Protocol of the Session on September 5, 2002

Weshalb soll aus dem Amt Templin-Land nicht eine amtsfreie Gemeinde gebildet werden können, die sich ähnlich um Templin herumschmiegt wie die amtsfreie Gemeinde Nuthe-Urstromtal um Luckenwalde?

Die Auflistung ließe sich fortsetzen.

Da in der bereits erwähnten Anhörung des Kommunalpolitischen Forums und meiner Fraktion unter anderem vom Bürgermeister der Gemeinde Wust im Amt Emster-Havel gefordert wurde, dass die dargestellten Positionen dem Ministerium des

Innern und Herrn Minister Schönbohm zur Kenntnis gegeben werden sollen, haben wir den Mitschnitt der Anhörung heute als Geschenk bei uns. Herr Minister, in der Hoffnung, dass der Mitschnitt zumindest einmal im Ministerium angehört wird, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag,

(Beifall bei der PDS)

das Freiwilligkeitsprinzip bei der Gemeindestrukturreform im Land Brandenburg zu achten, keine flächendeckenden gesetzlichen Zwangszusammenschlüsse von Gemeinden vorzunehmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Sarrach. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Sarrach, ich war bei fast allen Veranstaltungen des Innenministers anwesend. Wenn Sie hier behaupten, dass niemand, keine demokratischen Vertreter usw., gehört worden sei, dann ist das also absurd. Das wurde in einer Art vorbereitet, die man sich besser nicht wünschen kann.

(Beifall bei der CDU - Unruhe bei der PDS)

Die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, warum Hönow nicht usw., werden wir bei der Anhörung im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens beantworten. Wollen Sie diese Fragen etwa schon vorher beantworten und die Vertreter hier gar nicht zu Wort kommen lassen?

(Zuruf von der CDU: Das wäre undemokratisch!)

Wenn Sie hier das hannoversche Modell ansprechen, dann muss ich Ihnen sagen, dass ich nicht erkennen kann, dass die Stadtgrenzen dort irgendwie verändert worden sind oder dass sich Hannover als Zentrum irgendwie verändert hat.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU - Unruhe bei der PDS)

Sie müssen also darauf achten, wovon Sie hier reden.

Meine Damen und Herren von der PDS, Ihren Antrag, zumindest die ersten beiden Absätze Ihres Antrags, haben wir mit Freude zur Kenntnis genommen. Darin konstatieren Sie nämlich, dass es die Phase der Freiwilligkeit gegeben hat. So haben Sie das nicht immer gesehen. Zum Teil haben Sie das ja sogar bestritten. Insofern stellt Ihr Antrag einen Fortschritt dar. Im zweiten Absatz dieses Antrags wird konstatiert, dass eine große Zahl von Gemeinden diese Phase der Freiwilligkeit genutzt hat. In dem dritten Absatz kommen dann allerdings wieder die Eiferer in Ihren Reihen zu Wort, die gegen die Reform sind. Da ist wieder die Rede von „flächendeckender zwangsweiser Neugliederung“.

(Zurufe von der PDS)

Sie müssen sich schon entscheiden. Wenn in hohem Maße die Phase der Freiwilligkeit genutzt wurde, wo soll dann da noch etwas flächendeckend zusammengeschlossen werden? Das kann logischerweise nicht funktionieren.

(Beifall des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Selbst bei den Gemeinden, die sich bis jetzt noch nicht zusammengeschlossen haben, sind nicht nur Gegner der Reform.

(Zurufe von der PDS)

Auch hier gibt es überwiegend Befürworter.

In Ihrem Antrag haben Sie 900 Gemeinden genannt. In Wahrheit sind es aber nur noch 800, wie Sie in Ihren mündlichen Darlegungen hier auch korrigiert haben. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass es vorwärts geht, dass ständig Bewegung drin war, dass die Zahl der Gemeinden, die sich nicht freiwillig zusammengeschlossen haben, immer geringer geworden ist.

(Zurufe von der PDS)

Bei der geringen Zahl von Gemeinden, bei der jetzt noch eine gesetzliche Regelung infrage kommt, dürfen Sie ebenfalls nicht davon ausgehen, dass es sich hierbei nur um Gegner der Reform handelt. Ich nenne hier einmal das Beispiel in der Gegend von Oranienburg, nämlich die Gemeinde Kreuzbruch. Diese kleine Gemeinde blockiert sechs andere Gemeinden, die sich freiwillig zusammenschließen wollen. Also auch in diesem Bereich gibt es nicht etwa nur Gegner der Reform.

Die Akzeptanz, ja sogar Befürwortung der Gemeindestrukturreform durch einen großen Teil der Gemeinden nehmen wir aber nicht nur zur Kenntnis, sondern wir sehen darin auch die Erkenntnis - diese Erkenntnis sollte auch bei Ihnen reifen -, dass wir mit der Reform auf dem richtigen Weg sind. Deshalb ist die Forderung in dem vierten Absatz Ihres Antrags, die Reform einfach abzubrechen, kein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, nicht nur populistisch, sondern auch jenseits der Realität.

(Zurufe von der PDS)

Meine Damen und Herren von der PDS, wenn der Bau eines Hauses zu 98 % abgeschlossen ist, nur noch ein kleines Loch im Dach da ist

(Zurufe von der PDS)

und man das Haus in diesem Zustand belässt - und das wollen Sie -, dann wird es früher oder später unbewohnbar.

