Elisabeth Veldhues
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Last Statements
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat heute allen sehr deutlich gemacht: Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.
Ohne seelische Gesundheit gibt es für Kinder keinen Zugang zur Bildung und ohne Ausbildung auch keinen Zugang zum Erwerbsleben. Wer vom Erwerbsleben ausgeschlossen ist, lebt in unserer Gesellschaft an der Armutsgrenze und ist somit von zentralen Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe dauerhaft ausgeschlossen. Deshalb ist es für die SPD immens wichtig, dass wir frühzeitig die Mittel dort einsetzen und die Weichen richtig stellen, wo wir diese Entwicklung tatsächlich verhindern können. Wir werden in diesem Raum in den nächsten Jahren noch viel über Inklusion reden. Wir werden dafür eintreten, dass Menschen nicht ausgeschlossen werden. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie läuft es jetzt diametral in die andere Richtung.
Psychische Störungen, Erkrankungen und Behinderungen kennen keine Zuständigkeitsgrenzen, die Fachdisziplinen und die Kostenträger aber sehr wohl. Da wir nicht erwarten können, dass sich die Menschen mit Problemen an den Zuständigkeitsrastern deutscher Behörden und Instanzen ausrichten,
fordern wir im Einvernehmen mit allen Sachverständigen, Herr Romberg, eine verstärkte Koordinierung zwischen der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie gilt es zu organisieren, und zwar nicht einzelfallbezogen oder personenabhängig, sondern strukturell geordnet mit klaren Standards und verbindlichen Regeln, welche Hilfe bei Belastungsfaktoren einsetzen wird.
In den Anhörungen ist uns sehr dramatisch die reale Situation für die erkrankten Kinder und die betroffenen Familien aufgezeigt worden. Das hieß für viele, nach der Konsultation des Kinderarztes bis zu sechs Monate zu warten, um einen Termin beim Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu bekommen. Wenn dann für das Kind eine stationäre Behandlung angezeigt war, hieß es wieder warten. Auch hier kann es wieder Monate dauern.
Herr Minister, ich konstatiere sehr wohl, dass Sie in diesem Fall sehr sensibel reagieren und das für die Familien nachvollziehen können. Nur die Realität ist immer noch so, wie sie ist. Von daher greifen für uns die Forderungen im CDU/FDP-Antrag völlig zu kurz. Schon Ihre Einlassung, meine Damen und Herren von der Koalition, im Begründungstext müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Dort heißt es wörtlich:
… gibt es vor allem in den ländlich strukturierten Regionen vereinzelt noch Versorgungsengpässe. Aber auch in Ballungsräumen sind Engpässe erkennbar.
Das gibt in keiner Weise die aktuelle Versorgungslage wieder. Es muss für die betroffenen Familien zynisch klingen.
Die Einlassung steht auch in klarem Widerspruch zu den Ausführungen des Ministeriums in zwei Sitzungen. Vor drei Jahren haben wir uns in zwei mehrstündigen Anhörungen mit der gesamten Problematik befasst. Inzwischen ist zu viel Zeit verstrichen, Zeit zum Debattieren und zum Sondieren, ob es in dieser wichtigen Frage einen Konsens zwischen allen Fraktionen geben kann. Meine Kollegin Heike Gebhard hat gerade sehr deutlich aufgezeigt, wie ärgerlich es ist, das uns das in der Zeit nicht gelungen ist.
Ich appelliere noch einmal an Sie alle, heute dazu beizutragen, für Veränderungen zu sorgen. Zeigen wir einvernehmlich, dass wir es ernst meinen! Helfen wir den Kindern und ihren Familien! Der jetzige Verschiebebahnhof muss der Vergangenheit angehören. Passen wir Hilfsangebote – ambulant, teilstationär und stationär –, die in Ihrem Antrag nicht enthalten sind, dem dringenden Bedarf an! Helfen wir mit, dass schwierige Kinder nicht weiterhin entwurzelt werden und durch systematische Wechsel der Einrichtungen – Jugendhilfe, Krankenhaus und zurück – weiterhin einen schwierigen Start ins Leben haben! Machen wir die in einigen Regionen
entwickelten Kooperationen zur Blaupause für die vor Ort Tätigen! In diesem Politikfeld sind die steuernde Funktion und die Verantwortung des Landes gefordert.
Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir Sie auf und appellieren an Sie alle, Sonntagsreden auch in Dienstagsabstimmungen umzusetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe sehr, dass es einen gemeinsamen Weg in dieser wichtigen Frage gibt. – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! 1992 ist das Betreuungsgesetz in Kraft getreten. Mit der rechtlichen Betreuung wurde die frühere Vormundschaft ersetzt. Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser Reform das Ziel, an die Stelle der Entmündigung die Betreuung zu setzen, um den Betroffenen Hilfe zu einem freien und selbstbestimmten Leben zu geben.
Herr Präsident, ich wäre sehr dankbar, wenn die Herren ihre Gespräche draußen führen könnten.
Ich danke, Herr Präsident. – Die Betreuung greift massiv in die Grundrechte der Betroffenen ein; das hatte ich gerade ausgeführt. Daher sind Verantwortungsbewusstsein und die kenntnisreiche und sorgfältige Handhabung eigentlich selbstverständliche Voraussetzungen.
Ob die Praxis der Betreuung diesen Ansprüchen gerecht wird, wollten wir mit der Großen Anfrage kritisch hinterfragen.
Meine Damen und Herren, die Beantwortung durch die Landesregierung zeigt deutlich, dass die bisher vornehmlich von der Justiz und der Rechtspolitik verwaltete Rechtsfürsorge einer Revision zu unterziehen ist.
Die gerichtlich angeordnete Betreuung wird aber zunehmend ein sozial- und gesundheitspolitisches Thema. Lassen Sie mich anhand der aufgeworfenen Fragen darstellen, warum uns die Beantwortung so nicht zufriedenstellen kann und wir langfristig eine andere Ausrichtung im Interesse der betroffenen Menschen erreichen wollen.
Uns allen liegt der Bericht über die Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vor. Hinsichtlich sozialpolitischer Fragestellungen zum Betreuungswesen ist die Datenlage sehr unbefriedigend, da sie sich vorrangig an den administrativen Bedürfnissen der Justizverwaltung orientiert.
Dieser im April 2009, also recht aktuell veröffentliche Endbericht sagt aber sehr deutlich – ich zitiere –:
Nach Einführung der pauschalierten Vergütung gibt es weniger persönliche Kontakte zwischen den beruflichen Betreuern und ihren Betreuten. Dies trifft insbesondere die Kontakte zwischen selbstständigen Berufsbetreuern und deren Betreuten. Sie sehen ihren Betreuer nur noch sehr selten.
Um eine auskömmliche Vergütung zu haben, erhöhten die beruflichen Betreuer die Anzahl ihrer Betreuungen und haben dadurch deutlich weniger Zeit für den Einzelnen. Auch haben nach Angaben der Gerichte seit Einführung des Zweiten Änderungsgesetzes die Beanstandungen sehr stark zugenommen. Circa 11 % der Gerichte haben eine feste Grenze bezüglich der Anzahl der Betreuungen.
So weit die Aussagen im vorliegenden Endbericht.
Daher lautet unsere Frage: Wie wird dies in NRW gehandhabt? Die Antwort können Sie nachlesen: Das wissen wir nicht. – Ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung, in der es wörtlich heißt:
Der Landesregierung liegen keine Zahlen über die auf einen Berufsbetreuer durchschnittlich entfallenden Betreuungen vor. § 1897 Abs. 8 BGB verlangt zwar, dass sich Berufsbetreuer über die Zahl und den Umfang der von ihnen berufsmäßig geführten Betreuungen zu erklären haben. Von dieser Regelung wird aber von den Berufsbetreuern nicht flächendeckend Gebrauch gemacht.
Das hört sich an, als sei das ein Angebot, aber keine Vorschrift. Wir fragen uns, wo die Kontrolle bleibt.
