Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die große Kundgebung mit Noël Martin am vergangenen Sonnabend hat gezeigt, dass der Kampf für ein weltoffenes, tolerantes Brandenburg, gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in Brandenburg
von ganz vielen gemeinsam mit uns getragen wird. Brandenburg steht auf und Brandenburg setzt Zeichen.
Wir brauchen beides im Kampf gegen Rechts: die Entschiedenheit gegen Rechts, aber auch Geduld für die Wirksamkeit unserer Maßnahmen. Mir sind immer wieder diejenigen unheimlich, die glauben, dass man den Rechtsextremismus mit rechtsextremen Lösungen überwinden kann. Etwas mit Stumpf und Stiel auszurotten ist eben kein demokratischer Weg und keine demokratische Möglichkeit.
Die Maßnahmen gegen Rechts, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen Gewalt sind und bleiben die zentrale Aufgabe für die Zivilgesellschaft, für die Landesregierung und das Parlament.
Hier geht es um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als um die Einhaltung des Artikels 1 des Grundgesetzes. Genau dies ist Grundlage für alle Bemühungen um Investoren, um die Erhöhung der Lebensqualität in Brandenburg und um die Erhöhung der Attraktivität unseres Landes.
Dabei muss uns Sorge machen, dass die Zahl der Straftaten leider nicht rückläufig ist. Die gewaltbereiten Rechtsextremisten in Brandenburg sind eine ganz kleine Gruppe. Es sind etwa nur 600 bis 800 Personen. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass zwischen 18 und 20 % zumindest partiell rechtsextreme Ansichten haben und dass bis zu 30 % unserer Bevölkerung immer wieder zu fremdenfeindlichen Äußerungen neigen.
Dies ist kein Problem der Jugend, sondern es ist ein Problem der Gesellschaft. Und es hat vielfältige Ursachen. Überall dort, wo es große Strukturprobleme gibt, wo es Unsicherheit durch Veränderung gibt, wo es Orientierungslosigkeit gibt, da, genau da findet Rechtsextremismus, findet Fremdenfeindlichkeit auch Anklang. Aber auch das wirkt leider nach und es muss gesagt werden, dass es in den 40 Jahren DDR wenig oder manchmal auch keine Erfahrungen mit Fremden gegeben hat, dass die Umstellung der Lebens- und Arbeitswelt - für 80 % der Menschen hat das in den letzten zehn Jahren bedeutet, einen neuen oder anderen Beruf zu bekommen -, dass die Umstellung im politischen System uns allen viel abverlangt und manche eben in eine Unsicherheit gebracht hat, in der sie verführbar geworden sind.
Der Ausländeranteil in Brandenburg - das muss immer wieder gesagt werden - ist sehr viel geringer als in den alten Ländern. Er liegt hier unter 2 %, nicht wie in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder gar Berlin bei 8 bzw. 10 und 11 %.
Das Problem ist in seiner Gefahr für die Gesellschaft, in seiner Dauer und auch in seiner Intensität in der 1. Legislaturperiode wohl unterschätzt worden. Aber mit unserem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg”, mit dem Aktionsbündnis als der breiten gesellschaftlichen Aktivität und Vernetzung all dessen, was da stattfindet, haben wir ein klares Zeichen gesetzt. Das Engagement wird immer breiter. Die Zivilgesellschaft nimmt ihre Funktion in dieser Frage immer intensiver und deutlicher wahr.
unseren Schulen sagen kann, dass die von den Schülern beobachtete Gewalt zurückgegangen ist und dass die Schülerinnen und Schüler ihren Lehrern immer deutlicher und klarer auch attestieren, dass sie nicht wegschauen, dass sich die klare, erkennbare Haltung unserer Lehrerinnen und Lehrer in den letzten Jahren sehr wahrnehmbar und positiv entwickelt hat, so ist das ein Zeichen dafür, dass sich das System Schule in diesem Zusammenhang ganz klar nicht nur stabilisiert, sondern seine Rolle, seine Aufgabe besser wahrnimmt als noch vor fünf oder acht Jahren.
