Protocol of the Session on June 9, 2005

Bis auf wenige Ausnahmen möchte der gesamte Personenkreis der Arbeitslosen arbeiten. Jedoch sinkt - das ist den neuesten Arbeitsmarktdaten zu entnehmen - die Zahl der versicherungspflichtigen Arbeitsplätze weiterhin. Der Ansatz der Grundsi

cherung, auf Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, Druck zur Arbeitsaufnahme auszuüben, ist völlig falsch.

(Beifall bei der PDS)

Auf der anderen Seite liegt die Vermutung nahe, dass das Arbeitslosengeld II so niedrig angesetzt wurde, um den Ausbau eines Niedriglohnsektors nicht zu behindern. Nur so ist die Forderung des sächsischen Ministerpräsidenten zu verstehen, der sogar eine Angleichung der Eckregelsätze Ost an West ablehnt.

Uns geht es nicht nur um die Angleichung der Regelsätze, sondern auch um deren generelle Erhöhung auf mindestens - wie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband errechnet - 412 Euro, denn mit dem derzeitigen Regelsatz ist kein Auskommen möglich.

In den derzeitigen Regelsatz geht die Einkommens- und Verbraucherstichprobe aus dem Jahr 1998 ein. Dahinter lebt jedoch noch der Warenkorb der 70er und 80er Jahre. Die Berechnung aus dem Jahr 2003 wurde nicht einbezogen. Es gab lediglich eine statistische Hochrechnung über den Rentenwert. Damit werden Veränderungen im Verbraucherverhalten und der Preise nur ungenügend reflektiert, denn der Rentenwert ist letztendlich eine politische Größe.

Bei der Berechnung der Höhe der zu gewährenden Leistung geht es nicht nur um die zum Überleben notwendige Nahrung, Kleidung und Behausung, sondern auch um die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. § 9 Satz 1 SGB I hebt das ausdrücklich hervor:

„Die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft ist dann nicht mehr gewährleistet, wenn die Hilfeempfänger ausgegrenzt und stigmatisiert werden.“

Genau das geschieht mit der derzeitigen Regelung. Die Ausgaben für Bildung werden ausgeklammert, weshalb die Förderung von Begabungen der Kinder nur ungenügend erfolgt.

Bei der Berechnung von Bekleidung wird teilweise auf Gebrauchtwaren abgestellt, was vor allem bei Bewerbungen stigmatisiert.

Die Gesundheitskosten wurden nur ungenügend eingerechnet. Die Praxis beweist, dass weniger Arbeitslosengeld-II-Empfänger zum Arzt gehen bzw. ihre Rezepte einlösen.

Kraftfahrzeuge gehören zum Schonvermögen; jedoch ist nicht geregelt, wie man sie betreiben soll.

Große Abstriche gibt es bei Freizeit, Unterhaltung und Kultur. In diesem Bereich wurden nur 42 % der Ausgaben des Durchschnittshaushalts anerkannt, was zu erheblichen Einschränkungen der sozialen Kontakte - zum Beispiel sind die Mitgliedschaft in Vereinen und Verbänden sowie die Freizeit- und Feriengestaltung gefährdet - führt.

Die größte Benachteiligung erfahren Familien und Kinder. Eine Verbesserung des Regelsatzes gegenüber der alten Sozialhilfe um 20 % gibt es lediglich für Kinder bis zum 8. Lebensjahr.

Für Kinder ab dem 8. bis zum 15. Lebensjahr ist der Regelsatz faktisch um 7,7 % und ab dem 15. Lebensjahr sogar um 11 %

gekürzt worden. Auch die Pauschalierung der einmaligen Leistungen benachteiligt Familien mit Kleinkindern. Die Nichtanrechnung des Kindergeldes, wie von der PDS bereits vorgeschlagen, wäre ein Weg, die Benachteiligung von Kindern abzumildern.

(Beifall bei der PDS)

Armut per Gesetz ist seit dem 01.01.2005 Realität in Deutschland.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage 415 des Kollegen Schulze - SPD - stellt die Landesregierung die Folgen von Armut dar - sie bezieht sich dabei auf die EU - und erwähnt dabei auch

„Hindernisse im Aus-, Weiterbildungs-, Sport- und Freizeitbereich. Sie“

- die Betroffenen -

„sehen sich häufig an den Rand gedrängt und von der Teilnahme an Aktivitäten (wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art) ausgeschlossen, die für andere Menschen die Norm sind.“

(Schulze [SPD]: Zitieren Sie dann auch, was zur Armuts- grenze in der Kleinen Anfrage steht!)

- Darauf komme ich gleich zu sprechen.

Die Armutsgefährdungsschwelle liegt in Deutschland nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bei 938 Euro pro Person.

(Schulze [SPD]: Dafür gehen andere acht Stunden arbei- ten!)

Die Armutsgrenze für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt nach der neuen OECD-Skala bei 1 969,80 Euro. Nach SGB II würde diese Familie bei 500 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung 1 494 Euro erhalten. Die Pfändungsgrenze - das ist im Internet nachzulesen - liegt für diese Familie bei 1 769,99 Euro.

