Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schuldt von der DVU-Fraktion hat den Volkswillen ins Gespräch gebracht. Als Mitglied des Verfassungsausschusses möchte ich sagen, dass in diesem Gremium eine sehr umfangreiche Debatte über die Trennune von Amt und Mandat stattgefunden hat, Es gab Anregungen des Verfassungsausschusses, die den Bürgerinnen und Bürgern zur Diskussion vorgelegt wurden. Zu den Anregungen, die zur Diskussion standen, gehörte auch die Trennung von Amt und Mandat. Nach der Beschlussfassung im Parlament haben die Bürgerinnen und Bürger eine Verfassung in Kraft gesetzt, die den Aspekt der Trennung von Amt und Mandat nicht enthielt, weil es für diese Position weder eine Mehrheit des Volkswillens noch eine Mehrheit des parlamentarischen Willens gab, so intensiv und argumentativ wir uns aufdiesem Gebiet auch bemühten. Der demokratische Anstand gebietet es, eine Mehrheitsentscheidung zu respektieren.
Das heißt keineswegs, dass man die Argumente der Minderheit nicht noch einmal benennen sollte, die sich auf folgende Gedanken bezogen: Es macht Sinn, darüber nachzudenken, dass Minister, die zugleich Abgeordnete sind, natürlich weniger Möglichkeiten haben, ihre Aufgaben als Abgeordnete - zum Beispiel in einem Ausschuss - zu erfüllen. Auch in ihrem Wahlkreis agieren sie immer als Minister und nicht als Abgeordnete. Es macht schon Sinn, darüber nachzudenken, wie ein Minister sich durch sein Abgeordnetenmandat selbst kontrolliert, denn die Kontrolle ist schließlich die Aufgabe der Abgeordneten und des Parlaments.
Ich selbst hafte Gelegenheit, im Parlament sechsmal zu diesem Thema zu sprechen. Deshalb erspare ich mir in meiner heutigen, siebenten Rede weitere Ausführungen, denn auch ich glaube, das Parlament respektiert den Anspruch, eine Verfassung besonders ernst zu nehmen und sie nicht bei jeder einzelnen, neu auftretenden Frage einer Veränderung zu unterziehen, denn schließlich ist die Verfassung durch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in Kraft gesetzt worden. Wir haben nur eine bedingte Kompetenz, in den Text einer Verfassung, die die Bürgerinnen und Bürger mit einem Volksentscheid in Kraft gesetzt haben, in Form von Detailregelungen weitere, uns genehme oder auch nicht genehme Formulierungen aufzunehmen. Herr Klein hat bereits darauf verwiesen, dass das ruhende Mandat einer Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.
Ich glaube, insoweit gibt es auch einen Unterschied zu der Situation in Hamburg und in Bremen. In diesen beiden Stadtstaaten haben wir es mit Abgeordneten zu tun, die in einem Kosten erstattenden Teilzeitparlament agieren, während in Brandenburg und in anderen Flächenländern Berufsparlamente existieren. Insofern nimmt der Parlamentarier in solchen Parlamenten einen anderen Stellenwert ein. Dann ist es schon bedenklich, wenn man das Bestehen des eigenen Mandats in eine Abhängigkeit von der Mitgliedschaft eines Ministers, der sonst dieses Mandat besetzen würde, in einer Landesregierung bringt. Das ist eine rechtliche Frage, die wie alle anderen Gegenstand vieler Untersuchungen und Gutachten war, die in Brandenburg auch vorliegen. Ich empfehle diese Unterlagen zur Lektüre, denn ich glaube, dass danach eine viel sachlichere Diskussion möglich wäre.
Wir sehen angesichts der Tatsache, dass es um das ruhende Mandat geht, und auch mit Blick auf die Verfassung, die wir als gegeben betrachten und die im letzten Jahr geändert wurde, keinen Handlungsbedarf bezüglich dieser Verfassungsänderung und lehnen den Antrag ab. - Danke schön.
Herr Kollege Vietze, würden Sie mir zustimmen, dass man den Volkswillen nur dann besonders dezidiert nennen und sich auf ihn berufen sollte, wenn man auch bereit ist, sich zum Beispiel mit Direktwahlkandidatinnen und -kandidaten in einem Wahlkampf den Bürgerinnen und Bürgern zur Wahl zu stellen?
Das halte ich für sehr wichtig, Herr Schulze. So sehr ich jedoch die Wahl von DVU-Abgeordneten bedauere, so respektiere ich doch, dass sie in diesem Parlament vertreten sind und Vorschläge einbringen. Andererseits halte ich sehr viel davon, den Kollegen der DVU auch deutlich zu sagen, an welchen Stellen sie die Diskussion mit einem Volkswillen. der in dieser Weise nicht existiert. belasten. Wir sollten uns demzufolge auf unsere Verantwortung besinnen. - Danke schön.
