber einmal mit Ihnen gemeinsam in dieser Kommission zu stellen und zu untersuchen. Mit beiden Anträgen, in denen sich die Erfahrungen und Sichten aller fünf Landtagsparteien widerspiegeln, sieht die Fraktion DIE LINKE dafür gute Voraussetzungen. Wenn wir in dieser Zeit einander zuhören, wenn wir miteinander diskutieren, kommen wir vielleicht auch dazu, die eine oder andere Sache wahrzunehmen. Ich bin davon überzeugt, dass es nicht reicht, sich möglicherweise gegenseitig mangelnde Bereitschaft oder Aufklärung vorzuwerfen, sondern man muss auch hören, sehen und lesen wollen, was woanders passiert ist; denn - ich gebe Frau Wanka Recht - Versöhnung kann man nicht verordnen, Versöhnung ist ein gesellschaftlicher Prozess im Dialog. Die Dinge, die seitens der Linken, seitens der PDS, seitens der Rosa-Luxemburg-Stiftung umfänglich gelaufen sind, werden wir Ihnen in dieser Zeit auch gerne zur Verfügung stellen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kaiser. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der FDP-Fraktion fort, für die der Abgeordnete Goetz spricht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Heute ist es nun so weit, dass wir eine Enquetekommission zur Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg einrichten. Das Land Brandenburg gibt es eigentlich erst seit der deutschen Einheit, seit Oktober 1990. Man könnte also meinen, wir beginnen die Arbeit in dieser Enquetekommission mit dem Jahr 1990. Dieser Schluss wäre ein Trugschluss. Tatsächlich ist die Enquetekommission so angelegt, dass sie im Wendeprozess beginnt und dort, wo Fragen stehen, die aus Zeiten davor herrühren, auch in die Zeit davor zurückgreifen wird. Wir haben also nicht den Beginn 1990, sondern in den Jahren zuvor, als es Brandenburg noch gar nicht wieder gab. Wir sind bei den Entscheidungen der Volkskammer, auch der letzten frei gewählten Volkskammer, im Jahr 1990 mit dem Einigungsvertrag, zum Beispiel auch mit der Vermögensgesetzgebung. Wir sind bei der Wiedergutmachung historischen Unrechts mit dem Blick auch auf die Jahre vor 1989, haben aber keinen Bezug - Frau Prof. Wanka hat es bereits gesagt - zur Bodenreform; auch darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen. Die Bodenreform ist nicht Untersuchungsgegenstand unseres Einsetzungsantrags für die Enquetekommission.
Klar ist, dass wir 1990 eine historische Chance in Deutschland ergriffen haben. Klar ist auch, dass wir bei dem Ergreifen dieser historischen Chance, bei der es auch schnell gehen musste,
auch Fehler gemacht haben, und zwar Anfang der 90er Jahre, als die FDP gemeinsam mit den Grünen und der SPD regierte, in den Jahren danach, als die SPD allein regiert hat, und natürlich auch in Zeiten, als SPD und CDU gemeinsam regiert haben. All das ist völlig klar. Diese Fragen werden anzusprechen und zu klären sein. Also auch wir sind aufgrund der Regierungsverantwortung in den Jahren 1990 bis 1994 sicherlich nicht frei von Schuld, frei von Fehlern, die in diesen Jahren passiert sind.
Richtig ist auch, dass Erfolge und Misserfolge der frühen 90er Jahre, der Wendezeit, wie auch jüngere Erfolge und Misserfolge bis heute fortwirken, sich bis heute im tagtäglichen Leben eines jeden Brandenburgers auswirken. Auch damit werden wir uns zu befassen haben.
Es geht meiner Ansicht nach auch darum, dass jeder mit eigenen, ganz persönlichen Erfahrungen in die Arbeit in dieser Kommission hineingeht und diese persönlichen Erfahrungen dort einbringt, um damit auch eine Bereicherung für die Arbeit der Kommission zu leisten. Ich selbst bin seit fast 20 Jahren Anwalt, seit Herbst 1990, und habe vieles erlebt, auch in dieser Wendezeit. Ich erinnere mich an Fälle, wo mir Mandanten sagten, sie hätten die Rückübertragung ihres Vermögens beantragt. Sie saßen bei der Antragstellung für die Rückübertragung vor genau derselben Mitarbeiterin der Kreisverwaltung, die ihnen drei oder vier Jahre vorher dieses Grundstück weggenommen hatte. Das heißt, aus der Mitarbeiterin des Rates des Kreises, Abteilung Inneres, wurde die Mitarbeiterin des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen. Auch das ist in der Wendezeit Kontinuität gewesen.
