Heike Lorenz

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Ja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Längst hat sich das Vertrauen auf die Kräfte des Marktes allein als untaugliches Konzept für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit erwiesen. Wir wissen es doch.
Es hat sich ebenfalls als untauglich erwiesen, die Gesetze des Marktes zu missachten. Wir haben also alle zu lernen und wir sind alle gefragt, Lösungen zu entwickeln. Und jede Idee ist es wert, aufgegriffen zu werden. Ich wundere mich, dass hier alles nur verworfen wird, aber keine neuen Ideen auf den Tisch kommen.
Ich denke, dass kein Platz ist für Häme, und es ist auch kein Platz für Besserwisserei und es ist kein Platz für endlosen Streit der Parteien um den einzigen Lösungsweg. Sie bieten ja auch keinen eigentlich an heute.
Jugend kann nicht warten – Frau Beyer sagte es. Haben wir wirklich die im Blick, um die es zuerst geht, die jungen Menschen selbst? Der typische junge Arbeitslose in unserem Land ist gut ausgebildet. Dieses Land förderte die Ausbildung seiner jungen Menschen in den vergangenen Jahren mit Milliardenbeträgen. Der oder die junge Arbeitslose in unserem Land ist zumeist zwischen drei und sechs Monaten ohne Beschäftigung. Die Zahl der jungen Menschen, die bis zu einem Jahr und länger arbeitslos sind, scheint aber auch wieder zu wachsen. Der typische junge Arbeitslose ist nicht im herkömmlichen Sinne benachteiligt, er wird benachteiligt – dadurch, dass er abgeschnitten ist von der Chance, Berufserfahrungen zu sammeln, abgeschnitten von der Chance, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, abgeschnitten von der Chance, sich selbst aus eigener Kraft Wünsche zu erfüllen, auch den Wunsch nach Familie, und in gewisser Weise also abgeschnitten von einem Stückchen Erwachsenwerden.
Was ist Statistik im Vergleich zu dieser Lebenswirklichkeit des Einzelnen und der Einzelnen? Politik beginnt bei Tausend, sagt ein Kollege. Vielleicht. Aber wofür ist die Politik denn da? Für den Einzelnen doch letztlich. Und wer kann es dem oder der Einzelnen verübeln, dass sie da hingehen, wo sie ihre Chancen suchen. Dieser Exodus ist aber tödlich für unser Land und Jugendarbeitslosigkeit bedroht das soziale Gefüge im Land. Und deshalb lohnt sich jede Bemühung.
Ich hatte mir vorgenommen, darauf einzugehen, was die Betroffenen selbst denken. Aber wir können es alle gut
nachlesen in den Ergebnissen von Workshop 3 „Ausbildung und Arbeit“ von „Jugend im Landtag“. Da haben uns die jungen Leute einiges ins Stammbuch geschrieben. Und ich gehe davon aus, dass wir die Ergebnisse dieser Expertenanhörung hier ernst nehmen und in den Ausschüssen konkrete parlamentarische Initiativen miteinander beraten werden, ich denke, auch der CDU. Und das würde ich wichtig finden.
Dass die Landesregierung ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auflegen wird, ist überfällig.
Ich denke, sie braucht einen langen Atem. Es geht hier überhaupt nicht um Schnellschüsse. Und sie braucht die Bereitschaft aller Ministerien, das Programm aktiv mitzutragen und mitzufinanzieren.
Die vielleicht wichtigste Frage ist aber: Wie kann man Arbeit geben – jungen Menschen, auch älteren Menschen –, ohne sie anderen zu nehmen? Ein möglicher Weg ist es, die Arbeit zu teilen, zwischen den Generationen beispielsweise. Frau Borchardt sprach es an. Ein zweiter möglicher Weg ist es, mehr Arbeit zu schaffen. Die Schaffung von Arbeit über Investitionen ist nur begrenzt möglich und kaum nachhaltig. Mitunter wirken Investitionen geradezu kontraproduktiv. Irgendwann wäre der letzte Quadratmeter schließlich auch bebaut und Investitionen sind heute überwiegend, das wissen wir alle, Rationalisierungsinvestitionen, die eben nicht zusätzliche Arbeit hervorbringen.
