Protocol of the Session on June 9, 2005

Für die Fraktion der DVU spricht die Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Schröder, Sie sprechen so viel von Ehrlichkeit. Glauben Sie allen Ernstes, dass es, wenn die SPD die kommenden Bundestagswahlen gewinnen sollte, eine Erhöhung der Regelsätze geben würde? Ich glaube dies nicht.

(Beifall bei der DVU - Frau Dr. Schröder [SPD]: Sie spie- len auf Bundesebene überhaupt keine Rolle!)

Wir sind wieder beim Thema „Die unendliche Geschichte Hartz IV“ und damit beim Arbeitslosengeld II.

(Schulze [SPD]: Unendlich? Nicht einmal ein halbes Jahr gibt es das!)

Die DVU-Fraktion hat sich bekanntlich von Anbeginn gegen die unsoziale Hartz-IV-Gesetzgebung ausgesprochen und mehrfach deren Abschaffung gefordert. Die PDS-Fraktion fordert nun nicht die komplette Rücknahme - ihre Forderung fällt heute etwas bescheidener aus -; sie möchte nur den Regelsatz erhöhen.

Derzeit liegt der Regelsatz in Brandenburg bzw. in allen neuen Bundesländern bei 331 Euro. Die PDS fordert in ihrem Antrag, dass der Regelsatz mindestens bei 412 Euro liegen sollte. Sie fordert die Landesregierung auf, in der Monitoringgruppe und im Bundesrat diesbezüglich aktiv zu werden.

Die Forderung der PDS-Genossen, die Regelleistungen um 81 Euro monatlich anzuheben, mutet angesichts der gegenwärtigen Situation wie ein schlechter Scherz an. Seit Wochen und Monaten diskutiert man um die Ost-West-Angleichung des Arbeitslosengeldes II; dabei geht es lediglich um 14 Euro. Verbindliche Zusagen konnten bis jetzt nicht gemacht werden. Monate brauchte man, um neue Freibeträge beim Zuverdienst festzulegen.

Zurzeit diskutiert man darüber, wie die zusätzlichen enorm hohen Kosten, die die Umsetzung von Hartz IV mit sich gebracht hat, kompensiert werden könnten; denn man hat sich schlicht wieder einmal verrechnet. Ursprünglich wollte man durch Hartz IV Geld sparen. Doch in der Praxis sieht es anders aus. Fast 10 Milliarden Euro hat die Umsetzung von Hartz IV mehr gekostet. Nun kommt die PDS und fordert auch noch - zu Recht - die Anhebung der Regelsätze - eine Forderung, deren Umsetzung erneut erhebliche Kosten verursachen würde. Woher soll nur der arme Finanzminister, Herr Eichel, das Geld nehmen? Er hat sogar schon über die Abschaffung des „Teuros“ nachgedacht. So war es jedenfalls der Presse der vergangenen Woche zu entnehmen. Der Presse war auch zu entnehmen, dass mittlerweile auch die Bundesregierung den Euro für die lahme Konjunktur und damit für die wachsende Verschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich macht.

(Schulze [SPD]: Wenn Sie das nun noch ökonomisch be- gründen würden!)

Schön, dass man jetzt eine Ursache erkannt hat. Aber was nutzt das unterm Strich den Arbeitslosen?

Im Herbst wird es wahrscheinlich Neuwahlen geben, und wie ich die Sache einschätze, wird nach der nächsten Bundestagswahl - wenn denn ein Regierungswechsel stattfinden sollte - eine Überarbeitung der Hartz-IV-Gesetze erfolgen. Allerdings befürchte ich, dass diese Überarbeitung noch mehr soziale Härten mit sich bringen wird. Mit anderen Worten: Die Existenzangst der Brandenburger wird von Tag zu Tag größer.