Auch führen Sie aus, dass im Rahmen der Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgeset
zes zwar eine Umfrage zur Personalstruktur erfolgte. Die Anzahl der geführten Betreuungen wurde dabei von Ihnen aber nicht abgefragt.
Unter Punkt III. führen Sie aus, dass es im Rahmen der Eignungsprüfung von Bedeutung sein kann, wie viele Betreuungen bereits geführt werden – zum einen, um mehr über die Erfahrung, und zum anderen, um mehr über die vorhandene zeitliche Belastung herauszufinden. Diese Regelung dient damit der Eignungsprüfung.
Die Zahl der Betreuungen soll als Eignungsprüfung dienen, wenn drei Seiten vorher gesagt wird, die Landesregierung kenne die Zahl aber gar nicht und habe sie nie abgefragt? Wir können einige Seiten vorher nur ganz lapidar lesen:
Von dieser Regelung wird aber von den Berufsbetreuern nicht flächendeckend Gebrauch gemacht.
So einfach, meine Damen und Herren, kann die Landesregierung nicht darüber hinweggehen.
Welche Amtsgerichte ignorieren das? Wie sehen Konsequenzen aus? – Antwort? Fehlanzeige!
In dieser Form werden auch die anderen Fragen beantwortet: Wir haben keine Datenlage; Änderungen bei der Qualitätssicherung oder der Kontrolle sind entbehrlich. Ob und welche Änderungen erforderlich sind, prüft die Landesregierung auf der Grundlage des Abschlussberichtes der BundLänder-Arbeitsgruppe, vorgelegt im Juni 2003. Also jetzt, nach sieben Jahren, sollten erste Schritte oder auch Richtungsanzeigen im Parlament vorgestellt werden.
Ich möchte Ihnen in der wenigen Zeit, die wir noch haben, einen Aspekt nahebringen. Dass rund 85 % der Betreuten mittellos sind – wie in diesem Endbericht nachgewiesen ist –, zeigt mehr als deutlich, dass es sich um Menschen handelt, die besondere Hilfe benötigen. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer Mindestqualifizierung zu unterstützen. Diese Menschen haben Anspruch auf Hilfe. Das bedeutet, dass der Betreuer den zu Betreuenden und seinen Hilfebedarf erkennen und kennen muss. Ebenso müssen dem Betreuer die örtlichen Hilfestrukturen bekannt sein. Nur so kann er eine Unterstützung bieten, um zum Beispiel ambulantes Wohnen zu ermöglichen.
Es ist auch schwierig zu verstehen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Betreuungsvereinen eine Qualifikation nachweisen müssen. Bei Berufsbetreuung ist dies nur sehr rudimentär gefordert. Hier ist dringend eine Gleichbehandlung erforderlich.
Dann haben wir mit Akribie nachgefragt: Welche Möglichkeiten hat der zu Betreuende oder seine Familie, wenn er oder sie Entscheidungen oder
Untätigkeit des Betreuers kritisch hinterfragen möchte? Die Antworten der Landesregierung sind völlig wirklichkeitsfremd. Sie führen aus – wörtlich –:
Meist erscheint eine Kontrolle des Betreuers im Rahmen der Prüfung der Rechnungslegung … ausreichend. Das Vormundschaftsgericht wird als ausreichende Kontrollinstanz angesehen...
Weiter führen Sie aus, dass nicht erkennbar ist, dass ein Beschwerdemanagement eine Verbesserung des Rechtsschutzes darstellen würde. Es sei nicht erkennbar, dass eine weitere Instanz im Betreuungsfall von Vorteil wäre. Das vorhandene System des Rechtsschutzes sei insofern ausreichend.
Meine Damen und Herren, die bei uns täglich und wöchentlich eingehenden Petitionen sprechen eine ganz andere Sprache.
Aber auch hier muss unser Schlusssatz immer lauten: Es ist dem Petitionsausschuss im Hinblick auf die durch Art. 97 des Grundgesetzes und § 9 des Rechtspflegergesetzes garantierte richterliche bzw. rechtspflegerische Unabhängigkeit eine Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung verwehrt. – Der Petent muss dann versuchen, über den Rechtsweg Klarheit zu erhalten.
Lassen Sie mich Ihnen noch kurz darstellen, was das für die Amtsgerichte heißt. Ich spreche die personelle Ausstattung an. Die uns gelieferten Zahlen in der Beantwortung weisen eine durchschnittliche Relation von rund 1.500 zu Betreuenden pro Richter aus. Es gibt aber auch hier große Differenzen, so zum Beispiel – ich greife nur eines heraus – das Amtsgericht Velbert: 6.012 zu Betreuende pro Richter. Die nötige Kontrolle bzw. die Wahrnehmung der Rechte der Betreuten ist dann kaum noch möglich. So weit zur ausreichenden Kontrollinstanz!
Auch Ihren Hinweis, dass sich der Betreute bei Unstimmigkeiten an das Vormundschaftsgericht wenden soll, geht an der Lebensrealität vorbei. Denn die Betreuungsbedürftigkeit besteht gerade darin, dass diese Menschen ihre Interessen und Rechte nicht mehr autark vertreten können. Als möglicher Lösungsansatz ist in der bundespolitischen Diskussion auch das Konzept einer unabhängigen Beschwerdestelle. Als niedrigschwelliges Angebot können hier Unstimmigkeiten sehr unkompliziert geklärt werden. Sie könnte Ansprechpartner für die Familienangehörigen sein und im Vorfeld mithelfen, Kommunikationsprobleme und auch Gerichtsentscheidungen zu vermeiden.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir wünschen uns alle ein langes Leben. Ich hoffe, es ist uns auch allen vergönnt. Aber wie werden wir alt? Sind wir noch in der Lage, unser Leben selbst
zu bestimmen? Rund 25 % der Menschen, so die Statistiker, werden fremde Hilfe – so war auch das Betreuungsrecht konzipiert – in Anspruch nehmen müssen. Es geht also uns alle an.
Daher unsere Forderung, dass sich der Landtag und ganz maßgeblich der Sozialausschuss intensiv mit den aufgeworfenen Fragen befasst. Wir möchten mit Ihnen gemeinsam die Entwicklung von einer justizförmigen zu einer sozialen Betreuung umsetzen, Grundlagen für Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung erarbeiten, niedrigschwellige Beschwerdestellen realisieren, ein geeignetes Kontrollinstrumentarium etablieren, eine Landesarbeitsgemeinschaft initiieren, um alle Akteure in diesen wichtigen Prozess mit einzubinden und die Fortsetzung der Überlegung einer Strukturreform auf der Grundlage des Abschlussberichts der Bund-LänderArbeitsgruppe aus dem Jahr 2003 umzusetzen. Ganz wichtig ist uns eine verstärkte Einbindung des Ehrenamtes in diese gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend einige Sätze aus einem Aufsatz von Herrn Prof. Dr. Crefeld, die ich Ihnen gerne ans Herz legen möchte zu lesen. Denn meines Erachtens hat Herr Prof. Dr. Crefeld den Kern der heutigen Fragestellung genau getroffen. Er schreibt:
Wer einer anderen Person eine Vollmacht erteilt, wird darauf achten, dass diese als seine Vertrauensperson über die entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Wenn aber ein kranker oder behinderter Mensch eine solche Vollmacht nicht selbst erteilen … kann, dann bevollmächtigt für ihn der fürsorgende Staat einen Betreuer. Diesem wird die Wahrung der Rechte des Betreuten als Aufgabe „vom Staat zu treuen Händen übertragen“. … Damit trägt dieser … Staat, wenn er einen solchen Treuhänder bestellt, ein erhebliches Maß an Verantwortung. … Er muss … dafür sorgen, dass die von ihm bestellten Betreuer – als Personen seines Vertrauens – im gesamten Verlauf ihrer Amtsführung dem in sie gesetzten Vertrauen gerecht werden, dass sie ihre Aufgaben kennen und sie mit Sorgfalt und den notwendigen Fähigkeiten und Kenntnissen wahrnehmen. Denn betreute Menschen können das nicht, sonst brauchten sie ja keinen Betreuer...
