Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als wir innerhalb der
Koalition den Antrag auf Pflichtuntersuchungen für Kinder erarbeitet und dann am 26. Januar dieses Jahres hier im Landtag gemeinsam darüber diskutiert haben. Dennis, die namenlosen Babys aus Brieskow-Finkenheerd, die verdursteten Brüder in Frankfurt (Oder) - all diese Fälle haben uns emotional sehr berührt. Wir wollten nicht hinnehmen, dass es gesetzlich nicht regelbar sei, Kinder vor Gefahren zu schützen. Natürlich haben wir auch die Fragen der Familienrechte nach dem Grundgesetz hoch- und runterdiskutiert. Dennoch haben wir uns gesagt: Wo Eltern nur Rechte in Anspruch nehmen und Verpflichtungen ihren Kindern gegenüber nicht erfüllen, greifen wir ein. Der Erhalt des Kindeswohls ist ein größeres Gut als die Rechte von Eltern und Familien.
Natürlich war uns klar, dass unser Antrag nicht 1 : 1 umgesetzt werden wird. Aber wir wollten eine lebhafte Diskussion entfachen, die weit ins Land getragen wird. Das ist uns gelungen.
Das Programm zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit im Land Brandenburg ist im März von der Landesregierung verabschiedet worden und liegt uns Abgeordneten vor. Die darin formulierten Empfehlungen zum Umgang und zur Zusammenarbeit bei Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung wurden im Juni dieses Jahres vom Bildungsminister, vom Vorsitzenden des Landkreistages und vom Präsidenten des Städteund Gemeindebundes unterzeichnet und damit in Kraft gesetzt - eine Allianz, die wir kaum noch für möglich gehalten haben.
Ich erinnere auch an unser Programm für Familien- und Kinderfreundlichkeit „Die Brandenburger Entscheidung: Familien und Kinder haben Vorrang“. Die hier aufgenommenen Maßnahmen wie die lokalen Netzwerke „Gesunde Kinder“ sowie die Eltern-Kind-Zentren dienen dem geschützten Aufwachsen unserer Kleinsten.
Vor Ort ist längst das Verständnis für eine bessere Koordination der Angebote und Hilfen gewachsen. So gibt es in zehn Landkreisen und zwei kreisfreien Städten regionale Arbeitskreise zur Prävention und Früherkennung häuslicher Gewalt. Das sind wichtige regionale Unterstützungssysteme für ein amtsübergreifendes interdisziplinäres Fallmanagement, das wir vonseiten der Landespolitik noch intensiver einfordern müssen. Familienarbeit im Verbund, wie im Landkreis Spree-Neiße praktiziert, muss in jedem Landkreis, in jeder Kommune tägliche Pflichtaufgabe sein.
Den vorliegenden Bericht nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis, wissen aber auch, dass es noch viel zu tun gibt und dass wir Politikerinnen und Politiker in dieser Frage weiterhin sehr wachsam sein müssen.
Eine unserer nächsten Aufgaben muss es sein, das Kita-Gesetz und das Gesundheitsdienstgesetz um die pflichtigen Kita-Aufnahmeuntersuchungen zu erweitern. Da nach den Kinderrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr keine Früherkennungsuntersuchungen vorgesehen sind, sollte die Aufnahme eines Kindes in eine Kita von einer gründlichen Vorsorgeuntersuchung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst abhängig gemacht werden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leider haben in der Vergangenheit nicht alle Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen U 1 bis U 10 teilgenommen. Diese Untersuchungen sind sehr wichtig, denn hierdurch können bei den Kindern beizeiten Defizite der Entwicklung, Ernährungsprobleme, aber auch Misshandlungen und Vernachlässigungen erkannt werden. Leider zeigen die in der Vergangenheit bekannt gewordenen Fälle von Kindesvernachlässigung, wie wichtig solche Untersuchungen sind. Schade nur, dass nicht alle Eltern diese kostenlose Möglichkeit nutzen, ihr Kind untersuchen zu lassen.
Im Januar wurde die Landesregierung beauftragt, die Möglichkeit einer Bundesratsinitiative zu prüfen, die das Ziel verfolgt, die Früherkennungsuntersuchung als Pflichtuntersuchung festzuschreiben.