Die Fragen kann ich hier nur anreißen, leider. Ein möglicher Weg ist es, die Arbeit aufzuheben, die da ist, aber die nicht bezahlt werden kann und deshalb auch nicht nachgefragt wird. Und dafür kennen wir alle Beispiele, so, wie wir hier sitzen. Für Jugendarbeit fehlen die Profis. Die Landschaftspflege unterbleibt, weil es keiner bezahlt – die Gemeinde nicht, der Kreis nicht. Kita- und Klubräume werden nicht renoviert, weil die Gemeinden das Geld dafür nicht allein aufbringen können.
Und hier setzt nun das Programm „Jugend baut“ an. Und ich verstehe nicht, dass die CDU es ablehnt, wie ich der Presse entnehmen konnte. Man kann kritisieren, man kann weiterentwickeln, man kann Fragen stellen, auf jeden Fall sollte man sich mit dem beschäftigen, was vorliegt.
Und ich will es hier einfach erklären, denn ich will gerne, dass wir alle mittun und neue Ansätze entwickeln. Und wenn Sie meinen, dass die Überlegungen, die zu der Gestaltung dieses Programmes führten, nicht ausgereift sind, tragen Sie dazu bei, dass wir es verbessern und dass wir auch mehr Zahlen erreichen, als wir es bisher konnten.
Erstens. Das Programm schafft mehr Nachfrage nach Bauleistungen, und zwar dadurch, dass Investitionen in die Infrastruktur unterstützt werden.
Zweitens. Der Witz des Programms besteht nun gerade darin, dass die Investitionsförderung mit Lohnkostenzuschüssen gekoppelt wird.
Drittens. Die Arbeiten werden durch am Markt tätige kleine und mittlere Unternehmen ausgeführt. Diese erhalten dann auch einen Zuschuss zu den Personalkosten für die jungen Menschen, die für die Dauer des Projektes zusätzlich eingestellt werden.
Viertens. Entscheidend ist für die Firmen oft gar nicht der Personalkostenzuschuss an sich. Entscheidend ist, dass sie überhaupt den Auftrag bekommen. Und den können sie nur bekommen, wenn die Kommunen den Auftrag nachfragen. Und damit wird auch der Erhalt von Arbeitsplätzen für die Stammbelegschaft unterstützt.
Und die sonstigen Effekte?
Erstens. Es gibt keinen Drehtüreffekt – Junge rein, Alte raus. Das ist ja befürchtet worden, aber es wird ja schließlich zusätzliche Arbeit geleistet. Dagegen erwarten wir einen Klebeeffekt. Das ist kein besonders schönes Wort für die Hoffnung, dass mancher junge Mensch seine Firma finden möge und mancher Meister seinen wirklich guten Gesellen. Dann hätte sich der enorme Koordinationsaufwand der Kolleginnen und Kollegen des Arbeitsministeriums doppelt gelohnt.
Bleibt die Frage, ob bei einer jetzt erreichten Zahl von 40 jungen Menschen mit fünf Monate währender Beschäftigungsdauer in diesem Programm wirklich von Nachhaltigkeit die Rede sein kann. Mit Investitionszuschüssen in Höhe von 10.000 DM hat das Land jeweils eine Stelle angeregt. Das scheint nicht sehr effektiv zu sein, aber legen wir doch bitte hier nicht auf einmal völlig neue Maßstäbe an gegenüber dem, was bisher an Investitionszuschüsse als Maßstab angelegt wurde. Viel früher hätte darangegangen werden müssen, Investitionen konsequent an Beschäftigung zu koppeln. Ich bin froh, dass wir es mit diesem Programm versuchen, und Anregungen sind gefragt, dass wir es breiter machen können.
In Bezug auf die Biographie des Einzelnen wirkt die Teilnahme am Programm natürlich nachhaltig. Betriebliche Erfahrungen sind nicht nur ein Vorteil bei späteren Bewerbungen. Das ist uns bekannt. Sie prägen die Persönlichkeit ganz entscheidend.