Doch was unternimmt der Staat, um die Voraussetzungen für ein solches Vertrauen zu gewährleisten? Wie kontrolliert und sichert er den Zielen der Betreuung entsprechende Qualitäten im Betreuungswesen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das waren auch die Punkte, die uns zu der Fragestellung bewogen haben. Die SPD-Fraktion ist der Meinung, dass die Antworten der Landesregierung zu diesem
sensiblen Themenkomplex der Fragestellung in keiner Weise gerecht werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass dieses Thema den neuen Landtag intensiv beschäftigen wird; ich hoffe es sehr im Interesse der Betroffenen. – Ich danke Ihnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sage mir, wo Du aufwächst, und ich sage Dir, welche Startchancen Du als junger Mensch hast. – Eine zynische Formulierung, aber sie trifft die Realität in Nordrhein-Westfalen. Die Lebenschancen in unserem Land sind ungleich verteilt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Daher wird die Forderung immer lauter, dass das Land seiner Verantwortung endlich gerecht werden sowie Stellung beziehen und handeln muss.
Frau Monheim, ich gebe Ihnen recht, dass auch Einzelfälle uns bewegen, betroffen machen und zu Änderungen drängen sollten. Denn meist steht zwar ein Einzelfall im Raum, aber aus dem Schreiben der Bezirksregierung ist ersichtlich, dass es sich nicht um den Fall des Herrn Sowieso handelt, sondern um eine generelle Aussage.
Im Augenblick erleben wir im ganzen Lande die paradoxe Situation, dass wohlhabenden Städten ermöglicht wird, ihren Bürgerinnen und Bürgern mit
sogenannten freiwilligen Leistungen Dienste anzubieten. Dagegen müssen arme Städte und Gemeinden soziale Projekte zurückfahren oder gänzlich einstellen. Diese Entwicklung wird im Augenblick durch landesgesetzliche Maßnahmen massiv gefördert.
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Die jetzige Regelung der Elternbeiträge für Kindertagesstätten verdeutlicht diesen Unsinn sehr plastisch. Es ist nicht mehr die Einkommenssituation der Familie entscheiden. Entscheidendes Kriterium ist vielmehr die Finanzkraft der Stadt, in der die junge Familie lebt. Die Folgen kennen Sie; das ist ja durch die Medien gegangen. In Düsseldorf können alle Eltern ihre Kinder kostenlos in den Kindergarten schicken. Eine Wuppertaler junge Familie dagegen zahlt bei einem Jahreseinkommen – ich bitte darum, ganz genau zuzuhören – von 12.500 € monatlich 27 € Kindergartenbeitrag.
Die Alternative wäre, das Geld einzusparen und das Kind nicht in die Kita zu schicken. Das ist eine bildungs- und sozialpolitische Schieflage ersten Grades. Das ist nicht mein Fazit, sondern dieses Fazit zieht der Caritasverband im Erzbistum Köln.
Der Wegfall der Grundschuleinzugsbezirke kommt noch dazu. Familien mit geringem und mittlerem Einkommen haben keine Ausweichmöglichkeiten.
Wenn Kinder den Kindergarten und die Schule durchlaufen haben und versuchen, ihren Eintritt ins Berufsleben zu meistern, dann kann es nicht sein, dass der Wohnort ein entscheidendes Kriterium ist. Gerade Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationshintergrund haben einen besonders schweren Start ins Berufsleben. Wir alle fordern Handwerk, Wirtschaft und die öffentliche Hand auf, ihrem Vorbildcharakter gerecht zu werden.
Wir freuen uns über jeden Ausbildungsplatz, der in den Kommunen auch über den Bedarf hinaus geschaffen wird. Wenn Kommunen gerade jungen Menschen mit einem Handicap den Einstieg ins Berufsleben erleichtern, dann hilft das tatsächlich weiter. Deswegen begrüßen wir es, dass Städte sich dieser sozialpolitischen Herausforderung stellen. Der Innenminister muss handeln. Jeder einzelne Fall ist ein Fall zuviel. Wir sehen aber an der ganzen Problematik, wie sehr die Lebenschancen und die Lebenswirklichkeit in unserem Lande verbessert werden müssen.
Herr Innenminister, auf der Homepage Ihres Hauses habe ich gelesen:
Gemeinden und Gemeindeverbände brauchen für ihr Handeln zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger und als Grundvoraussetzung der kommunalen Selbstverwaltung eine aufgabenadäquate Finanzausstattung.
Wohl wahr! Jetzt erwarten wir von Ihnen aber auch eine entsprechende Weichenstellung. Daseinsvor
sorge gilt allen Bürgern in allen Kommunen. Deswegen fordern wir Sie auf, klar Stellung zu beziehen, damit Kommunalverwaltungen und Kommunalparlamente sich engagiert einsetzen können, auch jungen Menschen mit Handicap eine Startchance ins Leben zu ermöglichen. Das muss gesetzlich einwandfrei geregelt werden.
Der Einzelfall zeigt deutlich, dass Handlungsbedarf bei Ihnen besteht. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie müssten einem jungen Menschen erklären, dass er, weil er in einer überschuldeten Gemeinde lebt, einen Ausbildungsplatz nicht annehmen kann. Verdeutlichen Sie das einem jungen Menschen einmal. – Das schafft Motivation! Das baut Politikverdrossenheit ab!
Im Sozialausschuss dieses Hauses hören wir häufig die Auffassung unseres Ministers Laumann, dass die Politik für Menschen mit Behinderung für ihn die – ich zitiere wörtlich – „Königin der Sozialpolitik“ ist. Schauen Sie jetzt nicht weg und flüchten Sie sich nicht in vage Andeutungen, Herr Laumann. Gestern hieß es vonseiten des Ministerpräsidenten in Andeutungen, dass es in einigen wenigen Ausnahmen möglich sein könnte. Jetzt heißt es, Flagge zu zeigen.
Wir unterstützen den vorliegenden Antrag und kämpfen dafür, dass die Forderung nach gleichen Lebenschancen im Lande NRW nicht zur Sprechblase verkommt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die engagierte Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorausschicken: Die Honorarreform haben wir in der letzten Plenarrunde diskutiert – die wollte ich heute nicht zum Gegenstand meines Wortbeitrages machen.
Herr Minister, ich glaube auch, Ihre wortgewaltigen Appelle müssen Sie an die Ärzte und an die Kassenärztliche Vereinigung und nicht an dieses Gremium hier richten.
Da unterstützen wir Sie, und der Kritik schließen wir uns an.
Das gilt ebenso für die Kurskorrektur durch ein neues Konzept. Entweder ist meine Ablage nicht korrekt oder Herr Romberg hat seherische Fähigkeiten, sodass er mehr weiß, als wir im Ausschuss gehört haben. Ich darf Sie aus dem Ausschussprotokoll zitieren:
Aufgrund des besonderen Handlungsbedarfs bei der teil- und vollstationären Versorgung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen werde ich zeitgleich mit der Neuaufstellung des Krankenhausplanes ein Handlungskonzept zur Verbesserung auf den Weg bringen.
Also: Es ist auf den Weg gebracht, und es liegt nicht vor, Herr Kern. Insofern können wir darüber auch nicht diskutieren.
Stichwort Kurskorrektur! Wir freuen uns, dass das Ministerium mit Schreiben vom April jetzt auch dringenden Handlungsbedarf in diesem Politikfeld sieht. Das war bis jetzt in den letzten drei Jahren nicht erkennbar. Wenn das als Kurskorrektur gelten soll, lassen wir es so gelten. Das ist eine Kurskorrektur vom Nichtstun zum Handlungskonzept.
Ja, gerne.