Meine Damen und Herren, wir kennen nur zu gut die Sorgen und Nöte der Hartz-IV-Geschädigten und wissen, wie wichtig jeder Euro und jeder Cent für eine Person oder eine Familie ist, die am Rande der absoluten Armutsgrenze lebt. Explizit geht es hier um 81 Euro, die ein anspruchsberechtigter Arbeitslosengeld-II-Empfänger zukünftig monatlich mehr erhalten soll. Das ist für viele wahnsinnig viel Geld. Damit ließe sich doch so manche Ungerechtigkeit kompensieren.

Wir als DVU-Fraktion werden diesem Antrag selbstverständlich zustimmen, denn als wirkliche Volksvertreter, meine Damen und Herren, ist es uns egal, welche Fraktion den Antrag hier einbringt. Wenn ein Antrag den Brandenburgern nützt, erhält er selbstverständlich unsere Zustimmung. Das, meine Damen und Herren, ist gelebte Demokratie hier im Land.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält die CDU-Fraktion. Bitte, Frau Abgeordnete Schulz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag knüpft die PDS-Fraktion in bekannter Manier an die in vorhergehenden Landtagssitzungen eingebrachten Anträge an; eigentlich wollte ich an dieser Stelle sagen: fest das Ziel im Auge, sich die Stimmen der ALG-II-Empfänger bei der kommenden Bundestagswahl zu sichern. - Aber Sie haben mich jetzt ein wenig enttäuscht, Frau Kollegin. Das muss ich hier einfach einmal sagen.

Da die Angleichung der Regelsätze beim Arbeitslosengeld II bereits auf der Agenda der Monitoring-Gruppe steht und diese Forderung auch im Koalitionsvertrag verankert ist, setzen Sie, meine Damen und Herren von der PDS, dieses Mal noch eins drauf und fordern eine weitere Erhöhung der Regelsätze.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Eine Forderung der Wohl- fahrtsverbände!)

Schon bei der damaligen Angleichung der Ostsätze an die der alten Bundesländer gab es - auch in der Politik - kritische Stimmen. Der Bundeskanzler höchstselbst hat es in einem Interview mit der „Super Illu“ abgelehnt, dass ausgerechnet eine steuerfinanzierte Leistung gleich mit 100 % angeglichen wird, und eine schrittweise Angleichung, angelehnt an die Entwicklung der Tarifeinkommen, gefordert. Ähnliches fordert im Übrigen auch Georg Milbradt mit der Begründung, dass der Durchschnittsverdienst in den neuen Ländern 30 % unter dem der alten Bundesländer liege.

Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung als Forschungsinstitut der BA bewegt sich die Höhe des Arbeitslosengeldes II auf Niedriglohnniveau. Allerdings kann es die Familie eines Verheirateten mit zwei Kindern unter sieben Jahren, der einen 1-Euro-Job mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden annimmt, auf eine Unterstützungsleistung zwischen 1 769 Euro und 2 209 Euro bringen.

Demgegenüber - das gehört, meine Damen und Herren, nach meinem Dafürhalten auch zur Wahrheit - liegen die Stundenlöhne in vielen Bereichen unter 6 Euro. So verdienen zum Beispiel Mitarbeiter im Wach- und Objektschutz oft nur etwas mehr als 4 Euro pro Stunde. Bei einem Verdienst von 4,17 Euro pro Stunde kämen bei 23 Arbeitstagen im Monat und 184 Arbeitsstunden 787,28 Euro brutto zusammen; bei 220 Arbeitsstunden im Monat läge der Verdienst bei 918,40 Euro, brutto wohlgemerkt.

Ein weiteres Beispiel sind die Rentnereinkommen. Von den ca. 20 Millionen Rentnern in der Bundesrepublik haben ca. 6,7 Millionen weniger als 600 Euro im Monat zur Verfügung. Auch das sollte man nicht vergessen. Natürlich werden Sie sich jetzt fragen, warum ich auf diese Dinge hinweise. Ich möchte Ihnen verdeutlichen, dass in die Gesamtbetrachtung auch die Situation derjenigen einbezogen werden muss - etwa der Verkäuferin, des Wachschutzbediensteten, der Rentner -, die diese Leistungen mit ihren Steuern und Abgaben mitfinanzieren, obgleich viele von ihnen - darauf möchte ich auch hinweisen

ebenfalls Anspruch auf ergänzende Hilfen hätten und diese meist gar nicht in Anspruch nehmen.

