Protocol of the Session on May 17, 2000

Das denke ich auch.

(Klein [SPD]: Ich habe es mir nur kurz einmal genom- men!)

Ich bitte Sie, ein wenig auf Disziplin zu achten.

Von Disziplin halten Sie überhaupt nicht viel, Herr Klein. - So hat Polen keine nennenswerten Fortschritte bei der Angleichung der Gesetzgebung an EU-Standards erreicht. Die Effizienz des

gesamten Justizwesens - so die Zwischenbilanz -müsse deutlich gesteigert werden. Besondere Beachtung verdiene der Kampf gegen Korruption. Dringend erforderlich seien Fortschritte im Bereich des Datenschutzes, des Schutzes geistigen Eigentums, des Markenschutzes und der staatlichen Subventionen. Wirtschaftlich könnten weder die polnische Landwirtschaft noch die dortige Stahlindustrie dem EU-Wettbewerbsdruck standhalten.

Die Tatsache, dass laut Polizeibericht und Kriminalstatistiken des Landeskriminalamtes Brandenburg 1998 von 25,2 % ausländischen Tatverdächtigen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tatverdächtigen nicht weniger als 32.6 % aus Polen kamen, dürfte gerade aus Brandenburger Sicht nicht gerade für die EU-Reife dieses Landes sprechen.

In der Tschechischen Republik tut sich die Verwaltung bei der Übernahme des EU-Regelwerks beispielsweise bei der Wettbewerbspolitik ebenfalls sehr schwer,

Bulgarien erfüllt nach Ansicht der EU-Kommission nicht im Geringsten die wirtschaftlichen Bedingungen für einen Beitritt. Zudem ist die Verwaltung offenbar überfordert, EU-Regeln anzuwenden und durchzusetzen. Bulgarien hat noch keine funktionierende Marktwirtschaft.

Rumänien eilt für die EU-Kommission als rundum rückständig. Es gibt auch in diesem Land keine funktionierende Marktwirtschaft. Es fehlt eine klare wirtschaftspolitische Strategie der Regierung. Wirtschaftliche und rechtliche Unsicherheit hält Investoren ab.

Ich könnte das Gutachten der EU-Kommission bezüglich anderer Staaten weiter zitieren, will es aber dabei bewenden lassen. Zu bedenken geben möchte ich jedoch. dass die Europäische Union in ihrer derzeitigen Form laut Bericht der EU-Strukturkommission. welcher unter anderem vom Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker erstellt wurde, institutionell überhaupt nicht handlungsfähig ist, um den Beitritt weiterer Länder zu gewährleisten. So wie sie jetzt beschaffen ist, sei sie schlicht und ergreifend nicht arbeitsfähig. Die EU-Struktur sei in den 50er Jahren für eine Gemeinschaft von sechs Mitgliedsstaaten geschaffen worden. Schon jetzt, mit 15 Mitgliedern, stoße sie immer wieder an ihre Grenzen. Angesichts einer Erweiterung auf25 oder gar 30 Länder müsse sie also umfassend reformiert werden. Heute bestehe, so von Weizsäcker, die Gefahr, dass mit dem Abschluss der Verhandlungen mit Polen. Ungarn, der Tschechischen Republik, Estland und Slowenien die Europäische Union einen politischen Kollaps erleide. Im Fall der Aufnahme weiterer Länder werde die Brüsseler Kommission kaum mehr arbeitsfähig sein.

Anstelle des derzeit gültigen Einstimmigkeitsprinzips wird zwangsläufig das Mehrheitsprinzip eingeführt werden. Damit wird das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union weiter sinken und Deutschland nur noch mehr Zahlmeister und Melkkuh der EU werden, während süd- und osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten profitieren.

(Beifall bei der DVU)

Frau Abgeordnete, würden Sie bitte zum Schluss kommen!

An die Folgen einer Ausweitung der Währungsunion - also des Euro, der es fertig brachte, innerhalb von anderthalb Jahren über 25 % seines Wertes einzubüßen - auf Staaten wie Polen oder Rumänien möchte ich lieber überhaupt nicht denken.

Als Fraktion der Deutschen Volksunion in diesem Landtag lehnen wir die Osterweiterung der Europäischen Union zum jetzigen Zeitpunkt und auch ab 2003 kategorisch ab. Zumindest sollte eine Verschiebung des Beitritts der Anwärterstaaten um mindestens zehn Jahre erreicht werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort geht an die Landesregierung, Herrn Minister Dr. Scheiter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Wort an die Opposition in diesem Landtag beginnen.

Frau Abgeordnete Stobrawa, Sie haben in Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Sie auf dem Weg sind, die Europapolitik der Landesregierung zu unterstützen. Darüber freuen wir uns. Machen Sie weiter auf diesem Weg!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wenn es darum geht, dass Sie beklagen, an eini gen Stellen noch nicht dabei gewesen zu sein, so wird es an uns nicht liegen. Lassen Sie uns gemeinsam nach Brüssel fahren und die Europapolitik dort ansehen.

Ein Wort zur DVU: Ich habe eine Bitte und treffe eine Feststellung. Meine Damen und Herren von der DVU, sagen Sie uns, wenn Sie in Europa angekommen sind! Dann sprechen wir wieder miteinander.

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei CDU und PDS)

Meine Vorrednerin sollte einmal überlegen, ob es richtig ist, zum Zeugen ihrer Politik den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aufzurufen. Ich finde das schlichrweg unanständig.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit vielen Monaten bereiten sich zehn Staaten in Mittel- und Osteuropa intensiv auf ihren Beitritt zur Europäischen Union vor. Das Thema „Erweiterung der Europäischen Union" ist in den Bewerberstaaten ständig in den Schlagzeilen. Aber rund zwei Drittel der Deutschen würde nichts fehlen, wenn sie in den Medien nichts über die Hauptstädte Europas, also Brüssel. Straßburg oder Luxemburg, hören oder lesen würden, so Frau Nölle-Neumann in der FAZ vom 10. Mai dieses Jahres.

Woher kommt, meine Damen und Herren, diese Gleichgültigkeit gegenüber Europa? Unser Land liegt mitten in Europa, wenn auch heute noch am Rand der Europäischen Union. Hat dieser einfache geographische Befund vielleicht auch eine politischpsychologische Dimension? Die Europawoche 2000 hat uns wieder gezeigt, dass die Mehrheit unserer Bürger all dem, was mit Europa zu tun hat, immer noch eher skeptisch gegenübersteht.

Meine Damen und Herren, wenn morgen Europawahlen wären, würde dann die Wahlbeteiligun g in Brandenburg besser ausfallen als vor einem Jahr? Eine müßige Fra ge und überhaupt kein Anlass, Bürger zu beschimpfen. Nein, es muss für uns Anlass sein, uns immer und immer wieder die Frage zu stellen, warum Europa unsere Bürger kaum erreicht. Warum beherrscht Europa immer mehr die Schlagzeilen? Warum beeinflusst Europa immer

mehr Lebensbereiche? Aber das Interesse unserer Medien und der Mehrheit unserer Bürger gilt nach wie vor vor allem den Problemen auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene.

Wir, meine Damen und Herren, wir alle, haben es offensichtlich nicht geschafft - noch nicht geschafft -, unseren Bürgern klarzumachen, dass auf kommunaler Ebene das Recht der Europäischen Union schon immer mehr Politikbereiche mitgestaltet. Denken Sie an die Wasserversorgung, an Abwassereinrichtungen und auch an den Katastrophenschutz. Ob wir das gut finden oder nicht - die Europäische Union setzt längst Standards, an denen vorbei die kommunalen Parlamente nicht mehr entscheiden können.

Machen wir uns nichts vor: Hier in unserem Landtag, also auf Landesebene, spüren wir den langen Arm der Brüsseler Instanzen noch stärker. Erinnern wir uns: In den Fraktionen und Arbeitskreisen gibt es zum Beispiel ganz klare Vorstellungen darüber, welche Flächen in unserem Land unter Schutz gestellt werden sollten und mit welchen Folgen. Aber die Europäische Union hat uns mit der FFH-Richtlinie einen verbindlichen Rahmen gesetzt, der unseren Handlungsspielraum ganz erheblich begrenzt. Auf Bundesebene schließlich ist das Bewusstsein dafiir, wie weit die europäische Integration auf den verschiedenen Feldern der Politik bereits vorangeschritten ist, sicher am schärfsten ausgeprägt, denn Bundestag., Bundesrat und Bundesregierung sind die häufigsten Adressaten von Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union, aus denen ganz konkret hervorgeht, was der Verlust von Souveränität Für den Spielraum des nationalen Gesetzgebers bedeutet.