In Bezug auf die Infrastruktur der Gemeinde und die Infrastruktur für Jugendarbeit kann „Jugend baut“ nachhaltig wirken – zu sehen am Beispiel in Neukloster, in Torgelow, in Wittenburg.
In Bezug auf die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit ist ein Programm mit 1,7 Millionen DM Jahresetat ein Tropfen auf den heißen Stein – nicht gering zu schätzen deswegen, sondern auszubauen. Es ist ein Pflänzchen und bitte zerstampfen Sie es nicht. Sowohl in der finanziellen Ausstattung als auch durch Ausdehnung auf neue Einsatzgebiete können wir hier noch einen draufpacken und mehr jungen Menschen helfen. – Danke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eineinhalb Jahre läuft die Beratung schon und ich habe jetzt aber nur noch zehn Minuten und muss deswegen ein wenig rattern. Ich bitte, mir das nachzusehen.
Herr Müller, ich höre Ihnen immer gerne zu, Sie können immer so hübsch plaudern. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte das auch. Aber so hübsch verpackt es auch war, eine ganze Reihe von Diffamierungen derjenigen, die ablehnen wollen, waren schon enthalten, aber nicht nur bei Ihnen. Das möchte ich so nicht stehen lassen, deshalb meine ganz schnell heruntergeratterte Argumentation.
Erstens. Ich vermisse im Bericht des Ausschussvorsitzenden die Darstellung einiger an ihn herangetragener Standpunkte. So findet der Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses nicht einmal Erwähnung. Der Landesjugendhilfeausschuss ist das Gremium, das nach dem KJHG zuständig ist für alle grundsätzlichen Angelegenheiten der Jugendhilfe im Land,
insbesondere für die Jugendhilfeplanung. Dieser schreibt am 9. Januar 2000 Folgendes an den Vorsitzenden, kein vollständiges Zitat, nur der Extrakt: Paragraph 1 Absatz 2 Punkt 1 sei zu löschen, Paragraph 1 Absatz 2 Punkt 2 „Schulen und Kindergärten“ zu streichen. Weiter wörtlich: „Unseres Erachtens kann es nicht angehen, dass die kommunalen Körperschaften in Mecklenburg-Vorpommern Standards im Bereich der Jugendhilfe unterlaufen können, selbst wenn der Gesetzentwurf bis zum 31.12.2004 befristet ist.“
Das ist ein Zitat, lesen Sie es noch einmal nach im Protokoll!
Der Sozialausschuss hat ebenfalls erhebliche Zweifel an der jetzigen Konstruktion signalisiert, allerdings nicht fristgerecht, das ist hier einzuräumen. Eine Konfliktlinie scheint also zwischen Sozial- und Kommunalpolitikern zu liegen, aber nur dann, wenn man beides so sortieren will. Das will ich nicht.
Kommunalpolitiker sind vor allem Sozialpolitiker, denn ein Kernbereich des eigenen Wirkungskreises ist eben der Teil der Daseinsvorsorge, den wir landläufig als Soziales bezeichnen. Entsprechend engagiert ringen die Gemeindevertreter um den Erhalt ihrer Einrichtungen, ärgern sich über bürokratische Engstirnigkeit und erwarten mit Recht, dass wir ihre Fesseln wenigstens ein bisschen lockern. Aber ich habe Zweifel, dass dieses Gesetz das leistet. Entbürokratisierung ist nämlich gerade nicht in Sicht.
Dieses Gesetz ist mehr so eines, bei dessen Begründung, aber auch Ablehnung man bei jedem zweiten Satz zu der Formulierung kommt: „Das schon, na ja, aber, hm, und wird doch nicht ganz so doll.“ Also im Grunde genommen: Manchmal reduziert sich der Gedankenaustausch auf die Feststellung, wenn der gesunde Menschenverstand als Standard in den Amtsstuben Einzug hielte, könnte man andere Standards vielleicht ganz getrost belassen, dann würden sie vernünftig angewandt.