Herr Dr. Romberg, ich hatte eingangs gesagt, dass das Honorarsystem in diesem Gremium bei der letzten Plenarrunde ausgiebig diskutiert worden ist. Ich habe keine Lust, heute meine kostbare Redezeit, die knapp bemessen ist, noch einmal für dieses Themenfeld einzusetzen.
Danke schön für die Nachhilfe. – Wenn Sie der Meinung sind, wir sollten das Honorarsystem offen gestalten, erwarte ich auch von der FDP eine Antwort, wie sie dann zu höheren Sozialabgaben steht. Denn wenn wir es nicht budgetieren und nicht pauschalieren und die Kosten der gesetzlichen Krankenkasse überhaupt nicht mehr kalkulierbar sind, müssen wir uns auch dieser Frage hier gemeinsam stellen. Das ist ein neues Problemfeld, das ich heute hier nicht aufmachen möchte.
Bitte?
Ich verstehe Sie manchmal nicht, aber jetzt auch akustisch nicht. Deswegen möchte ich jetzt nicht näher darauf eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, Früherkennung ist heute unser Thema, Verbesserung der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung. Früherkennung,
Einsatz von Frühwarnsystemen, frühe Hilfen – das sind Forderungen, die von allen Politikern über alle Fraktions- und Parteigrenzen hinweg unterstützt werden.
Doch diese Forderung muss auch gelten für psychisch kranke oder nur auffällige Kinder. Dann stellt sich uns allen aber doch die Frage: Was nützt eine Früherkennung, wenn diese behandlungsbedürftigen Kinder und ihre Familien auf völlig unzureichende quantitative Angebote treffen? Was nützt mir eine Früherkennung, wenn zeitnah keine Therapie möglich ist?
In der oft zitierten ganztägigen Anhörung im Januar 2007 wurde von verschiedenen Sachverständigen ausgeführt, dass derzeit nur ca. 10 % dieser erkrankten Kinder und Jugendlichen ausreichend versorgt werden können.
Uns allen wurde sehr verdeutlicht, dass die Früherkennung und -behandlung einer psychischen Erkrankung von Kindern im Unterschied zu Ersterkrankungen im Erwachsenenalter für diese Kinder sehr entscheidend ist. Das trifft die Kinder in einer ganz wichtigen Entwicklungsphase und hat daher weitreichende Folgen insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung und den zukünftigen Krankheitsverlauf.
Dieser Beschreibung der Bedarfs- und Angebotslage wurde im Januar 2007 von keiner Seite widersprochen. Im Gegenteil, die Krankenhausgesellschaft, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände und alle anwesenden Sachverständigen haben uns diese Zahlen und diese Situation sehr verdeutlicht.
Dann gingen fast zwei Jahre ins Land. Es gab keine Reaktion der Landesregierung. Im Gegenteil, durch das Aussetzen der Investitionsförderung konnten kinder- und jugendpsychiatrische Klinikplätze und Tageskliniken nicht mehr zeitnah realisiert werden.
Wir begrüßen die jetzige Initiative der Landesregierung, die vorliegenden Anträge positiv zu entscheiden, fordern aber – das hat meine Kollegin Frau Gebhard sehr deutlich gemacht –, dass hierfür auch investive Hilfen vorzusehen sind, damit die Umsetzung zeitnah erfolgen kann. Wenn Sie eine ortsnahe Versorgung wollen, Herr Minister, dann können Sie die Finanzierbarkeit vor Ort nicht immer als gegeben voraussetzen. Dann haben wir wieder Schieflagen. Nur bei Trägern, die sich das leisten können, können Sie das realisieren. Dann wird es schwierig sein, die Ortsnähe immer zu gewährleisten. Wir werden sehen.
Mit einem solchen Programm außerhalb der Baupauschalen – das fordern wir – kann das Land seine Verantwortung in diesem wichtigen gesundheits
politischen Bereich effektiv wahrnehmen. Das bringt mehr als teure Wettbewerbe. Das kommt sofort bei den Menschen an, und zwar bei den Familien, die dringend auf Hilfen für ihre erkrankten Kinder warten.
Daher unsere Forderung, alles daran zu setzen und hier endlich gegenzusteuern.
Ich darf die Forderung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände zitieren, die in ihrer Stellungnahme zum aktuellen Landeshaushalt ausgeführt hat: Das bisherige Planungsverfahren ist zu ersetzen durch ein neues zukunftsgerichtetes Verfahren, das auch eine adäquate Berücksichtung der aktuellen dynamischen Entwicklung in diesem Bereich sicherstellt.
Genau das sind die konzeptionellen Überlegungen, die Sie angekündigt haben, die uns aber bis jetzt nicht vorliegen.
Von daher unser heutiger Antrag, dass einiges, die Schwerpunkte, die wir aufgeschrieben haben, bitte mit Berücksichtigung findet. Das werden wir im Ausschuss aber sicher noch ausgiebig mit Ihnen diskutieren.
Der ambulante Bereich ist vorhin angesprochen worden. Hier hat das Land nur sehr wenig Möglichkeiten. Für den teilstationären und stationären Bereich kann das Land aber sehr wohl steuernd tätig werden.
Wie meine Kollegin Frau Gebhard schon ausgeführt hat, wurde das Problem der langen Wartezeiten im stationären Bereich vom Ministerium mit Fehlbelegungen begründet. So einfach, Herr Minister, kann die Landesregierung diesem Problem nicht begegnen.
Sicher gibt es Jugendliche und Kinder, die gleichzeitig Hilfen aus beiden Systemen benötigen: Jugendhilfe und Gesundheitsversorgung. Daher unsere Forderung im Antrag, diese Hilfesysteme stärker und besser zu vernetzen. Auch dieses haben alle Experten in der Anhörung gefordert. Eine effektive Kooperation in der Jugendpsychiatrie und der Jugendhilfe muss stärker verankert werden. Wenn – wie von mir bereits ausgeführt – Kinder beide Hilfen benötigen, dann darf es kein unkoordiniertes Vorgehen geben, kein gegenseitiges Zuschieben der Fallverantwortung, sondern notwendig ist ein gemeinsames Fallkonzept mit der Integration von pädagogischen und psychiatrischen Hilfen. Nur so kann gegenseitiges Verständnis für die Handlungsmöglichkeiten und Kompetenzen der jeweils anderen Institution aufgebaut werden. Nur so können wir Zuständigkeitsgerangel in Krisensituationen überwinden.
Drehtüreffekte, meine Damen und Herren, sind für die ohnehin schon in ihrer Beziehungsfähigkeit beeinträchtigten Jugendlichen zu vermeiden. Leidtra
gende der aktuellen Situation sind immer die Kinder und Jugendlichen und natürlich auch ihre Familien.
Die Forderung der Sachverständigen, hier landesseits initiativ tätig zu werden, um eine bessere Koordinierung zu erreichen, unterstützen wir. Lassen Sie uns dieses doch in einigen Modellregionen einmal exemplarisch so angehen! Auch das war eine Forderung von allen Sachverständigen aus dem Januar 2007.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden immer von der notwendigen Entstigmatisierung und von der Gleichberechtigung der psychiatrischen und der somatischen Versorgung. Können Sie sich vorstellen, welche Reaktionen wir im Lande hätten, wenn Familien mit somatisch erkrankten Kindern so lange auf eine Behandlung warten müssten? Allein darin drückt sich doch wieder der Unterschied aus, dass die Psychiatrie nicht die gleichberechtigte Versorgung vorfindet wie die somatische Medizin.
Ich appelliere an Sie alle: Lassen Sie uns gemeinsam für eine Verbesserung eintreten! Erkennen wir den Leidensdruck dieser Familien an, helfen wir mit, setzen wir ein Zeichen und nehmen wir alle Möglichkeiten auf Landesebene wahr, um dem steuernd entgegenzuwirken. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
Danke. – Ich habe eine Frage zu Ihrer letzten Äußerung. Als wie realistisch schätzen Sie es ein, den investiven Förderbedarf gerade für den Ausbau eines tagesklinischen Angebotes allein aus der Baupauschale, die dem LVR zufließt, zu decken? Wir müssen die vorhandenen Kliniken, die oft eine alte Bausubstanz haben, erneuern und modernisieren. Wenn wir ortsnah etwas Neues schaffen wollen: Ist das mit der vorhandenen Baupauschale überhaupt zu realisieren? Oder ist das mehr Wunschdenken?
