Protocol of the Session on March 16, 2000

(Beifall bei der PDS)

Das schließt übrigens kritische Einflussnahme nicht aus, verändert aber die Perspektive der Betrachtung.

Unsere Jugendlichen bringen also ein zunehmend emanzipatorisches Potenzial mit, das wir als Chance begreifen oder immer wieder enttäuschen können.

Genau in diesem Zusammenhan g: Eine Schule, egal in welcher Schulform, die ihre Schülerinnen und Schüler in dieser Dimension nicht als soziale Wesen begreift, sehe ich persönlich als ungeeignet an. Eine Schute, die vorrangig Wissen ausschüttet, unabhängig von der Persönlichkeit der Schülerin oder des Schülers, produziert Kälte und Entfremdung. Berechtigterweise sprachen Sie von der Anonymität großer Schulkomplexe.

Eine Schule, die ausschließlich auf Leistung und Flexibilität setzt, produziert Entwurzelung und fördert letztlich auch Gewalt.

(Beifall bei der PDS)

In Mecklenburg-Vorpommern - so konnte ich in der „Schweriner Volkszeitung" lesen - wird es ein Bildungsforum geben. 500 Wissenschaftler. Politiker und Lehrer sind gefordert, langfristige Leitlinien für eine „schonende" Entwicklung zur Zukunftsschule zu entwickeln. Einer der Arbeitsbegriffe heißt „Regionalschule". Er stellt übrigens die bisherigen Schulformen durchaus infrage.

Der Bi ldungsminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Peter Kauffold, SPD, äußerte sich in der „Schweriner Volkszeitung" wie folgt:

„Lehrer können nicht das Elternhaus ersetzen, aber sie hätten die Pflicht, den Kindern und Jugendlichen bei den Problemen infolge des rasanten gesellschaftlichen Wandels zur Seite zu stehen."

(Beifall bei der PDS)

Die angestrebte Breite der Diskussion in Mecklenburg-Vorpommern halte ich für vorbildlich. Ich gehe davon aus, dass sie Lehrerinnen und Lehrern Gelegenheit gibt, auch über ihre eigene Frustration und über ihre eigene Emanzipation zu reden.

Sie sehen: Auch andere lässt der Runde Tisch nicht los, auch wenn er in Mecklenburg-Vorpommern _Bildungsforum" heißt!

Egal, ob in Schule. Lehre, Freizeit - wir müssen die Potenziale junger Menschen entdecken und fördern. Das spart uns so manche Kamera im öffentlichen Raum. - Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Herrn Abgeordneten Hammer. - Das Wort geht an die Fraktion der SPD, Frau Abgeordnete Siebke. Aber ehe ich es Ihnen gebe, möchte ich passend zum Thema junge Gäste hier im Landtag begrüßen, und zwar Schüler der Käthe-Kollwitz-Realschule in Potsdam. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bitte schön, Frau Siebke!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt hat viele Gesichter. Sie wird verbal ausgeübt; sie wird erlebt in der diffizileren Form der Ausgrenzung, des Mobbings, und sie tritt uns in ihrer brutalen Form der körperlichen Gewaltausübung entgegen.

Hässlich sind die Gesichter allesamt, wobei durchaus nicht gesagt ist, dass Prügel immer schmerzhafter sein müssen als verletzende Worte und Ausgrenzung.

Gewalt richtet sich gegen Objekte. Sie nimmt von Schüler zu Schüler Gestalt an. Sie wird ausgeübt von Lehrern gegenüber ihren Schülern und umgekehrt. Und sie ist auch innerhalb der Lehrerschaft nicht unbekannt.

Gesichert ist die Erkenntnis, dass in der Mehrzahl der Fälle nicht sicher zwischen Täter und Opfer unterschieden werden kann. Wir haben es mit dein Schema zu tun: Aggression löst Gegenaggression aus.

