Diese weit gespannte Zusammenarbeit lie gt nicht nur im Interesse der Beitrittskandidaten. Sie stärkt letztlich auch den Standort Brandenburg, weil alte Beziehungen gepflegt und neue geknüpft werden. Sie belegt mehr als tausend Worte. dass sich Brandenburg gegen so manche Vorurteile weltoffen und tolerant auf seine neue Rolle einstellt, ein guter Partner und ein guter Standort mitten in Europa zu sein.
Meine Damen und Herren! Wir alle wissen, dass zwischen den Beitrittskandidaten und den jetzigen Mitgliedsstaaten in vielen Bereichen noch erhebliche Unterschiede bestehen. Das betrifft die Rechtsordnung, aber auch die praktischen Lebensverhältnisse, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Arbeitswelt. Wir wollen unseren Beitrag dafür leisten, dass diese Unterschiede möglichst schon im Vorfeld des Beitritts so weit wie nur möglich abgebaut werden. Die Fachleute nennen das eine „Heranführunesstrategie". In allen Bereichen, in denen die zwischen der Union und den Beitrittskandidaten bestehenden Unterschiede bis zum Beitritt nicht in ausreichendem Maß abgebaut werden können, müssen geeignete und begrenzte Übergangsregelungen gefunden werden, z. B. im Bereich der Freiheit des Personen- und Dienstleistungsverkehrs. Dort haben die Mitgliedsstaaten, aber auch die Grenzregion Brandenburg berechtigte Interessen ihrer Bürger und Unternehmen zu wahren.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Das Ende des Ost-West-Konflikts und vor allem die Wiedervereinigung Deutschlands wären ohne die Attraktivität der Europäischen Gemeinschaften. ihrer Werte und Erfolge - und das dürfen wir nicht vergessen -, auch ohne die NATO nicht möglich gewesen.
Damit hat Bürger in Brandenburg zu sein heute eine Dimension, die noch vor zehn Jahren völlig unvorstellbar war. Brandenburg ist unsere Heimat, Deutschland ist unser Vaterland - und Europa? Europa ist unsere Zukunft, meine Damen und Herren. Sie liegt als große Chance in unseren Händen. Wir müssen sie nur gemeinsam nutzen, und zwar jeden Tag, nicht nur heute eine Aktuelle Stunde lang. Wir müssen gemeinsam dafür arbeiten - mit Herz und mit Verstand. - Vielen Dank.
Ich danke dem Europaminister und erteile das Wort noch einmal der Fraktion der SPD. Herr Abgeordneter Vogelsänger, bitte!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU- Osterweiterung ist ein wichtiges Thema nicht nur für Brandenburg, aber es ist für uns von besonderer Bedeutung. Dass wir heute diese Debatte im Brandenburger Landtag führen können, haben wir nicht zuletzt Polen, Tschechien und Ungarn zu verdanken.
Wer die Aussetzung des EU-Erweiterungsprozesses fordert, schadet im Übrigen nicht nur den Beitrittsländern, sondern auch sich selbst. Brandenburg liegt nun einmal mitten in Europa und mit der EU-Osterweiterung werden wir noch mehr zur internationalen Drehscheibe. Nur zur Erinnerung: Der größte Markt,
der der Brandenburger Wirtschaft weggebrochen ist, ist der Markt im Osten. Die EU-Osterweiterung ist für uns eine besondere Chance. Viele Brandenburger haben Erfahrungen und Kenntnisse, die gerade im Ostgeschäft von Bedeutung sind.
Eine wichtige Voraussetzung ist weiterhin die erfolgreiche Verbesserung der Infrastruktur. Immenser Nachholbedarf besteht bei Straße, Schiene und auch Wasserstraße. Hier nur ein Beispiel auf deutscher Seite: Der Abschnitt Berlin - Frankfurt (Oder) ist der letzte Langsamfahrabschnitt der internationalen Eisenbahnstrecke Paris - Hannover - Berlin - Warschau, die immerhin zum transeuropäischen Netz gehört. Die Schienenverkehrsprojekte „Deutsche Einheit" des alten Bundesverkehrswegeplans haben Berlin als östlichsten Punkt Deutschlands angesehen. Bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans im Jahr 2002 gilt es diese Defizite zu beseitigen.
Für viel Diskussionsstoff sorgen Überlegungen bezüglich neuer Brücken über Oder und Neiße. In Guben haben wir jetzt endlich eine Einweihun g. Aber wir werden konsequent und beharrlich neue Brücken bei Schwedt und Eisenhüttenstadt, Forst und Hohenwutzen-Süd auf allen politischen Ebenen einfordern.
Natürlich gilt es hier auch immer den eigenen Beitrag zu leisten. Sind wir mit dem Ausbau der Bundesstraße 166 nach Schwedt und der Autobahn nach Frankfurt (Oder) gut vorangekommen, können wir beispielsweise bei der A 15 nach Forst nicht zufrieden sein.
Ich möchte mit meinen Ausführungen keinen anderen Beitrittskandidaten zurücksetzen, aber für uns Brandenburger sind die Beziehungen zu unseren polnischen Nachbarn von besonderer Bedeutung. Wir werden gemeinsame Interessen mit unseren Nachbarn definieren und auch durchsetzen. Und wir werden im Europa der Regionen dies deutlich artikulieren. Im Übrigen haben wir derzeit die „Polnische Woche". Der Titel heißt: „Polen - Nachbarn und mehr", ein Titel mit perspektivischem Blick. Sorgen wir dafür, dass weitere Brücken gebaut werden: die aus Stahl und Beton genauso wie die im übertragenen Sinne! - Vielen Dank.
Ich danke dem Abgeordneten Vogelsänger. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Dr. Ehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Ausschussvorsitzende des Europaausschusses, Frau Stobrawa, über den Anlass der Aktuellen Stunde rätselt, erstaunt doch etwas. Vielleicht hilft der Hinweis auf die Europawoche.
Wir können die Forderung der Ausschussvorsitzenden, öfters von der Landesregierung eingeladen zu werden, ausdrücklich unterstützen. Umso wichtiger wäre es, dass solche Anlässe an ihr nicht vorüberziehen.
Der Rest ist eine trübe, heißt braune Suppe aus Ressentiments und Halbwahrheiten. Meine Damen und Herren von der DVU, unterschätzen Sie den Grad der Toleranz und der Weltoffenheit der Brandenburger nicht?
Aus den Redebeiträgen klang unterschwellig immer wieder die Sorge heraus. dass wir wirtschaftliche Nachteile aus der Erweiterung der EU für das Land Brandenburg zu erwarten haben.
Meine Damen und Herren, diese Befürchtungen haben mit der wirtschaftlichen Realität allerdings in weiten Bereichen nichts zu tun. Realität ist, dass allein in Polen cirka tausend deutschpolnische Joint-Venture-Unternehmen tätig sind. Realität ist, dass viele Unternehmen, die in Brandenburg ihren Stammsitz haben, bereits Teile ihrer Produktion in die MOE-Länder verlagert haben. Das - und man muss es noch einmal deutlich sagen bedeutet nicht, dass in Brandenburg Arbeitsplätze vernichtet werden. Vielmehr konnten in vielen Fällen damit - und nur damit - Arbeitsplätze in Brandenburg gesichert werden.
Ich möchte dies exemplarisch für viele andere Fälle am Fall eines kleinen Brandenburger Handwerksunternehmens aus der Holzverarbeitung erläutern. Der Unternehmer stand vor der Entscheidung, auferund des harten Preisdruckes auf dem europäischen Markt sein Unternehmen zu schließen oder die Fertigung von Treppen nach Polen auszulagern. Er hat sich dafür entschieden, die Treppen in Polen nach EU-Norm ferti gen zu lassen. So konnten die sieben Arbeitsplätze in Brandenburg gehalten werden. In Polen hat das Unternehmen zehn neue Arbeitsplätze schaffen können.