Auch das kann man betrachten. Ich will darauf hinweisen: Das Leben ist nicht immer schwarz und weiß, es gibt viel grau dazwischen. Dass diese Mitarbeiterin noch da war, hatte erhebliche Vorteile. Niemand kannte die Akten besser als diese Mitarbeiterin, und die Bearbeitung ist dadurch auch zügiger erfolgt. Es gab also auch durchaus Möglichkeiten für Mitarbeiter aus früheren Verwaltungen, sich einzubringen und dann über die eigene Arbeit dazu beizutragen, dass Unrecht ausgeglichen, aufgearbeitet und, so weit wie möglich, behoben wurde.
Es gibt andere Fälle. Aus einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks heraus - ich durfte sie bis hin zum Bundesgerichtshof vertreten - gab es das Bemühen, ehemalige Genossenschaftler bei der Verteilung des Vermögens der PGH auszugrenzen. Auch das war teilweise gedeckt durch fehlerhafte Entscheidungen bei der Rechtssetzung, insbesondere im Bund - auch noch aus der Volkskammer heraus - und im Land. Das ist eine schwierige Aufarbeitung, sie hat viele Jahre gedauert. Nicht jeder ist zu seinem Recht gekommen, denn nicht jeder hat bis zum Bundesgerichtshof durchgehalten. Auch das sind Erfahrungen aus der Wendezeit, die der Aufarbeitung bedürfen, denn nicht alles ist gut verlaufen, vieles ist danebengegangen, und zum Teil besteht bis heute der Bedarf zum Ausgleich.
Jeder von uns hat seine eigenen Erfahrungen, sie werden in die Arbeit der Kommission und des Landtages einfließen und sich in den zu ziehenden Schlussfolgerungen widerspiegeln. Geschichte holt uns immer wieder ein. Sie ist ein Dauerthema im Landtag.
Am 16. Dezember 2009 hat die CDU-Fraktion einen Antrag zur bessere Vermittlung von DDR-Geschichte im Unterricht an Brandenburger Schulen eingebracht. Es ist ein Vergleich zu Bayern gezogen worden, mit dem Ergebnis, dass die bayerischen Schüler über die DDR besser Bescheid wissen als die Brandenburger Schüler. Insofern war der Antrag erforderlich. Er mag nicht perfekt gewesen sein, dennoch hätte ich mir gewünscht, dass es wenigstens zu einer Überweisung des Antrags an die Ausschüsse gekommen wäre. Dies wurde jedoch abgelehnt. Insofern wurde am 16. Dezember bei der Behandlung des CDU-Antrags eine Chance vertan. Mit der Einsetzung der Enquetekommission haben wir eine neue Chance, das Thema aufzugreifen und für bessere Bildung bzw. besseren Unterricht im Hinblick auf die Wendezeit und in den Jahren davor zu sorgen.
Es gibt Hoffnung auf Gemeinsamkeit in der Enquetekommission. Ich erinnere an die Landtagssitzung am 21. Januar 2010, in der fraktionsübergreifend die Änderung des Abgeordnetengesetzes zur Überprüfung der Abgeordneten auf Stasitätigkeit beschlossen und die Aufarbeitungsbeauftragte, die am Montag offiziell ihr Amt angetreten hat, gewählt wurde. Das ist nach anfänglich schwierigen Diskussionen über alle Fraktionen hinweg geschehen. Das macht Mut für die Arbeit der Enquetekommission und lässt darauf hoffen, dass sie zu guten Ergebnissen kommt. Wir wollen eine ergebnisoffene Untersuchung. Es kann nicht darum gehen, von vornherein vorzugeben, was herauskommen soll. Das ist nicht die Intention unseres Antrags, und so habe ich auch die Ergänzung seitens SPD- und Linksfraktion nicht verstanden.
Es gibt einen Punkt, an dem ich es möglicherweise anders sehe. Es ist gefragt worden, auf welchen Wegen es Brandenburg im Verlauf des Transformationsprozesses gelungen ist, ein den spezifischen Voraussetzungen des Landes angemessenes, zukunftsfähiges und nachhaltiges ökonomisches Modell zu entwickeln. Diese Frage ist durchaus suggestiv, weil sie voraussetzt, dass es gelungen ist, ein solches System zu installieren. Die Frage, ob das gelungen ist - Sie sagten selbst, dass nicht jeder im geeinten Deutschland angekommen ist -, muss zunächst einmal geklärt werden. Ich denke, die Auseinandersetzung damit kann sehr offen erfolgen.