Lassen Sie uns doch einfach an die Realität von 1999 anknüpfen. Damals haben Sie die Notwendigkeit einer Reform erkannt. In dem damaligen Bericht der Enquetekommission haben wir die gemeinsame Zielstellung formuliert, diese Reform bis zur Kommunalwahl im Jahre 2003 abzuschließen.

(Zurufe von der PDS)

- Das können Sie unter Punkt 3 des Berichts der Enquetekommission nachlesen. - Nachdem die Kollegen von der CDU nach der letzten Landtagswahl schnell über ihren Schatten gesprungen sind, das heißt ihr Minderheitsvotum in die Schublade ge

legt haben, sollten Sie jetzt nicht neue Schatten aufbauen, nur weil Sie in der Opposition bleiben mussten.

(Heiterkeit bei SPD und CDU - Zurufe von der PDS)

Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Schippel. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Bitte, Herr Abgeordneter Claus.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Punkt geht die DVU-Fraktion mit dem vorliegenden Entwurf der antragstellenden PDS-Fraktion konform. Es darf in der Tat keine flächendeckenden zwangsweisen Zusammenschlüsse von Gemeinden in Brandenburg geben. Dafür sehen wir keine Notwendigkeit, insbesondere auch nicht in der Leitlinie der Landesregierung; und: Eine Reform nur um der Reform willen gibt es mit uns nicht.

Angesichts des Umstandes, dass die Landesregierung ihre Leitlinie gegen den nachhaltigen Widerstand im Lande offenbar zum allseitigen Dogma erheben will, schlagen wir als DVUFraktion vor, das Gesetzgebungsverfahren insoweit einstweilen auszusetzen, als hiermit Zwangszusammenschlüsse festgeschrieben und vollzogen werden sollen. Das reicht unseres Erachtens völlig aus. Einmal werden die betroffenen Gemeinden nicht gegen ihren Willen durch den Landesgesetzgeber über den Löffel balbiert. Des Weiteren erhält die Landesregierung Zeit für nochmaliges Nachdenken, wozu sie angesichts der Verfassungsbeschwerden der betroffenen Gemeinden, der jüngsten Aussagen unseres Landesverfassungsgerichts und der noch bevorstehenden Anhörungen aus Sicht der DVU-Fraktion auch allen Anlass hat.

Was nun die unterschiedliche Grundhaltung in diesem Hause zur Gemeindegebietsreform angeht, lassen Sie mich für die DVU-Fraktion Folgendes festhalten:

Wir sperren uns ja nicht generell gegen eine Gebietsreform, Herr Minister Schönbohm; im Gegenteil. Voraussetzung für unsere Mitwirkung ist aber, dass man nicht alles, was von unserer Seite kommt, in Bausch und Bogen ablehnt, nur weil „DVU“ drunter- oder draufsteht. Dazu ist dieses Reformvorhaben im Übrigen auch viel zu wichtig.

In einem Punkt gehen wir mit Ihren Vorstellungen, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, allerdings nicht konform. Sie kennen unsere Bedenken. Wir haben Ihnen bereits zu Ihrem Gesetzesantrag vom Januar 2001 - Gesetz zur Gemeindestruktur, Drucksache 3/2233 - hier in diesem Hause Änderungsanträge unterbreitet, welche diese Bedenken ausräumen. Inzwischen hat Ihr Gesetz im Lande mannigfaltige Kritik erfahren. Es hat bereits mehrere Verfassungsbeschwerden von Gemeinden gegeben und durch die Äußerung des Verfassungsgerichts hierzu sehen wir unsere Bedenken jedenfalls teilweise bestätigt. Es besteht also doch wirklich Grund zum Nachdenken für uns alle.

Unsere Hauptanliegen sind damals wie heute:

Erstens: Unser Staat ist aus gutem Grunde föderal aufgebaut und verfasst. Das hat einmal historische Gründe und soll insbesondere die regionale Verbundenheit der Menschen sowie deren aktive Teilnahme am gesellschaftlichen wie politischen Leben sichern und stärken.

Zweitens: Nach dem bürgerlichen Grundverständnis unserer DVU-Fraktion baut sich unser Gemeinwesen von unten nach oben auf, angefangen bei der Familie über die örtliche Gemeinschaft, die Kommunen, die Bundesländer, den Bund bis letztlich hin zur europäischen Ebene.

Drittens: Es besteht ein Vorrangprinzip dergestalt, dass Angelegenheiten grundsätzlich auf der unteren Ebene zu regeln sind, soweit die nächsthöhere Ebene nicht betroffen ist. Dies gilt unserer Ansicht nach natürlich grundsätzlich auch für die Gemeinden Brandenburgs und alles andere führt meines Erachtens zudem letztlich zur „Bürokratur“ übergeordneter Stellen an den Menschen vorbei.

Diese Herangehensweise findet Unterstützung durch die Kernaussage des Landesverfassungsgerichts. Das Gericht führte in der Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde hierzu jüngst aus:

„Die kommunale Selbstverwaltung soll nicht nur die Daseinsvorsorge der Bürger sichern, sie dient auch dazu, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln und damit die Grundlage der Demokratie zu stärken.“

Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

Folgende Kerngedanken wollen wir auch bei der Gemeindegebietsreform hinreichend beachtet sehen: