Die vorliegende Juristenausbildungsreform ist nicht so sehr Kind eines Veränderungsenthusiasmus als vielmehr schlicht von der Kassenknappheit der öffentlichen Haushalte motiviert. Die Reform ist nicht das Ergebnis einer kritischen Betrachtung des Rechts in seiner Natur als Herrschaftsinstrument und Steuerungsmittel. Die Reform ist das Ergebnis leerer Justiz- und Bildungskassen.
Gibt es also einen Grund für eine unkritische Begeisterung? Lassen Sie uns schauen, ob wir wirklich Grund zur Begeisterung finden können. Es klang im Referentenentwurf noch verheißungsvoll, wenn von den Fähigkeiten, das geltende Recht unter Berücksichtigung seiner philosophischen, geschichtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen anwenden zu können, gesprochen wurde. Aber eine Veränderung des Bestehenden war darin nicht zu sehen. Nun ist die Formulierung auf ein Normalmaß zurechtgestutzt worden: Es geht farblos darum, das Recht nach fachlichen und allgemeinen Kenntnissen sowie praktischen Fähigkeiten anzuwenden. Ist das schon die Einsicht, dass die vorhandenen Ziele und Ausbildungsbestimmungen ebenso vollmundig klangen? Wer sich einmal in juristischen Fachbereichen umschaut, wird feststellen, dass die Rechts-wirklichkeit eine gänzlich andere ist.
Positiv zu bewerten ist, dass künftig Praxisaspekte schon in das Studium integriert werden sollen, etwa Verhandlungs- und Vertragsgestaltungstechnik. Mit Blick auf das sich einigende Europa und die globalisierende Welt ist auch der geplante qualifizierte Fremdsprachenerwerb von großer Bedeutung. Im Interesse der Studierenden liegt auch die Schaffung eines Ausbildungsverbundes für die künftige Juristenausbildung im Rahmen einer verstärkten Kooperation zwischen Berlin und Brandenburg. Das war es. Mehr Schmackhaftes werden wir an dieser Frucht nicht finden.
Wie sieht es unter der knackigen Schale wirklich aus? Hinter dieser Reform verbirgt sich der schlecht bemäntelte und untaugliche Versuch, den veränderten Bedingungen in der Welt und auf ihren Märkten mit noch mehr Lern- und Prüfungsstoff zu begegnen. Wirkliche Strukturveränderungen werden nicht vorgenommen. Das ist keine moderne Nachwuchsbildung; denn welches Leitbild wird dem Vorhaben vorangestellt? - Es ist nicht der in Verantwortung für Menschenrechte und Demokratie gebildete allseits einarbeitungsfähige Einheitsjurist. Es ist das Leitbild einer technokratischen, marktgängigen und selbstredend standesbewussten Berufsanfängerelite von der Stange.
Es fehlt an beherzten Schnitten in die ausufernde Stofffülle. Wir brauchen das methodologische Rüstzeug und die bessere Vermittlung der damit verbundenen geistesgeschichtlichen, sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen. Das Strukturwissen muss stärker in das Zentrum der zukünftigen Ausbildung gestellt werden. Tatsächlich wird dem heute schon zu detaillastigen Studium munter Neues hinzuaddiert und mit dem wohlfeilen Hinweis auf die Internationalisierung des Marktgeschehens versehen.
Der vorliegende Entwurf begegnet der Internationalisierung des Marktgeschehens in ganz und gar unglücklicher Weise. Die Beherrschung einer Vielzahl neuer Rechtsformen in Europa und global erfordert den sicheren Umgang mit den tragenden Systemelementen des Rechts und nicht die Wiedergabe unzähliger gesetzgeberischer Abirrungen und detaillierter Entscheidungsinhalte von Spruchkörpern. Es geht nicht um Masse, sondern
um Qualität. Die Universitätsausbildung muss endlich auf die Praxis vorbereiten. Zeigen Sie mir doch einmal das juristische Berufsfeld, in dem ohne Zuhilfenahme von Kommentarliteratur und Rechtsprechung in fünf Stunden ein lebensfremder Streitfall einem sachgerechten Ergebnis zugeführt wird. Das ist Praxisferne hoch fünf.
