Protocol of the Session on March 5, 2003

Durch Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Niedergang und Steuererhöhungen geraten immer mehr Privathaushalte im Land Brandenburg in die Schuldenfalle. Umso wichtiger ist die Arbeit der Schuldner- und Insolvenzberatungen. Oft bleibt nur noch die Möglichkeit, private Insolvenzverfahren durchzuführen, wozu man aber einen langen Atem und gute Berater braucht. Die Landesregierung will die Landeszuschüsse für die Schuldnerberatungsstellen in diesem Jahr um etwa 40 % kürzen.

Ich frage daher die Landesregierung: Werden die radikalen Kürzungen im Bereich der Schuldnerberatung dazu führen, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger im Land Brandenburg wegen fehlender Beratung als Sozialhilfeempfänger in die Armutszone abrutschen?

Herr Minister Baaske, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Folgendes voranstellen: Ich bezweifle stark, dass jemand aufgrund von Steuererhöhungen plötzlich Schuldner wird und die Beratungsstelle aufsuchen muss. Vielmehr liegt das vielfach daran, dass der Betreffende viele Jahre keine Steuern gezahlt hat und das Finanzamt ihm auf die Schliche gekommen ist, sodass er dann zahlen und womöglich tatsächlich in die Beratungsstelle bzw. zur Insolvenzberatung gehen muss.

Ich halte es auch nicht für sachgerecht zu behaupten, dass jemand aufgrund fehlender Beratung in die Armutsfalle rutscht bzw. deshalb in Insolvenz gerät. Vielmehr ist der Betreffende in der Regel schon vorher verarmt und Sozialhilfeempfänger bzw. Schuldner geworden oder gerät in die Insolvenz und muss sich dann an die entsprechenden Beratungsstellen wenden.

Zum anderen muss man Folgendes deutlich auseinander halten: Wenn wir über Schuldnerberatungsstellen sprechen, dann sind das kommunale Aufgaben. Das sind Aufgaben, die die örtlichen Träger der Sozialhilfe nach § 17 BSHG zu leisten haben. Worüber wir als Land uns unterhalten müssen, ist die Insolvenzberatung nach der Insolvenzordnung. Diese Beratung wird von uns auch finanziert, das heißt nicht nur bezuschusst, sondern aufgrund der abgerechneten Leistungen der Insolvenzberatungsstellen regelrecht als Leistung finanziert. - Danke.

Es gibt noch Klärungsbedarf. Herr Claus, bitte.

Herr Minister, hat die Landesregierung angesichts des Wegfalls von 300 000 Euro für die Schuldnerberatungsstellen eine Ersatzlösung parat, um die verschuldeten Haushalte nicht im Regen stehen zu lassen? Denn es ist nicht so, wie Sie sagten, dass einige nur ihre Steuern nicht bezahlt haben, sondern es sind auch viele unverschuldet in diese Falle geraten.

Die zweite Frage: Welche Wartezeiten bestehen zurzeit für

Schuldner bei den Beratungsstellen und wie werden sich die Wartezeiten angesichts des Wegfalls von 300 000 Euro verlängern?

Ich habe nicht gesagt, dass die Leute, die die Beratungsstellen aufsuchen, dies deswegen tun, weil sie ihre Steuern nicht gezahlt haben. Es gibt auch viele Fälle, bei denen Schuldner völlig unverschuldet in diese Situation geraten sind. Insbesondere handelt es sich dabei um Insolvenzen.

Ich will es noch einmal deutlich sagen: Schuldnerberatung ist Sache der Kommunen, der örtlichen Träger der Sozialhilfe.

Deshalb kann ich auch nicht sagen, wie lang die Wartezeiten dort sind. Bei den Insolvenzberatungstellen ist zurzeit mit Wartezeiten von wenigen Tagen - so hörte ich es von einigen Fällen - zu rechnen. Ich bitte also zwischen Schuldnerberatung und Insolvenzberatung deutlich zu trennen. - Danke.