Schon? - Zum Abschluss ein afrikanisches Sprichwort - es gibt sehr viele, und der Vorteil von afrikanischen Sprichwörtern ist, dass man nie ganz genau weiß, ob sie stimmen -: „Mit leerem Kopf nickt es sich leichter.“ - Ich wünsche der Enquetekommission viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Wir brauchen eine politische Kultur gegen Gleichgültigkeit. Wir sehen das Individuum als Träger freien Willens in der Bildungspolitik. Wir wünschen uns Zivilcourage, Toleranz, demokratisches Selbstbewusstsein, freiheitliches Rechtsempfinden und antiautoritären Konsens. Wenn uns das alles gelingt, hat die Enquetekommission sehr viel geleistet; gelingen nur Teile davon, ist auch das ein würdiger Beitrag, der zu einem guten Abschluss führen könnte. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. Denken Sie bitte daran, dass wir noch zwei Jahre Zeit haben, um uns über all diese Dinge auszutauschen. Das rote Lämpchen ist bitte nicht zu ignorieren. - Frau Abgeordnete Geywitz erhält noch einmal das Wort. - Sie verzichtet. Der Hinweis, dass uns für die Aufarbeitungsarbeit zwei Jahre Zeit bleiben, hatte also Wirkung. Auch die Landesregierung hat Redeverzicht angekündigt.
Ich weise Sie darauf hin, dass gemäß § 1 Abs. 2 des Enquetekommissionengesetzes die Einsetzung einer Enquetekommission erfolgen muss, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtages dies verlangt. Das erforderliche Quorum für den zur Abstimmung stehenden Antrag wurde mit den Unterschriften von 31 Abgeordneten deutlich erreicht. Darüber hinaus kann gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 des Enquetekommissionengesetzes der im Einsetzungsantrag benannte Auftrag durch Beschluss des Landtages erweitert werden.
Zur Abstimmung steht der Antrag auf Einsetzung einer Enquetekommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ in der Drucksache 5/554, einschließlich Korrekturblatt, eingebracht von 31 Abgeordneten der CDU- und der FDP-Fraktion sowie der Fraktion GRÜNE/B90. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? Bei einer deutlichen Anzahl von Enthaltungen wurde diesem Antrag zugestimmt.
Zur Abstimmung steht der Antrag auf Erweiterung des Auftrages der Enquetekommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ in der Drucksache 5/626, eingebracht von den Fraktionen der SPD und DIE LINKE. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer deutlichen Anzahl von Enthaltungen wurde der Antrag angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag mit Wahlvorschlag in der Drucksache 5/631, Wahl der Vorsitzenden der Enquetekommission. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Antrag angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag mit Wahlvorschlag in der Drucksache 5/637, eingebracht von der Fraktion der CDU, Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden der Enquetekommission. Wer dem Antrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen wurde der Antrag angenommen.
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE. Herr Abgeordneter Görke, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede neue Idee durchläuft drei Entwicklungsstufen. In der ersten wird sie meist belächelt, in der zweiten bekämpft und in der dritten ist sie dann selbstverständlich. Diese Erkenntnis trifft exemplarisch auch auf die sogenannte Börsenumsatzsteuer bzw. Finanztransaktionssteuer zu.
Als meine Partei die Einführung einer solchen Steuer in das Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2005 schrieb, belächelten die politischen Kontrahenten diesen Vorschlag und reagierten mit Ablehnung. Heute ist diese Forderung in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wohl nicht zuletzt auch infolge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Schar von Befürwortern ist inzwischen groß und prominent. Einer von ihnen ist Horst Köhler, der Bundespräsident; er hat am 28. Oktober 2009 anlässlich der Ernennung des Bundeskabinetts Folgendes gesagt:
„Ich halte es auch für richtig, wenn sich Deutschland mit Nachdruck für eine Abgabe auf Finanztransaktionen einsetzt.“
Erst kürzlich warben DGB-Chef Sommer und der Vorsitzende des britischen Gewerkschaftsdachverbandes TUC, Brendan Barber, in einem Schreiben an die Kanzlerin bzw. Premierminister Gordon Brown für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gibt es jenseits der FDP nicht nur zahlreiche Befürworter, sondern auch gute Gründe.
Erstens: Durch eine solche Steuer können vor allem kurzfristige Spekulationen eingedämmt werden. Diese sind hauptverantwortlich dafür, dass die wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft extrem schwanken: Wechselkurse, Rohstoffpreise und auch Aktienkurse.
Zweitens: Eine Finanztransaktionssteuer würde die Verzerrung im Steuersystem, die sich daraus ergibt, dass Finanzdienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, zumindest teilweise kompensieren.
Drittens: Trotz eines sehr geringen Steueransatzes von ungefähr 1 % wäre nach Expertenschätzung in Deutschland ein Aufkommen aus der Finanztransaktionssteuer von 10 bis 13 Milliarden Euro zu erzielen, was die Einnahmensituation insbesondere der öffentlichen Hand deutlich verbessern würde.
Viertens ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auch eine Frage der Gerechtigkeit. Durch sie werden insbesondere auch jene belastet, die die Finanz- und Wirtschaftskrise mit verursacht und von den Verwerfungen auf den Finanzmärkten profitiert haben.