Protocol of the Session on September 19, 2001

Einerseits wird eine höhere Kundenorientierung angestrebt, andererseits sollen zentrale Geschäftsprozesse wie Auftragsentwicklung, Marketing oder Service effizient abgewickelt und neue Märkte erschlossen werden. Innerhalb der modernen Callcenter stehen Konzepte wie durchgängige Prozessketten, Unterstützung im Wissensmanagement, selbstorganisierende Gruppen, lernfähige Teams und Systeme sowie die Unterstützung virtueller Teams im Vordergrund. Erreichbarkeit, Kompetenz und Verbindlichkeit gelten als wesentliche Erfolgskriterien. Neben der erforderlichen Technologie sind auch organisatorische und personalwirtschaftliche Aspekte von wesentlicher Bedeutung.

Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion sind der Meinung, dass ein besonderes Augenmerk gerade auf die berufliche Ausund Weiterbildung in dieser zukunftsträchtigen Branche gelegt werden muss. Es ist geradezu erschreckend, dass ausgerechnet im Arbeitsamtsbezirk Cottbus, der bekanntlich mit 21,1 % die zweithöchste Arbeitslosenquote des Landes Brandenburg hat, im Jahre 2001 nur zwei Qualifizierungsmaßnahmen für Callcenterbeschäftigte mit 40 Teilnehmern laufen und eine weitere Maßnahme mit 20 Teilnehmern geplant ist.

Trotz der hohen arbeitsmarktpolitischen Bedeutung des Teledienstleistungsbereichs erfolgt derzeit bei den meisten Unternehmen der Branche keine Erstausbildung. Eine schnellstmögliche Änderung ist hier besonders wichtig, damit uns in dieser Branche nicht der Nachwuchs fehlt und wir uns nicht auf Greencard-Bewerber verlassen müssen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gibt es auch die Chance, Arbeitslose über 50 Jahre mit ihrer Erfahrung in die Callcenter zu integrieren, um ihnen noch bis zur Rente eine vernünftige, ordentliche Arbeit zu vermitteln und ihr Wissen für die Gesellschaft nutzbar zu machen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort erhält die CDU-Fraktion. Für sie spricht Herr Dr. Ehler.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner Herr Müller hat bereits erschöpfend über Möglichkeiten und Chancen gesprochen, die die Callcenterbranche - jenseits des etwas seltsamen Namens - für die wirtschaftliche Entwicklung Brandenburgs bedeutet.

Es gibt vielleicht Bezug nehmend auf die Anfrage der PDS, weil ich die differenzierte Argumentationsweise von Herrn Christoffers an sich schätze, noch Anmerkungen zu machen. Man muss etwas vorsichtig sein. Wenn man die Fragestellung der PDS genau betrachtet, schleicht sich sozusagen der Duktus von Friedrich Engels „Zur Lage der deutschen Arbeiterklasse” ein, als ob geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Teilzeitarbeit und flexible Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich eine Form subtiler Ausbeutung oder was auch immer seien. Ich bitte sich daran zu erinnern, dass in einem Land mit so hoher Arbeitslosenquote gerade für Frauen diese neuen Beschäftigungsformen eine große Chance bieten und beispielsweise die Forderung, familiäres Engagement mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu verbinden, erst realistisch machen. Man muss nüchtern sehen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Aber ich meine, dass die Flexibilisierung, gerade was die Arbeitszeiten betrifft, in diesem Bereich eine ganz extreme Chance ist, neue Möglichkeiten gerade für die Beschäftigung von Frauen zu schaffen.

Insofern möchte ich den Duktus, der in der Anfrage der PDS erscheint, in diesem Zusammenhang etwas geraderücken. Ich glaube, es ist unbestreitbar, in welcher Größenordnung in diesem Bereich Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Insofern geht es hier um eine Frage der regionalen Strukturpolitik; denn das ist wirklich ein Bereich, wo wir lenkend, so problematisch dieses Wort schon ist, eingreifen können. Aber wie Kollege Müller schon sagte, das sind Bereiche, die wir in peripheren Regionen ansiedeln können, wobei die Lohnkostenvorteile dort auch ein effektiver Standortvorteil für die sich ansiedelnden Unternehmen sind. Das sind Ansiedlungen, mit denen wir realistisch in peripheren Regionen die Hoffnung wecken können, dass die Entwicklung in diesem Bereich mit Chancen für diese Region verbunden ist. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort erhält die Landesregierung. Herr Minister Fürniß, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar für die Einschätzung der Fakten, die wir in diesem Bereich miteinander vorgenommen haben. Das ist ein Grund, dies noch einmal deutlich zu sagen: 6 000 Arbeitsplätze, davon 4 512 mit Erfolg geförderte Arbeitsplätze mit einem überproportional hohen Frauenanteil und darüber hinaus einem überproportional hohen Anteil in den potsdamfernen Regionen. Wenn man sich

