Protocol of the Session on March 6, 2003

Ich frage deshalb die Landesregierung, mit welchen Maßnahmen sie den absehbaren negativen Folgen des offensichtlichen

Paradigmenwechsels der Bundesanstalt für Arbeit in der Arbeitsmarktförderung begegnen wird.

Das Wort geht erneut an Minister Baaske. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Richtig ist, Herr Abgeordneter Thiel, dass die Bundesanstalt heute auf die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt mehr Wert legt. Richtig ist auch, dass das natürlich Folgen für die Einbeziehung bestimmter Zielgruppen in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik hat. Das heißt aber auch, dass wir uns um die Neustrukturierung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe einen Kopf machen müssen, wenn wir beide Elemente im nächsten Jahr intensiv zusammenführen wollen. Das heißt auch, dass wir die Arbeitsmarktpolitik zwischen Bund und Ländern mittelfristig neu austarieren müssen.

Der wichtigste Punkt und damit das Hauptproblem für uns ist jedoch, die Zielgruppen über ABM in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Das entspricht nach der geltenden Rechtslage - ich bin zehn oder elf Jahre im ABM-Ausschuss des Arbeitsamtes Potsdam tätig gewesen - der Quadratur des Kreises. Denn erstens muss diese ABM eine zusätzliche ABM sein. Das heißt, eigentlich darf niemand vorher einmal daran gedacht haben, dass im Rahmen dieser ABM vorgesehen ist, eine Tätigkeit auszuüben. Außerdem muss das, was da passieren soll, weit weg sein vom ersten Arbeitsmarkt, sodass man Wirtschaftsunternehmen nicht gefährdet. Das halte ich auch für richtig. Drittens wollen wir uns obendrein mit Zielgruppen beschäftigen, das heißt mit Personen, deren Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt seit Jahren nicht gelungen ist, also insbesondere Schwerbehinderte, Ältere, Langzeitarbeitslose usw.

Wer sich nun noch über eine schlechte Eingliederungsbilanz aufregt, weiß offensichtlich nicht, worüber er spricht. Denn diese drei Hindernisse machen deutlich, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, diese Zielgruppen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir haben uns mit dem Landesarbeitsamt über eine Größenordnung verständigt. Ich sagte das gestern bereits. Es sollen in diesem Jahr 15 000 Menschen durch ABM und SAM gefördert werden.

Ich kann auch hier deutlich unterstreichen: Die Kofinanzierung des vom Arbeitsamt in diesem Jahr angestrebten Zieles ist seitens der Landesregierung durch den Nachtragshaushalt, wenn er wie vorgesehen in Kraft tritt, gesichert. Landesarbeitsamt und Arbeitsämter in Brandenburg haben zudem versprochen, die von uns kofinanzierten Projekte vorrangig zu bewilligen. Damit kämen wir auch schnell dahin, dass Maßnahmen, die innerhalb unserer SAM-Kontingente „Soziale Dienste“ gefördert werden sollten, bewilligt werden. Sollte das an der einen oder anderen Stelle nicht klappen, sind wir gern bereit, mit dem Arbeitsamt zu reden.

Ich will noch einmal deutlich machen, dass es sich nach meiner Auffassung gerade bei sozialen und soziokulturellen Projekten anbietet, die Konflikte zwischen der problematischen Zielgruppe, der Marktferne, die wir einhalten müssen, und dem öffentlichen Interesse einerseits sowie der notwendigen öffentlichen Beschäftigung andererseits zu lösen, wenn man sich darauf

verständigt, dass hiermit Menschen ohne Marktchancen eine sinnvolle Arbeit gegeben wird, ohne dabei in erster Linie auf die Vermittlungsquote zu achten. Ob man das nun steuer- oder beitragsfinanziert durchführt, sei dahingestellt. Darüber kann man sich streiten.

Es müssen natürlich noch viele Details diskutiert werden. Das haben wir - ich sagte es gestern - in einem Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit dargestellt. Da entbrennt der Streit dann wirklich; denn dann geht es um die Höhe der Bezahlung. Natürlich darf eine Beschäftigung in ABM finanziell nicht so interessant sein, dass dadurch ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt verhindert wird.

