Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zur 130. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 29 Abgeordnete entschuldigt; Ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
1 Das Land muss die Überzahlung der Beteiligung der Kommune an den einheitsbedingten Lasten des Landes schnellstens zurückzahlen
Kommunen haben Anspruch auf umgehende Rückzahlung der Solidarpaktmittel – Landesregierung muss das Urteil des Verfassungsgerichtshofs endlich umsetzen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 7. September 2009 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der erstgenannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Die Fraktion der SPD hat – ebenfalls mit Schreiben vom 7. September 2009 – zu dem zweitgenannten aktuellen Thema eine Aussprache beantragt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch schon gestern, als wir das Gemeindefinanzierungsgesetz 2010 besprochen haben, haben wir wohl zusammen feststellen müssen, dass wir die größte kommunale Finanzkrise in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen haben, aber allemal haben werden. Wir haben zum 30. Juni 2010 Kassenkredite in Höhe von 16 Milliarden €, und diese Kassenkredite machen die Hälfte der bundesweiten Kassenkredite der Kommunen aus.
Wie wir alle wissen, wird sich die kommunale Finanzlage in den nächsten zwei Jahren dramatisch verschärfen, weil das Land den Kommunen 3 % weniger an Verbundmasse und 7 % weniger an Investitionskostenpauschalen zuweist, die Kommunen es mit deutlichen Steuereinbrüchen zu tun haben und die Kommunen vor allem deutliche Steigerungen der Soziallasten zu erleiden haben.
Die kommunale Finanzlage hier in NordrheinWestfalen hat auch – ich betone: auch – damit zu tun, dass diese Landesregierung den Kommunen in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen massiv in die Tasche gegriffen hat.
Ich erspare es Ihnen und uns, noch einmal die Detailaufzählung vorzunehmen. Fakt ist aber, dass die Maßnahmen der Landesregierung in den letzten Jahren insgesamt strukturell zu einer Mindereinnahme von über 2 Milliarden € geführt haben.
Ein besonders großer Teil dieser Problematik zulasten der Kommunen ist die Befrachtung der Verbundmasse mit 1,17 % für die Kosten der Deutschen Einheit. Dagegen haben die Kommunen mit Erfolg geklagt. Auch wenn das Gericht seinerzeit das Gemeindefinanzierungsgesetz im Grundsatz für korrekt erklärt hat, hat es doch sehr wohl festgestellt, dass die Kommunen eine Überzahlung der Lasten der Deutschen Einheit vorgenommen haben und dass diese ausgeglichen werden muss.
Es wurde im Weiteren – wie wir inzwischen wissen – quasi rechtsverbindlich festgestellt, dass die von Prof. Dr. Junkernheinrich seinerzeit veranschlagte Summe für das Jahr 2006 in Höhe von 450 Millionen € letztlich zurückzuzahlen ist.
Das Land hat dann seinerseits Abschlagszahlungen vorgenommen. Es hat Abschlagszahlungen in Höhe von 280 Millionen € für das Jahr 2006, von 220 Millionen € für das Jahr 2007 und von 150 Millionen € für das Jahr 2008 vorgenommen. Es bleibt damit aber weit hinter dem zurück, was Prof. Dr. Junkernheinrich und faktisch auch das Gericht an Rückzahlungsverpflichtungen festgestellt haben. Die Landesregierung hat also Ausgleichzahlungen vorgenommen, die weit hinter dem zurückbleiben, was vorgeben war. Sie hat das am Ende faktisch mit einem Gutachten von Prof. Lenk begründet. Dieses Gutachten ist gar zu der tollkühnen Einschätzung gelangt, dass es überhaupt keine kommunale Überzahlung gegeben habe.
Lassen Sie mich dazu ganz kurz etwas feststellen. Prof. Lenk berechnet mit einer absolut zweifelhaften Methode eine unterstellte Niveauverschiebung – so nennt er das – im Rahmen des Länderfinanzausgleiches seit dem Jahr 1995. Er nimmt aber einzig das Jahr 1995 als quantitative Ausgangsgröße und unterstellt dabei, dass sich an der Finanzkraft der Ostländer nichts geändert habe. Gleichzeitig sagt er in seinem Gutachten selber, dass sich die Lasten der Einheit gar nicht mehr berechnen ließen. Das ist
Er lässt folgende Sachverhalte außen vor: Das Land hat im Jahr 1995 von außergewöhnlich hohen regionalen Steuereinnahmen profitiert, und im Übrigen ist die Erhöhung der Leistungen NRWs im Länderfinanzausgleich im Jahr 1995, die Lenk als Niveausprung annimmt, unzweifelhaft in einer Größenordnung von 330 Millionen € bis 540 Millionen € allein auf spezifisch regionale Steuermehreinnahmen des Landes zurückgegangen.
Prof. Lenk lässt auch die Wirkung von Steuerrechtsänderungen völlig außen vor. Er hat zum Beispiel die Verteilung der Eigenheimzulage mit ihrer völlig unterschiedlichen Wirkung auf die verschiedenen Länder nicht berücksichtigt.
Besonders wichtig erscheint mir der Hinweis auf die tatsächlich veränderte Finanzkraft der Kommunen und des Landes. Die kommunale Finanzkraft betrug 1995 noch 116,7 % im Ländervergleich; im Jahr 2008 sind es aber nur noch 103,5 %. Das heißt, es gibt eine massive Verschiebung zwischen Land und Kommunen zuungunsten der Kommunen.
Das sind nur wesentliche Eckpunkte, die Frau Prof. Färber – im Gegensatz zum Gutachten von Herrn Prof. Lenk – herausgearbeitet hat. Sie kommt am Ende zu dem Ergebnis: Je nachdem, welche Spannbreite der Berechnungen man annimmt, sind allein im Jahr 2006 mindestens 700 Millionen €, maximal aber 1,1 Milliarden € an Überzahlungen von den Kommunen geleistet worden.
Es ist an der Zeit, dass die Verzögerungstaktik, dass die Tricksereien und dass die Lastenverschiebung auf die Kommunen jedenfalls an diesem Punkt ihr Ende finden. Ich fordere Sie, die Regierung und den Finanzminister auf, jetzt endlich die konkrete Spitzabrechnung, die für das Jahr 2006 nach dem Urteil eigentlich bis zum Ende des Jahres 2008 hätte erfolgen müssen, vorzunehmen. Wenn Sie dann analog zu diesem Urteil auch die für das Jahr 2007 bis zum Ende dieses Jahres vornehmen und wir die unterste Grenze der Zahlen nehmen, die Frau Prof. Färber nachgewiesen hat, dann kommen wir auf eine Summe von mindestens 500 Millionen €, die Sie zugunsten der Kommunen in einem Nachtragshaushalt in diesem Jahr bereitstellen müssen.
Und wir kommen auf eine weitere Summe von mindestens 300 Millionen €, die Sie im Haushaltsentwurf für das Jahr 2010 ebenfalls in einem Veränderungsnachweis zugunsten der Kommunen etatisieren müssen.
Herr Dr. Linssen, ich fordere Sie auf: Schaffen Sie in diesem Land, sowohl was diesen Haushalt als auch den nächsten Haushalt angeht, endlich die nötige Haushaltsklarheit und -wahrheit. Schaffen Sie die Arbeitsgrundlage für die Kommunen, die sie bei der aktuellen kommunalen Kassenlage dringend brauchen. Sorgen Sie dafür, dass nicht etwa das, was den Kommunen jetzt ausgezahlt werden muss, möglicherweise auf der anderen Seite beim GFG in Zukunft wieder abgezogen wird. – Schönen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es tut Not, dass wir ein wenig zurückblenden, wenn auch vielleicht nicht soweit wie im Johannesevangelium, wo es heißt: Im Anfang war das Wort. – Aber auch zu Beginn dieser Wahlperiode gab es Worte, und zwar deutliche Worte zum Beispiel im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Koalitionsfraktionen.
