Protocol of the Session on September 25, 2003

Frau Ministerin Richstein, Sie haben erneut das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Werner, Sie haben es schon gesagt: Es muss unterschieden werden zwischen außergerichtlicher und gerichtlicher Güteverhandlung. Die außergerichtliche Güteverhandlung kann einmal freiwillig geschehen, nämlich wenn es grundsätzlich der Vermeidung eines Prozesses dient, oder obligatorisch, wie wir es jetzt mit dem Brandenburgischen Schlich

tungsgesetz auch eingeführt haben. Die Fälle, die obligatorisch behandelt werden, sind zum einen die, bei denen es damals um eine Summe von 1 500 DM ging - diese Zahl ist jetzt in Euro umgerechnet worden -, und zum anderen die, bei denen es zum Beispiel um Nachbarschaftsstreitigkeiten geht. Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind sehr positiv.

Die Verhandlungen werden vorwiegend in den Schiedsstellen und von ehrenamtlichen Schiedsmännern und -frauen durchgeführt, die sehr engagiert tätig sind. Es wurden ungefähr 1 300 Fälle zivilrechtlicher Art behandelt. Die Hälfte davon konnte auch ohne Einschaltung eines Gerichts gelöst werden. Viele Fälle tauchen aber nicht in der Statistik auf, weil natürlich die Anwälte schon versuchen, ihre Mandanten dahin gehend zu beraten, sich zu einigen, bevor ein Gerichtsverfahren angestrebt wird.

Was die gerichtliche Güteverhandlung anbelangt, sind die Erwartungen, die durch die Zivilprozessreform entstanden sind, nicht erfüllt worden. Wir kennen die Güteverhandlung zwar aus dem Arbeitsrecht. Sie ist aber dem Zivilrecht und dem Zivilprozess fremd, sodass wir leider die Erfahrung machen mussten, dass viele Richter dieses Instrument lediglich formal anwenden und es dort meistens auch nicht zu einer gütlichen Einigung kommt.

Bei allen positiven Aspekten, was die außergerichtliche Güteverhandlung anbelangt, gibt es natürlich auch hier Dinge, die verbessert werden können. Beispielsweise ist es momentan nicht möglich, eine Partei, die zu solch einem Gütetermin nicht erschienen ist, zu sanktionieren. Das heißt, dass es ohne Folgen bleibt, wenn jemand nicht erscheint. Ich lasse zurzeit in meinem Haus prüfen, ob es da nicht die Möglichkeit gibt, zumindest ein Ordnungsgeld anzudrohen, damit das Instrument effektiver genutzt werden kann.

Es gibt noch Klärungsbedarf. Herr Werner, bitte.

Frau Ministerin, ist bei den außergerichtlichen Einigungen und Güteverhandlungen eine Tendenz in der einen oder anderen Richtung, verglichen mit den Vorjahren, erkennbar? Sind es mehr oder weniger? Wird es häufiger angenommen oder seltener?

Das Gesetz ist ja erst seit 01.01.2002 in Kraft. Was die obligatorischen Güteverhandlungen anbelangt, reicht das Zahlenmaterial noch nicht aus, um hier eine Tendenz feststellen zu können. Das Gesetz ist ja mit einer festen Dauer von fünf Jahren belegt. Ich hoffe schon und bin sicher, dass wir zum Ende dieser Zeit auch genügend Zahlenmaterial haben, um zu sehen, ob die Gültigkeit des Gesetzes darüber hinaus verlängert werden sollte.

Herr Sarrach, bitte.

Frau Ministerin, ich habe auch zwei Fragen zur außergericht

lichen Streitschlichtung. Halten Sie es für eine Erschwerung der außergerichtlichen Streitschlichtung, dass das Ministerium bereits in diesem Jahr die Fortbildungszuschüsse in Höhe von 5 000 Euro, entgegen dem Haushaltsplanentwurf, den wir haben, für die Schiedspersonen gestrichen hat, und diese 5 000 Euro also auch künftig nicht gezahlt werden?

Frage 2: Wir hatten ja von der Trennungsgeldgeschichte des Ex-Staatssekretärs Stange gehört. Da geht es um 30 000 Euro, die gegebenenfalls zurückgefordert werden können. Teilen Sie meine Auffassung, dass im Falle einer solchen Rückforderung von diesem Betrag die Fortbildungskosten der Schiedspersonen in Höhe von 5 000 Euro für weitere sechs Jahre getragen werden können?

Zum einen sind wir beide uns, glaube ich, einig, dass Fortbildung sehr wichtig ist, ob für Schiedsmänner, Schiedsfrauen, Richter oder sonstige Bedienstete der Landesregierung. Aber die Haushaltslage zwingt mich, auch in meinem Bereich Einsparungen vorzunehmen, die teilweise sehr schmerzhaft sind. Es war genauso, als wir den Rechtskundeunterricht zeitweilig nicht mehr bezahlen konnten, der an den Schulen gegeben wurde. Zum Glück gab es eine Lösung. Es ist aber auch in dem Bereich der Schiedsmännern und Schiedsfrauen so, dass Einsparungen vorgenommen werden müssen.

Ich habe noch nicht mit meiner Kollegin Finanzministerin darüber gesprochen, was mit zurückgeforderten Geldern geschehen soll, ob die vielleicht sogar in meinen Einzelplan einfließen könnten. Aber ich werde diesbezüglich mit ihr das Gespräch suchen.

Herzlichen Dank. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde und ich schließe Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Problematiken der Ausbildungs- und Schulpolitik in Brandenburg

Antrag der Fraktion der DVU

Das Wort geht an Frau Hesselbarth, weil die DVU-Fraktion die beantragende Fraktion ist. Bitte sehr, Frau Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Baaske, Sie sagten vorhin in der Fragestunde, dass Sie bezüglich der Ausbildungssituation schon Handlungsbedarf sehen. Guten Morgen, Herr Minister.

Die DVU-Fraktion hat dieses Thema gewählt, weil wir zwischen den Ausbildungsproblemen und dem Schulproblem einen direkten Zusammenhang sehen. Mit anderen Worten: Die Schulmisere ist ein ganz wesentlicher Faktor für die Ausbil

dungsmisere, konkret: für die fehlende Bereitschaft vieler Betriebe, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Nun mag sich manch einer von Ihnen, meine Damen und Herren, fragen, was daran so aktuell ist. Ausbildungsplätze fehlen doch Jahr für Jahr. Schließlich ist es uns noch immer gelungen, die allermeisten Jugendlichen so unterzubringen, dass sie als Ausbildung oder Arbeit Suchende statistisch nicht mehr auftauchen. Bundeswirtschaftsminister Clement hat das doch gerade vor wenigen Tagen wieder gesagt - oder?

Die für Brandenburg veröffentlichte Zahl lautet 1 500 Ausbildung Suchende. Glauben Sie das wirklich? Es stimmt einfach nicht, dass in diesem Jahr wie in den vergangenen Jahren alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz oder zumindest eine berufsbezogene Ausbildung bekommen. Hier wird mit den Jugendlichen, also mit der Zukunft unseres Landes, Schindluder getrieben. Und Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, stehen dafür in Mitverantwortung.

Was haben wir konkret festzustellen? Ein Blick in die Zeitschrift „Stern“ Nr. 38/2003 beweist es. Dort wird dies im Wirtschaftsteil, übertitelt mit „Die Lehrstellenlüge“, dargestellt. Wirtschaftsminister Clements geschönte Zahlen werden selbst in der Bundesanstalt für Arbeit nicht mehr ernst genommen.

Werden die Statistiken der IHKs und Handwerkskammern mit denjenigen der Arbeitsämter verknüpft, ergibt sich folgendes Bild: In ganz Deutschland kommt man auf rund 936 000 Lehrstellen Suchende. Davon erhielten 512 000 eine richtige Lehrstelle, 60 000 bekamen eine staatlich finanzierte außerbetriebliche Lehrstelle und die restlichen rund 364 000, also 39 %, wurden in Warteschleifen geparkt und verschwanden aus der Statistik. Sie sind in diversen Grundlehrgängen, im Berufsgrundschuljahr, im Berufsvorbereitungsjahr, in der 10. Hauptschulklasse, im Wehrdienst usw.

Bemerkenswert dabei ist, dass 42,8 % aller Bewerber Schulabgänger aus vergangenen Jahren sind. Dazu die Bundesanstalt für Arbeit: Wir schieben da eine immer größere Bugwelle vor uns her. Jahr für Jahr landen immer weniger Jugendliche in Ausbildung und immer mehr in Warteschleifen.

Es bedarf keiner besonderen Phantasie, zu der Erkenntnis zu gelangen, dass unser Land Brandenburg von dieser Entwicklung als neues Bundesland und mit seiner seit Jahren völlig unzureichenden und verfehlten Schul- und Mittelstandspolitik hiervon in besonderem Maße betroffen ist. Das wird auch von der IHK unseres Landes bestätigt. Diese beklagte kürzlich in Brandenburg gravierende Bildungslücken der Schulabsolventen, insbesondere in den Grundfächern Deutsch und Mathematik und in der Allgemeinbildung als Ausbildungshindernis. Hiernach sind viele Schülerinnen und Schüler für eine Berufsausbildung nach Abschluss der Schulausbildung nicht hinreichend qualifiziert. Das mindert die Ausbildungsbereitschaft insbesondere der in Brandenburg ohnehin gebeutelten mittelständischen Wirtschaft ganz erheblich.

Es bedarf auch keiner sonderlich ausgeprägten Phantasie, um zu dem Schluss zu kommen, dass hierfür ihre verfehlte Schulpolitik ursächlich ist, und zwar insbesondere in den Bereichen der Gesamt- und Realschulen. Ihre linke Reformpädagogik der 70er Jahre des nivellierten Durchschnittsniveaus in den so genannten kooperativen und integrativen Gesamtschulen mit ide

ologisch durchsetztem Halb- und Teilwissen ohne Rücksicht auf persönliche Eignung, Neigung und Befähigung der einzelnen Schüler ist gescheitert, und zwar endgültig, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank. Damit ist unser Land der Dichter und Denker auf dem besten Weg, zum Land der ungebildeten PISA-Verlierer zu werden.