etwas hätte wünschen können, hätte man sich eine solche Struktur wünschen müssen. Aber man kann sie nicht planen, sondern diese Entwicklung ist nur deshalb möglich gewesen, weil sich die modernen Technologien, insbesondere die modernen Medien, so entwickelt haben, wie sie sich entwickelt haben.

Der Standort ist auch in Zukunft dort, wo die Fachkräfte sind. Die Fachkräfte sind im Wesentlichen die, die ein hohes Maß an Flexibilität, was die Arbeitszeit betrifft, mit einem hohen Maß an Lernfähigkeit verbinden. Wenn diese beiden Faktoren gegeben sind, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass das auch in Zukunft so weitergehen wird. Aber wir dürfen nicht vergessen: Das einzig Beständige in dieser Berufsgruppe ist der Wandel. Wer also nicht schnell lernen kann, nicht bereit ist, sich schnell mit neuen Werkzeugen, insbesondere mit neuen Multimedialwerkzeugen, vertraut zu machen, wird in diesem Wettlauf keine Chance haben. Denn was mit Telefonverkauf und Telefonwerbung angefangen hat, ist inzwischen eine Dienstleistungsbranche, die sich nicht nur des Telefons, sondern auch der modernen PC-Strukturen, der Computer, der Internet-Strategien und der Netzwerktechnologien bedient. Deswegen haben wir überhaupt keinen Grund zu sagen: Ach die, die arbeiten in einem Callcenter. - Das ist moderne Dienstleistung, wie wir sie uns nur wünschen können.

Es kommt noch etwas Interessantes hinzu. Wir beobachten an den Standorten, an denen so genannte Dienstleistungscenter sind, dass zusätzliche Dienstleistungsberufe im Umfeld entstehen. Also auch da hat das eine Folgewirkung, die ganz beachtlich ist.

Wir werden in der Dotcom-Krise, in der wir sind, also in der riskanten Situation, in der viele multimediale Unternehmen sind, da und dort Einbrüche erleben, auch in diesem Bereich. Aber es ist überhaupt keine Frage, dass wir die große Chance haben, hier gute Zuwachsraten zu haben, wenn wir zwei Voraussetzungen erfüllen - darauf haben Sie alle zu Recht hingewiesen -, wenn wir die Qualifizierung dieser Fachkräfte vorantreiben.

Es ist richtig, dass wir wirklich dann auch zu einem akzeptierten Berufsbild mit einem Berufsprofil kommen müssen. Aber wir sollten nicht so deutsch sein, wie wir es sonst manchmal sind, und sagen: Jetzt erfinden wir eine Richtlinie, in der dieses Profil beschrieben wird; denn bis wir diese Richtlinie in den Gremien diskutiert haben, stimmt das Profil schon nicht mehr. Wir sollten der Wirklichkeit den Vorrang lassen und nicht der Beschreibung der Wirklichkeit in diesem Bereich. Aber Qualifizierung muss sein.

Für mich sind zwei Dinge neben dem, was ich beschrieben habe, in besonderer Weise wichtig. Das eine ist die Sprachkompetenz, die zunehmend hinzukommen wird, je internationaler der Markt wird. Ich setze darauf, dass wir mit Sprachkompetenzen in den osteuropäischen Markt hinein in Brandenburg einen Vorteil haben, den wir nutzen müssen. Polnische Sprachkenntnisse, russische Sprachkenntnisse werden eine große Rolle spielen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Fachkräfte zunehmend auch interkulturelle Kompetenz brauchen, dass sie also auch wissen müssen, auf welchem Markt sie sich mit dem, was sie tun, bewegen und mit welchen Kunden sie es zu tun haben.