Wer von Stoffreduzierung respektive Restrukturierung nicht reden will, soll von Ausbildungsreform schweigen. Wem nützt es? - Jedenfalls nicht den Studierenden. Ich bezweifle auch, ob es den Interessen des oft und gerne beschworenen Marktes nutzt, wenn der junge Rechtsanwalt in seiner Beratungs- oder der Richternachwuchs in seiner Entscheidungspraxis schön parlieren, aber nicht die beteiligten Interessen zum Ausgleich bringen kann, weil ihm die soziale Kompetenz fehlt. Der Vorbereitungsdruck für die Prüfungen verschafft wohl nur dem Repetitorgewerbe eine Zukunft.
Schließlich sei bemerkt, dass die Reform einen weiteren Markstein bei einer Gesamttendenz hin zur Elitenbildung setzt. Ich verweise auf Auswahlgespräche und Zwischenprüfungen. Vernachlässigt wird jedoch die Lebens- und Erwerbssituation der Studierenden wie gesellschaftspolitisches Engagement und Teilzeitstudium. Hier findet keine Qualitätssteigerung, sondern Ausmusterung durch Leistungsdruck statt. Statt das Personal in Forschung und Lehre endlich dem Bedarf anzupassen, wird eine Auslese der vermeintlich Besten betrieben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind nicht die vermeintlich Besten, um die ich mich sorge, sondern die vermiedenen Besseren. Die Autoren der Reform hätten im Effekt namhafte Juristen glattweg an ihrer Entwicklung gehindert, beispielsweise Gustav Radbruch, Rechtsphilosoph, Reichsjustizminister, Strafrechtsreformer, dessen juristischen Genius wohl niemand trotz seiner Examensnote 4 bestreiten dürfte.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die juristische Ausbildung schon immer auch einen anderen Zweck verfolgt hat als die Vorbereitung auf Richteramt und anwaltliche Tätigkeit. Sie sollte offenen und zugänglichen Einblick in die Strukturen von Macht- und Verantwortungsbezügen für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen leisten. Insoweit hat das Wort vom Recht als Herrschaftswissen nach wie vor Berechtigung. Es geht darum, auch breiten Bevölkerungskreisen ohne eine Preselection zunächst den Blick über den Zaun ins Zentrum der Macht zu ermöglichen...
... - ich komme zum Schluss - und damit die Mittel zu seiner demokratischen Beeinflussung und Veränderung an die Hand zu geben. Dies riskiert der vorliegende Gesetzentwurf. Er würde dann keinen guten Beitrag für unsere Demokratie leisten. Deswegen schmeckt mir diese Frucht noch nicht.
Der Überweisung stimmen wir zu. Dem aufgemachten Zeitdruck können wir nicht zustimmen; denn der Gesetzentwurf sollte hier schon Anfang des Jahres in 1. Lesung behandelt werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur technischen Seite ist eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Frau Ministerin Richstein hat das ausführlich und detailliert dargestellt.
Ich möchte noch auf drei Sachen hinweisen. Das Land hat nur begrenzte Möglichkeiten, dieses Gesetz auszugestalten, da der Bund mit Änderung des Deutschen Richtergesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung einen Rahmen gesetzt und auch vorgegeben hat, welche Bereiche wir ausbauen können. Das ist leider - da muss ich Ihnen, Herr Sarrach, Recht geben - ein bisschen spät für uns im Ausschuss geschehen.
Das Gesetz oder, wenn man davon sprechen will, die Reform der Juristenausbildung an sich ist natürlich kein großer Schritt. Davon kann man wirklich nicht sprechen. Es wird auch als Modernisierung bezeichnet und ist eine Anpassung an die Zeit. Die Anpassung besteht im Wesentlichen darin - ich will nicht alles wiederholen -, dass die Ausbildung an der Universität praxisnah gestaltet wird mit Schwerpunktbereichen, die die Uni vorgibt und in denen sie auch die Prüfungen abnimmt, zweitens in der Nichtverbeamtung in der Zeit des Vorbereitungsdienstes, drittens in der verlängerten Ausbildung von Anwälten - jetzt sind es neun Monate, früher waren es vier Monate - und in dem Fremdsprachennachweis, der erfolgen muss.
Warum erhöht man die Ausbildungsdauer bei den Rechtsanwälten von vier auf neun Monate? Ich bin selbst im Richterwahlausschuss und weiß, wie wenige Richter- und Staatsanwaltsstellen sowie sonstige Stellen zur Verfügung stehen. Die meisten Absolventen werden also Rechtsanwälte werden müssen. Ich sage bewusst „müssen“, weil keine anderen Stellen vorhanden sind - weder in der Verwaltung oder bei den Behörden, weder für Richter noch Staatsanwälte. Notare lassen wir einmal außen vor; da ist es dasselbe in Grün.
