Protocol of the Session on March 24, 2010

(Interne Diskussion unter Abgeordneten der CDU)

- Führt eure Diskussionen hinterher!

Sicher wird es notwendig sein, dass man sich einschränkt, dass man präzisiert. Aber das soll die Freiheit der Enquetekommis

sion sein. Von vornherein Denkverbote zu erteilen oder zu erwarten oder erzwingen zu wollen, dass wichtige Themen ausgeklammert werden, ist nicht akzeptabel.

Wenn ich das Thema Landwirtschaft sehe: Wir sind ein Land, das sehr stark agrarisch geprägt ist. Dass Sie irrigerweise im Koalitionsvertrag Brandenburg zu einem Industrieland machen wollten, war nicht richtig gewesen. Auch deshalb ist die Untersuchung dieses Komplexes außerordentlich wichtig, und vielleicht ist das auch ein Beispiel, um zu registrieren, was damals, nach 1990, in Brandenburg passierte.

Es gibt zum Beispiel - das ist mir erst in den letzten Wochen klar geworden - Untersuchungen für alle neuen Bundesländer: Wie war denn der Prozess dieser Rückabwicklung, dass aus den ehemaligen landwirtschaftlichen Genossenschaften wieder Betriebe entstanden, entweder von Einzelnen oder in der Gruppe? Dazu gibt es Untersuchungen von der Jenaer Universität, die schon eine ganze Reihe von Jahren alt sind, mit aufsehenerregenden Ergebnissen, was das Land Brandenburg betrifft.

(Dr. Woidke [SPD]: Auf die sind wir gespannt!)

Durch die Enquetekommission ist es möglich, dass Dinge, die wissenschaftlich zum Teil schon vorliegen - in Buchform oder anders -, in die politische Debatte einfließen, beachtet, ausgewertet und aus ihnen Konsequenzen gezogen werden. Bei den Konsequenzen geht es uns immer um die Zukunft, um das, was wir zum Beispiel im Förderbereich machen wollen und können.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Anfang der neunziger Jahre - das werden viele hier im Raum bestätigen war eine sehr schöne Zeit. Es war eine Zeit, in der eine totale Umbruchsituation herrschte und in der natürlich das Rechtssystem der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland übernommen wurde. Trotzdem gab es hier eine Fülle von Aufgaben vor denen stand nie ein Landkreis in den alten Bundesländern -, zum Beispiel, die Infrastruktur mit einem Schlag in globaler Art und Weise zu modernisieren. Außerdem hatten wir die Situation, dass natürlich Helfer aus den alten Bundesländern kamen, dass wir in den Verwaltungen - das war die Chance für viele von uns - aber auch Quereinsteiger hatten.

Es war eine Zeit, in der aus gutem Grund die Mathematiker, Naturwissenschaftler und Ingenieure sehr beliebt waren, was man feststellt, wenn man schaut: Wo ist jemand Landrat oder Bürgermeister geworden? Dadurch kam auch ein neuer Akzent, und manches funktionierte anders. Das war belebend, es war eine sehr positive Erfahrung.

Ich denke, die 90er Jahre müssen auch gewürdigt werden. Es muss gewürdigt werden, was hier an positiven Dingen geleistet wurde. Es muss gewürdigt werden, dass dieser Transformationsprozess von der Diktatur zur Demokratie alle betroffen hat, alle und nicht nur Teile der Gesellschaft, sondern dass er eine großartige gesellschaftliche Leistung war. Mir persönlich ist sehr daran gelegen, dass man auch Stolz bei den Menschen auf all das weckt, was in dieser Zeit geschaffen wurde.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Aber es muss auch kritisch analysiert und ganz klar ausgesprochen werden: Was ist falsch gelaufen? Wo sind Weichen falsch gestellt worden? Nur wenn man die Fehler erkennt und sich damit beschäftigt, ist man in der Lage, ihre Wiederholung zu vermeiden. Es geht um Hinweise, Ansatzpunkte und strategische Linien für die zukünftige politische Arbeit.

Ich hatte am Anfang den Eindruck, dass für die SPD und die Linke eine solche Aufarbeitung, ein solcher Ansatz eine sehr unliebsame Belastung war. Man begann sofort damit, nachdem die ersten Sätze davon in der Öffentlichkeit waren, diese Versuche zu denunzieren. Natürlich haben sie in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben, dass man offen und kritisch mit früheren Fehlern umgehen, dafür Verantwortung übernehmen und die Lehren aus der Geschichte umfassend beherzigen und weitergeben wolle.

Das wurde oft zitiert, aber passiert ist in diese Richtung herzlich wenig. Anscheinend wird ein kritischer Blick auf die vergangenen 20 Jahre - das betrifft auch die CDU, die zehn Jahre in der Regierung war, aber in allererster Linie die SPD, die das Land Brandenburg in dieser Zeit entscheidend gestaltet hat von der SPD als eine Art Majestätsbeleidigung aufgefasst. Anders kann ich mir manche Äußerungen und Reaktionen nicht erklären, die erfolgen, wenn man diese Zeit betrachten will.