Damit ist die Rednerliste abgearbeitet und wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der DVU beantra gt die Überweisungder Gesetzentwürfe mit den Drucksachennummern 3/727 und 3/728 an den Hauptausschuss, der federführend sein soll, sowie an den Innenausschuss und den Rechtsausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Gesetzentwurf der DVU-Fraktion mit der Drucksachennummer 3/728 folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt worden.
Wer dem Gesetzentwurf der DVU-Fraktion mit der Drucksachennummer 3/727 folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist auch dieser Gesetzentwurf mehrheitlich abgelehnt worden. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3.
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Herr Abgeordneter Vogelsänger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines muss man anerkennen: Für eine überraschende Meldung ist der neue Bahnchef Mehdorn immer gut, so geschehen zum Vorschlag der Bildung regionaler Schienennetze. Wir, das Land Brandenburg, sind als Aufgabenträger für den schienengebundenen Personennahverkehr gehalten, die Konsequenzen, das heißt die Chancen und die Risiken, die damit verbunden sind, genauestens zu prüfen.
Das Land Brandenburg hat seit dem 01.01.1996 die Verantwortung für den schienengebundenen Personennahverkehr und bestellt entsprechend die Leistungen. Dieser Verantwortung wurden wir voll gerecht. Die Fahrgastzahlen im SPNV sind erheblich gestiegen. Vielfach volle Züge sind ein Beleg für gute Bahnpolitik.
im Mittelpunkt all unserer Überlegungen stehen zwei Punkte. Zum einen gilt es, den Nutzern ein möglichst attraktives Angebot im ÖPNV zu unterbreiten. Weiterhin sind die Mittel, die wir dafür einsetzen, Mittel der Steuerzahler. Wir sind verpflichtet, diese Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen.
Meine Damen und Herren! Nicht zufrieden stellend ist der Ausbau der Schieneninfrastruktur. Dieser ist dringend notwendig, denn auch in diesem Bereich wurde im Jahr 1990 ein schweres Erbe übernommen. Mit Höchstgeschwindigkeiten von zum Teil unter 40 Kilometern pro Stunde ist der schienengebundene Personennahverkehr nun einmal nicht konkurrenzfähig. Das gilt auch und in besonderem Maße im regionalen Schienennetz. Nur mit schnellen, direkten und vertakteten Verbindungen ist der Schienenpersonennahverkehr gegenüber dem Individualverkehr konkurrenzfähig.
Mitunter liegt es bei der Umsetzung von Investitionen in die Schieneninfrastruktur noch nicht einmal am Geld. Der zuständige Bereich der Deutschen Bahn AG „DB Netz" zeigt sich bei der zugegebenermaßen teilweise schwierigen Planung oft sehr schwerfällig. Die Bildung regionaler Schienennetze könnte auf diesem Gebiet ein flexibleres Handeln ermöglichen. Dies ist dringend notwendig.
Meine Damen und Herren, das möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen. Da sich bei der Scharmützelsee-Bahn von Fürstenwalde über Bad Saarow nach Beeskow die Schwellen zum Teil in Auflösung befanden, wurde im Jahr 1995 die umfassende Sanierung der Strecke beschlossen. Mit der Planung wurde 1996 begonnen. Die Fertigstellung sollte Ende 1998 sein. So weit, so gut. Im Oktober 1999 wurde der erste Abschnitt von Fürstenwalde nach Bad Saarow eingeweiht. Der Ausgang dieser bedauerlicherweise unendlichen Geschichte ist offen: ein weiteres Beispiel ist der S-Bahn-Anschluss Teltows.
Der Hinweis auf die Geschichte ist übrigens treffend. Der Ausbau der Strecke von Fürstenwalde über Bad Saarow nach Beeskow wurde 1909 vom Kreistag Beeskow-Storkow beschlossen. Die Planung erfolgte 1910, und - man höre und staune! - die Einweihung war 1911. Vielleicht sollte sich die heutige Deutsche Bahn beim Schienenausbau an solchen Bauzeiten ein Beispiel nehmen.
Wenn sich durch die Bildung regionaler Netze die Baumaßnahmen beschleunigen und gegebenenfalls auch Baukosten reduzieren lassen, wäre dies durchaus ein positiver Faktor. Dabei danken wir der Deutschen Bahn zwar für die Anregung, werden uns aber eigene Gedanken machen, wie solche Teilnetze gegebenenfalls aussehen könnten. Da dies eine weitreichende Entscheidune ist, sind die Auswirkungen auch in rechtlicher Hinsicht zu untersuchen. In diesen Prozess ist der parlamentarische Bereich umfassend einzubeziehen. Grundlage dafür sollte ein Bericht des zuständigen Verkehrsministeriums im Fachausschuss sein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren? Die kritischen Worte gegenüber der Bahn AG, die wir von Herrn Vogelsänger gehört haben, überraschen uns sehr. Dass dieses Mal im Zusammenhang mit dem an gekündigten Vorstoß von Herrn Mehdorn nicht gleich Hurra geschrien wird, überrascht sehr. Die Bahnreform hat bisher nur die PDS-Fraktion in diesem Haus sehr kritisch begleitet. Die SPD-Fraktion war eher in der Situation, das zu begrüßen, was die Bahn AG an „Neuerungen" vorgeschlagen hat. Wir haben die Bahnreform immer kritisch begleitet.