Angesichts der desolaten finanziellen Situation der Städte, Gemeinden und Kreise in NordrheinWestfalen ist die Rückgewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit Voraussetzung für die Existenz kommunaler Selbstverwaltung auch in der Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn man sich jetzt nicht gleichzeitig vor Augen führen müsste, wie sich die Entwicklung der kommunalen Finanzen in den letzten viereinhalb Jahren tatsächlich dargestellt hat. Der Kollege Becker hat gerade einiges dazu ausgeführt. Ich kann nach all dem, was den Kommunen in den letzten viereinhalb Jahren durch diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen widerfahren ist, nur feststellen: Gegen Ende dieser Wahlperiode, meine Damen und Herren von CDU und FDP, steht das gebrochene Wort.
Sie haben sich ungeniert bei unseren Kommunen bedient. Ich möchte nur – der Kollege Becker hat darauf verzichtet – einige Stichworte nennen: Grunderwerbssteuer, Krankenhausfinanzierung, Elternbeitragsdefizitausgleich, Schülerbeförderungskosten, Landesjugendplan. Das sind nur wenige Beispiele für das, was den Kommunen durch diese Landesregierung und die Mehrheitsfraktionen widerfahren ist.
hen vor dem finanziellen Kollaps. Das, was Sie selbst zu Beginn der Wahlperiode festgestellt haben, haben Sie verschlimmert. Sie haben den Kommunen in unserem Land im wahrsten Sinne des Wortes Bärendienste geleistet.
Die Altschulden und Kassenkredite lassen sich kaum noch bewältigen. Das gilt insbesondere für unsere Nothaushaltskommunen. Sie haben ohne jede eigene Alternative, sieht man einmal von dem kommunalwahlbedingten Intermezzo in der sitzungsfreien Zeit ab, unseren Vorschlag, einen Stärkungspakt Stadtfinanzen gemeinsam zu beschließen, zurückgewiesen. Weder gibt es konkrete Pläne für die Unterstützung hilfsbedürftiger Kommunen noch irgendwelche greifbaren Hinweise darauf, dass Sie Ihren Ankündigungen in irgendeiner Form Taten folgen lassen. Unmittelbar nach der Kommunalwahl wird durch die Gutachten, die die kommunalen Spitzenverbände in Auftrag gegeben haben, deutlich, dass die Vorbehalte, die wir Ihnen seit dem Dezember 2007 hier im Hause machen, nämlich dass Sie die Kommunen bei den Lasten der deutschen Einheit über den Tisch gezogen haben, absolut richtig und begründet sind.
Und das war absehbar. Das, was seit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 11. Dezember 2007 durch die Regierung und Sie als Koalitionsfraktionen vollführt wird, ist ein mehraktiges Trauerspiel. Denn das, was sich jetzt im Gutachten von Prof. Hellermann und Frau Prof. Dr. Färber tatsächlich nachlesen lässt, war doch absehbar.
Der Verfassungsgerichtshof hat seinerzeit festgestellt, dass für 2006 eine kommunale Überzahlung stattgefunden hat. Jetzt kommt der auch juristisch durch Herrn Prof. Hellermann durchaus deutlich unter Nachweis gebrachte Vorwurf, den ich Ihnen nicht ersparen kann: Sie sind seinerzeit dem Vortrag der Beschwerdeführer substanziell nicht entgegengetreten, sodass der Verfassungsgerichtshof die berechnete Überzahlung von 450 Millionen € für 2006 seiner Entscheidung inklusive der Berechnungsmethodik zugrunde gelegt hat.
Dem Land wurde damals aufgegeben, für 2006 bis spätestens 2008 auszugleichen. Statt dieser Vorgabe zu folgen, haben Sie mit einer sehr zweifelhaften Systematik versucht, sich an der Angelegenheit vorbeizudrücken. Das Gutachten von Prof. Lenk ist widerlegt, meine Damen und Herren. Aber das war auch gar nicht so schwer. Denn Ihre Berechnung der Einheitslasten, die Zahlungen in den Länderfinanzausgleich hinzuzuziehen, ist nicht nur unhistorisch, nicht nur unjuristisch gewesen, meine Damen und Herren, dass ist ein plumper Versuch gewesen, die Kommunen in unserem Land ein weiteres Mal über den Tisch zu ziehen.