Für viele solcher Betriebe, und das ist vielleicht noch wichtiger, war dies der erste Schritt zur Erschließung der Auslandsmärkte in Osteuropa. Dazu sollten wir unsere Unternehmen ermutigen.
Die erfolgreiche Erschließung von neuen Märkten wird in Zukunft noch stärker über Erfolg und Misserfolg der Unternehmen in Brandenburg entscheiden. Brandenburger Unternehmen sind gut beraten, schon jetzt die Integration mit Partnern im Osten zu suchen, um sich im Zuge der völligen Marktöffnung bessere Ausgangspositionen zu verschaffen.
Wir sprechen viel von den Risiken. Lassen Sie uns die Chancen vor Augen führen. In dem Zusammenhang vielleicht zwei Zahlen:
Erstens: Der jährliche deutsche Bilanzüberschuss des Handels mit den mittel- und osteuropäischen Ländern hat sich seit 1994
- auf etwa 10 Milliarden DM pro Jahr - verfünffacht, im Falle unseres Nachbarn Polen sogar verdreißigfacht.
Zweitens: Der Anteil des Handels mit den Beitrittskandidaten im Bereich der Fertigwaren hegt bei 50 %. weitere 40 % sind Halbfertigwaren. Das heißt, es ist ein Handel mit höherwertigen Gütern.
Diese Zahlen widerlegen deutlich die oft politisch instrumentalisierten Behauptungen einer Billielohnkonkurrenz aus den Beitrittsländern, die unserer Wirtschaft schade.
Was bedeutet die Situation für die Brandenburger Wirtschaft? Der Umfang von Warenströmen ist im Grunde umso größer, je geringer die Distanz zwischen den Handelspartnern ist. Hier weist Brandenburg mit seiner Grenzla ge zu Polen und den MOE. Ländern ein hohes Potenzial für Exporte auf. Allerdings profitieren gegenwärtig zum Beispiel vom Exportmarkt Polen viel stärker die Länder Berlin und Bayern als die direkten Grenzbundesländer wie Sachsen und Brandenburg. So kamen 1997 rund 16 % der deutschen Exporte nach Polen aus diesen beiden Ländern. Brandenburgs Anteil am deutschen Handel mit Polen bewegt sich in beiden Richtungen bei nur 4 %. Das heißt, dass wir unsere natürlichen Potenziale als Grenzregion bei weitem noch nicht ausgeschöpft haben.
Immer noch limitieren die hohen Transaktionskosten die Exporte in unser Nachbarland Polen, beispielsweise unzureichende Einbindung der Region in das Verkehrsnetz - wir haben es gehört -, Informationsprobleme, hoher Arbeitsaufwand bei der Absicherune von Exportgeschäften. nicht tarifarische Handelshemmnisse, eine zu teure Grenzabfertigung. Gerade für unsere Region sind diese Fakten problematisch. da die mitteleuropäischen Nachbarn für uns die natürlichen Handelspartner sind. Durch die EU-Osterweiterung würden Zölle, die auf Einfuhren nach Polen erhoben werden, fallen. Die lan gen Wartezeiten für die Grenzabfertigung würden entfallen. Kurz: Die brandenburgischen Exporte würden günstiger und somit kann von einer wesentlichen Ausweitung der Exporte ausgegangen werden - und das schafft Arbeitsplätze hier in Brandenburg.