Also bleibt ihnen nur der eine Weg. In Deutschland sind es jährlich etwa 800 Absolventen, die Anwalt werden. Nach dem zweiten Staatsexamen kann man Anwalt werden; das ist relativ leicht zu machen. Man kann eine Kanzlei eröffnen und ist Anwalt. Hierfür sind die jungen Absolventen jedoch zu wenig ausgebildet. Deshalb gibt es auch die Spezialausbildung, teilweise mit Rhetorik, Vernehmungstaktik, Unternehmensführung und Ähnlichem, was jetzt neu hinzukommt. Hinzu kommen der Fremdsprachennachweis und damit verbunden natürlich die Möglichkeit, im Ausland - begrenzt - zu studieren und Prüfungen abzulegen, wenn auf dem Niveau geprüft wird, das wir von unseren Universitäten erwarten.
Die Ausbildung der Anwälte erfolgt nun zielgerichteter, umfangreicher, genauer und kann für vier Monate auch bei Notaren oder anderen Rechtsorganen erfolgen. Das wird gleichfalls angerechnet.
Meine Damen und Herren, es ist kein großer Sprung, aber es ist zeitgemäß und für die Absolventen und letztendlich in begrenztem Umfang auch für die Universitäten erforderlich.
Eines möchte ich noch ansprechen: Wir werden bemüht sein - jedenfalls die SPD und sicherlich auch die CDU -, den Terminplan einzuhalten; denn das Bundesrecht tritt am 1. Juli 2003 in Kraft. Unser Gesetz sollte zum gleichen Termin in Kraft treten.
Am 7. Mai haben wir eine Anhörung vereinbart. Die Sitzung des Rechtsausschusses dazu findet am 8. Mai statt. Es wird sehr knapp und heiß, wenn wir das Gesetz noch vor der Sommerpause im Landtag verabschieden wollen, aber wir werden uns bemühen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihren Optimismus, Frau Ministerin Richstein, teile ich nicht; denn der Gesetzentwurf ist in der vorliegenden Fassung trotz einiger positiver Veränderungen nicht dazu geeignet, dem festzustellenden Reformbedarf Rechnung zu tragen. Daher werden wir als DVU-Fraktion diesem Entwurf in seiner jetzigen Form nicht zustimmen können.
Wegen des aus unserer Sicht gegebenen dringenden Reformbedarfs werden wir uns einer Verweisung in den Fachausschuss aber nicht versagen und haben stattdessen ebenfalls eine Anhörung im Ausschuss beantragt.
Ich möchte Ihnen erläutern, welche Mängel wir sehen und welche Möglichkeiten erörtert werden sollten: Erstens hält die DVU-Fraktion schon die dem Gesetzentwurf vorangestellte Problemdarstellung für zu kurz gegriffen und unzureichend.
Unter demselben Mangel leidet aus meiner Sicht allerdings auch das Gesetz zur Reform der Juristenausbildung des Bundes vom 17. Juli 2002. Die dortigen Defizite werden wir als Landesgesetzgeber so weit wie möglich korrigieren müssen. Das aber gelingt mit diesem Gesetzentwurf erkennbar nicht.
Um es Ihnen ganz klar zu sagen: Die Probleme der Juristenausbildung sind nicht allein dadurch zu lösen, dass eine verstärkt anwaltsorientierte Ausbildung geschaffen wird.
Die juristische Ausbildung und die beruflichen Aussichten junger Juristen kranken seit Jahren hauptsächlich aus drei Gründen: Zum einen ist die Ausbildungsdauer zu lang. Dazu tragen Wartezeiten zwischen Studium und Referat sowie die Korrekturzeiten während beider Examen wesentlich bei.
Des Weiteren sind die Berufsfelder der Absolventen gegenüber früher wesentlich verengt. Das hat mehrere Gründe: In Justiz und Verwaltung werden weitaus weniger Volljuristen benötigt als früher. Hier regiert der Rotstift wegen der desolaten Staatshaushalte in Form von Einstellungsstopps.