Danke sehr. - Wir sind beim zweiten Tausch. Die Abgeordnete Dr. Schröder tauscht die Frage 1498 von der aktuellen Liste mit der Frage 1520 (Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit 2003 ohne Bundeszuschuss), die ursprünglich morgen gestellt werden sollte. Bitte schön.

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit hat mehrmals betont, dass seine Behörde im Jahr 2003 erstmals seit 1987 ohne einen Bundeszuschuss auskommen will. Im Jahr 2002 wurden die Etatdefizite der Bundesanstalt durch Bundeszuschuss in Höhe von 5,6 Milliarden Euro ausgeglichen und dies bei einer jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 4,06 Millionen.

Alle seriösen Prognosen gehen davon aus, dass im Jahre 2003 eine deutlich höhere Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt zu erwarten ist. Diese negative Entwicklung zeichnet sich auch im Land Brandenburg ab. Aktuell stehen sich im Land Brandenburg die höchsten Arbeitslosenzahlen und die geringsten Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik seit der deutschen Wiedervereinigung gegenüber.

Ich frage daher die Landesregierung: Bewertet sie die derzeitige Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit als eine betriebswirtschaftliche Neuausrichtung der aktiven Arbeitsförderung zulasten einer sozialpolitisch orientierten Arbeitsförderung?

Herr Minister Baaske, Sie haben erneut das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verzicht der Bundesanstalt für Arbeit auf einen Zuschuss des Bundes ist aus Sicht der brandenburgischen Arbeitsmarktpolitik äußerst bedauerlich. Wir brauchen nach wie vor einen öffentlich geförderten Beschäftigungsmarkt in Größenordnungen, dies

allerdings nicht - das geht auch aus dem Hartz-Papier deutlich hervor - zulasten der Beitragszahler, sondern es muss dann eben auch steuerfinanziert werden. Es wäre durchaus sachgerecht und richtig gewesen, auch dieses Jahr wieder einen Zuschuss aus Steuermitteln in den Haushalt der Bundesanstalt zu holen,

(Beifall bei der PDS)

weil wir uns gerade für diejenigen - es gibt in Brandenburg inzwischen fast 100 000 Langzeitarbeitslose -, die kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, in diesem Bereich sehr stark engagieren müssen.

Die derzeitige Geschäftspolitik der BA orientiert sich am Versicherungsprinzip. Das heißt, wer bei uns langzeitig versichert ist, hat bestimmte Ansprüche. Wenn diese Versicherung diese Ansprüche nicht mehr gewährleisten kann, muss die Allgemeinheit dafür sorgen, dass diese Menschen eine reale Chance auf Teilhabe am Erwerbsleben haben. Das ist zweifelsohne eine Neuausrichtung, aber eben noch keine betriebswirtschaftliche.

Die Bundesanstalt ist nach wie vor - das muss man noch einmal klar sagen - sowohl nach § 1 - Allgemeine Geschäftspolitik -, als auch nach § 6 SGB III, wo wir uns den Passus über die Langzeitarbeitslosen anschauen können, ganz klar verpflichtet, sich um den betreffenden Personenkreis sehr intensiv zu bemühen. Insofern widersprechen die §§ 1 und 6 eigentlich dem betriebswirtschaftlichen Ansatz einer Arbeitsmarktpolitik, wie wir ihn heutzutage gerade im Osten Deutschlands brauchten.

Öffentlich geförderte Beschäftigung wird nach wie vor möglich sein. Das ist auch Gegenstand Ihrer Anfrage zu den Haushaltsmitteln, bei denen es nach dem jetzigen Stand der Dinge um die Dimension von etwa 15 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Brandenburg geht.

Wir sollten an dieser Stelle daran erinnern, dass im September bzw. Oktober vergangenen Jahres die Arbeitsminister der Ostländer in Brandenburg waren, dass sie im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Haushalts für die Bundesanstalt das Problem erkannten und einen entsprechenden Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit schrieben, in dem sie deutlich forderten, den Zuschuss auch in diesem Jahr wieder einzustellen. Leider hat die Selbstverwaltung in Nürnberg beschlossen, auf diesen Zuschuss zu verzichten. - Ich danke Ihnen.