Meine Damen und Herren, dieses Wissen um die europäische Dimension unseres Lebens darf nicht länger Hausgut von wenigen Experten bleiben. Und die berechtigte Sorge, dass uns das Projekt Europa aus dem Ruder läuft, weil es ganz offensichtlich Tendenzen zu Zentralismus und Überregulierung gibt. darf nicht in eine negative Grundstimmung gegen Europa münden.

(Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, wer zu Recht Subsidiarität als Handlungsprinzip in der Europäischen Union einfordert, der muss ganz klarmachen, dass damit keine europafeindliche Haltung verbunden ist - im Gegenteil -. denn wenn es uns gelingt, die Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Union auf die Bereiche zu beschränken, die wirklich auf europäischer Ebene geregelt werden müssen, dann wird die Zustimmung zur europäischen Integration wachsen. Dann wird es auch wieder leichter werden, unseren Bürgern klarzumachen, dass die EU dort. wo sie sich in ihrem Kernbereich bewegt, viel Positives auf den Weg bringen kann.

Gerade wir in den neuen Ländern haben doch erfahren, dass zum Beispiel ohne die Fördermittel der EU viele Projekte im Bereich der Infrastruktur nicht oder längst nicht so rasch hätten verwirklicht werden können. Zu vielen Bürgern in unserem Land ist dies noch nicht hinreichend bewusst. In nahezu allen Bereichen haben die Fördermittel aus den EU-Fonds zu den positiven Veränderungen der letzten zehn Jahre ganz erheblich beigetragen.

Was brauchen wir, meine Damen und Herren? Wir brauchen in unserem Land eine große Informationsoffensive zu Europa, mit

der wir auch die Entwicklung der europäischen Politik in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren ganz konsequent begleiten müssen. Das heißt nicht etwa, dass wir neue Agenturen, Magazine oder Videos über europäische Politik schaffen müssten. Es ist schon alles längst auf dem Markt. Europa ist, meine Damen und Herren - objektiv und ohne die gängigen Vorurteile betrachtet -, so transparent wie kaum ein anderer Politikbereich.

Was müssen wir also tun? Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Bürger in unserem Land mehr über Europa wissen wollen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sie die Informationen dann auch erreichen. Wir müssen ihnen dabei helfen zu verstehen, was auf den ersten Blick, beim flüchtigen Zuhören nicht einleuchtet.

Lassen Sie uns gemeinsam damit beginnen! Dabei sind wir gut beraten, zuerst einmal unsere Hausaufgaben zu machen. Wir müssen es schaffen, den Schülern, Lehrlingen und Studenten, den Arbeitnehmern und Rentnern zu erklären, was wir mit unserer Europapolitik erreichen wollen, welche Grundsätze uns leiten und welche konkreten Ziele wir verfolgen, welche ganz konkreten Interessen Brandenburg auf europäischer Ebene verfolgt. wo wir unsere Chancen in Europa sehen und wo es Risiken gibt. wie lange das alles im Einzelfall dauern kann, was es Brandenburg, ganz konkret Brandenburg, bringen kann und, meine Damen und Herren, was es kosten wird.

Die politische Wende in Europa hat die Europäische Union vor die größte Herausforderung seit In-Kraft-Treten der Römischen Verträge gestellt. Es I ieet in der Logik der Geschichte, dass die Staaten und Völker Europas, die im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts das Joch des Kommunismus abgeschüttelt haben, die Chance erhalten müssen, Mitglieder der Europäischen Union zu werden. Alle Reformstaaten wollen diese Option wahrnehmen. Diese einmalige Chance, Europa zu einen und seine Teilung endgültig zu überwinden, müssen wir mutig. nutzen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Landesregierung wird sehr aktiv an der weiteren Gestaltung der Europäischen Union, an der Erweiterung und Vertiefung mitwirken, Sie wird dabei die eigenen Interessen wirksam vertreten und dazu beitragen, dass Europa auf dem stabilen Fundament eines Europa der Bürger in den Regionen, in den Nationen und in der Europäischen Union weiter gefestigt wird.

