Protocol of the Session on November 13, 2002

Anliegen der PDS-Fraktion ist es vor allem - da wir dieses Gesetzgebungsverfahren nicht verhindern können -, in jedem Einzelfall zu fehlerfreien und vollständigen Abwägungsentscheidungen zu kommen;

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

denn die Abwägungsentscheidungen des Gesetzgebers gehen verfassungsrechtlich fehl, wenn nicht alle Gemeinwohlgründe sowie Vor- und Nachteile der Regelung umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen wurden. Die Abwägungsentscheidungen gehen erst recht fehl, wenn der Bürgerwille und das verfassungsrechtliche Gebot des am geringsten belastenden Eingriffs in das kommunale Selbstverwaltungsrecht missachtet werden.

Das heißt, dass das Amtsmodell und damit der Erhalt der rechtlichen Selbstständigkeit von Gemeinden auch im engeren Verflechtungsraum von Berlin zumindest eine Abwägungsalternative sein muss,

(Beifall bei der PDS)

die in den Gesetzentwürfen jedoch zumeist fehlt. Das galt für das Amt Ketzin im Vierten Gesetzentwurf genauso wie es für die berlinnahen Ämter Ahrensfelde/Blumberg, Wandlitz, Werneuchen oder Unteres Dahmeland im Fünften und Sechsten Gesetzentwurf gilt.

Nach den Erfahrungen der bisherigen Anhörungen, welche nur einen Bruchteil des Gesamtaufwandes - nach meiner Schätzung ein Achtel - ausmachen, ist offensichtlich, dass der Einzelfall nicht mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt werden kann. Das war - so vermute ich - auch zu keinem Zeitpunkt Ihr Anliegen, denn Sie scheinen sich Ihrer Sache sehr sicher zu sein.

Um den Sack möglichst schon jetzt zuzubinden, fassten die Vertreter von SPD und CDU am 5. November im Innenausschuss einen von ihnen eingebrachten Beschluss. Mit diesem macht sich der Innenausschuss das aus den Regierungsleitlinien entwickelte Leitbild der Gemeindegebietsreform schon einmal vorab zu Eigen und zum Maßstab der Anhörungen.

Herr Minister, es wäre gut gewesen, wenn Sie an der Anhörung am 23.10. teilgenommen hätten, auf der Prof. Schuppert von Leitbild und Systemgerechtigkeit als einem Irrbild der Scheinrationalisierung des Gesetzgebers sprach.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Sind Sie bereit, eine zweite Frage zuzulassen?

Ich würde diesen Punkt gern im Zusammenhang vortragen; dann erledigt sich vielleicht die Frage. Wenn nicht, könnte Kollege Schulze sie dann stellen.

Die Frage, welche Wirkung ein solch inhaltlich bedeutsamer Selbstbindungsbeschluss eines nicht beschließenden Ausschusses haben soll, führte zu recht hilflosen Reaktionen. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass die PDS diesem Beschluss nicht zugestimmt, sondern vielmehr alle geschäftsordnungsgemäßen Mittel zu seiner Verhinderung einzusetzen versucht hat.

Über dieses Vorgehen, nämlich neben der Auswertung der Anhörung vom 23.10.2002 auch - vor die Klammer gezogen - das Leitbild unverändert zu beschließen, hat vorher keine Verständigung stattgefunden. Der Antrag der Koalition - unausgegoren, weil mit heißer Nadel gestrickt, und keine Anregung der Anhörung aufgreifend - lag am Freitag vor. Ich hatte ihn am Montag in der Hand. Die Sitzung des Innenausschusses fand am Dienstag, also am Fraktionssitzungstag, um 12 Uhr statt. Ich hatte keine Gelegenheit, mit meiner Fraktion über den Antrag zu sprechen, was aber Voraussetzung für eine eventuelle Zustimmung gewesen wäre, wobei ich aber deutlich sagen will, dass dieser Antrag für uns prinzipiell nicht zustimmungsfähig ist.

Sie wollen ein von der Regierung fortentwickeltes Leitbild für das parlamentarische Verfahren übernehmen. Das hat die Wirkung, dass Ausnahmen von diesem Leitbild einer besonderen Begründung bedürfen. Sie wollen zum Beispiel vorab anerkennen, dass im engeren Verflechtungsraum nur noch Großgemeinden zuzulassen sind. Darüber ist unserer Auffassung nach das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Sie wollen den Bürgerentscheiden nur eine nachgeordnete Bedeutung zukommen lassen und stützen das auf die Sachverständigenanhörung. Dabei wird ignoriert, dass zum Beispiel Prof. Stüer in seinem Beitrag mehrfach vorgeschlagen hat, dass zumindest in den Fällen, in denen Gemeinden mehrere leitliniengerechte Entscheidungsmöglichkeiten haben, der Bürgerentscheid den Ausschlag geben soll.

Dies und die anderen Punkte des Beschlusses des Innenausschusses zielen nicht auf eine sorgfältige Einzelfallprüfung ab, sondern darauf, möglichst alle Löcher für Ausnahmeregelungen zu verschließen.

Ich habe Sie auf die fehlende Bindungswirkung dieses Beschlusses hingewiesen. Meine Auffassung ist, dass der Landtag im weiteren Verfahren frei in seiner Entscheidung bleibt, ob er sich das Leitbild zu Eigen macht oder nicht, ob er es abändert - wie es im Thüringer Gesetzgebungsverfahren geschehen ist - oder nicht. Das gilt bis zur 3. Lesung der Gesetzentwürfe.