Wir werden im Juli dieses Jahres aller Voraussicht nach die erste bundeseinheitliche Statistik vorgelegt bekommen und dann wissen wir, wo genau Brandenburg im bundesweiten Vergleich liegt. Bisher waren die Erfassungssysteme der Länder zu unterschiedlich. Aber auch dann werden wir gesagt bekommen, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Osten stärker vorkommen als im Westen, dass die Rechtsextremen sich im Osten deutlicher, offener zeigen und dass wir hier in den nächsten Jahren noch größere Aufgaben zu bewältigen haben.
Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg” besteht in seinem Dreiklang Repression, Prävention und gesellschaftliches Engagement. Dies genau zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich bin auch der Opposition dafür dankbar, dass sie dies hier bestätigt hat.
Alle Ressorts tragen das ihrige dazu bei - wie in den vergangenen Jahren, so auch in der Zukunft -, und wir haben für neue Strukturen im Rahmen des Handlungskonzeptes zusätzlich 3,25 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Die Erfolge im Bereich der Repression durch die Verfahrensbeschleunigung - dadurch, dass die Strafe der Tat immer deutlicher und klarer auf dem Fuße folgt, dadurch, dass die Aufklärungsquote sehr viel größer ist als bei allen anderen Straftaten -, haben wir auch den Tätern klar signalisiert und deutlich gemacht: Das tolerante Brandenburg ist überall tolerant, außer dort, wo die Würde eines Menschen verletzt wird.
Wir werden uns auch in den nächsten Jahren im Bereich der Jugendarbeit als Land ganz stark gemeinsam mit den Kommunen engagieren. 610 Stellen in dem gleichnamigen Programm, die rund 400 SAM-Stellen für Jugendarbeit und rund 250 zusätzliche im Sportbereich machen deutlich: Wir unterstützen das Ehrenamt, das an dieser Stelle in besonderer Weise gefordert ist.
Die Kultur, die Soziokultur, die Gedenkstättenarbeit, aber auch die Arbeit der Vereine, der Verbände und der Stiftungen, insbesondere unseres Landessportbundes, in diesem Bereich machen deutlich, dass wir uns hier gemeinsam engagieren.
Die Wirtschaft bringt sich zum Glück auch immer stärker in diesen Bereich ein. Ein großes und wichtiges Vorbild ist EKO, aber auch die kleinen Handwerksbetriebe, die kleinen mittelständischen Unternehmen werden sich ihrer Verantwortung in diesem Bereich immer stärker bewusst.
Unser Handlungskonzept ist bundesweit beispielgebend, denn wir sind mit diesem Handlungskonzept das erste Bundesland, welches in wirkungsvoller Weise die staatliche Gegenwehr organisiert und auch vernetzt, sich gemeinsam in dieser Breite gegen die Bedrohung der Demokratie engagiert.
Das tolerante Brandenburg zielt in erster Linie auf das staatliche Handeln, während das Aktionsbündnis auf das gesellschaftliche Handeln zielt. Ich will zum einen auf die Broschüre hinweisen, die das in ihrer neuesten Auflage noch einmal ganz breit auflistet, zum anderen aber auch einige Dinge ganz kurz nennen. Unser Schulprogramm „Gegen Rechts”, das Rundschreiben, welches zusammen mit einem Informationsschreiben an die Schulen gegangen ist, gibt den Lehrern klar die Möglichkeiten an, wie sie sich engagieren können und wo Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit beginnen und welche Zeichen bzw. Symbole sie kennzeichnen. Das Beratungssystem Schule hilft den Schulen, einzelne Konzepte im Rahmen ihrer Schulprogramme zu entwickeln. Es wird an den Schulen ein Klima geschaffen, welches das tolerante Brandenburg stärkt.