Ich glaube - das will ich offen sagen -, dass wir auch die Sinnhaftigkeit einiger Projekte untersuchen müssen. In Zeiten, in denen viel Geld vorhanden war - ich erinnere an den Anfang der 90er Jahre, 1993/94 -, war natürlich einiges machbar, was man sich heute sehr gut überlegen muss und von dem ich denke, dass man dort noch einmal genauer hinschauen sollte. - Danke.

Wir beginnen mit dem Fragesteller. Bitte, Herr Thiel.

Ich hatte zwei Nachfragen. Die erste haben Sie schon beantwortet. Sie bezog sich auf den allmählichen Übergang zur Steuerfinanzierung gesellschaftlich notwendiger Projekte.

Deswegen gleich die zweite Frage: Herr Minister Baaske, wie stehen Sie persönlich zu einer auf Vorschlag des Arbeitsministers Helmut Holter, PDS, abgestimmten Initiative der ostdeutschen Arbeitsminister, die zu einem Konjunkturaufschwung und durch Innovation in der Arbeitsmarktpolitik zu mehr Arbeitsplätzen auch im Land Brandenburg führen könnte?

Herr Abgeordneter Thiel, der Vorschlag von Herrn Holter ist zusammen mit dem Vorschlag von Herrn Gillo in unserem Haus eingetroffen. Wir prüfen ihn gerade. Zu gegebener Zeit werde ich mich dazu äußern.

Frau Dr. Schröder, bitte.

Herr Baaske, halten Sie AB-Maßnahmen, die nun längstens sechs Monate dauern, aus der Sicht öffentlicher Daseinsvorsorge und natürlich auch aus der Sicht der Betroffenen überhaupt noch für tauglich?

Das ist ein schwieriges Feld. Wenn wir sehen, dass es inzwischen in Brandenburg 100 000 Langzeitarbeitslose gibt, und dabei im Blick haben, wie wenig Geld wir für diesen Bereich zur Verfügung haben, ist es aus Sicht der Initiatoren der Projekte und aus Sicht derjeniger, die in ABM gehen, sicherlich

schwer zu verstehen, warum die Maßnahmen nur ein halbes Jahr laufen.

Die vielen Tausend Arbeitslosen, die eine solche Maßnahme nicht in Anspruch nehmen können, haben wiederum eine völlig andere Perspektive: Sie wollen wenigstens ein halbes Jahr überbrücken. Insofern ist es gerechtfertigt, die Maßnahmen zu splitten. Bezüglich der Projekte selbst ist dies jedoch nicht immer sinnvoll. Es sollte, wie ich es vorhin dargestellt habe, eine Umstrukturierung dahin gehend vorgenommen werden, dass man sich auf sinnvolle Projekte für die entsprechenden Zielgruppen verständigt. - Danke.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Sie können gleich am Rednerpult bleiben; denn Frau Fechner hat jetzt Gelegenheit, die Frage 1509 („Ecstasy - If you do it - do it right!“ - Broschüre der Jugend- kulturfabrik Brandenburg e. V.) zu formulieren.

Die Jugendkulturfabrik Brandenburg e. V. in Brandenburg an der Havel publizierte mithilfe kommunaler Mittel eine Broschüre mit so genannten drogenpolitischen Forderungen. In dieser Broschüre wird unter anderem dafür geworben, dass sanktionierende Maßnahmen in Bezug auf den Drogenkonsum unterbleiben sollen. Des Weiteren wird vorgeschlagen, Apotheken oder auch freie Träger könnten als Abgabestellen für Ecstasy-Tabletten fungieren, und in Diskotheken, insbesondere Technoclubs, solle eine routinemäßige Analyse von Drogen auf deren physische Verträglichkeit hin ermöglicht werden. Die Broschüre endet mit einer aus sechs Punkten bestehenden Anleitung zu einem so genannten risikofreien Drogenmissbrauch.

Ich frage die Landesregierung: Welche rechtspolitische Meinung hat sie zu dem Inhalt dieser Broschüre und den in meiner Vorbemerkung genannten Vorschlägen und Forderungen?