Die Situation hat sich durch die Weichenstellung der Bundesregierung für viele Betroffene nicht sonderlich verbessert. Die Arbeitslosenzahlen sind gestiegen, die Zahl der Erwerbstätigen ist gesunken. Beitragssätze wurden, zum Beispiel bei der Krankenversicherung, trotz größerer Belastung der Versicherten durch Zuzahlungen, nicht gesenkt. Beitragsbemessungsgrenzen wurden heraufgesetzt. Die Bürgerinnen und Bürger wurden zusätzlich mit der Ökosteuer belastet. Die Rentner erhalten - wie viele Berufstätige - nicht einmal mehr den Inflationsausgleich. Sie haben zwei Nullrunden in Folge hinnehmen müssen.

Vor diesem Hintergrund sind Konsumenthaltung und Zukunftsängste der Menschen verständlich, ohne dass ich die unsäglichen Katastrophenszenarien der DVU damit unterstützen möchte, wobei „die Katastrophe“ heute ja mal gefehlt hat. Ein derartiges Schlechtreden unseres Landes, seiner Menschen und seiner Situation möchte ich in diesem Zusammenhang zurückweisen.

In Gesprächen, die ich mit Bürgern geführt habe, hat sich deutlich herauskristallisiert, dass die von Hartz IV Betroffenen große Probleme haben, dass jedoch die größten Ängste bei denjenigen liegen, die bereits 20 oder 30 Berufsjahre hinter sich haben und bei eintretender Arbeitslosigkeit damit rechnen müssen, alles, was sie sich geschaffen haben, für den Lebensunterhalt einsetzen zu müssen, weil die Versicherungsleistungen nach ALG I bekanntermaßen nur noch zwölf Monate gewährt werden. Das heißt, ein Arbeitnehmer, der 24 Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt war, erhält ebenso für zwölf Monate ALG I wie derjenige, der 25 Jahre lang beschäftigt war und Beiträge entrichtet hat. In vielen Fällen ist nach diesem Jahr ein schneller Abstieg vorprogrammiert, man könnte auch sagen, es geht ans Eingemachte. Steigende Zahlen bei Immobilienversteigerungen, meine Damen und Herren, sollten uns in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr beunruhigen. Man stelle sich vor, jemand schuftet sein ganzes Leben lang für sein Haus - und für seine Alterssicherung - und muss es dann verkaufen. Ich glaube, auch das ist eines unserer Themen.

(Beifall bei der PDS)

Die Angleichung der Regelleistung ist fast 15 Jahre nach der Wiedervereinigung eine politische Entscheidung, aber noch intensiver als über eine Angleichung der Regelleistung beim ALG II müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen in Arbeit bringen. Unser Kampf um Arbeitsplätze ist die größte und für mich wichtigste Aufgabe, die wir zu erfüllen haben.

Frau Abgeordnete, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ich komme gleich zum Ende.

Eine Anhebung der Zuverdienstgrenze ist von CDU und SPD gemeinsam vorgenommen worden; das ist zu begrüßen.

Trotz der durchaus kritischen Meinungen sind wir für die Angleichung der Regelsätze. Dafür macht sich auch Frau Ziegler stark. Eine Anhebung der Regelsätze halten wir vor dem vorgetragenen Hintergrund für nicht gerechtfertigt. Daraus würden sich weitere soziale Verwerfungen ergeben. Der wichtigste Grundsatz, glaube ich, bleibt für uns alle, dass jemand, der arbeitet, deutlich mehr zur Verfügung haben sollte als derjenige, der auf Unterstützung angewiesen ist.