Insgesamt, meine Damen und Herren: Die Technologieentwick

lung und die Entwicklung virtueller Dienstleistungsplätze sind nicht voneinander zu trennen. Je offener wir bei der Ansiedlung technologisch führender Unternehmen sind, desto größer werden auch die Chancen für virtuelle Dienstleistungsarbeitsplätze in diesem Bereich sein. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion, an Frau Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung vermittelt uns in ihrer Antwort das Bild der schönen neuen Welt der Callcenter, einer Welt mit sicheren Arbeitsplätzen, in der es gut ausgebildete Beschäftigte gibt, auf deren Wünsche nach flexiblen Arbeitszeiten Rücksicht genommen wird und die über gute Aufstiegschancen verfügen. Und weil die Zusammenarbeit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten so wunderbar und vertrauensvoll ist, braucht es natürlich auch keine Betriebsräte.

Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Chancen in der IT-Branche, Freude über Unternehmensgründungen und über neu angesiedelte Arbeitsplätze in Brandenburg, das alles kann ich teilen. Dies sollte uns aber nicht dazu verleiten, jeden kritischen Blick auf Entwicklungen zu verlieren und nur noch staunend zu applaudieren.

Es geht doch überhaupt nicht darum, eine Branche pauschal madig zu machen. Aber es geht um eine Branche mit höchst unterschiedlichen Unternehmen, was Sie auch wissen müssten, meine Damen und Herren, was die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung angeht, eine Branche, in der sich Beschäftigungsund Sozialstandards erst herausbilden, und wo der eine oder andere auch nur die schnelle Mark zulasten seiner Beschäftigten und unter Mitnahme von Fördermitteln macht.

Warum sind denn die neuen Bundesländer so heiß begehrt für die Ansiedlung von Callcentern? - Weil die Fördergelder hier erheblich höher liegen als in den alten Bundesländern und weil es die Vielzahl von Arbeitslosen gibt, die dankbar sind für nahezu jeden Arbeitsplatz.

Der Mangel an „Normalarbeitsverhältnissen” zwingt Menschen in prekäre Beschäftigung und hier braucht es gewerkschaftliche und politische Beachtung und Einflussnahme.

Als Interessenvertretung für Callcenter-Agents hat sich in Berlin die „Call Center Offensive” gegründet, die sich auf Arbeitsbedingungen konzentriert, wo die Beschäftigten vertragslos, vertretungslos, auf Provisionsbasis für am Ende weniger als 12 Mark die Stunde ohne bezahlten Urlaub und ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall arbeiten. Solche Realitäten blendet die Landesregierung bewusst aus. Alle kritischen Aspekte werden in der Antwort nur sehr allgemein referiert.

Das Informationsdefizit, vor allem aber das Desinteresse der Landesregierung an der Einhaltung sozialer Standards für Beschäftigte in Callcentern, zieht sich wie ein roter Faden durch die Beantwortung der Großen Anfrage.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja, bitte.

Frau Kollegin, Sie sprachen von Realität. Auf welche Firma in Brandenburg beziehen Sie sich denn bei der Beschreibung der dramatischen sozialen Umstände oder Unternehmen, die - ich zitiere Sie da - die schnelle Mark machen wollen und ihre Mitarbeiter ausbeuten?

In der Presse ist ein Fall sehr deutlich benannt, der dürfte auch Ihnen bekannt sein. Ich beziehe mich zudem auf Äußerungen von Gewerkschaftern. Vielleicht reden auch Sie auch einmal mit Gewerkschaftsvertretern über Arbeitsbedingungen von Beschäftigten.

(Dr. Ehler [CDU]: Ich habe schon mit mehr Gewerk- schaftsvertretern geredet als Sie! - Weitere Zurufe)

Hier setzt die Kritik meiner Fraktion an. Herr Müller, wenn Sie die Beantwortung als unproblematisch bezeichnen, dann doch deshalb, weil Sie an Wirtschaft ohne soziale Verantwortung denken.

(Zurufe von der CDU)

Ich hoffe und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch Ihnen der Zusammenhang noch einmal eingängig sein wird.