Es gibt noch Klärungsbedarf. Frau Dr. Schröder, bitte.

Herr Baaske, der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Gerster, weist per Geschäftsanweisung die Landesarbeitsämter an, Integrationsleistungen davon abhängig zu machen, wie „teuer der Arbeitslose ist“. Wie bewerten Sie die massive Kritik der Gewerkschaften an dieser Geschäftspolitik?

Zweite Frage: Ich begrüße die auch von Ihnen angesprochene Richtung, Arbeitsförderung künftig eher steuer- als beitragsfinanziert zu regeln. Mit welchen konkreten Einflussmaßnahmen kann sich die Brandenburger Landesregierung hierzu auf Bundesebene einbringen?

Die zweite Frage habe ich letztlich schon beantwortet. Es gab den Brief an den Bundesminister. Es wird vonseiten des Vorsitzenden der ASMK - Herrn Holter aus Mecklenburg-Vorpommern - weitere Aktivitäten geben. Er wird sich intensiv darum bemühen, mit dem Bundesminister in Kontakt zu kommen, weil wir die ostdeutsche Situation natürlich noch einmal sehr deutlich klarstellen wollen.

Ansonsten habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass man sich in der Bundesanstalt zunächst einmal um den Personenkreis kümmert, der bei ihr regelrecht versichert ist. Andererseits brauchen wir eine bundespolitische Lösung für den Personenkreis, der vom Arbeitsmarkt abgeschlagen ist und bei dem für die nächsten Jahre keine Möglichkeit erkennbar ist - das gilt gerade für die Langzeitarbeitslosen, von denen bei uns ein großer Teil schon sechs bis sieben Jahre lang arbeitslos ist, und auch für die Schwerbehinderten -, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Gerade für diesen Personenkreis halte ich eine Steuerfinanzierung für äußerst angebracht.

(Beifall bei SPD und PDS)

Vielen Dank. - Wir sind damit bei der Frage 1499 (Familien- freundliches Brandenburg), gestellt von der Abgeordneten Bednarsky. Bitte sehr.

Bereits im vergangenen Jahr teilte die Landesregierung mit, dass das Land ein Programm „Familienfreundliches Brandenburg“ auflegen wird.

Deshalb frage ich die Landesregierung: Was wird dieses Programm angesichts der Kürzungen im sozialen Bereich beinhalten?

Herr Minister Baaske, Sie haben erneut das Wort.

Ich habe vorhin vergessen, einen guten Morgen zu wünschen. Guten Morgen!

Familienfreundlichkeit ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Ich nenne hier die Stichworte Schule, Bildung, Kindergärten, Ausbildung, Arbeit, wirtschaftliche Entwicklung, medizinische Versorgung, soziokulturelle Infrastruktur, Verkehrswege, Umfeld, soziale Kontakte. Die Qualität all dieser Dinge macht letztlich die Lebensqualität für Familien aus. Wie gut und wie schnell sie sich entwickelt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

Wir in Brandenburg haben einiges erreicht, was ein familienfreundliches Klima ausmacht und es auch fördert. Es gab schließlich den Auftrag an das MASGF, familienpolitische Handlungsfelder zu erarbeiten. Dies ist auch geschehen. Wir haben den Stand ermittelt und auf künftige Entwicklungen verwiesen.

Klar ist aber auch, dass wir zusätzliche Mittel nicht werden aufbringen können. Wir müssen angesichts der Steuerausfälle auch realistisch bleiben. Neue spezielle und dezidierte Programme für ein familienfreundliches Brandenburg wird es jetzt nicht geben können. Wir haben uns mit den Haushaltsprioritäten auf das Dringendste konzentriert. Zu mehr sind wir schlichtweg nicht in der Lage. Es tut sehr weh, das sagen zu müssen, aber es ist so, wie es ist.

Ich bin mir jedoch sicher, dass wir mit den in den letzten Jahren in Brandenburg entstandenen Strukturen ein gutes Fundament für Familien geschaffen haben. Brandenburg wird ein Land für Familien bleiben. Zu gegebener Zeit, so hoffe und denke ich, werden wir uns auch im Kabinett wieder mit erweiterten Handlungsfeldern und mit dezidierteren Problemen beschäftigen können.

