Protocol of the Session on February 23, 2000

Bei Notwehrhilfe ist die subjektive Komponente des Retrungswillens vom Helfer nicht anordnungsfähig, weil sie auf einer autonomen Entscheidung des Helfers beruht. Ähnliches gilt für die Notstandssituation, die ebenfalls eine subjektive Komponente voraussetzt.

Im Entwurf von 1974 zu einem einheitlichen Polizeigesetz heißt es:

„Dabei ist ein gezielt tödlicher Schuss nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist."

Demgegenüber sah der Entwurf von 1975 vor:

„Dabei ist ein gezielt tödlicher Schuss nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist."

In dem letzten Entwurf für ein einheitliches Polizeigesetz heißt es:

_Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr der gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist."

Im Interesse einer einheitlichen Terminologie sollte man es nach Auffassung der DVU-Fraktion bei dem Begriff der Gefahr für Leib und Leben belassen.

Mit sprachlichen oder stilistischen Mitteln kann sich der Gesetzgeber seiner Verantwortung nicht entziehen. Hält er den Todesschuss für zulässig und geboten, so muss er dies in einem Rechtsstaat mit aller Klarheit, Nüchternheit und Eindringlichkeit sagen. Wegen des Vorbehaltes des Gesetzes darf das Problem nicht im Nebel bleiben und seine Lösung der Exekutive zugeschoben werden.

Die Notwendigkeit einer Regelung des Todesschusses ist nicht mit dem Argument zu verneinen, dass die Herbeiführung, sofortiger Bewusstlosigkeit oder totaler Handlungsunfähigkeit ausreiche und es genüge, dass sich der Eventualvorsatz des Schützen auf den Tod des Angreifers beziehe. Der Fehler dieser Gedankenführung wird schon dadurch verdeutlicht. dass vorsätzlich auch derjenige handelt, der mit dem Eventualvorsatz vorgeht. Für die Entscheidung des Gesetzgebers ist es erheblich, ob der gezielt tödliche Schuss bereits nach geltendem Recht zulässig ist und welche verfassungsrechtlichen Fragen seine Normierung aufwirft. Der polizeiliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt - insbesondere in der Ausprä gung des Erforderlichkeitsprinzips - von vornherein die Ab gabe eines Todesschusses auf seltene Ausnahmefälle. Wenn alle anderen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr ausscheiden, wenn keine andere Art des Schusswaffengebrauchs erfolgreich sein kann, dann kommt nur der gezielt tödliche Schuss in Betracht.

Man kann die Zulässigkeit des Schießens auch nicht mit dem Argument ablehnen, die Polizei dürfe den Täter nur angriffsoder fluchtunfähig machen. Daraus würde dann folgen, dass der Täter am Leben bleiben müsse. Eine Beschränkung des Schusswaffengebrauchs darf nicht das Ziel verfolgen, der Polizei die Möglichkeit der Gefahrenabwehr in Extremsituationen zu nehmen. Der Grundsatz, wonach die Polizei eine Person nur angriffs- und fluchtunfähig machen darf, stellt lediglich eine Ausprägung des Prinzips des mildesten Mittels dar. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der beabsichtigten Regelun g des Todesschusses ist eine Grundrechtsabwägung erforderlich. Anlass eines gezielt tödlichen Schusses ist stets der Angriff auf bedeutende Rechtsgüter Unbeteiligter oder Polizeibeamter.

Die Grundrechte sind der Ausgangspunkt jeder Untersuchung. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ist zunächst als objektives Verfassungsrecht der Staatsgewalt zu beachten. Ein Angriff auf diese Rechtsgüter stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne der polizeilichen Finalklausel dar. Allerdings verpflichten die Grundrechte in der Regel wegen der fehlenden Drittwirkung nicht den Bürger, sondern den Staat. Dessen Pflicht ist es, zunächst unmittelbar staatliche Eingriffe in Schutzgüter zu unterlassen. Allerdings besteht kein Zweifel darüber, dass der Staat eine Garantenpflicht hat und rechtswidrige Übergriffe

Dritter verhindern oder abwehren muss. Es ist anerkannt. dass der Einzelne gegen den Staat einen Anspruch auf ein Mindestmaß an Schutz vor rechtswidrigen Übergriffen hat. Diese Verfassungsentscheidung wirkt sich auch auf das Polizeirecht aus und begründet eine Pflicht der Polizei zum Einschreiten. wenn Leben, Gesundheit und Freiheit des Bürgers durch Straftaten bedroht werden.