Die Schwierigkeit in der Begründung oder Ablehnung dieses Gesetzes zeigt nur, dass es sich um eine tatsächlich sehr schwierige Abwägung handelt und dass es sich andererseits wohl auch nicht um den ganz großen Wurf handelt mit diesem Gesetz. Nicht gering zu schätzen sind die Bemühungen der Kolleginnen und Kollegen, es in den Ausschüssen wenigstens zu versuchen, da stimme ich voll zu. Und man muss in Betracht ziehen: Zehn Jahre nach der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung sind der rechtliche und vor allem der finanzielle Rahmen für die Kommunen schon wieder so eng, dass Hilfe dagegen nötig ist. Aus diesem Grund ist das Gesetz überreif und muss nun auf den Erntedanktisch. Das scheint mir der Grund dafür zu sein, dass manchem berechtigten Einwand, jedenfalls aus meiner Sicht, nicht abgeholfen wurde. Zum Beispiel ist die Regelung hinsichtlich des Jugendhilfebereiches nicht hinreichend bestimmt. Es gibt nicht ein Ausführungsgesetz zum KJHG, sondern drei. Welches darf es denn nun sein, bitte?
Mit dem Standardöffnungsgesetz soll die Öffnung neuer Spielräume für Kommunen erfolgen und das ist gut so. Jedoch muss an dieser Stelle gerade in Bezug auf die vorgeschlagenen Gesetze im Umweltbereich deutlich gesagt werden, dass wir keine falschen Spielräume vorgaukeln sollten. Herr Dr. Klostermann hat es sehr gründlich ausgeführt. Im Wasserrecht bestehen zwar kommunale Einrichtungen als Einrichtungen der Daseinsvorsorge, jedoch entsprechen die hier geltenden Standards den Vorschriften aus Bundes- und EU-Recht – auch das hat er sehr deutlich gesagt – und werden somit entsprechend Paragraph 1 Absatz 2 gar nicht berührt. Das heißt im Klartext: Es gibt keinen Spielraum, aber die Mehrheiten in diesem Hause wollen es anders sehen. Wir werden sehen, ob eine konsequente Entscheidung, heute diesen Part zu streichen, nicht besser gewesen wäre als 100 ablehnende Bescheide und damit enttäuschte Hoffnungen in den Kommunen, weil der Standard eben nicht in den Geltungsbereich des Standardöffnungsgesetzes fällt.
Das Standardöffnungsgesetz soll unter anderem dokumentieren, dass der Gesetzgeber großes Verständnis für die Nöte der Kommunen hat. Dieses Verständnis ist offenbar so groß, dass die Mehrheit auch in Kauf nehmen wird, dem Innenminister die Letztentscheidung dafür zu übertragen, ob die vom Parlament nach politischer Meinungsbildung und Mehrheitsentscheidung festgelegten Mindeststandards – ich rede jetzt hier mal nur von den gesetzlichen, damit es nicht wieder falsch wird – nicht doch noch ein bisschen minder ausfallen könnten, zum Beispiel falls das Geld für andere Vorhaben gebraucht wird, zum Beispiel um die Investitionsquote hochzuziehen, zum Beispiel wenn die Finanzausstattung einfach nicht ausreicht, um die Angebote der Vorsorge auf einem Mindestniveau anzubieten.
Was die auf dem Verordnungsweg eingeführten Personal- und Sachstandards betrifft, könnte das Parlament ja im Laufe des Experiments sogar einige Aufklärung darüber bekommen, was die Administration aus den gesetzli
chen Ermächtigungen gemacht hat. Hier ist nicht der Platz für Sarkasmus, ich will es lassen.
Es ist zu beklagen, dass die seit Jahren erhobenen Vorwürfe über zu enge landesrechtliche Regelungen bisher so wenig konkretisiert sind und auch der politische Mut fehlte, die konkreten Vorschriften zu benennen, sie neu zu regeln oder abzuschaffen.
So bleibt jetzt scheinbar nur der Weg über das Experimentiergesetz. Mit zeitlicher Begrenzung und regelmäßiger Berichterstattung an das Parlament sollen die Risiken des Experimentes eingegrenzt werden. Nebenwirkungen werden nicht ausgeschlossen. Solche sind vorhersehbar und meines Erachtens so gravierend, dass sie nicht hingenommen werden können. Sie ergeben sich aus der Logik des Gesetzes und aus seiner Entstehung.