Zudem werden heute in vielen Bereichen der Wirtschaft Volksund Betriebswirte bzw. Sozialwissenschaftler den Volljuristen vorgezogen. Die Gründe dafür liegen in der Tat in den Inhalten der Juristenausbildung.
Aus diesen beiden Gründen sind heute die meisten jungen Juristen von vornherein auf den Anwaltsberuf beschränkt. Die Anwaltschaften sind allerdings schon heute von einer Anwaltsschwemme gekennzeichnet.
Vor etwa zehn Jahren, meine Damen und Herren, hatten wir etwa 60 000 Anwaltszulassungen in Deutschland. Heute sind es bereits 100 000. Die Entwicklung ist fatal. Die Zunahme der Anwaltszulassung findet keine Entsprechung in einem Mehr an Fällen oder Beratungsbedarf. Auf die Dauer hat diese Entwicklung die Herausbildung eines so genannten Anwaltproletariats zur Folge mit voraussichtlich negativen Auswirkungen für die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land; denn auch Rechtsanwälte sind Organe der Rechtspflege.
Den soeben umrissenen Problemen wird der Gesetzentwurf der Landesregierung in keiner Weise gerecht. Durch die einseitige Orientierung auf den Anwaltsberuf als Reformziel werden die Missstände nicht beseitigt, sondern verstärkt.
Zweitens: Wir werden jungen Juristen nur helfen können, wenn wir die Fehlentwicklung der letzten Jahre korrigieren.
Genau das aber tut der Gesetzentwurf nicht. Dafür müssen wir nämlich zweierlei tun: Einerseits - das ist sicherlich richtig müssen wir von der heutigen einseitigen Orientierung auf den Richterdienst weg.
Andererseits müssen wir bei Beibehaltung des Volljuristen und der Zweistufigkeit der Juristenausbildung den jungen Juristen neue Berufsfelder eröffnen. Diese können aber nur in der Wirtschaft liegen, das heißt in Betrieben und bei Versicherungen, also exakt dort, wo jungen Juristen in den letzten Jahren Berufsfelder weggebrochen sind. Dazu bedarf es der Vermittlung von kombiniertem juristischem und wirtschaftlichem Wissen in der Ausbildung. Dieses dringende Problem löst der Entwurf der Landesregierung in keiner Weise.
Mein letzter Gedanke: Schließlich müssen innerhalb der juristischen Ausbildung Möglichkeiten von berufsqualifizierenden Abschlüssen unterhalb der Stufe der Volljuristen geschaffen werden. Auch das sieht der Gesetzentwurf der Landesregierung nicht vor.
Es besteht also, meine Damen und Herren, ausreichend Diskussionsbedarf. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, in einem Punkt sind wir uns einig, nämlich dass die Juristenaus
bildung dringend reformiert werden muss. Diese Forderung ist nun wahrlich schon alt. Es wurde seit Jahrzehnten darüber geredet. Entscheidendes ist in den zurückliegenden Jahren jedoch nicht passiert.
Nun kann man verschiedene Sichtweisen auf den Gesetzentwurf haben, so wie sie von den Kollegen der Opposition vorgetragen wurden. Nur finde ich es unredlich, Kollege Sarrach und Kollege Schuldt, der Landesregierung bzw. der Justizministerin die Schuld dafür zu geben. Wir haben lediglich - das ist mehrfach betont worden - ein Bundesgesetz auszufüllen. Diesbezüglich können wir sicherlich nicht über den Rahmen hinausgehen, den uns das Bundesgesetz vorgibt. Insofern ist der Adressat in diesem Falle falsch. Da müssen Sie schon, liebe Kollegen von der Opposition, den oder die richtigen Adressaten benennen.
Ich will nicht verhehlen, dass man in diesem Gesetz - ich meine damit das Bundesgesetz - sicherlich noch Defizite sehen kann, dass nichts so gut ist, als dass es nicht noch besser gemacht werden kann und dass es möglicherweise auch noch nicht der große Wurf ist. Nur wissen Sie selbst, wie lange Diskussionen um Reformen von Ausbildung an unseren Universitäten - darunter insbesondere in der Juristenausbildung - dauern. Das ist nicht von heute auf morgen zu packen. Deswegen stimme ich Ihnen in einem Punkt zu, den Sie zwar nicht expressis verbis aussprachen, dass man die Diskussion weiterführen muss und noch eine Menge tun kann, um die Ausbildung zu verbessern.