Es wäre auch noch auf Artikel 102 des Grundgesetzes einzugehen. Das Grundgesetz verbietet die Verhängung der Todesstrafe. Es ist das Verbot einer staatlichen Sanktion für eine begangene Tat. Die Vorschrift darf nicht dahin verbogen werden. dass das Grundgesetz jegliche Tötung eines Menschen missbilli gt. Es kann mit der herrschenden Meinung festgestellt werden, dass das Grundgesetz weder nach Artikel 2 Abs. 2 noch nach Artikel 1 Abs. 1, Artikel 19 Abs. 2 und Artikel 102 noch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den finalen Todesschuss zur Rettung eines Angegriffenen verbietet. Auch wenn man die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe heranzieht, kommt man zum gleichen Ergebnis. Die tagespolitischen Auseinandersetzungen haben sich immer wieder der Frage zugewandt, ob ein Polizeibeamter zur Abgabe eines Todesschusses verpflichtet werden soll und kann.

Nach § 62 Abs. 1 Satz I Polizeigesetz hat der Polizeibeamte unmittelbaren Zwang anzuwenden, der von einem Weisungsberechtigten angeordnet wird. - Diese Vorschrift ist unvollständig. weil es aus Gründen der Schussdisziplin auch erforderlich sein kann, dass Polizeibeamte, um einen Erfolg nicht vorzeitig zu gefährden, erst auf einen Befehl hin unmittelbaren Zwang anwenden.

Ein sinnvoller Polizeieinsatz erfordert immer, dass die ‚Anordnungen des Weisungsberechtigten über die Anwendung unmittelbaren Zwangs befolgt werden. Dies gilt erst recht für die Abgabe gezielt tödlicher Schüsse zur Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter, weil in diesen Fällen ein eigenmächtiges Vorgehen den Erfolg vereiteln könnte. Wegen der Situation am Einsatzort und der Zahl der verfügbaren Präzisionsschützen wird im Allgemeinen das Gelingen des Einsatzplanes davon abhängen, dass dem Einsatzbefehl exakt nachgekommen wird. Gerade in solchen Ausnahmesituationen kann der Schusswaffengebrauch nicht der Gewissensentscheidung des Polizeibeamten überlassen werden.

Die Sonderregelung des Artikels 4 Abs. 3 Grundgesetz ist wegen der andersartigen Ausgangssituation für die Abgabe eines gezielt tödlichen Schusses nicht übertragbar. Wer den Schusswaffengebrauch ablehnt, darf nicht Polizeibeamter werden. In Extremsituationen kann sich der Staat wegen seiner Pflicht zum Schutz der vitalen und fundamentalen Güter seiner Bürger den Luxus von Gewissensentscheidungen der Polizeibeamten nicht leisten.

Da Herr Innenminister Schönbohm öffentlich dafür eingetreten ist. den finalen Rettungsschuss in das Polizei gesetz einzufügen, werden Sie sicherlich einer Überweisung des DVU-Antrages sowohl in den Innen- als auch in den Rechtsausschuss zustimmen. Federführend sollte dabei der Innenausschuss sein. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der DVU)

Wir haben Gäste aus Altlandsberg. Die 10. Klasse der Stadtschule ist unter uns. Herzlich willkommen!

Das Wort geht an den Abgeordneten Klein. Er spricht für die SPD- und die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der DVU zielt auf eine punktuelle Veränderung des Polizei gesetzes aus einer scheinbar tagesaktuellen Notwendigkeit heraus, als ob im Land Brandenburg jeden zweiten Tag eine Geiselnahme vorkäme. Ich denke, die Tatsachen sind etwas anders.

Aber, Herr Firneburg, Ihre Terminologie entlarvt Sie. Sie reden ganz bewusst von einem Todesschuss, während wir immer deutlich gemacht haben, dass es sich bei dieser Art des Schießens um einen finalen Rettungsschuss, und zwar Rettung für die Geisel, handeln muss.

Nun könnte man angesichts der Tatsache, dass die Landesregierung eine Novellierung des Brandenburgischen Polizeiaufgabengesetzes vornehmen wird, Ihren Antrag mit in die Beratung aufnehmen. Ich denke aber, dass das nicht hilfreich wäre, weil Sie ganz andere Ziele verfolgen, als wir vorhaben.

Ich will aber noch ein Wort dazu sagen, warum die Novellierung des Brandenburgischen Polizeiaufgabengesetzes ansteht. Am 30. Juni 1999 hat sich das Landesverfassunesgericht in einem Normenkontrollverfahren, das die PDS-Landtagsfraktion angestrebt hatte, grundsätzlich zu dem verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Ton- und Bildaufzeichnung geäußert. Darüber brauchen wir demnächst Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

In diesem Zusammenhang werden wir prüfen. ob weitere Änderungen im Polizeiaufgabengesetz notwendig sind. Dazu bedarf es nicht Ihres Antrages, Kollegen von der DVU. Wir werden ihn ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Herr Prof. Schumann. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Bedeutung des Themas. das mit diesem Antrag aufgerufen worden ist, halte ich es doch schon für notwendig, der Öffentlichkeit gegenüber klarzustellen, dass die PDS einer polizeirechtlichen Verankerung des so genannten finalen Rettungsschusses keine Zustimmung erteilen wird.