(Beifall bei der DVU)

Weitere Ausführungen werde ich im zweiten Teil meiner Rede machen.

(Beifall bei der DVU)

Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich ganz herzlich Gäste einer Delegation von Politikern aus pazifischen Inselstaaten begrüßen. Sie sind auf Einladung des Auswärtigen Amtes in die Bundesrepublik gekommen, um über Demokratie und Parlamentarismus in der Bundesrepublik Erfahrungen zu sammeln. Es handelt sich um Mitglieder aus der politischen Szene von Papua-Neuguinea, aus Samoa, Tonga, Fidschi und von den Cook-Inseln. Unter ihnen sind sowohl Parlamentarier als auch Mitarbeiter der Exekutive. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort geht an den Abgeordneten Klein. Er spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schon vor etwas mehr als einem Jahr befasst sich der Landtag auch heute wieder auf Antrag der DVU-Fraktion mit der Entwicklung der Lebensperspektiven junger Menschen in Brandenburg und auch diesesmal mit der Ausbildungs- und Schulpolitik. Offensichtlich ist es die Absicht der DVU-Fraktion, einmal pro Jahr und in regelmäßiger Wiederholung durch diese Themenanmeldung in Aktuellen Stunden im Landtag die Lebensperspektiven junger Menschen im Land Brandenburg schwarz zu malen und schlechtzureden.

Ich befürchte, dass mit den Klagen, die Frau Hesselbarth heute hier wieder vorgebracht hat, nicht die geringste Verbesserung für die Betroffenen erreicht wird, sondern dadurch im Gegenteil möglicherweise sogar eine pessimistische oder resignative Haltung erzeugt oder verstärkt wird. Ich befürchte dies insbesondere deshalb, weil von der DVU-Fraktion über diese Klagen hinaus kein einziger Vorschlag zu hören war, wie denn die umfänglichen Probleme gelöst werden können.

Damit wir uns richtig verstehen: Die Thematik ist wichtig und die Probleme sind schwierig. Deshalb wollen wir darüber debattieren. Die Frage ist nur: In welche Richtung? Malen wir alles schwarz oder vermitteln wir den Betroffenen Zuversicht?

Die Frage der Bildung und der Ausbildung, der Qualifizierung und der Perspektiven der Jugendlichen ist die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unseres Landes und sie betrifft damit unsere Politik im Kern. Genau deshalb haben sich die anderen Fraktionen des Landtags der Sache längst angenommen und bear

beiten sie vordringlich. Ich erinnere hier nur an zahlreiche Debatten in der Folge der für Brandenburg schlechten Ergebnisse der PISA-Studie.

Vor der Ankündigung einfacher und schneller Lösungen, die die DVU-Fraktion häufig genug suggeriert, ist auch hier zu warnen. Schon die Kernaussage der DVU-Fraktion, die sich in der Begründung des Themas der Aktuellen Stunde findet, ist falsch. Sie reden von einer auseinander klaffenden Diskrepanz zwischen der Wissensvermittlung in den Schulen und den Anforderungsprofilen der Wirtschaft. Davon kann nicht die Rede sein, weil es schlichtweg nicht die Aufgabe der allgemein bildenden Schulen ist, Berufsausbildung zu vermitteln.

(Zurufe von der DVU)

Die Misere der fehlenden Ausbildungsplätze wird nicht etwa durch die mangelnde Qualifikation der Jugendlichen hervorgerufen, sondern durch die schlechte wirtschaftliche Lage der Betriebe und die daraus oder aus anderen Gründen, die sehr vielfältig sein können, resultierende fehlende Bereitschaft von Betrieben und Unternehmen, auszubilden.

Auch wenn es in Einzelfällen eine bequeme Strategie zur Rechtfertigung mangelnder Ausbildungsbereitschaft sein mag, den Jugendlichen heutzutage pauschal schlechtes Benehmen, Faulheit und Dummheit zu unterstellen, so möchte ich an den in den internationalen und nationalen Studien zum Vergleich der Schulleistungen für Deutschland insgesamt und das Land Brandenburg ermittelten dramatisch schlechten Ergebnissen nichts beschönigen.

Einige der grundlegenden Erkenntnisse der Studien zeigen, wo wir vordringlich ansetzen müssen und wo das Bildungsministerium mit seinen eingeleiteten Reformmaßnahmen und Umsteuerungsprozessen bereits ansetzt:

Erstens: Frühzeitige Qualifizierung der Kinder durch die Stärkung des Bildungsauftrags der Kindertagesstätten und damit Ausbau der vorschulischen Bildung und Erziehung.

Zweitens: Verbesserung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Grundschulen durch die frühere Einführung der ersten Fremdsprache, Ausweitung der flexiblen Eingangsphase, Einführung von zentralen diagnostischen Tests in der Jahrgangsstufe 2.

Drittens: Stärkung der Verantwortlichkeiten durch Erweiterung der Selbstständigkeit und des Selbstmanagements der Schulen.