Aus Sicht der PDS gibt es sehr wohl Ungereimtheiten, Widersprüchliches und auch eine Reihe unbeantworteter Fragen. Einige Beispiele: Die Relation Vollzeit-/Teilzeitarbeit ist völlig unübersichtlich. Erst ist von 78 % Vollzeitarbeitsverhältnissen die Rede, später heißt es, der größte Teil der Arbeitsverträge seien 4- bis 6-Stunden-Verträge. Auch hat das Wirtschaftsministerium offensichtlich Schwierigkeiten mit der Begriffsabgrenzung Arbeitskräfte versus Arbeitsplätze. Da ich hier mangelnde Kompetenz nicht annehme, bleibt als Erklärung für diese Unzulänglichkeit nur der Versuch, die Anzahl geförderter Arbeitsplätze zu verschleiern.

Sind Sie bereit, noch eine Frage zu beantworten?

Ja, bitte.

Erste Frage: Frau Schröder, würden Sie mir zustimmen, dass das, was Sie gerade zu meiner Einstellung zu Arbeitsplätzen im Land Brandenburg gesagt haben, ungehörig war?

Zweitens frage ich, ob Sie mir zustimmen würden, dass der Eindruck entstehen kann, dass Ihre Ansicht über Arbeitsplätze eigentlich mehr in die Richtung geht: Nur ein abgeschaffter Arbeitsplatz ist ein guter; über diesen kann man besonders gut meckern.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Müller, auf Ihre Polemik gehe ich nicht ein. Zum anderen: Ich habe in Ihrer Rede nicht einmal die Worte „sozial” oder „Situation von Beschäftigten” gehört. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach.

Nach eigener Berechnung werden ca. 80 % der Arbeitsplätze in Brandenburger Callcentern öffentlich gefördert - also keine geringe Förderquote.

Im Weiteren gibt es keine Angaben über weggefallene Arbeitsplätze. Gibt es per Saldo überhaupt noch einen Zuwachs? Mit keinem Wort wird auf den erfragten Zusammenhang zwischen der Arbeitsplatzentwicklung in Callcentern und dem mit Strukturveränderungen verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen in anderen Bereichen eingegangen.

Ausweichend beantwortet wurde auch die Frage nach den Kriterien für die Fördermittelvergabe. Die Landesregierung verweist lediglich darauf, dass den Zuwendungsempfängern eine Informationspflicht auferlegt wird, wenn sich Abweichungen von festgelegten Prioritäten ergeben. Welche Prioritäten sind denn gemeint? Welche Kriterien bleiben unbeachtet? Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung der Informationspflicht? All das bleibt im Dunkeln.

In der Antwort zur Frage 12 wird behauptet, dass bisher nur in einem einzigen Fall Förderkriterien nicht eingehalten und ausgezahlte Fördergelder zurückgefordert wurden. Offen bleibt, ob diese auch tatsächlich und in welcher Höhe zurückgezahlt wurden.

Gegen verantwortungsvolle Förderpolitik sprechen die mangelnden Antworten auf die Fragen zur Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen und ergonomischen Standards. Kontrollverfahren in diesen Bereichen sind unabhängig von der Vergabe öffentlicher Fördermittel. Der Landesregierung sollte bekannt sein, dass neben den von ihr erwähnten Gesetzen weitere Gesetze gelten, zum Beispiel das SGB IX, das Kündigungsschutzgesetz, Regelungen des BGB sowie das Arbeitsschutzgesetz. Warum wird die Einhaltung sozialer Standards nicht zur Bedingung für die Bewilligung von Fördergeldern gemacht?

Bekannt ist, dass Untersuchungen zu Arbeitsbedingungen zum Beispiel im Rahmen von Diplomarbeiten von den CallcenterBetreibern nicht oder nur sehr zögernd zugelassen werden. Wenn eine Branche, in der Kommunikation doch alles ist, so widerwillig Einblicke in ihr Innenleben gewährt, muss das doch, wenn schon nicht im Wirtschaftsressort, dann doch wenigstens im Arbeits- und Sozialministerium zu denken geben.

Die von der Landesregierung behaupteten guten Aufstiegsmöglichkeiten für Mitarbeiter in Callcentern werden von Vertretern der Gewerkschaft ver.di als falsch bezeichnet. Callcenter zeich