Es ist schon davon gesprochen worden, dass es auf Initiative der Landesregierung aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit infolge dieses Verfassungsgerichtsurteils eine Novellierung des Polizeigesetzes geben wird. Wenn nicht alle

Anzeichen trügen - das, was Sie gesagt haben, Herr Kollege Klein, ist für mich auch ein solches Anzeichen -, dann wird die Landesregierung die Umsetzung der Maßgaben des Landesverfassungsgerichts mit weitergehenden Absichten verbinden und den finalen Rettun gsschuss ihrerseits auf die Tagesordnung der Novellierung setzen. Wir halten es für an gemessen und zweckmäßig, die sachpolitische Auseinandersetzung zu diesem Thema zu führen, wenn es auf der Tagesordnung steht. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die Landesregierung. - Sie verzichtet.

Wir sind damit am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmun g. Ich lasse abstimmen über den Antrag der DVUFraktion, den Gesetzentwurf in Drucksache 3/558 an den Ausschuss für Inneres. der federführend sein soll, und an den Rechtsausschuss zu überweisen. Wer diesem Überweisungsantrag folgt. möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse in der Sache abstimmen. Wer dem Gesetzentwurf folgt. möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 4 und rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Abwasserbeseitigung und -aufarbeitung im Lande Brandenburg

Große Anfrage I der Fraktion der DVU

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/613

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitra g der DVU-Fraktion. Herr Abgeordneter Claus, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung war so großzügig, uns nunmehr - nach vielen Monaten des Wartens - ihre Erkenntnisse auf unsere Große Anfrage auf vier Seiten zusammengeballt zur Kenntnis zu geben.

Gerade das Problem der Abwasseranlagen im Lande ist für viele Menschen finanziell so entscheidend, dass hierauf einfach näher eingegangen werden muss. Hier verweise ich auf das in der letzten Legislaturperiode noch schnell durch gepeitschte Gesetz zur Heilung von Formfehlern bei der Gründung von Abwasserzweckverbänden. Damit waren vielen formfehlerhaft

gegründeten Verbänden erst die rechtlichen Druckmittel zur Eintreibung ständig steigender Gebühren und Beiträge in die Hände gelegt worden.

Heute fungieren diese zentralen Verbände in Wirklichkeit als Staubsauger der Banken zum großflächigen Eintreiben von Fantasiegebühren aufdie ausgegebenen Kredite. Anfangs warfen die Banken mit Krediten nur so um sich. Und nun fließt das Geld praktisch reibungslos zurück.

Wenn man sieht, wie Wasser und Abwasser zum Luxusgut werden, stellt sich letztendlich die Frage, weshalb die Menschen deshalb weiter verarmen und sich die Banken mit weiteren Privatkrediten dumm und dämlich verdienen. Ist es nicht mehr als ein fettes Geschäft, wenn rund 80 Abwasserzweckverbände bei den Banken mit rund 3 Milliarden DM in der Kreide stehen, worauf für unabsehbare Zeit selbstverständlich Zinsen zu zahlen sind? Diese steigen gerade wieder dank falscher Wirtschaftspolitik und dank sinkendem Euro.

Aufgrund der hohen Gebühren für Anschluss und Einleitung sowie bescheidener Einnahmen werden breite Schichten der Bevölkerung. z. B. viele Hausei gentümer, gezwungen. Kredite für diesen Anschluss aufzunehmen. Auch dafür stehen die Banken zur Ausreichung der Privatdarlehen seit lan ger Zeit mit Rechenbeispielen und Hochglanzprospekten dienstfertig bereit, sogar mit Blitzkrediten und ohne Eintrag im Grundbuch. wohl wissend. dass sie ihre Kredite jederzeit zurückbekommen - und sei es durch Zwangsversteigerung.

Die Ursachen der zunehmenden Anzahl von Zwangsversteigerungen wiederum kennt die Landesregierung nicht, wie sie uns schriftlich wissen ließ.

Wir sa gen dazu, dass diese Politik zynisch, unwirtschaftlich, sozial höchst ungerecht und voller zukünftiger Konflikte ist. Wie in vielen anderen Punkten auch, kommt man heute nicht umhin festzustellen, dass es bei dem brandenburgischen Konzept der Abwasserbeseitigung genauso wenig um den Umweltschutz geht wie seinerzeit der Bundesregierung bei der Eintreibung der so genannten Öko-Steuer.

Wie wir seit Monaten tagtäglich erfahren, ist in der Politik alles möglich - und das auch noch ohne große persönliche Nachteile für die Politiker. Von persönlichen, finanziellen oder juristischen Konsequenzen kann schon gar keine Rede mehr sein. Anders als im Privatleben des kleinen Mannes, der dafür, was ihm die Politiker einbrocken, sogar finanziell zur Verantwortung gezogen wird, fallen diese nach ihrem Scheitern in eine Hängematte, welche mit verschiedenen finanziellen Vergünstigungen ausgepolstert ist, oder sie werden sogar noch befördert.