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich warte noch einige Minuten, da ich sehe, dass einige dringend in ihre Büros müssen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Kind hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. – Ich glaube, dieses kann man unbestritten über alle Fraktionsgrenzen hinweg sagen.
Kinder haben vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung. Diese Grundansprüche gelten natürlich auch für Kinder mit Behinderung und auch für Kinder, die von einer Behinderung bedroht sind. Sie gehören damit zum Personenkreis der Kinder, für die die sogenannte Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch gilt.
Das war nicht immer selbstverständlich. Den Anspruch auf Betreuung und Förderung, wie zum Beispiel die Erziehung und Bildung behinderter Kinder in Tageseinrichtungen durchzusetzen, war ein langer und beschwerlicher Prozess.
In der Jugendhilfe traten diese Kinder zunächst nicht in Erscheinung, weil sie ja in heilpädagogische Einrichtungen gingen, die von der Sozialhilfe finan
ziert wurden. Durch die gesetzlich festgeschriebene Finanzierungsregelung – zum einen der Sonderbereich für die gehandicapten Kinder und zum anderen der Regelbereich der Jugendhilfe für die nicht behinderten Kinder – trennten sich auch die Lebenswelten dieser Kinder. Alltagsbezogene Begegnungsmöglichkeiten und gemeinsame Erfahrungen wurden dadurch verhindert und Fremdsein bewirkt.
Eben diese Erfahrung, die Tabuisierung des Themas Behinderung, das Erleben von Berührungsängsten und Ausgrenzung waren für die Eltern in den 70er- und 80er-Jahren der Anstoß, darauf zu dringen, dass ihre behinderten oder von Behinderung bedrohten Töchter und Söhne gemeinsam mit den Nachbarkindern ohne Behinderung in Kindergarten und Schule spielen, lernen und leben können.
Sie waren zu der Erkenntnis gekommen, dass spezifische Förderung allein nicht ausreicht, um ihre Kinder in die Gesellschaft zu integrieren. Im Gegenteil: Die gut geführten Behinderteneinrichtungen, die nach dem Krieg entstanden waren, schienen die Allgemeinheit zu beruhigen. Wir waren sehr beruhigt und waren uns sicher, dass Menschen mit Behinderung gut versorgt waren; außerdem störten sie jedoch unsere eigenen Lebenskreise nicht.
Bei ihrem Drängen nach Integration führten die jungen Eltern die Tradition ihrer Elterngeneration fort. Hatten diese doch einst das Recht auf Bildung und Förderung behinderter Kinder mit Erfolg eingeklagt, so fordern heute junge Eltern das Recht auf Teilhabe an einem gesellschaftlichen Leben für ihre Kinder mit Handicap ein.
In den 80er-Jahren haben wir erlebt, dass in den verschiedenen Bundesländern Integrationsgruppen in Regelkindergärten aufgebaut wurden. Sie wurden wissenschaftlich begleitet; es gab sehr große Vorbehalte. Aber bereits die ersten Versuche dieser gemeinsamen Erziehung waren ermutigend und regten an, diesen Weg des Miteinanders weiter zu gehen.
Wir möchten in Nordrhein-Westfalen Kindergärten als Lebensraum für alle Kinder. Wir merken, es ist eine Bereicherung für die Kinder, für die Eltern und für die Pädagoginnen.
Meine Damen und Herren, Behinderungen können nicht beseitigt oder weggefördert werden. Aber gemeinsam zu spielen und zu lernen, gibt auch Kindern mit Behinderung die Chance, mit ihren individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten an der Realität der Außenwelt teilzuhaben. Kinder mit und ohne Behinderung spielen und lernen bei uns miteinander. Toleranz und gegenseitige Akzeptanz werden erfahrbar und bilden dann eine Grundlage für ihr späteres Leben.
Auch die Eltern erhalten so ein Stück Normalität zurück. Sie treffen die anderen Väter und Mütter ihrer Nachbarschaft dort wieder. Sie gehören dazu –
am Elternabend, bei Festen im Kindergarten. Sie sind nicht außen vor: eine Erfahrung, die ihre Kinder jeden Tag aufs Neue in der gemeinsamen Betreuung machen.
Wir wollen die Familien unterstützen und Brücken bauen. Unterschiedliche gesetzliche Regelungen, unterschiedliche Zuständigkeiten und Kostenträgerschaften dürfen die Integration nicht behindern.
Wenn sich jetzt aktuell bei der Umsetzung des KiBiz zeigt, dass die Interessen und Förderbedarfe von behinderten Kindern nicht ausreichend berücksichtigt sind, muss hier schnellstens nachgebessert werden.
Wenn die Angebote für Kinder unter drei Jahren massiv ausgebaut werden, meine Damen und Herren, müssen selbstverständlich auch besondere Regelungen für Kinder mit Handicap geschaffen werden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie frühkindliche Förderung gilt für diese Familien ohne Abstriche.
Ein weiterer Punkt, den ich gerne ansprechen möchte: Oft zeigt sich eine Behinderung erst nach der Aufnahme in die Kindertagesstätte. Das KiBiz sieht dann keine Refinanzierung des nötigen Mehraufwandes im laufenden Kindergartenjahr vor.
Ihnen liegen die Appelle und Resolutionen beider Landschaftsverbände vor, in denen genau dieser Punkt aufgezeichnet ist. Sie können das ja gleich klarstellen.
Wir legen Wert darauf, dass Kinder sofort nach Aufnahme eine Förderung erfahren. Die Alternative kann nicht ein bloßes Verbleiben in der Gruppe sein. Wie heute Mittag schon diskutiert wurde – wenn die Kinder dann das Kindergartenalter verlassen –, beginnt für die Eltern bei der Einschulung die Odyssee aufs Neue.
Daher unsere Forderung nach einem Konzept zur Bildungsplanung für Kinder mit Behinderungen. Wir müssen es entwickeln und als Handreichung an die Kreise und kreisfreien Städte geben.
Wenn Kinder als unter Dreijährige in die Kindertagesstätte gehen, ist auch oft eine Tagespflege angedacht. Aber auch Tagesmütter müssen für diese Herausforderung geschult werden.
Wir möchten, dass das Land da federführend eintritt.
Ferner möchten wir ein Konzept, in dem deutlich wird, wie zukünftig die Finanzierung für die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern mit Behinderung über alle Grenzen hinweg gestaltet werden soll.
Meine Damen und Herren, mit unseren Forderungen wollen wir erreichen, dass alle Kinder die Chance haben, zu erleben, dass es in NordrheinWestfalen normal ist, verschieden zu sein. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herr Minister Linssen, es geht auch um die Frage der Kommunalfreundlichkeit. Ich denke, die Landschaftsverbände wollen nicht aus freien Stücken aus der NRW.BANK. Wir fanden es wichtig, dass auch die kommunale Familie, und zwar vertreten durch beide Landesteile, am Tisch sitzt.
Erstens. Wie beziffern Sie den Vermögensunterschied für das Land, je nachdem, ob Sie die beiden Landschaftsverbände freistellen oder ob die beiden Landschaftsverbände die Option ziehen? Unter dem Strich ist es der gleiche Betrag. Aber wie beziffern Sie den Vermögensunterschied?
Zweitens. Wenn Sie die Wfa einbringen, wird der Anteil der Landschaftsverbände marginalisiert. Es ist doch auch ein Bestreben, nicht mit fast 400 Millionen € im Obligo zu sein, aber dann einen Anteil von 0,6 % zu halten. Das wäre zu ändern, indem Sie die Landschaftsverbände ohne Optionen mit einem höheren Anteil belassen würden. Wie stellen Sie sich dazu? Für mich stellt sich ganz klar die Frage nach der Kommunalfreundlichkeit des Landes.