Kollegin Kaiser-Nicht, im letzten Jahr - da haben Sie Recht haben wir die vielen Bedürfnisse, an Fahrten nach Auschwitz teilzunehmen, nicht befriedigen können. Deshalb haben wir in diesem Jahr mit „Brandenburg gegen Rechts” rund 800 Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben, dorthin zu fahren. Damit ist der größte Teil, bei weitem noch nicht alles, an Wünschen und Bedürfnissen befriedigt worden. Wir werden auch nicht nachlassen, sondern über die vielen einzelnen Vereine, die solche Fahrten organisieren, über die Schulen hinaus eine breite Möglichkeit schaffen.
Die Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt werden im nächsten Berichtszeitraum bzw. im nächsten Bericht Schwerpunkt der Berichterstattung sein. Sie haben erst relativ kurze Zeit arbeiten können. Sie sind weitergebildet und qualifiziert worden. Ich bin sicher, dass wir im nächsten Jahr umfangreich darüber berichten können.
Die mobilen Beratungssysteme haben sich insbesondere in Guben, aber auch in Neuruppin in den Auseinandersetzungen um einen rechtsorientiert geleiteten Jugendklub namens „Bunker” bewährt.
Sie haben sich in Belzig engagiert. 1,3 Millionen DM stehen pro Jahr auch in Zukunft dafür zur Verfügung.
Die Ausländerbeauftragten, zunehmend auch in vielen kleinen Kommunen, so zum Beispiel in Mahlow, nehmen ihre Arbeit gut wahr. Ich bin froh, dass sie sich eben nicht nur als Vertreter der Ausländer verstehen, sondern auch als interkulturelle Arbeiter und Koordinatoren, als diejenigen, die den interkulturellen, den multikulturellen Dialog voranbringen.
Noch vor Beginn des neuen Schuljahres werden wir als erstes Land eine komplette „Holocaust Education” - dieser Name ist eigentlich falsch, weil es weit mehr ist -, ein Curriculum für die Arbeit der Schule, fächerübergreifend von der Jahrgangsstufe eins bis zur Jahrgangsstufe 13, vorlegen. Weil auch dies sich bewährt hat, wenn es darum geht, Fremdes zu erleben, werden wir die Möglichkeiten im Rahmen von „Spotkanie” und damit die Möglichkeiten, die Begegnungssprache Polnisch zu lernen und mit Polen in Kontakt zu kommen - auch über die vielen Schulpartnerschaften -, ebenfalls weiter intensivieren.
Wir evaluieren die Arbeit von „Tolerantes Brandenburg”. Aber wir müssen uns daran gewöhnen: Kurzfristige Erfolge lassen
sich hierbei nicht messen. „Tolerantes Brandenburg” zielt auf einen langfristigen Erfolg. Insofern zeigt ein kurzfristiges Anwachsen von Fremdenfeindlichkeit nicht, wie mancher meint, die Sinnlosigkeit. Die Alternative wäre, es laufen zu lassen. Das hat keiner von uns vor.
Insofern kann, wenn gefragt wird, ob wir auf dem rechten Weg sind, klar gesagt werden: Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, aber wir sind noch nicht weit genug. Wir sind erst dann am Ziel angekommen, wenn gilt: An jedem Ort und zu jeder Zeit ist in Brandenburg die Würde des Einzelnen, ist die Würde des Menschen unantastbar. - Vielen Dank.
Ich danke Herrn Minister Reiche und gebe Herrn Prof. Dr. Bisky für die restliche Redezeit seiner Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir auf dem richtigen Wege sind, sind wir uns doch zugleich der Tatsache bewusst: Die Situation bleibt ernst. Umso wichtiger ist es das will ich als Erstes feststellen -, bei allen Unterschieden zwischen den demokratischen Parteien, in dieser Frage - ich betone: in dieser Frage - den Zusammenhang und die Übereinstimmung immer wieder herzustellen und zu gewährleisten.
Dazu hat nicht zuletzt der Landtagsbeschluss vom September vergangenen Jahres beigetragen, der in wesentlichen Teilen aus der Feder Michael Schumanns stammt.
Zweitens nehme ich an, dass die vielfältigen Maßnahmen des Handlungskonzeptes nur Sinn machen, wenn sie langfristig und wenn sie kontinuierlich angelegt werden.