Uns liegt heute nun der sechs Seiten umfassende Bericht vor. Es wird uns mitgeteilt, dass die Landesregierung sogar schon tätig geworden ist. Die Landesregierung hat nämlich nicht nur die Möglichkeit einer Bundesratsinitiative geprüft, sondern sich bereits einer Hamburger Initiative angeschlossen. Die Landesregierung ist ausnahmsweise einmal über ihren Schatten gesprungen und in einer wichtigen Angelegenheit aktiv geworden, obwohl sie dazu nicht ausdrücklich aufgefordert wurde. Meistens schafft es diese Landesregierung kaum, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen. Aber diesmal hat sie Lob verdient.
Doch wird es nun in absehbarer Zeit eine Untersuchungspflicht für alle Kinder geben? In einer ersten Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums wird die Auffassung vertreten, dass sich für den Bund keine Regelungskompetenzen ergeben. Für die Einführung von Pflichtuntersuchungen von Kindern wäre ein Tätigwerden der Landesgesetzgeber erforderlich. Allerdings ist erst nach der Sommerpause mit einer Stellungnahme der Bundesregierung zu dem bereits erfolgten Bundesratsbeschluss zu rechnen. Soweit ich weiß, liegt diese Stellungnahme noch nicht vor. Im Bericht jedenfalls wird sie nicht erwähnt.
Es ist auch gar nicht so einfach, in einem Rechtsstaat, den wir nun einmal haben, Pflichtuntersuchungen einzuführen. Neben den datenschutzrechtlichen Belangen müssen erst verschiedene Rechtsgrundlagen geschaffen werden. So zum Beispiel sind Rechtsgrundlagen für die Möglichkeit der Zusammenarbeit der gesetzlichen Krankenversicherung mit den zuständigen Stellen der Länder für die Durchführung des Einladungswesens zu schaffen. Bleibt zu hoffen, dass schnellstmöglich die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass in Zukunft alle Kinder an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen können. Das heißt, theoretisch können sie es ja schon, wenn sich alle Eltern ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern bewusst werden.
Zum Glück ist sich die Mehrheit der Eltern ihrer Verantwortung bewusst, doch leider gibt es auch einen kleinen Prozentsatz, bei denen das nicht so ist. Fälle wie Dennis oder Benjamin wären höchstwahrscheinlich gar nicht erst passiert, wenn die Kinder
an den Untersuchungen teilgenommen hätten und wenn die Ärzte auch gesetzlich verpflichtet bzw. berechtigt wären, diese Informationen an die zuständigen Jugendämter zu übermitteln. Deshalb begrüßt es auch die DVU-Fraktion, dass man hier tätig geworden ist.
Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Hartfelder. Sie spricht für die CDU-Fraktion. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An dem Antrag vom Januar hing ein Stück meines Herzblutes. Ich persönlich bin mit dem Ergebnis, das wir erreicht haben, nicht zufrieden. Wir haben uns erstens gewünscht, dass wir mit Untersuchungen von der Geburt bis zum zehnten Lebensjahr alle Kinder erfassen. Wir haben uns zweitens im Land Brandenburg gewünscht, Doppelstrukturen, die in Beziehung mit den U 1bis U 9- bzw. J 1-Untersuchungen der Krankenkassen und den Untersuchungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes stehen, aufzulösen. Beides ist uns nicht gelungen.
Was wir erreicht haben, ist der Beitritt des Landes Brandenburg zur Bundesratsinitiative der Freien und Hansestadt Hamburg. Der Antrag von Hamburg ist jedoch „weichgespült“. Es ist erläutert worden, was darin steht. Es ist lange nicht das, was wir uns gewünscht haben.
Es bleibt also bezüglich der ärztlichen Untersuchungen, die bisher von den Krankenkassen finanziert werden, bei Appellen an die Eltern, wie das Hamburg wollte. Diesen Appellen kann man folgen - oder sie verhallen, vor allen Dingen dann, wenn die Kinder älter werden. Darüber bin ich enttäuscht. Es gelingt uns also nicht, mehr Effizienz in das System zu bringen. Es gelingt uns auch nicht, die Doppelstrukturen aufzulösen. Wir erreichen nicht alle Kinder in jedem Lebensalter.
Anerkennenswert ist - ich werde es nicht im Einzelnen wiederholen; Frau Ministerin Ziegler nannte die Maßnahmen -, dass die Landesregierung seit vergangenem Herbst eben eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht hat.