Die PDS-Fraktion - ich muss Sie daran erinnern - hat mehrfach Alternativvorschläge unterbreitet. Unser letzter Antrag beinhaltete, nach dem Ablauf der Phase der Freiwilligkeit auf Zwangsgesetze zu verzichten und stattdessen unter Wahrung des Prinzips der Freiwilligkeit einen längeren Zeitraum der Umsetzung der Reform in Kauf zu nehmen. Auch diesen Antrag haben Sie abgelehnt.

Sie wollen an Ihrem Verfahren festhalten, was angesichts des

unübersehbaren Zeitdrucks und des formalistischen Verfahrens immer fragwürdiger wird.

Gab es einen Konsens, Kollege Schulze, im Innenausschuss, so ist dieser von Ihnen - nicht in persona, sondern von der Mehrheit aufgekündigt worden. Wir als demokratische Opposition lassen uns aber nicht überfahren und in Ihr Zeitkorsett pressen. Damit ist Schluss.

(Beifall bei der PDS)

Eine Bemerkung des SPD-Kollegen Bochow im Rahmen der Anhörung in der letzten Woche veranlasst mich zu folgender Klarstellung. Der Kollege führte Prof. Michael Schumann sozusagen als Kronzeugen für die Notwendigkeit dieser Gemeindegebietsreform an. Gestützt wird dies auf ein in der Begründung des Entwurfs angeführtes Zitat aus einer Landtagssitzung vom Dezember 1991. Michael Schumann sagte damals:

„Die Ämterbindung kann aber zugleich auch als Weichenstellung zur Schaffung von Großgemeinden wirken und ich denke, diese Frage sollte nicht tabuisiert werden. Das ist ein möglicher Weg, über den man sich verständigen wird.”

An dieser Stelle spart die Landesregierung aber etwas aus. Michael Schumann sagte nämlich weiter:

„Aber es kommt darauf an, dass die Politiker sich rechtzeitig mit den Bürgern darüber verständigen, ob sie eine solche Entwicklung mittel- oder langfristig wollen oder ob sie einen anderen Weg gehen und an der Existenz der vielen kleinen Gemeinden im Land Brandenburg festhalten wollen.”

Prof. Schumann kritisierte in diesem Zusammenhang wie auch später die einseitige Orientierung auf den Gesichtspunkt der Verwaltungseffektivität und forderte einen besonders sensiblen Umgang mit diesem Thema. Er ist kein Kronzeuge für Ihre Gemeindegebietsreform.

(Beifall bei der PDS)

Was abschließend zu den Gesetzentwürfen noch zu sagen ist, ist schnell erzählt; denn die vorgelegten Abwägungsvorschläge sind wegen ihrer Ignoranz der örtlichen Bedingungen enttäuschend.

Mit Ausnahme des Kragenamtes Seelow-Land gibt es keine nennenswerten Änderungen.

Die Ämter Gransee und die Gemeinden Templin-Land und Spreenhagen, um wenige zu erwähnen, sollen natürlich Großgemeinden werden. Das gilt auch für viele Gemeinden mit einer unter 500 liegenden Einwohnerzahl.

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss!

Ich komme zum Schluss. - Abschließend möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Besonderheit, nämlich das Amt Panketal, richten, wo die Vertretung der Gemeinde Schönow mehr als ein Jahr lang einen Bürgerentscheid für einen leitbildgerechten Zusammenschluss rechtswidrig verhindert hat. Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg hat nun grünes Licht für diesen Bürgerentscheid gegeben, weshalb diese Problematik aus dem Gesetzentwurf ausgeklammert werden muss. Die anderen freiwilligen Zusammenschlüsse in diesem Amt können unabhängig

davon stattfinden. Jedenfalls dürfen die Bürger Schönows nicht wegen des Gesetzes ein weiteres Mal des Bürgerentscheids pro Panketal beraubt werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Kollege Sarrach, wenn ein Unbeteiligter von dem Horrorszenario, das Sie hier gemalt haben, Kenntnis erhält, wird er darüber erschrecken, dass Sie so etwas mitmachen! Sie hätten längst aussteigen können, wenn es so schlimm gewesen wäre, wie gerade von Ihnen beschrieben.

(Widerspruch bei der PDS)

Ich habe Michael Schumann nicht zitiert, aber da Sie hier auf ihn zu sprechen kamen, sage ich Ihnen Folgendes: Ich habe mit ihm in der Enquetekommission zusammengearbeitet. Sie hat mit der Unterschrift von Michael Schumann drei grundsätzliche Dinge beschlossen, die da lauten: Es gibt Reformbedarf.

(Zuruf von der PDS: Ja, das hat niemand in Zweifel gezo- gen!)

Es gibt im Land Brandenburg zwei Modelle der zukünftigen Gemeindestruktur.

(Zuruf von der PDS: Die Frage ist doch, wie man es macht!)

Diese Gemeindestrukturreform ist möglichst bis zur Kommunalwahl 2003 abzuschließen. - Daraus ergeben sich bestimmte Zeiterfordernisse; das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen.

(Die Abgeordnete Frau Osten [PDS] meldet am Saalmikro- fon Fragebedarf an.)

Wenn Sie darüber sprechen, dass der Antrag für Sie zu schnell kam, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie im Ausschuss einverstanden waren, dass wir mit Tischvorlagen arbeiten, und sich nicht hinterher noch darüber beschweren, dass wir der Opposition unsere Anträge noch extra zwei Tage vorher zuleiten!

(Frau Osten [PDS]: Herr Präsident, ich wollte eine Zwi- schenfrage stellen!)

Unsere Methode der Anhörung so darzustellen, als wollten wir die Kommunen nicht anhören, ist wirklich ein Witz!

Herr Abgeordneter, es sind zwei Fragen angemeldet worden.

Ich gestatte keine Zwischenfrage, von niemandem.

(Unruhe bei der PDS - Zuruf: Sehr demokratisch!)