Herr Minister, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Drogen“ bedeutet immer eine Gratwanderung - in politischer, sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht. Wir sollten aber nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir das Problem nicht, könnten es vom grünen Tisch aus bewältigen und die Jugendlichen würden schon auf uns hören. Heute sind einige Jugendliche anwesend, die erleben, dass man über das Thema auch politisch debattieren kann.

Unter dem Aspekt einer, wie wir es nennen, „akzeptierenden Drogenarbeit“ ist die Broschüre ein Versuch, die Jugendlichen in ihrer jeweiligen Lebenssituation abzuholen und an ihre Erfahrungen anzuknüpfen. Ein - leider immer größer werdender - Teil unserer Jugendlichen macht Erfahrungen mit illegalen Drogen. Akzeptierende und aufklärende Drogenarbeit gibt Hinweise, wie die Gesundheitsrisiken gering gehalten werden können, weist

aber auch auf die Gefahren hin, und zwar in der Weise, dass sie von den Kindern und Jugendlichen auch wahrgenommen werden. Wenn wir nur in schwarz-weiß gedruckten Broschüren, wie sie an vielen Stellen herumliegen, aufklären, erreichen wir die Kids nicht und sie werden sich der Gefahren nicht bewusst.

Ich will allerdings auch sagen, dass ich die Rechtstipps in der Broschüre, das heißt die Hinweise darauf, wie man sich zum Beispiel Kontrollen entziehen kann oder auf sie reagieren soll, für sehr problematisch halte. Ich bin darüber nicht sehr glücklich.

Frau Fechner, man kann der Broschüre aber nicht unterstellen, sie enthielte Anleitungen zum risikofreien Drogenmissbrauch. In dem Flyer wird ausdrücklich festgestellt: Ein risikofreier Drogenmissbrauch ist niemals möglich. Ebenso werden die Gefahren des Ecstasy-Konsums ausführlich geschildert.

Mit der Forderung, so genannte weiche Drogen zu legalisieren, steht die Jugendkulturfabrik übrigens nicht allein da; auch auf Bundesebene wird über diese Möglichkeit in vielen Gremien diskutiert. Sie wissen aber, dass Brandenburg dazu eine andere Auffassung hat. Die Position der Legalisierung steht aber im Raum und wir werden die Diskussion darüber auch noch in den nächsten Jahren führen. - Ich danke Ihnen.

Es gibt noch Klärungsbedarf. Frau Fechner, bitte.

Herr Minister Baaske, Sie kennen die Broschüre. Sie enthält eindeutig Hinweise, wie man zum Beispiel mit Pilzen umgeht. Ihr Kollege Minister Reiche hat einmal gesagt, Ziel der Prävention dürfe es nicht sein, Jugendliche besser zu befähigen, mit Drogen umzugehen.

Meine Fragen an Sie lauten:

Erstens: Inwieweit ist die Broschüre zur Drogenprävention geeignet?

Zweitens: Inwieweit dürfen Jugendeinrichtungen solche Broschüren eigenständig erstellen?

Drittens: Was wird die Landesregierung unternehmen, damit solche Broschüren mit ziemlich umstrittenem Inhalt in Zukunft nicht mehr mit öffentlichen Mitteln finanziert werden?

Frau Fechner, erstens ist die Jugendkulturfabrik e. V. ein freier Träger, der juristisch selbstständig ist und damit selbst die Verantwortung für sein Tun tragen muss. Zu diesem Zweck gibt es einen Vorstand, der das kontrollieren kann und sollte; dies kann nicht unsere Aufgabe sein, es sei denn, es gibt rechtliche Gründe für ein Einschreiten von unserer Seite bzw. vonseiten der Justiz. Der vorliegende Fall liegt auf der Grenze. Frau Kollegin Richstein kann es sich noch einmal anschauen, aber ich gehe davon aus, dass Gründe für ein Einschreiten noch nicht gegeben sind.