Wir können uns ein bisschen an die Brust klopfen, weil wir mit der Initiative natürlich Öffentlichkeit geschaffen und die politische Debatte nicht nur in Brandenburg, sondern in ganz Deutschland mit bewegt haben. Das ist ein Erfolg. Dennoch möchte ich Ihnen abschließend sagen: Ich glaube, dass wir politisch dieses Problem nicht vernünftig gelöst haben, denn wenn die nächsten Fälle auftreten - was wir alle nicht hoffen -, wird die Diskussion wieder auftreten. Ich bin sehr traurig darüber, dass der Datenschutz und das Elternrecht in der politischen Diskussion in Deutschland über dem Kinderschutz stehen.
Ich meine, auch die Würde aller Kinder, die in Deutschland aufwachsen, ist nach Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar. - Danke.
Herzlichen Dank, Frau Hartfelder. - Die Aussprache ist damit beendet und der Bericht der Landesregierung somit von uns zur Kenntnis genommen worden.
Es wurde vereinbart, zu diesem Tagesordnungspunkt keine Debatte zu führen. Somit kommen wir direkt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung in Drucksache 4/3363. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei mehreren Stimmenthaltungen ist der Beschlussempfehlung mehrheitlich zugestimmt.
Ich eröffne die Aussprache. Frau Große von der Fraktion der Linkspartei.PDS hat das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Den einen oder anderen von Ihnen wird es verwundern, dass die Linkspartei plötzlich zum Fürsprecher von verbeamteten Lehrkräften geworden ist. Ich kann Sie beruhigen. Wir haben unsere grundsätzliche Position nicht geändert, sondern sind nach wie vor der Meinung, dass Lehrkräfte als öffentlich Bedienstete im Angestelltenverhältnis und nicht als Beamte arbeiten sollten. Wir halten nach wie vor die Verbeamtung von mehr als 60 % der Lehrkräfte im Land Brandenburg für eine kurzsichtige Politik, bei der die politisch Verantwortlichen in erster Linie möglicherweise daran gedacht haben, wie kurzzeitig Geld gespart werden kann, ohne ausreichend zu bedenken, welche kolossalen finanziellen Auswirkungen längerfristig auf das Land zukommen werden. Die Devise „Nach uns die Sintflut“ wird das Land in den nächsten Jahren und Jahrzehnten teuer zu stehen kommen. - So weit in Kürze zu unserer grundsätzlichen Position.
Doch nun zum Antrag im Einzelnen: Vor mehr als einem halben Jahr hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Landesregierung einen groben Fehler bei der Erstellung der Ernennungsurkunden von fast 8 000 Lehrkräften im Jahr 1998 bescheinigt. Damit befinden sich diese Lehrkräfte in gewisser Weise im rechtsfreien Raum. Sie sind formal weder Angestellte noch Beamte.
Die Enttäuschung der Betroffenen ist groß. Ihre Erwartung, dass die Landesregierung ihren Fehler so schnell wie möglich korrigiert und im Interesse der Lehrkräfte handelt, ist durchaus zu verstehen.
Sie, Herr Minister Rupprecht, haben am 06.04.2006 im Bildungsausschuss dafür plädiert, dass möglichst schnell Rechtssicherheit einkehren solle. Doch wie soll das geschehen, wenn das Ministerium nicht handelt? Die Landesregierung sieht den Handlungsbedarf offensichtlich nicht. Sie sieht sich noch nicht einmal als Verliererin dieses Prozesses, da sich das Gericht zur Rechtmäßigkeit der Teilzeitverbeamtung an sich nicht geäußert hat, sondern sich auf die formalen Fehler beschränkt hat. Die Klärung des eigentlichen Problems steht also noch aus.
Die Aktivitäten der Landesregierung erschöpfen sich nach unserer Kenntnis bisher darin, eine überministerielle Arbeitsgruppe zu bilden, die Alternativen aufzeigen soll, wie dieses Problem für die Landesregierung am schmerzfreisten und finanziell günstigsten zu lösen sei. Die Arbeitsgruppe besteht bereits mehrere Monate. Ergebnisse liegen - uns zumindest noch nicht vor.
Wir haben den Eindruck, dass vonseiten der Landesregierung bewusst auf Zeit gespielt wird, und zwar aus zwei Gründen: erstens, um möglicherweise die Zeit bis 2008 zu überbrücken, denn dann ist die Vollzeitverbeamtung ohnehin vorgesehen, oder zweitens, weil sie möglicherweise auf eine Revision des Urteils hofft. Diese Herangehensweise halten wir gegenüber den Betroffenen für unverantwortlich und politisch leichtfertig.