Der erreichte Stand ist vorzeigbar. Wir haben kein Landesfamiliengeld, aber einen guten Status in vielen anderen Bereichen. Wir wollen hoffen, dass wir mit Aktivitäten vor Ort, in den Kommunen und im Ehrenamt, noch mehr erreichen können. Ich danke Ihnen.

Herzlichen Dank. - Die Frage 1500 (Kürzung der Kinderkos- tenpauschale für berlinnahe Gemeinden) wird Frau Kaiser-Nicht formulieren. Bitte.

Die Höhe der Kinderkostenpauschale, die das Land den Kommunen unter anderem für die Finanzierung der örtlichen Kindertagesbetreuung zuweist, berechnet sich nach geltendem Gesetz entsprechend der Zahl der Kinder, welche in den Gemeinden wohnen.

Das Landesjugendamt Brandenburg hat im Januar 2002 bei der Festsetzung des Landeszuschusses für Kindertagesstätten für die Gemeinde Neuenhagen bei Berlin 1 231 Kinder berücksichtigt. Im Gegensatz zum Vorjahr wurden die Kinder nicht berücksichtigt, die zwar in Neuenhagen bei Berlin wohnten, aber in Berlin betreut wurden. Das machte für die Gemeinde eine Differenz von 9 200 Euro aus. Der daraufhin eingelegte Widerspruch wurde vom Landesjugendamt abschlägig beschieden. Man begründete dies mit dem Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg über die gegenseitige Nutzung von Kita-Plätzen. Die Gemeindevertretung beschloss deshalb am 16. Dezember 2002 zu klagen.

Ich frage die Landesregierung: Teilt sie die vom Landesjugendamt vertretene Rechtsauffassung?

Das Wort geht an Minister Reiche. Bitte sehr.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Frau Kaiser-Nicht, ich teile die Rechtsauffassung des Landesjugendamts. Sie werden gleich erkennen, dass die Entscheidung nicht nur sinnvoll, sondern auch fair und außerordentlich gerecht ist.

Die Bezuschussung für die in Berlin betreuten Kinder aus der Gemeinde Neuenhagen bei Berlin erfolgt direkt an Berlin. Der Gemeinde Neuenhagen entstehen dafür also keine Kosten. Das Land erhielt für diese Kinder einen Zuschuss von 604,30 Euro pro Kind.

Dieser Zuschuss wurde für die Anzahl von Neuenhagener Kindern gezahlt, die über die Zahl der in Neuenhagen betreuten Kinder aus Berlin hinausgeht. Der Gemeinde wurden für diese Kinder Zuschüsse in Höhe von 543,06 Euro pro Kind nicht ausgezahlt. Das Land Brandenburg hat für die Betreuung der Neuenhagener Kinder in Berlin also mehr aus dem Solidarverbund aller Kommunen bzw. des Landes bezahlt, als die Gemeinde bekommen hätte. Anderenfalls hätte die Gemeinde die Kinderkostenpauschale erhalten, obwohl die Betreuung von ihr gar nicht finanziert wird. Dies wäre eine Übervorteilung gegenüber anderen Gemeinden, die die Kosten für die Betreuung aller Kinder aus der Kinderkostenpauschale sowie aus Kreiszuschüssen und Eigenmitteln decken müssen. Hätte die Gemeinde für die betreffenden Kinder eine Ausgleichszahlung direkt an Berlin leisten müssen, so hätte sie 91 % der jeweiligen Platzkosten zu tragen gehabt. Dies sind je nach Betreuungsart zwischen 5 460 und 7 280 Euro pro Kind und Jahr.

Deshalb ist das Vorgehen des Landesjugendamts nicht nur vertretbar, sondern es stellt nachgerade eine optimale Form dar, mit der eine Übervorteilung der Gemeinden, der so genannten Altfälle, die nach dem Staatsvertrag zur Kinderbetreuung zwischen Berlin und Brandenburg ihre Kinder in Berlin betreuen lassen, vermieden werden kann.