Es hat im Übrigen keinen Sinn zu leugnen, dass wir Todesfälle,

die im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch stehen, zu beklagen haben, weil Kinder und Jugendliche nicht ermessen können, wie weit sie gehen dürfen. Wenn Drogen genommen werden, dann hat es keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen, sondern dann hilft nur noch Aufklärung über das Gefahrenpotenzial dieser Drogen, insbesondere darüber, dass sie ab einer bestimmten Dosis tödlich wirken. Darauf weist auch die Broschüre hin. Wenn zum Beispiel angeführt wird, dass ein Spritzenbesteck sauber sein muss, dann bedeutet das noch keine Anleitung zum Spritzen von Drogen, sondern lediglich die Aufforderung: Wenn ihr schon spritzt, dann achtet darauf, wie ihr es tut! - Danke.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und PDS)

Ich danke auch. - Die Frage 1510, die der Abgeordnete Dellmann stellen wollte, ist zurückgezogen worden. Damit sind wir bei der Frage 1511 (Drogenkonsum steigt weiter an), gestellt vom Abgeordneten Senftleben. Bitte sehr.

Laut dpa-Meldung vom 18. Februar dieses Jahres ist der Drogenkonsum bei Jugendlichen in Deutschland nach Angaben von Experten drastisch gestiegen. Zugleich wird kritisiert, dass es erhebliche Mängel bei Prävention und Therapie gibt. In zunehmend jüngerem Alter geraten Menschen mit Suchtmitteln in Kontakt. Insbesondere der Konsum von Party-Drogen soll drastisch zugenommen haben. So konsumieren in Ostdeutschland ca. 6,5 % der befragten Jugendlichen Ecstasy. Es wird angemahnt, dass es neuer präventiver Ansätze bedarf; denn die Konzepte für Erwachsene sind nicht auf Kinder und Jugendliche übertragbar.

Ich frage deshalb die Landesregierung: Mit welchen Konzepten will sie dem steigenden Drogenkonsum von Kindern und Jugendlichen wirkungsvoll begegnen?

Zur Beantwortung der Frage hat erneut Herr Minister Baaske das Wort. Bitte sehr.

Wie ich vorhin schon sagte, sind Drogen längst im Alltag angekommen. Wir haben das Problem, dass der Konsum illegaler Drogen steigt, vor allem bei Jugendlichen. Dies betrifft besonders die so genannten weichen Drogen, zum Beispiel Ecstasy und „Gras“.

Es muss aber deutlich gesagt werden: Zuerst steigt der Konsum legaler Drogen, vor allem der Einstiegsdrogen Alkohol und Nikotin. Kinder beginnen in immer jüngerem Lebensalter mit dem Rauchen und Trinken. Alkohol und Nikotin sind Suchtmittel mit weit reichenden Spätfolgen sowohl in persönlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht.

Es ist ein wichtiges Handlungsziel unseres Landesprogramms gegen Sucht, dem zu begegnen. Rechtzeitige und zielgerichtete Prävention ist uns wichtig. Das Landesprogramm enthält neue präventive Ansätze, zum Beispiel die so genannten PeerGroups, das heißt, Jugendliche werden ausgebildet, mit anderen

Jugendlichen über die Problematik zu reden. Für uns Erwachsene ist es mitunter sehr schwer, an die Kids heranzukommen und sie für das Problem aufzuschließen. Mit den genannten Maßnahmen wollen wir Zugang zu den Jugendlichen finden.

Brandenburg hat zudem das Bundesmodell „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten“ entwickelt, das in Potsdam und Hennigsdorf erprobt wird. Wir müssen Jugendliche so früh wie möglich erreichen. Das ist das Ziel des Projektes. Es wird im Auftrag der Landessuchtkonferenz zurzeit evaluiert. Gleichzeitig wird geprüft, wie wir es auf ganz Brandenburg ausdehnen können.

Es ist eine große gesellschaftliche Herausforderung, dem Drogenkonsum beizukommen. Das kann niemand allein bewältigen. Dazu sind in erster Linie und zuvorderst die Eltern gefragt, aber auch Lehrer, Ausbilder und Verwandte; alle sind in der Pflicht. Wir müssen den Eltern immer wieder Hinweise geben, worauf sie achten sollten. Wie sehen beispielsweise die Pupillen aus, wenn Kinder und Jugendliche geraucht haben? Welche Instrumente lassen darauf schließen, dass zu Hause illegale Drogen konsumiert werden? Der Lehrer muss darauf achten, was in der Klasse, aber auch was außerhalb des Schulzauns passiert. Ich meine, dass auch jeder Ausbilder gefragt ist, wenn es um seinen Umgang mit den Azubis geht.