Die Landesregierung unterstützt den zügi gen Beitritt Polens, aber auch der anderen mittel- und osteuropäischen Länder, denn die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten lie gt im wohlverstandenen Interesse des Landes und der Bundesrepublik Deutschland. Die Erweiterung wird den Binnenmarkt von über 300 Millionen Konsumenten auf fast eine halbe Milliarde vergrößern und in seiner Attraktivität weiter stärken.

Meine Kollegen Fürniß und Ziel weisen zu Recht darauf hin: Die deutsche Ausfuhr nach Mittel- und Osteuropa sichert Arbeitsplätze in Deutschland. Die hohen Exportüberschüsse - sie betrugen im Handel mit den Beitrittsländern allein im Jahr 1998 rund 13 Milliarden DM - sind ein deutlicher Indikator dafiir, dass durch den Warenexport mehr Arbeitsplätze geschaffen als durch den Import eingespart werden.

Meine Damen und Herren, diese positive Entwicklung gilt auch für unser Land. Heute ist Polen noch vor den USA und Frankreich Brandenburgs wichtigster Außenhandelspartner. Jede zehnte Mark, die unsere Unternehmen heute im Außenhandel verdienen, wird in Polen erwirtschaftet. Nach dem Beitritt werden geringere Transaktionskosten und ein schnellerer Zugang zum Markt die Position unserer Unternehmen im globalen Wettbewerb weiter verbessern.

Wir können hier nicht, meine Damen und Herren. über Europa und die Osterweiterung sprechen und dabei die Frage nach dem Zeitpunkt übergehen. Sie wird zu Recht immer wieder gestellt, aber sie ist heute von niemandem wirklich seriös zu beantworten, denn der Europäische Rat von Helsinki hat 1999 beschlossen, dass die Entscheidung ftir jedes Land individuell danach getroffen werden wird. ob es die Kopenhagener Kriterien für den Beitritt erfüllt. Es geht also jedenfalls nicht nach der Reihenfolge der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen.

Die Beitrittskandidaten, meine Damen und Herren, haben also den Zeitpunkt ihres möglichen Beitritts weitgehend selbst in der Hand. Je rascher sie den Normenbestand der Europäischen Union übernehmen und auch tatsächlich umsetzen - was noch viel wichtiger ist -, desto früher können die Verhandlungen abgeschlossen und die Beitrittsverträge in das Ratifikationsverfahren gegeben werden.

Unsere Nachbarn wissen sehr gut, dass wir bereit sind ohne jeden Vorbehalt dazu unseren Beitrag zu leisten. Das ist ein Gebot der Vernunft. Wir unterstützen die Beitrittskandidaten durch zahlreiche ganz konkrete Maßnahmen. Erlauben Sie dem Europa- und Justizminister, dass er beispielhaft nur auf die Zusammenarbeit mit Polen im Bereich der Justiz hinweist. Damit leisten wir einen auch aus der Sicht Polens und der Europäischen Kommission wichtigen Beitrag, die Justiz in unserem Nachbarland fit zu machen für die Europäische Union. Ich weiß, dass mein Kollege Schönbohm im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit mit Erfolg den gleichen Weg beschreitet.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Landesregierung, meine Damen und Herren, geht in den Fragen der Osterweiterung mit Augenmaß und mit der Bescheidenheit zu Werke, die einem Bundesland auf einem politischen Terrain angemessen ist, das in erster Linie der Bund zu bestellen hat. Aber dort, wo es um die Zusammenarbeit der Regionen auf dem Weg zur Erweiterung der Europäischen Union geht, bringen wir mit einem sehr gesunden Selbstbewusstsein unsere Erfahrung und unser Know-how ein. Wir pflegen noch intensiver die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit, vor allem mit unseren polnischen Partnerwoiwodschaften und dem Komitat Szolnok in Ungarn, um nur ein Beispiel zu nennen.

Diese weit gespannte Zusammenarbeit lie gt nicht nur im Interesse der Beitrittskandidaten. Sie stärkt letztlich auch den Standort Brandenburg, weil alte Beziehungen gepflegt und neue geknüpft werden. Sie belegt mehr als tausend Worte. dass sich Brandenburg gegen so manche Vorurteile weltoffen und tolerant auf seine neue Rolle einstellt, ein guter Partner und ein guter Standort mitten in Europa zu sein.