Diese Zahlen beweisen, dass die Regeln und die Verfahrensweise zur Festlegung des Regelsatzes dringend der Überarbeitung bedürfen; das ist wohl selbstverständlich. Ich bitte Sie deshalb, der Überweisung unserer Vorlage an den Ausschuss zuzustimmen.

(Beifall bei der PDS - Schulze [SPD]: Sie haben jedes Maß verloren!)

Für die Fraktion der SPD spricht die Abgeordnete Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erste Vorbemerkung, Herr Otto: Das Übel ist nicht Hartz IV, das Übel ist die Arbeitslosigkeit, ist die Langzeitarbeitslosigkeit in diesem Land.

Zweite Vorbemerkung: Arbeitslosengeld II ist eine Grundsi

cherung, keine Lebensstandardsicherung, aus Steuern finanziert in Zeiten hoher und steigender Arbeitslosigkeit in Deutschland.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Der Bundestagswahlkampf ist eröffnet. Der selbst ernannte Kandidat der PDS tourt durch die Medien und intoniert das aus dem Brandenburger Landtagswahlkampf bekannte Hartz-IVKlagelied seiner Partei erneut - allerdings in Verkennung der aktuellen Stimmungslage.

Mehrmals wurde heute angesprochen, was das Brandenburger Politbarometer belegt: Die PDS punktet längst nicht mehr beim Thema Nr. 1. Der Bonus des Hartz-IV-Wahlkampfes ist aufgebraucht, weil die Menschen zunehmend erkennen, dass ihnen Parteipopulismus keine Lebenshilfe in ihrer Situation der Arbeitslosigkeit bietet.

(Unmut bei der PDS)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. - Der PDS-Antrag ist schlicht überflüssig, weil die Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eben kein Willkürakt und auch nicht per Gesetz unveränderlich festgeschrieben sind.

Zudem bedarf es keiner Aufforderung an die Landesregierung, aktiv zu werden; denn sie ist in dieser Sache bereits aktiv. Der Ministerpräsident hat in einem Schreiben an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit angeregt, maßgebliche Bemessungskriterien neu bestimmen zu lassen.

Die Regelsatzbemessung, wie sie heute gesetzlich verankert ist, berücksichtigt fortlaufend Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten. Für die Neubemessung der Regelleistungen findet § 28 Abs. 3 Satz 5 SGB XII Anwendung. Grundlagen sind hier die statistisch ermittelten tatsächlichen Verbrauchsangaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen. Datengrundlage ist die jeweils zuletzt erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Eine aktuelle Überprüfung läuft gegenwärtig im Bund. Doch solange die tatsächlichen Einkommensverhältnisse als Hauptkriterium zugrunde gelegt werden, können wir eine Ost-West-Angleichung zeitnah nicht erreichen.

Meine Damen und Herren von der PDS, wir nehmen die heutige Debatte aber gern zum Anlass, unsere Forderung nach Angleichung der Bedarfssätze des Arbeitslosengeldes II in Ost und West erneut zu bekräftigen. Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass die angestrebte Ost-West-Angleichung für das Land Brandenburg, vor allem für unsere Kommunen, selbstverständlich nicht zum Nulltarif zu haben ist.

Einheitliche bundesdeutsche Regelleistungen beim Arbeitslosengeld II wären eine Präzedenzregelung für alle anderen Sozialsysteme, zum Beispiel Rente, Sozialhilfe, Grundsicherung

im Alter und bei dauerhaft vollständiger Erwerbsminderung. Dieser immense Finanzbedarf - bitte berücksichtigen Sie das bei Ihrer Forderung - muss in den Haushalten von Bund, Land und Kommunen seriös untersetzt werden. Auch hier dürfen wir uns und den Beziehern von Arbeitslosengeld II keinen Sand in die Augen streuen.

Zu einer seriösen Politik gehört vor allem, ehrlich zu sein und klar zu sagen, dass vor einer möglichen Bundestagswahl im Herbst weder eine Ost-West-Angleichung noch eine generelle Erhöhung der Regelleistungen realistisch ist. Zum einen sind dazu Gesetzesänderungen im Bundestag notwendig, die zudem noch den Bundesrat passieren müssten. Beides - das werden wohl auch Sie einsehen müssen - ist schon allein aus zeitlichen Gründen nicht durchsetzbar. Zum anderen ist auch die Datenauswertung kurzfristig nicht realisierbar. Ergebnisse sind für den Herbst angekündigt.

Ich komme zum Schluss: Wer wirklich an einer Erhöhung der Regelleistungen interessiert ist, muss die SPD wählen.

(Anhaltendes Gelächter sowie Beifall bei der PDS)

- Logisch! Vielleicht folgen Sie der Logik. Die PDS wird - etwas anderes wird wohl niemand ernsthaft vermuten - der nächsten Bundesregierung sicher nicht angehören. Die CDU plant mit ihrer Wunschkoalition mit der FDP sogar eine generelle Absenkung der Regelleistungen.

All diese Argumente gehören zu einer ehrlichen und konstruktiven Debatte um angeglichene und erhöhte Regelleistungen. Daher lehnen wir den überflüssigen Antrag der PDSFraktion ab. Dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen erteilen wir selbstverständlich unsere Zustimmung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der DVU spricht die Abgeordnete Fechner.