Drittens möchte ich kritisch anmerken, dass wir hinsichtlich der Herstellung eines komplexen koordinierten Vorgehens und einer Vernetzung der verschiedenen Aktivitäten nach unserer Auffassung erst am Anfang stehen. Hier ist noch viel zu leisten. Hinweise und eigene Aktivitäten könnten wir an gegebener Stelle und zu gegebener Zeit einbringen.
Viertens und letztens: Die Unterstützung vielfältiger Projekte zur Förderung von Toleranz durch das Aktionsbündnis, durch den Landespräventionsrat und auf anderen Wegen macht wenig Sinn, wenn parallel dazu im Sozial- und Bildungsbereich auf der ganzen Breite gekürzt wird, wenn die Zuwendungen an die Kommunen zurückgefahren werden. Auch Toleranz bekommt man nicht zum Nulltarif, meine Damen und Herren. - Ich bedanke mich.
Ich danke Herrn Prof. Dr. Bisky. - Das Wort könnte noch einmal an die Landesregierung gehen. - Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich darin einig, dass in Brandenburg viele gute Dinge gemacht werden, im Bereich der Wirtschaft und im Bereich der Wissenschaft, ebenso im Fußball und bei vielen anderen schönen Dingen, die es sonst noch gibt, aber dass wir auch eine ganze Menge Sorgen haben, die uns keinen Tag loslassen dürfen. Das betrifft zum Beispiel die Arbeitslosigkeit. Aber lassen Sie es mich an dieser Stelle einmal offen sagen: Nach meiner Überzeugung ist das Thema, das wir jetzt behandeln, für die Zukunft dieses Landes das wichtigste. Ein menschenfreundliches, menschenwürdiges Brandenburg, das muss unser Ziel sein.
Heute ist hierzu Entscheidendes gesagt worden. Es stimmt mich froh, erlebt zu haben, dass eine breite Übereinstimmung hinsichtlich dieser Kernaufgabe besteht.
Minister Reiche hat noch einmal an die Begegnung mit Noël Martin erinnert. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe eine sehr beeindruckende Persönlichkeit erlebt. Wir haben über all die Fragen, die Sie gerade gehört haben, auch gesprochen. Noël Martin hat dann etwas gesagt, was mich betroffen gemacht hat. Er hat gesagt: Es ist gut zu hören, welche Überlegungen ihr anstellt; aber was tut ihr eigentlich ganz konkret? Was tut ihr zum Beispiel dafür, dass Kinder und Jugendliche Begegnungen mit Menschen anderer Hautfarbe haben? - Ich will Ihnen das einfach weitersagen. - Er hat angeboten, in Birmingham mitzuhelfen, dass beispielsweise junge Brandenburgerinnen und Brandenburger dort Begegnungen mit Menschen anderer Sprache und anderer Hautfarbe haben können. Wir haben uns beide darauf verständigt, einen Noël-Martin-Fonds für antirassistische Begegnungen von Kindern und Jugendlichen zu gründen.
Der Fonds ist gegründet. Die ersten 50 000 DM dafür sind gesammelt. Wenn Ihnen jemand über den Weg läuft, der ein bisschen übrig hat, dann sagen Sie ihm bitte, er möge das an das „Tolerante Brandenburg” geben. Dort wird es entsprechend gehandhabt und gezielt eingesetzt werden können. Ich bin überhaupt sehr dankbar dafür, dass das Aktionsbündnis und „Tolerantes Brandenburg” sehr konkret dazu beitragen, dass wir vom Reden zum Handeln kommen. Dazu kann jeder an den Platz, an dem er steht, konkret beitragen. Vielen Dank, dass wir uns in dieser Hinsicht weitgehend einig sind.
Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten Dr. Stolpe und gebe das Wort noch einmal an die SPD-Fraktion. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schippel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte Toleranz nicht mit Inkonsequenz verwechseln. Staatssekretär Lancelle soll gesagt haben, an der Schraube der Repression könne nicht weiter gedreht werden, wenn man sich nicht in die Gefahr be