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Wanka, Sie haben Ihre Redezeit schon um eine Minute überschritten.

Herr Ness zum Beispiel vermutete, die Enquetekommission solle eine „Anklagebank gegen Rot-Rot“ werden. Herr Dr. Woidke nannte den Untersuchungsauftrag „völlig abenteuerlich“.

(Unruhe bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten an dieser Stelle ein bisschen mehr Souveränität zeigen. Solche Diffamierungen sind nicht notwendig.

(Senftleben [CDU]: Vertrauen in die eigene Leistung!)

Es wird uns allen sicherlich sehr gut bekommen, wenn wir nicht mehr solche einfachen Redebeiträge, wie wir sie hier in letzter Zeit manchmal ertragen mussten, hören werden. Einfache Muster - schwarz oder weiß - funktionieren nicht.

Frau Prof. Dr. Wanka, ich muss Sie sehr bitten. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.

Okay. - Meine Damen und Herren! Zwei letzte Bemerkungen:

Sie haben Ihre Redezeit um zwei Minuten überschritten.

Vorhin ist der Satz gefallen: „Zukunft braucht Herkunft“. Der Ministerpräsident ist für diese Äußerung gewürdigt worden. Das ist aber der Titel eines der wichtigsten Bücher von Odo Marquard, erschienen 2003. Ich empfehle, auch das andere Buch von ihm zu lesen: „Abschied vom Prinzipiellen“; es enthält eine Menge Anregungen.

Allerletzte Bemerkung: Die Enquetekommission kann sehr leicht sabotiert, sehr leicht missbraucht werden. Wir vonseiten der Opposition setzen uns dafür ein, dass das nicht geschieht. Danke schön.

(Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Frau Prof. Dr. Wanka. Ich habe Ihre Redezeit sehr großzügig ausgelegt. - Das Wort erhält die Abgeordnete Kaiser. Sie spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Wanka, Sie haben Recht: Für sich genommen sind sich alle Fraktionen des Landtags einig, dass „20 Jahre Brandenburg“ ein guter Anlass ist, eine Bilanz dieses Zeitraumes unserer jüngsten Geschichte zu ziehen. Wir sind in einer Situation, in der diese Bilanz möglich ist, in der aber auch Korrekturen und Ausblick möglich sind. Es ist unser gemeinsamer Wille, in Arbeit und Debatte diese 20 Jahre zu analysieren. Das ist Konsens in diesem Parlament.

Die Bezeichnung der Enquetekommission klingt zugegebenermaßen etwas sperrig; sie ist schwer einprägsam. Aber sie kann die umfassende, komplexe Aufgabenstellung einigermaßen abbilden.

Das Vorspiel zur Enquetekommission gestaltete sich widersprüchlich; das stimmt. Dennoch steht am Ende dieses Vorspiels ein Anfang. Frau Geywitz hat es beschrieben: Es beginnt die gemeinsame Arbeit, die Verständigung. Einfache Urteile und Bewertungen, zum Beispiel des Brandenburger Wegs, sollten dieser Arbeit nicht vorweggenommen werden.

Herr Vogel, Sie leben inzwischen lange genug in Brandenburg. Sie haben in der Landesverwaltung gearbeitet und sind Politiker. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass Sie nach der Arbeit der Enquetekommission zu der einen oder anderen Differenzierung mehr in der Lage sein werden. Es ist in der Tat ein Prozess der Verständigung.

Im Sinne der Brandenburgerinnen und Brandenburger, die uns gewählt haben, aber auch im Sinne der Wissenschaftler und der Gesprächspartnerinnen und -partner, die wir für diese Arbeit noch gewinnen können oder schon gewinnen konnten, sollte klar sein: Es muss uns um Erkenntnisse, um Aufklärung gehen, nicht um Instrumentalisierung. Der tagespolitische Zweck sollte das Mittel „Enquetekommission“ nicht heiligen; sonst wäre es verfehlt. So sieht es meine Fraktion DIE LINKE. Für dieses Herangehen steht die Koalition. So ist auch unser Ergänzungsantrag zu verstehen.

Meine Damen und Herren! Es ist viel darüber diskutiert und auch gerätselt worden - zu Recht -, warum Brandenburg gerade jetzt, 20 Jahre nach den Umbrüchen in der DDR und dem Aufbruch in eine gesamtdeutsche demokratische Zukunft, so intensiv zurückblickt. Angesichts der Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren im Land insgesamt wie auch im Landtag ich erinnere auch an die Schwerpunkte der Vorgängerregierung - ließ sich das nicht unbedingt erahnen. Dennoch fanden im Land und im Landtag Debatten zur Geschichte vor und nach 1989 statt. Es gab nicht nur Verschleierung und nicht gewollte Aufarbeitung.