Erinnern wir uns: Der Bedarf an einer Standardöffnung wurde sehr gern begründet gerade anhand der Kindertagesstätten, gerade mit den angeblich nicht ausräumbaren Vorschriften zum Abstand der Kleiderhaken, obwohl sich in keinem Protokoll zur Begehung der Betriebserlaubnis eine solche Feststellung findet. Kleiderhaken, Handtuchhaken und so weiter werden nur dann bemängelt, wenn sie in Augenhöhe der Kinder oder ungeschützt in den Raum ragen und damit Verletzungsgefahr besteht. Und dass dieser Schutz beibehalten wird, das wollen wir wohl alle.
Das ist auch überhaupt nicht der Punkt, an dem sich die Kommunen über Gebühr belastet fühlen.
Zweiter Gegenstand der Diskussion: Nachrüstung von Schamwänden in Kindergärten. Da will ich mal einflechten, ich denke schon, diese Forderung ist wohl legitim. Sogar bei „Big Brother“, bei der Überwachung des Containers, wurde jedenfalls dieser Bereich noch als Intimbereich gezählt.
Drittens: Es geht um zulässige Raumgrößen und Freiflächen, auch die Normen bei Treppenhäusern beispielsweise. Das ist tatsächlich auch ein Problem. Wir wissen da aber, alle vorhandenen Anlagen haben Bestandsschutz. Wir wissen auch, dass das Landesjugendamt von Anfang an immer die Prüfung von Ausnahmemöglichkeiten einbezogen hat und dass in vielen Fällen auch Kompromisse erreicht werden konnten. Trotzdem will ich das Problem an dieser Stelle nicht wegreden.
Es bleibt aber eigentlich ein anderer Bereich, der, wenn ich es mal so sagen darf, hinsichtlich seiner Einsparpotentiale einzig interessante, und das ist das Personal. Mit der Diskussion um die Kleiderhaken wurde also die Festung „Standards für Kindertagesbetreuung“ sturmreif geschossen und nun auf das Personal gezielt. Es sollte aber nicht nur die Gewerkschaften, sondern uns alle umtreiben, wenn Fachkräfte durch Ungelernte abgelöst werden, wenn Fortbildung eingeschränkt wird, wenn Personalschlüssel unterschritten werden.
Ich unterstelle nicht, dass dieses Gesetz dies tut. Bitte hören Sie weiter zu! Dieses Gesetz tut das nicht, aber es öffnet eine Tür.
Meine Damen und Herren! Die Schelte an die Gewerkschaften, denke ich, ist verfehlt. Der Bericht des Innenausschusses widmet sich seitenlang den Ausführungen der kommunalen Spitzenverbände. Das ist richtig so. Sie repräsentieren die Kommunen, aber auch in ihrer Arbeitgeberfunktion. Schlicht vergessen wurden die Vertreter der Arbeitnehmerseite.
Wir haben unser Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht.
Den Gewerkschaften nun zu sagen, sie hätten ja Zeitung lesen und sich selbst einmischen können, ist unangebracht, meines Erachtens. Es wäre eine angebrachte Überschreitung der Mindeststandards in diesem Verfahren gewesen, die Vertreter der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes förmlich anzuhören. Aber – beinahe hätte ich es vergessen – Verfahrensstandards sind ja gar nicht Gegenstand des Standardöffnungsgesetzes.
So viel zur Entbürokratisierung!
Die Tendenz zum Absenken von Personalstandards – und hier sage ich eben, die Tendenz, die eintreten kann – ist nicht nur das Problem der Fachlichkeit in den Einrichtungen. Es ist ein Problem des Arbeitsmarktes und auch der Volkswirtschaft. Und ich höre es ja schon: „Gemach, gemach, schön ruhig! Das wird doch alles gar nicht massenhaft vorkommen.“ Ich will es hoffen, aber ich will es auch nicht darauf ankommen lassen. Und ich weiß nicht, wozu dieses Signal raus muss, dass Kindertageseinrichtungen der Bereich sind, wo man schon mal anfangen könnte, die Ausnahmegenehmigung zu beantragen.