Nun sind Formen von Gewalt auch im Schulbetrieb nicht neu. Sie sind bekannt, seit es die Institution Schule gibt. Besorgniserregend ist ihr Ausmaß, ihr Überschreiten lange akzeptierter Grenzen. Zum Beispiel gilt nicht mehr: Wer bereits am Boden liegt, wird nicht mehr angegriffen. - Und eine zunehmende Zahl von Kindern und Jugendlichen artikuliert: Gewalt ist ein notwendiges Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. - Die Hälfte aller Schüler sagt, dass sie in irgendeiner Art bereits persönlich Gewalt miterlebt hat.

„Kinder sind solange gut, bis sie durch Erziehung verdorben werden."

Dieser Satz von Hugo Wiener hängt als Mahnung an der Wand gegenüber meinem Schreibtisch, und das schon sehr lange. Auch meinen Töchtern ist der Satz gut bekannt und wurde immer dann zitiert, wenn sie meinten, meine Erziehungsmaßnahmen seien unangemessen. Nicht selten hatten sie Recht. Durch ihren Einspruch haben sie erfolgreich zu ihrer Erziehung beigetragen.

Nein, was ich meine, ist, dass Kinder als unbeschriebene Blätter zur Welt kommen, und wenn sie so werden, wie sie sind, dann haben wir alle in irgendeiner Weise zur Beschriftung beigetragen.

Das ist kein Entschuldigungsversuch für kriminelles oder gewalttätiges Handeln. Ich stehe für angemessene Sanktionen; denn das Übersehen von entsprechenden Handlungsweisen hilft dem Täter nicht und diskriminiert das Opfer.

Mangel an Analysen der Ursachen zunehmender Gewaltbereitschaft bei jungen Menschen herrscht nicht. Übereinstimmend sagen Erziehungswissenschaftler, Psychologen, Jugendforscher, dass es immer ein Bündel von auslösenden Faktoren gibt. Das Versagen von Familien bzw. von elterlicher Erziehung, die Fragwürdigkeit von Zukunftschancen, Gewaltverherrlichung in den Medien sind meistgenannte Faktoren.

Bekannt ist ebenfalls, was Heranwachsende brauchen: Orientierung, das heißt Vorbilder, Maßstäbe, Verständnis; Freiräume, das Sich-angenommen-und-gebraucht-Fühlen, Geborgenheit, Anforderungen, denen sie gewachsen sind, und Kommunikation mit Erwachsenen und Gleichaltrigen.

Fakt ist aber auch, dass immer mehr Kinder genau das entbehren. Entsprechend ihrem geistigen Vermögen reagieren sie darauf.

Die Schule kann nicht die Probleme der Gesellschaft lösen. Das ist sicher richtig. Aber die Schule ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Gesellschaft und bestimmt die Lebenswelt der Heranwachsenden mindestens zehn Jahre lang nicht unwesentlich. Die Schule selbst ist also Teil ihrer Erfahrungswelt und prägt sie.

Ich teile die Ansicht, dass das Schulklima über Leistungsbereitschaft von Lehrern und Schülern entscheidet und darüber bestimmt, wie hoch das Aggressionspotenzial an der Schule ist.

Es ist kein Geheimnis, dass dort, wo Lehrer, Eltern und Schüler nicht übereinander, sondern miteinander reden, wo Schüler entsprechend ihrem Leistungsvermögen gefordert und gefördert werden, wo Höflichkeit und Respekt voreinander gelebt werden, wo Konflikte benannt werden und gelernt wird, mit ihnen umzugehen, Gewalt nicht ausgeschlossen, aber kein prägendes Element des Umgangs miteinander ist.

Genauso bekannt ist, dass eine Schule, die unter dem Vorwand, ihre Schüler auf die Leistungsgesellschaft vorzubereiten, auf Stoffvermittlung setzt, Bedürfnisse und Lebensrealität der Schüler ausblendet und Leistungsbereitschaft durch Leistungsdruck und Repression zu erzeugen versucht, demotiviert, weil sie einer großen Anzahl von Schülern frühzeitig klar macht, dass sie kaum Chancen haben, erfolgreich zu sein.

Führende große Wirtschaftsunternehmen haben sich diesen Zusammenhang längst zu Eigen gemacht. Dietmar Treutsch, in seinem Unternehmen zuständig für Innovationsmanagement, kommt in einem Vortrag zum Thema „Leistungsmotivation in der Wirtschaft - Beispiel für Schule" zu dem Schluss:

„Nichts motiviert mehr als Erfolge. Führen heißt dafür zu sorgen, dass andere erfolgreich sind."