Wir haben unsere kritische Begleitung mit zahlreichen Vorschlägen zur Ausgestaltung der Bahnreform deutlich gemacht. Allein im Brandenburger Landtag haben wir seit 1995 mindestens ein Dutzend Initiativen zur Stärkung des regionalen Schienenverkehrs im Land Brandenburg vorgeschlagen. Zur Wahrheit gehört: Diese Vorschläge sind von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, alle abgelehnt worden. Die CDUFraktion bildete im Zusammenhang mit dem Schienenpersonennahverkehr damals eine zu vernachlässigende Größe.
Bei unseren Initiativen gab es mehrere Vorschläge zur Schaffung regionaler Netze als Voraussetzung für den Erhalt von Strecken und Bahnhöfen im Land Brandenburg. Unter unseren Vorschlägen war auch die Forderung, durch die Herauslösung des Netzes aus dem Konzern der Bahn AG die Voraussetzungen zu schaffen, um der Monopolstellung der Bahn AG politisch begegnen zu können. Schließllich sollte auch für das Schienennetz gelten, dass der Ausbau und der Erhalt der Infrastruktur eine Aufgabe der staatlichen Gemeinwohlvorsorge ist.
Ich will ausdrücklich daran erinnern, dass zur Verkehrsinfrastruktur nicht nur die Straßen und Autobahnen, sondern auch das gut verzweigte Eisenbahnnetz im Land Brandenburg gehören. In Brandenburg gab es für eine selbstbestimmte Bahnpolitik - ich habe das eingangs bereits beschrieben - nur taube Ohren. Was die Bahn vorgeschlagen hat, war immer eut, wurde akzeptiert und fand sofort Anerkennung. Heute ist es offensichtlich anders.
Mit dem Wechsel an der Konzernspitze scheint sich der Kurs auf die letztendliche Vernichtung der Potenziale, die ein leistungs
fähiges Bahnnetz in allen Regionen hätte, zu verstärken. Die ersten Botschaften, die Herr Mehdorn nach seinem Amtsantritt losschickte, heißen: Konzentration auf den Fernverkehr, Entlassung von weiteren 70 000 Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern. Darunter sollen jeder vierte Lokführer und 27 000 Beschäftigte im Regionalverkehr entlassen werden. Die Reduzierung der Leistungen im regionalen Personennahverkehr ist damit verbunden.
Jetzt wird durch Herrn Mehdorn verbrämt, was die Bahn eigentlich will, nämlich den totalen Ausstieg aus der Fläche. Nicht umsonst - das gehört dazu - muss man in diesem Zusammenhang das Unternehmen DB Regio benennen, das deutschlandweit der größte Busverkehrsanbieter ist. Auch hier gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang, was die angebliche Wirtschaftlichkeit der Deutschen Bahn AG mit Schienenleistungen betrifft.
Natürlich muss geprüft werden. Die Risiken und Chancen, die sich mit einem regionalen Bahnnetz verbinden, müssen abgewogen werden. Darin unterstützen wir den Antrag der Koalition, der sehr lieb an die Regierung formuliert ist. Die Regierung wird aufgefordert, geradezu gebeten, sie möge doch nachschauen. Das ist eine neue Qualität des Umgangs mit der Regierung.
Wir unterstützen Sie bei dieser Auftragsvergabe und erinnern daran, dass Sie, Herr Verkehrsminister, wenn Sie hier vorn standen und sich positionierten, gesagt haben. dass das Land eine eigene Eisenbahnstrategie habe. Das war für uns nicht immer erkennbar, aber mö glicherweise ist das die Grundlage, um Risiken und Chancen abzuwägen, die im Zusammenhang mit regionalen Eisenbahnnetzen stehen.
Ich wiederhole an dieser Stelle meine Forderung: Das Land Brandenburg soll sich endlich von den Vorgaben der Deutschen Bahn AG emanzipieren und einer eigenständigen Eisenbahnstrategie zum Leben verhelfen.
Ich erinnere daran: Das Land ist Träger des Schienenpersonennahverkehrs und hat damit besondere Verantwortung dafür, wie der regionale Eisenbahnverkehr künftig im Land Brandenburg funktionieren wird. Wer Personenverkehr fahren wird, bietet dem Güterverkehr eine Chance. Wenn das Land keinen Personennahverkehr mehr bestellt, dann wird auch nicht mehr gefahren. Dann hat die Bahn AG mit ihrem neuen Vorschlag überhaupt keine Chance. Wir sollten prüfen, was notwendig ist, und entscheiden.