Die Erkenntnis, dass es in Brandenburg Unzulänglichkeiten bei der Beratung und Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur gab, mündete bereits im Sommer des Jubiläumsjahres 2009 in den Beschluss, nun doch eine Beauftragte für diese Aufgabe zu berufen. Frau Prof. Wanka, die Bildung einer rot-roten Koalition im Herbst vergangenen Jahres war ein Anlass, klar. Die bis dahin unbekannten Fälle inoffizieller Mitarbeit beim MfS in meiner Fraktion waren ein weiterer Anlass. Aber zur Betonung der politischen Verantwortung meiner Partei oder zur Erklärung meiner persönlichen Biografie bedurfte es all dieser Ereignisse nicht. Wir konnten in den 20 Jahren zuvor einander zuhören, miteinander reden, Fragen stellen. Auch das Schweigekartell war nicht immer schweigsam, wenn ich allein an Herrn Diestel und Herrn Vietze denke.

Bei der Beschlussfassung zur Diktaturbeauftragten waren wir uns im Verfahren und in Details nicht immer einig, aber in der Sache sehr wohl. Wir alle hatten das Gefühl, hier in Brandenburg etwas in die Balance bringen zu müssen und das auch zu können. Die Debatte über das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell - auch das ist Thema der Enquete -, mit dem wir nun leben, begann übrigens auch hier im Landtag schon deutlich vor dem Herbst 2009, nämlich im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise und die Perspektiven danach. Vor einem Jahr etwa wurde hier im Landtag das Scheitern von Neoliberalismus und Turbokapitalismus konstatiert. Demokratischer Sozialismus als Orientierungsmarke zur Krisenbewältigung kam in die Debatte. Ich darf Sie daran erinnern: Das war zu der Zeit, als Frau Ludwig sich überraschenderweise schon einmal als Oppositionsführerin gegenüber Matthias Platzeck profilierte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben.“

Diese Feststellung fand im Herbst 2009 ebenso selbstverständlich an herausgehobener Stelle Eingang in den rot-roten Koalitionsvertrag wie auch die Einschätzung:

„Beim Neuaufbau des Landes gelang es nicht, allen Menschen eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen.“

Möglicherweise spiegeln solche Formulierungen nun einen Konsens wider, der bestimmte Aufgeregtheiten oder Vorwürfe an die eine oder andere Adresse in die Vergangenheit verweisen kann.

Was zeigt uns unser Blick zurück? Wir sind uns sicherlich einig: Um ein Bemänteln und Drumherumreden geht es uns in der Enquetekommission nicht. 20 Jahre nach der Wende von

1989/90 ist in Brandenburg wie in Ostdeutschland insgesamt der Transformationsprozess vom Staatssozialismus hin zu Demokratie und Marktwirtschaft erkennbar abgeschlossen und hat seine Wirkungen entfaltet. Bundes- wie nahezu weltweit ist inzwischen der Ruf des Neoliberalismus mindestens angeschlagen. Seine Dominanz mit dem Prinzip „Alles muss sich rechnen“ steht in der Kritik. Staat, öffentliche Daseinsvorsorge, soziale Sicherung, Zivilgesellschaft erleben eine Renaissance, zumindest im Denken, aber auch im Handeln - selbst in den USA, wie wir diese Woche gesehen haben.

Mittlerweile beginnen jene jungen Menschen, die in den vergangenen 20 Jahren noch Kinder waren, unser Land mitzugestalten. Sie sind nicht nur Zeitzeugen, sondern sie treten ein Erbe an - unser Erbe.

Das alles macht die Situation aus, in der die Enquetekommission, die wir heute einsetzen werden, ihre Aufgabe finden und ihren Sinn erfüllen muss.

Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wenn das so ist, dann ergeben sich aus meiner Sicht zwei Schlussfolgerungen:

Erstens: Die Konsequenzen, die damals gezogen wurden, müssen lebendig erhalten werden. Das betrifft weit mehr als den Komplex aus Stasiüberprüfungen und Grenzen für Verantwortliche aus der Zeit der DDR, sondern auch das Gefüge von Demokratie insgesamt, von sozialer Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit. Dazu gehört dringend die Erkenntnis, das politische und soziale Menschenrechte und Demokratie untrennbar zusammengehören. Diese Erkenntnis fand ihren Ausdruck zum Beispiel in der Debatte und im Volksentscheid zur Brandenburger Verfassung.

Zweitens: Die Erfahrungen, die beim Umbruch und beim Aufbau des Neuen gemacht wurden, müssen reflektiert und können nun auch bewertet werden: Was hat sich bewährt und warum? Was hat sich gegebenenfalls nicht bewährt? Was haben wir unterlassen oder übersehen? Welche ungewollten Folgen von politischem Vorgehen hat es gegeben, und was tun wir angesichts dessen heute?

Da wohl alle Landtagsparteien davon ausgehen, dass die Grundentscheidungen von 1989/90 richtig und im Grundsatz auch erfolgreich waren, kann man diese Fragen im Grunde recht entspannt und im Wettbewerb der demokratischen Parteien angehen.