Die Lehrer nehmen im System Schule eine Schlüsselposition ein. Von ihnen hängt es in erster Linie ab, welches Klima in einer Schule herrscht. Die Lehrer müssen ihre Schüler so annehmen, wie sie sind, und Strategien entwickeln, mit ihnen umzugehen.

Abenteuerlich mutet es meines Erachtens an. wenn Lehrer in den Chor mancher Politiker und Eltern einstimmen, dass Schulformen - sprich in diesem Fall die Gesamtschule - die Ursache des Problems seien. Wenn eine Gesellschaft wie die unsere auf frühzeitige Selektion setzt, braucht man sich anschließend nicht zu wundern, dass sich an Schulen, die ihre Schüler nicht aussuchen können oder wollen, natürlich die besonders problembeladenen Schüler konzentrieren.

Gesamtschulen, geht sehr bewusst mit ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag um. Diese Lehrer kennen die Problemlagen ihrer Schule und vor allem ihrer Schüler und Streitschlichterprojekte, Opferschutzprojekte, das Einbeziehen von Eltern tragen zur Verbesserung des Schulklimas bei. Lehrer, Eltern und Schüler reden miteinander, treffen Absprachen und Vereinbarungen.

Aber auch Lehrer sind erheblichem Druck ausgesetzt. Eine - wenigstens aus ihrer Sicht - problembehaftete Schülerschaft, Zeitdruck, die Erwartungshaltung der Gesellschaft lassen Lehrer resignieren. Es ist ungerecht, den Lehrern Versagen vorzuwerfen, ohne über Rahmenbedingungen an der Schule und Unterstützungssysteme für Lehrer zu reden.

In den letzten Jahren hat sich in Brandenburg einiges getan. Regionale Beratungssysteme für die Schulen sind installiert worden. Fortbildung hilft Lehrern, Konflikt- und Krisenmanagement zu lernen. Das 610-Stellen-Programm half, Schulsozialarbeit zu installieren. Vor Ort sind Präventionsräte ins Leben gerufen worden.

Dies alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zeitliche Belastung der Lehrer hoch und zum Teil ungerecht verteilt ist, dass vielerorts die Schülerstärken der Klassen zu hoch und die Klassenräume zu klein sind, was individuelles Eingehen auf Schüler und den Einsatz effektiver Unterrichtsmethoden erschwert, und dass mancherorts Lehrermangel herrscht. Auch Schulsozialarbeit und andere Unterstützungssysteme funktionieren nicht in allen Orten gleich gut.

Nur wenn einerseitsdie Bereitschaft der Lehrerschaft steigt, sich den Problemen zu stellen, und andererseits an der Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen gearbeitet wird, besteht berechtigte Aussicht, dass die Schule selbst ihren Anteil daran leisten kann, Gewalt an Schulen zurückzudrängen. Die beste Gewaltprävention. die Schule leisten kann, ist gute Schule.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Fechner,

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Volksunion ist der Meinung, dass die Jugend heute im Wesen nicht wesentlich gewalttätiger und ag gressiver ist als vor zehn oder zwanzig Jahren. Wir finden aber, dass die Hemmschwelle zur Gewaltbereitschaft sehr, sehr niedrig geworden ist.

Die Ursachen dafür sind sehr vielfältig. Etliche wurden hier bereits genannt. Da mir jedoch nur fünf Minuten Redezeit zur Verfügung stehen, werde ich nur eine Ursache erörtern, die bis jetzt noch nicht erwähnt wurde.

(Einzelbeifall bei der SPD)

Die Lehrerschaft vieler Schulen, insbesondere von Grund- und

Wir, die Fraktion der Deutschen Volksunion, finden, dass die Gesellschaft einen Fehler macht, indem sie seit Jahren eine antiautoritäre Erziehung an den Schulen praktiziert mit dem Ge

danken, dass der Lehrer als gleichberechtigter Partner, als lehrender Freund angesehen werden soll.