Allerdings müssen wir dafür Sorge tragen, dass auf Bundesebene darauf hingewirkt wird, dass die Verkehrsinfrastruktur gerade in der Grenzregion verbessert wird. Nur so können wir die Potenziale nutzen.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit der EUOsterweiterung wird oftmals das Argument des Lohndumpings und der zu erwartenden hohen Zuwanderung aus diesen Ländern in den Raum gestellt. Das Lohnniveau ist sicherlich ein wichtiger Faktor für die Nachfrage nach Arbeitskräften. Es ist in diesem Zusammenhang aber auch anzuführen, dass die Qualifikation von Arbeitskräften eine nicht geringfügige Rolle bei der Personalauswahl spielt. Ich denke, es ist wichtig, dass die Kostenvorteile nicht in allen Branchen und allen Re gionen in Brandenburg durch Qualifikation wettgemacht werden können. Hier bietet sich aber ein Ansatzpunkt, über den wir in den nächsten Jahren nicht nur reden dürfen, sondern wo wir endlich handeln müssen. Ausbildungszeiten müssen verkürzt, Ausbildun gsinhalte auf Anforderungen der Zukunft ausgerichtet werden. Hier muss der Gesetzgeber mit mehr Flexibilität und neuen Modellen reagieren. Jedoch ist der Lohnkostenvorteil ein Problem, wel
ches sich nur in der Übergangszeit stellen wird. Auch in den MOE-Ländern werden die Löhne mittelfristig steigen, sodass dieser Wettbewerbsnachteil reduziert wird. Gerade die Erfahrungen mit der Süderweiterun g - Griechenland 1981 und Spanien und Portugal 1986 - haben gezeigt. dass die vorhergesagte Verdrängung von Arbeitsplätzen we gen der Differenzen des Lohnniveaus beherrschbar, aber dennoch ein Problem ist, mit dem wir umgehen müssen.
Der Lohnpolitik kommt trotz allem in der Übergangsphase eine besondere Bedeutung zu. Überhöhte Forderungen nach Lohnsteigerungen würden die Kostenstrukturen unserer Unternehmen im Wettbewerb belasten. Für den Erfolg unserer Unternehmen sind neben dem Kostenfaktor natürlich auch das Management und innovative Ideen von entscheidender Bedeutung. Aber ich betone noch einmal: Nur die Erschließung neuer Märkte ist für eine exportorientierte Wirtschaft wie die unsere beschäftigungspolitisch die Lösung. Die Stärkung brandenburgischer Unternehmen muss die Aufgabe der Landespolitik in den nächsten Jahren sein.
Ich möchte dazu Beispiele geben: Wir müssen uns in einem Europa der Regionen in Zukunft stärker - und das ist sicherlich ein neues Thema - mit dem Thema Außenwirtschaft als Instrument der Wirtschaftspolitik der Länder beschäftigen. Beispiele hierKir sind Regionen wie Wales oder die alten Stahlregionen in Amerika. Hier gibt es eine sehr viel mehr regional ausgerichtete Außenwirtschaftspolitik. Wir werden uns auf die Instrumente des Bundes hier nicht verlassen können.
Marktzuganeshilfen ist ein weiteres Thema, East-West-Gateway, also Kooperationsbörsen. Ich könnte jetzt andere Programme anführen, Pomerania, Viadrina usw., alle Maßnahmen, die auch in den Programmen INTERREG III und PHARE förderfähig sind.
Meine Damen und Herren. im Raume steht immer noch die Befürchtung, dass in den nächsten Jahren Millionen von Polen. Tschechen oder Ungarn nach Deutschland einwandern könnten. Ein wunderbares Argument, mit dem die DVU auch kräftig populistisch die Trommel schlägt. Neueste Schätzungen zeigen, dass in den nächsten zehn Jahren aus den mittel- und osteuropäischen Ländern etwa 100 000 Arbeitnehmer jährlich in alle 15 bisherigen EU-Länder zuwandern werden. Nach allen vorliegenden Statistiken sind vor allen Dingen die Ballungszentren von der Zuwanderung betroffen. Gleichzeitig werden sich die Wohlfahrtsunterschiede und damit der Migrationsdruck zwischen EU-Staaten und Beitrittsländern in den nächsten Jahren eher verringern. Auch hier sind also viele Befürchtungen zu relativieren. - Es ist eine trockene Materie. Ich möchte es aber noch einmal betonen. weil wir hier eben oft mit einem ganzen Konglomerat von Halbwahrheiten und Unwahrheiten umgehen müssen.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend lässt sich behaupten: Die EU-Osterweiterung bietet große Chancen für die Brandenburger Wirtschaft und vor allen Dingen die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Wir setzen uns in Brandenburg durchaus kritisch mit Chancen und Risiken auseinander.