Nun könnte ich ja eigentlich völlig gelassen sein im Bereich Kindertageseinrichtungen, denn es ist ja davon auszugehen, dass in diesem Bereich vom Procedere sowieso alles beim Alten bleibt, denn es gilt natürlich der schöne alte Satz, dass die Spezialregelung vor der Generalregelung steht. Insofern wird das Innenministerium natürlich die Antragsteller an das Landesjugendamt verweisen müssen, denn im Kita-Gesetz ist bereits die Möglichkeit der Ausnahme geregelt.
Um es klar zu sagen: Ich unterstelle den Gemeinden nicht den Generalangriff auf die Kinder und Beschäftigten,
dennoch wird dieser scheinbare Ausweg in Zeiten leerer Kassen heute nicht nur eröffnet, sondern von uns auch noch überdeutlich gewiesen, und das ist mein Problem. Ich unterstelle der Kommunalaufsicht – und ich komme zum Abschluss – nicht a priori Erpressung, aber faktisch hat sie ab heute auch das Standardöffnungsgesetz zu berücksichtigen bei der Beantwortung der Frage, ob die Gemeinden nun alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, ihre Ausgaben ohne Kreditaufnahmen zu decken. Und im Falle der kreisfreien Städte halte ich diese Konstellation für besonders problematisch, da hier die kommunale Auf
sichtsbehörde, also die Kreditgenehmigungsbehörde, gleichzeitig die Behörde ist, die die Ausnahmegenehmigung nach Standardöffnungsgesetz zu erteilen haben wird.
Mein Fazit: Wenn heute das Standardöffnungsgesetz beschlossen wird – und das wird ja so kommen –, dann kann das für keinen Parlamentarier, der die Kommunen wirklich ernst nimmt,
eine Erleichterung sein,
sondern der Beginn eines weiteren, wiederum ziemlich langen, vermute ich, Arbeitsprozesses. – Danke.
Nee, ich habe nicht Zeit ohne Ende, aber ich will es auch nicht überstrapazieren.
Ich möchte mich bei Herrn Müller entschuldigen, so weit es die „Diffamierung“ betrifft, ansonsten möchte ich von meinen Ausführungen nichts zurücknehmen.
Ich kann jetzt nicht noch einmal den ganzen Vortrag wiederholen und es war sicherlich sehr ungeschickt, das so sehr flott vorzutragen. Einmal möchte ich darauf verweisen, bitte das Protokoll zu lesen. Ich denke, dass ich das auch sehr differenziert dargestellt habe. Aber ich glaube, dass das jetzt hier deutlich macht, dass wir in der Debatte bisher doch ein ziemliches Defizit haben,
dass wir eben nicht die Argumente hinreichend ausgetauscht haben und sich vor allen Dingen – das war der erste Ansatz, den ich auch gebracht habe – in der Stellungnahme des Innenausschusses nur sehr unzureichend die Standpunkte der verschiedenen Ausschüsse wiederfinden lassen.
Ich verlange gar nicht, dass sie übernommen werden, aber was ich erwartet habe, wenn sie verworfen werden, ist, das klar wird, ob es für die Nichtübernahme dieser Standpunkte einen Grund gibt oder nicht.
Und ich habe auch darauf verwiesen, dass in diesem Verfahren natürlich eine Reihe von Argumentationen auch außerhalb des Landtages gelaufen sind, die selbstverständlich nicht formal einbezogen werden müssen in diese Debatte, aber ich mir sehr wohl hätte vorstellen können, sie einzubeziehen. Das betrifft unter anderem den Landesjugendhilfeausschuss, das habe ich gesagt.
Dass ich so viele Probleme angesprochen habe, zeigt eigentlich, dass ich mehrere Ansatzpunkte für meine Kritik habe. Im Kita-Bereich ist es ganz klar. Wir haben eine Spezialregelung, wir brauchen keine Allgemeinregelung.
Also kann dieser Punkt ohne Problem gestrichen werden im Entwurf. Das ist nicht passiert.