Ich will an die Frage meines Vorredners anknüpfen. Herr Minister, ich bin über Ihre Antwort zur Werthaltungsgarantie und zur maximalen Belastung des Landes enttäuscht.
Im Vertrag sind 2,2 Milliarden € genannt. Wenn die Landschaftsverbände aussteigen, haftet das Land alleine mit 2,2 Milliarden €. Wenn Sie die Landschaftsverbände in der NRW.BANK belassen und aus der Werthaltung entlassen, sind das für mich unter dem Strich null Euro Mehrkosten. Daraus resultiert meine Frage, wie hoch der Vermögensunterschied des Landes ist. Es ist kein Verschleudern von Landesvermögen. Wir setzen nichts aufs Spiel. Die Option haben die beiden Kommunalverbände. Wenn Sie sie wahrnehmen, liegt die Werthaltungsgarantie ohnehin beim Land mit 2,2 Milliarden €, nicht mehr und nicht weniger.
Von daher sehe ich überhaupt kein finanzielles Risiko für das Land darin, die Landschaftsverbände aus der Werthaltungsgarantie zu entlassen. Wenn diese die Option ziehen, ist das Land auch alleine mit 2,2 Milliarden € im Boot. Bei einer Entlassung aus der Haftung ist es der gleiche Fall. Eine Mehrkostenaufrechnung für das Land vermag ich nicht nachzuvollziehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Konvention ist ein internationales, rechtsverbindliches Dokument, das die Lebensqualität von behinderten Menschen verbessern soll. Diese Konvention verlangt von den Regierungen die Teilhabe aller Menschen an Bildung, Arbeit, Beruf und Gesellschaft. Es sind also keine neuen Rechte oder Forderungen. Es ist das Einfordern bestehender Rechte, die bislang auch für Menschen mit Behinderungen galten, aber sie mussten in der Lebensrealität täglich neu erkämpft werden.
Menschen mit Behinderungen – auch in NRW – wollen leben wie wir alle: einfach ganz normal. In der Fachöffentlichkeit und im heute vorliegenden Antrag wird über die Begriffe bzw. die Übersetzung der Inklusion oder Integration gestritten. Lassen Sie mich hierzu unseren Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitieren: Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher nicht wieder eingegliedert werden. – Für uns als SPD-Fraktion heißt das: frühe Förderung, Hilfen und Unterstützung vom Beginn des Lebens an.
Wir haben in NRW ein gut ausgebautes Netz an Frühförderstellen. Junge Familien werden gleich nach der Geburt eines gehandicapten Kindes beraten und unterstützt. Wenn diese Kinder dann gemeinsam – Kinder mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung – in Kindertagesstätten betreut werden, erleben diese Kinder, dass es ganz normal ist, verschieden zu sein. Das prägt, meine Damen und Herren, und es hilft uns allen, Vorurteile und Berührungsängste erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das ist in der politischen Diskussion eigentlich unstrittig. Also lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass integrationshemmende Regelungen geändert werden.
Die jetzige kommunale Zuständigkeit bei der Festlegung der Elternbeiträge für den Kindergarten lässt für finanzschwache Kommunen zum Beispiel keinen Spielraum, Familien mit behinderten Kindern vom Elternbeitrag freizustellen. Für sie bleibt oft der für den Staat viel teuerere Besuch einer Sondereinrichtung die einzige Möglichkeit. Wir kämpfen dafür, dass diese integrationshemmenden Gesetze endlich geändert werden. Denn Kinder, die gemeinsam
den Kindergarten besucht haben, möchten auch weiterhin gemeinsam ihre Schullaufbahn starten, und zwar liegt hier die Betonung auf „gemeinsam“.
Wir möchten, dass alle Eltern in NRW die Wahlfreiheit haben, die Schule mit den besten Fördermöglichkeiten auszusuchen. Nicht die Kinder müssen passgenau für die Schule sein, sondern die Schule muss die Förderung passgenau an den Bedürfnissen des Kindes ausrichten.
Individuelle Förderung ist doch das Zauberwort unserer Schulministerin. Individuelle Förderung darf aber die besonderen Bedürfnisse behinderter Kinder nicht negieren, wie es im Augenblick immer der Fall ist. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf.
Verbesserungen haben wir in NRW für den Bereich des Wohnens erreicht. Seit dem Jahre 2003 haben wir eine einheitliche Kostenträgerschaft für das ambulante und stationäre Wohnen mit Betreuung. Seit dieser Zeit haben sich die ambulanten Wohnformen mehr und mehr durchgesetzt. Damit rückt der menschenrechtliche Ansatz in den Vordergrund und macht Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen zur Richtschnur. In den Hintergrund tritt langsam, aber kontinuierlich der reine Fürsorgegedanke. Für uns gilt: So viel Selbstbestimmtheit wie möglich, so viel Hilfe wie nötig. – Das ist auch die einhellige Forderung von Betroffenen. Große Baustellen sehen wir auch noch für die Landespolitik: Zugänglichkeit und Barrierefreiheit. Sehen Sie dieses Podium? – Selbst ein Bundesinnenminister käme hier nur sehr schwierig hoch. Auch dieses Haus ist nicht barrierefrei. Wir müssen für Behinderte auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Da sehen wir noch große Aufgaben auf uns zukommen.
Meine Damen und Herren, die Forderung der nächsten Jahre wird sein, den Automatismus zu brechen. Der Automatismus für viele Behinderte und ihre Familien heißt heute: Sonderkindergarten, Sonderschule, Werkstatt für Behinderte und vielleicht irgendwann das stationäre Wohnheim. Das entspricht nicht dem Willen von Behinderten. Da sind wir aufgerufen, Abhilfe zu schaffen.
Auch der Lebensalltag von älter werdenden behinderten Menschen wird eine Aufgabe für die nahe Zukunft. Denn hier betreten wir Neuland. Wir werden das erste Mal eine Generation schwerbehindert und schwerstbehinderter Menschen im Rentenalter haben. Aufgrund unserer unglückseligen braunen Vergangenheit haben diese Menschen nie ein hohes Alter erreichen können. Die Herausforderung haben wir also in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung.
Ich darf zusammenfassen: Die SPD-Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag zu. Wir hoffen, dass, wie Sie fordern, bei der Übersetzung der nötige Klä
rungsprozess eingeleitet wird. Wir hoffen da auf Klärung.
Wir werden die Herausforderungen an die Landesgesetzgebung nachhaltig unterstützen. Die Programme „Mit gleichen Chancen leben“ oder „Teilhabe für alle“ sind ja erste Ansätze. Auch mit dem neuen Wohn- und Teilhabegesetz haben wir einvernehmlich die Selbstbestimmung der Menschen gestärkt, die unterstützt wohnen, so zum Beispiel bei Besuchsregelungen, Kontrollrechten oder dem Recht auf Einzelzimmer.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist mir wichtig: Bei allen Forderungen nach Verbesserungen wollen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass die Hilfen für Menschen mit Betreuungsbedarf fast ausnahmslos von der kommunalen Familie finanziert werden. In Nordrhein-Westfalen sind das zurzeit ca. 2,3 Milliarden €, mit steigender Tendenz, da wir immer noch steigende Fallzahlen haben. Hier ist dringend eine Finanzbeteiligung des Bundes gefordert. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die kann nicht alleine von den Kommunen geschultert werden.