Allerdings - das möchte ich hinzufügen - bin ich dafür, dass man die Grundsätze zur Berechnung des Existenzminimums bestimmt. Wir haben einen entsprechenden Entschließungsantrag vorgelegt, dem Sie hoffentlich zustimmen. Ihrem Antrag können wir in der jetzigen Form natürlich nicht zustimmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich begrüße als Gäste Schüler der Gesamtschule „Bruno H. Bürgel“ Rathenow, PB- Kurs, 12. Klasse. Seien Sie willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort hat die Landesregierung. Bitte, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass uns eine Juli- und Augustsitzung erspart bleiben, sonst würden die Wahlkampfreden hier langsam überhand nehmen. - Ich habe bereits in der gestrigen Fragestunde gesagt: Die Landesregierung tritt aktiv für die Ost-West-Angleichung des Arbeitslosengeldes II ein. Das ist ein großes und wichtiges Stück sozialer Gerechtigkeit. 15 Jahre nach der Einheit ist es unseren Menschen im Osten Deutschlands nicht mehr zu vermitteln, dass das Land hinsichtlich der untersten sozialen Sicherung weiterhin gespalten ist. Deshalb ist es dringend notwendig, gleiche Verhältnisse zu schaffen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Das Arbeitslosengeld II sichert - wie die Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe - das gesetzlich festgelegte Existenzminimum. Es soll - insoweit hat Herr Otto Recht - den Leistungsempfängern ein menschenwürdiges Leben und ihre gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Es ist nach unserer Ansicht nicht zu begründen, dass es in einem vereinten Deutschland zwei unterschiedliche Existenzminima gibt.

Hinzu kommt: Der Staat kann die Bemessung der Höhe des garantierten Existenzminimums nicht von Bedingungen abhängig machen, die andere festlegen, Frau Schulz. Es ist absehbar, dass eine fortschreitende Einkommensabsenkung und eine daraus resultierende Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums - ALG II und Hilfe zum Lebensunterhalt - bald an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen werden. Deshalb fordern wir, die aktuelle Methode der Regelsatzbemessung und die Kriterien für die Bestimmung des Existenzminimums zügig zu überprüfen und schnell den aktuellen Lebensverhältnissen, insbesondere was die Lebenshaltungskosten betrifft, anzupassen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Frau Dr. Schröder hat es gesagt: Der Ministerpräsident unseres Landes hat sich bereits an die Bundesregierung gewandt und Veränderungen eingefordert. In der Sitzung der MonitoringGruppe nächste Woche werde ich das weiterhin intensiv befördern. Ich hatte heute ein Telefonat mit Herrn Arbeitsminister Holter aus Mecklenburg-Vorpommern; auch er hat Unterstützung signalisiert.

(Beifall bei der PDS)

Ich will eines klarstellen: Es ist für uns keine Frage, dass das Ziel einer Evaluierung des Bemessungssystems insgesamt nicht nur die Ost-West-Angleichung der Regelsätze sein darf; auch die Kriterien dafür müssen neu bestimmt werden. Am Ende muss eine Festlegung stehen, die ein einheitliches Existenzminimum, das auch auf den aktuellen Daten zur Entwicklung der Lebenshaltungskosten basiert, gesetzlich festschreibt. Die Erhebungen liegen, wie Sie wissen, etliche Jahre zurück und sind nicht mehr aktuell. Insoweit muss zeitnah eine Veränderung erfolgen.

Ob das ALG-II-Minimum die von der PDS geforderte Höhe von 412 Euro erreichen wird, muss abgewartet werden. Uns sind die Expertisen und Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände bekannt. Ich meine, man sollte nicht das eine oder andere fordern, bevor eine einheitliche und solide Datenbasis zur Überprüfung vorhanden ist. Wir sollten uns die Zeit nehmen, um die Daten ermitteln zu lassen.

Eine Bundesratsinitiative betrachte ich, im Moment jedenfalls, als aussichtslos, denn wir können noch nicht fundiert argumentieren. Deshalb halte ich den Antrag für entbehrlich. Wir müssen Mehrheiten suchen und gleichzeitig neue Berechnungsgrundlagen einfordern. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dank der selbstlosen Hilfe des Abgeordneten Schulze begrüße ich Betreuer und Schüler der Bildungseinrichtung Buckow bei Eberswalde. Seien Sie herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)