Trotzdem halten wir die Forderungen für berechtigt. Wir treten dafür ein. Lassen Sie uns gemeinsam für die Umsetzung kämpfen! Diskutieren wir über die Grundsätze und Anforderungen, die darin enthalten sind! Überlegen wir gemeinsam, wie wir die Lebensbedingungen von Menschen mit Handicaps in unserem Land verbessern können! Selbstbestimmung und Teilhabe sind kein Gnadenakt, sondern ein Menschenrecht. Barrierefreiheit ist keine Nettigkeit, sondern eine Verpflichtung. Meine Damen und Herren, Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen, auch in unseren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es drängte sich gerade der Eindruck auf, dass es verschiedene Exemplare des Antwortkatalogs gibt. Unser Fazit sieht diametral anders aus als das von meinem Vorredner.
Unwidersprochen in diesem Raum ist, dass gerade in der Suchtprävention ein wichtiges Kriterium neben der Zielgruppenorientierung die Geschlechtssensibilität ist. Das muss Beachtung finden bei Konzepten, Plänen und Perspektiven. Nur so können wir die Ressourcen, die ja derbe gekürzt worden
sind – da kann man nicht von Konsolidierung sprechen; das ist Etikettenschwindel –, effizient einsetzen.
Aufgabe aller Beteiligten ist es daher, die notwendige Sensibilität für eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung zu entwickeln.
Auch Suchtverhalten ist geschlechtsspezifisch. Immer wieder wird die Frage gestellt, ob hier die Unterschiede zwischen Männern und Frauen so gewaltig sind, dass es einer gesonderten Betrachtung bedarf – keiner Parallelstruktur, aber einer gesonderten Betrachtung. Die Antwort darauf ist ein klares Ja. Es gilt heute als fachlich unumstritten, dass Suchterkrankungen bei Frauen und Männern sehr viele Unterschiede in den Ursachen, in der Ausprägung und in den Verläufen aufweisen.
Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ein Drittel der alkoholabhängigen Menschen sind Frauen. Die Alkoholabhängigkeit von Männern und Frauen wird gesellschaftlich unterschiedlich gewertet. Bei Frauen wird Alkoholabhängigkeit noch immer nicht als Krankheit, sondern als moralisches Versagen gesehen und entsprechend von der Gesellschaft sanktioniert.
Frauen verheimlichen oft ihre Sucht. Sie trinken allein, meistens in den eigenen vier Wänden und bleiben daher sozial lange unauffällig. Das führt dazu, dass sie meistens erst sehr spät und bereits mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein Therapieangebot in Anspruch nehmen. Diese Frauen leiden unter starken Schuldgefühlen. Sie fühlen sich als Versagerin in der Rolle als Partnerin, als Mutter oder auch als Tochter. Frauen stehen unter dem Druck, dass sich der Partner von ihnen trennt und sie die Kinder verlieren.
Ähnlich erleben drogenabhängige Frauen ihre Situation. Auch sie leben mit der großen Angst, dass sie das Sorgerecht für die Kinder verlieren. Für Medikamentenabhängigkeit zum Beispiel gilt auch als frauenspezifisches Suchtverhalten, dass sich auch diese Form der Sucht leichter verbergen lässt.
Wenn also die Unterschiede so sind, wie sie sind, müssen die Konzepte entsprechend unterschiedlich sein.
Meine Damen und Herren, geschlechtsspezifische Suchtarbeit ist aber nicht nur mit frauengerechten Angeboten gleichzusetzen.
Unter Beachtung des Gedankens des GenderMainstreaming muss Suchtarbeit frauen- und männerspezifische Angebote berücksichtigen. Themen wie Aggression, Gewaltimpulse, Einsamkeit werden in gemischtgeschlechtlichen Behandlungssettings häufig tabuisiert. Durch geschlechtergerechte Suchtarbeit wird auch für Männer der Zugang zu
Hilfsangeboten und präventiven Maßnahmen geebnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Juni dieses Jahres haben wir einen Antrag aller Fraktionen hier im Hause mit dem Titel „Präventionskonzept für den Gesundheitsbereich in NordrheinWestfalen angemessen geschlechtergerecht gestalten“ beraten. Einvernehmlich haben alle Sprecher der Fraktionen erklärt: Die Notwendigkeit wird gesehen und es wird umgesetzt.
Herr Minister Laumann zog unter Beifall des ganzen Hauses folgendes Fazit: Was man gut macht, kann man immer noch besser machen. Darin lassen wir uns aber von niemandem übertreffen. – Daher hat unsere Fraktion, Herr Minister, mit Spannung auf die Beantwortung der jetzt vorliegenden Großen Anfrage gewartet.
Nach mehrmaliger Lektüre bleibt für mich nur als Fazit der Antworten: Wissen wir nicht! Dazu haben wir keine Zahlen. – Also Fehlanzeige! – Als nach Angeboten für Frauen und Männer gefragt wird, wörtlich:
Eine geschlechtsgetrennte Darstellung bringt deshalb keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
Auch widersprechen sich die Antworten aus Ihrem Haus. Einmal wird nach den Nutzern von Drogenkonsumräumen gefragt. Wörtlich:
… ergeben sich hieraus keine Informationen, die eine weitergehende geschlechtsdifferenzierte Darstellung zuließen. Eine noch detailliertere Datenerhebung kann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern … nicht zugemutet werden, deren vorrangige Aufgabe es ist, sich um die vielfältigen Belange der hilfebedürftigen Nutzerinnen und Nutzer zu kümmern.
Also eine K.-o.-Argumentation!
Gleichzeitig kündigen Sie an, eine Landessuchthilfestatistik aufzubauen. Ja, dann brauchen Sie doch eine Datenerhebung. Von selbst bekommen Sie die Zahlen auch nicht in den PC. Auch kündigen Sie an, dass sich der Fokus verstärkt auf die ausgewogene Berücksichtigung beider Geschlechter konzentrieren soll. – Und das soll jetzt bei einem Zauberwerk passieren?
In allen Verhandlungen im Plenum wird immer davon geredet, das Landesdrogenprogramm fortzuführen. Meine Damen und Herren, darauf warten wir. Das Landesdrogenprogramm ist 1998 verabschiedet worden und 2005 ausgelaufen. Die weitere Fortführung bedarf dringend einer Vorlage und einer Beratung im Ausschuss.
Wenn wir fortschreiben wollen, dann müssen wir die vorhandenen Angebote doch kennen. Wir müssen die Differenzierung kennen, und wir müssen Defizite benennen können. Nur so können Sie fortschreiben und dann Angebote anbieten.
Aber wie schon bei der Beratung im Februar dieses Jahres angemerkt: Ankündigung, aber keine Taten. Im Gegenteil – die Vorredner haben es betont –: Die Mittel und damit die Aufgabe ist weitestgehend kommunalisiert worden, ohne dass vorher mit den kommunalen Spitzenverbänden Ziele, Aufgaben und Qualitätsmerkmale vereinbart wurden. Jetzt kann die Landesregierung nicht den Kommunen auch noch die Verantwortung für diesen Politikbereich zuschreiben.
Herr Minister, wir nehmen Ihre Ankündigung ernst und fordern Sie gleichzeitig auf: Lassen Sie Ihren Ankündigungen endlich Taten folgen! Wir fordern, dass sich die Drogen- und Suchtpolitik unseres Landes weiterhin an den Problemlagen der Menschen, Frauen und Männer, orientiert. Dazu benötigen wir eine Politik, die Verantwortung wahrnimmt, nicht eine bloße Ankündigungspolitik.
Die jetzt vorgelegten Antworten werden den Herausforderungen und Ihren Ankündigungen nicht gerecht. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die Drogen- und Suchtpolitik unseres Landes haben wir uns vor ca. zwei Monaten ausführlich im Plenum unterhalten. Grundlage und Hintergrund waren die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die vorliegende Antwort der Landesregierung. In sehr differenzierten Fragestellungen wurde die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit auch bezüglich des Cannabis-Konsums hinterfragt. Die Antworten der Landesregierung machten höchst unzufrieden. Ich will die inhaltlichen Ausführungen nicht wiederholen, die wir damals sehr breit diskutiert haben und auch nachzulesen sind.
Wir haben damals eindringlich gefordert, dass die Kommunalisierung der Landesmittel von einer Rahmenvereinbarung begleitet werden muss. Ziele, Zielgruppen und Qualitätssicherung müssen den aktuellen Bedarfen angepasst werden. Das Ministerium hat in der Beantwortung der Großen Anfrage mehrfach ausgeführt, dass ein – ich zitiere – zukunftsweisendes Landeskonzept gegen Sucht entwickelt wird, mit dem das derzeitige Landesprogramm im kommenden Jahr fortgeschrieben werden soll. Weiter heißt es: „Wichtige Impulse sind etwa von der Fortschreibung des Landesprogramms gegen Sucht zu einem Landeskonzept gegen Sucht NRW mit Festlegung von Zielen und vorrangigen Handlungsfeldern zu erwarten.“ – Das war im September 2007. Das zitierte derzeitige Landesprogramm war aber bereits 2005 ausgelaufen. Bis heute also nur Ankündigungen!
Jetzt zum finanziellen Hintergrund: Für das Jahr 2006 wurden die Mittel des Landes um insgesamt 28 % gekürzt.
Das ist keine Zahl von mir, sondern in der Antwort auf die Große Anfrage nachzulesen. Sie ist von 15,8 auf 11,4 Millionen € zurückgegangen. Das war die Hausnummer. Für 2008 hat dann die Koalition – man höre und staune – im Haushalts- und Finanzausschuss ohne Beteiligung des Fachausschusses den Betrag von 300.000 € für die Cannabis-Prävention eingesetzt. Der heutige Antrag soll also die inhaltliche Begründung für diese Haushaltsstelle liefern. Das ist keine Drogenpolitik, das ist auch kein Landesprogramm, was Sie so groß angekündigt haben, sondern das ist pure Symbol- oder Überschriftenpolitik.
Ich will aber meine Kritik ein bisschen zurücknehmen. Der Antrag enthält nämlich im Textteil einige Passagen, die besser zwei Tagesord
nungspunkte vorher angebracht gewesen wären – schade, jetzt ist Herr Lehne nicht mehr da –, als es um die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten ging. In dem vorliegenden Antrag empfehlen Sie jetzt, zwei Tagesordnungspunkte später – völlig zu Recht –:
„… im Umgang mit Cannabis eine differenzierte Vorgehensweise angezeigt ist, die weder überspannt noch verharmlosend ausgerichtet ist.... Eine wirksame Prävention muss die Konsumrealitäten zur Kenntnis nehmen...“
Bei dieser Begründung und einer realistischen Sichtweise ist, wie ich finde, Ihre Ablehnung des Antrags unter Tagesordnungspunkt 14 schwer nachvollziehbar.
Die SPD-Fraktion fordert die Landesregierung auf, nach ihren Ankündigungen endlich ein tragfähiges Konzept vorzulegen. Allein die beiden heutigen Beratungspunkte zeigen noch einmal ganz deutlich, dass ein Gesamtkonzept fehlt. Es ist ein Hü und ein Hott. Es muss ein Gesamtkonzept entwickelt werden, in dem alle Facetten wie Prävention, Hilfe und auch Strafe enthalten sind.
Ich darf für meine Fraktion die Forderung wiederholen: Wir benötigen eine Politik, die Verantwortung wahrnimmt, und keine bloße Ankündigungspolitik. – Danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Mehrzahl sind es Kolleginnen, wie es so oft bei sozialpolitischen Themen der Fall ist. Der Name „Contergan“ wirkt für uns als eine ständige Erinnerung an die Bedeutung der Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln. Die schrecklichen Ereignisse vor rund 50 Jahren waren unter anderem der Anlass für die Verabschiedung des deutschen Arzneimittelgesetzes, das nunmehr einen weltweit führenden Standard garantieren soll.
Sie merken schon bei dieser Einleitung, dass auch wir – der Staat – Verantwortung tragen. Die Verantwortung befand sich damals eben nicht auf einem führenden Standard.
Die betroffenen Familien mussten diesen schweren Schicksalsschlag akzeptieren. Sie haben ihre Kinder angenommen. Sie mussten auch akzeptieren, dass ihr Leben ganz anders verlaufen würde. Viele Eltern haben versucht, ihren Kindern die bestmögliche medizinische und therapeutische Versorgung zu ermöglichen.
Belastend für diese Eltern war daneben auch der ständige Kampf um Anerkennung, Unterstützung und die Haftung der Verantwortlichen. Contergan steht daher auch als ein skandalöses Beispiel dafür, wie Menschen für ihr Recht, ihre Anerkennung und den ihnen zustehenden Schadenersatz jahrelang kämpfen mussten und weiterhin müssen. Das war in der Vergangenheit unwürdig und menschenverachtend. Wir alle stehen heute im Wort, das nicht fortzusetzen.
Nach jahrelangem juristischem Hickhack – die betroffenen Kinder waren bereits im Schulalter – kam 1970 der Vergleich zustande, der vorhin schon zitiert wurde. Die Firma Grünenthal erklärte sich bereit, einmalig 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Die Betroffenen mussten im Gegenzug einzeln schriftlich auf alle weiteren Forderungen verzichten.
Sie haben sich bemüht, über die Medien Verständnis für Ihre Situation zu erlangen. Aber wir alle haben zum Beispiel noch sehr bewusst den Eiertanz vor Augen, den der Pharmahersteller bei dem Versuch unternommen hat, die Ausstrahlung des hervorragenden, äußerst sensiblen Films zu verhindern, in dem das Schicksal einer betroffenen Familie sehr unter die Haut gehend dargestellt wird. Das alles hat uns sehr bedrückt, und es war meines Erachtens peinlich.
Rund 2.800 betroffene Menschen, zwischen 45 und 50 Jahren alt, leben heute in Deutschland. Wie meine Vorrednerin schon gesagt hat, beziehen sie derzeit eine Rente von maximal 545 € monatlich. Diese Rente wird seit 1997 allein aus Steuermitteln aufgebracht. Die Stiftungsmittel sind längst aufgebraucht.
Diese schwerbehinderten Menschen haben versucht, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und zum Teil unter großen Schmerzen lebenspraktische Tätigkeiten eigenständig zu verrichten, mit der Folge, dass sie nach Jahren jetzt, als Erwachsene, schlimme körperliche Beeinträchtigungen haben und dadurch zusätzlich behindert werden.
Für die SPD-Fraktion darf ich Ihnen hier versichern, dass wir uns mit den Betroffenen und ihren Familien solidarisch erklären. Gern nehmen wir das Angebot an, uns in einem dialogischen Verfahren, auch im Rahmen einer Anhörung, mit dem Problem auseinanderzusetzen und für Abhilfe zu sorgen, statt es nur auf andere zu schieben und auf andere zu zeigen.
Bei der gesundheitlichen Versorgung steht auch die Landesregierung im Wort. Wir begrüßen, dass aktuell bundesgesetzlich eine Verbesserung der Rentenregelung erreicht wird. Die damaligen Regelungen wurden nämlich vereinbart, als alle glaubten, diese Menschen hätten kaum eine Lebenserwartung – so zum Beispiel das Zitat des stellvertretenden Vorsitzenden des nordrheinwestfälischen Interessenverbandes. Aber diese Menschen haben uns allen gezeigt, wie man auch mit schweren Handicaps ein selbstbestimmtes Leben meistern kann.
Jetzt werden diese schwerbehinderten Menschen älter, leiden zunehmend unter den Folgeschäden der Behinderung und brauchen immer mehr Hilfe. Diese gilt es abzusichern.
Die Firma Grünenthal äußert sich auf ihrer Homepage auf die selbst gestellte Frage: „Was bedeutet die Contergan-Tragödie für Grünenthal?“ wie folgt – ich zitiere –:
„Die Contergan-Tragödie ist und bleibt Teil unserer Firmengeschichte. Grünenthal und die Familie Wirtz bedauern die Folgen der Contergan-Tragödie sehr.“