Im Umweltbereich wurde ausführlich darüber argumentiert, dass es systemwidrig ist, hier eine Regelung einzubauen, weil Bundes- und Europarecht sie aushebeln. Und wenn Sie Stellungnahmen des Umweltministers vortragen, würden wir darum bitten, die aktuellste Stellungnahme vorzutragen, eben die, die sich auf den allerletzten Entwurf, nämlich den gemeinsamen Entwurf der drei Fraktionen, der im Ausschuss gefunden wurde, bezieht.
Ich kann es nicht in allen Details wiederholen und würde gerne auf das Protokoll verweisen, wo Sie genau nachlesen können, wozu ich dann auch stehen werde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag rechtfertigt keine Aufgeregtheiten und ich bin froh, dass es bisher so aufgeregt nicht abgegangen ist,
wenngleich die Erwartungshaltung einiger Leute deutlich anders war. Dieses Thema hat zwar oberflächlich spektakuläre Facetten, aber es birgt auch so viel menschliches Leid, so viel gesellschaftliche und uns alle betreffende Folgen, dass sich eine Schlammschlacht wohl verbietet. Wichtig ist hier nicht, wer lautstark obsiegt, sondern einzig die Frage, wie unser Land in menschenwürdiger Art und Weise mit den betroffenen Menschen, mit ihren Angehörigen, mit Firmen, mit dem gesamten mitbetroffenen Umfeld umgeht, wie dieses Umfeld aktiviert werden kann und wie vermieden werden kann, dass so viele Menschen in den verhängnisvollen Strudel von Abhängigkeit, soziale Ausgrenzung und Isolierung geraten.
Hätte jemand das Patentrezept, dann wäre das Problem ja längst gelöst. Es hat also niemand Anlass, seinen Weg als den allein möglichen darzustellen. Und ich höre erfreut, dass eine ganze Reihe von Überlegungen, die früher noch abgelehnt wurden, heute auch in das Denken der CDU Eingang gefunden haben. Ich weiß nicht, warum bisher die Anträge auf 0,0 Promille immer abgelehnt wurden.
Ich finde es sehr vernünftig, dass Sie diesen Weg als einen möglichen Weg zur Vermeidung von Unheil, von Unfällen, von Leid mitgehen möchten. Und ich denke, dass demnächst sicherlich auch ein konkreter Antrag von Seiten der CDU auf dem Tisch liegt zu dieser Problematik.
Es ist sicherlich nicht notwendig, das Problem erst in die Diskussion einzuführen. Es ist in der Diskussion. Richtig ist aber auch die Aussage, dass es längst nicht im Bewusstsein eines jeden ist und dass tatsächlich Verdrängungsprozesse stattfinden, weil wir alle ein bisschen zwischen Akzeptanz und Drumherummogeln um die Auseinandersetzung hin und her pendeln.
Im Vordergrund der Betrachtung müssen aus meiner Sicht nicht die einzelnen spektakulären Fälle stehen. Und ich finde es schon bemerkenswert und bedauerlich, wenn man mit der Schlagzeile titeln kann „Drogentote um 100 Prozent gestiegen“. Es handelt sich um einen Anstieg von zwei auf vier Fälle. Es ist jeder Fall ein Fall zu viel, aber ein 100-prozentiger Anstieg dramatisiert in einer Weise, dass ich meine, dass das eigentliche Problem, der massenhafte Alkohol- und Tabakkonsum zum Beispiel, zu Unrecht in den Hintergrund gerückt wird.
Ich möchte also einen Moment beim Thema Alkoholismus verweilen, der Droge Nummer eins auch in Mecklenburg-Vorpommern. Der Alkoholismus ist ein herausragendes soziales und finanzielles Problem der neuen Länder und besonders in Mecklenburg-Vorpommern. Die Besonderheit des Landes Mecklenburg-Vorpommern bezüglich des Alkoholmissbrauchs wird schon durch wenige Vergleiche deutlich. Die Sterblichkeit an Leberzirrhose liegt in Mecklenburg-Vorpommern bei Männern dreimal so hoch und bei Frauen zweimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Da hilft auch das Argument wenig, dass der Alkoholgenuss im Norden ohnehin hoch sei. Die volkswirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholismus sind verheerend. Nach bundesdeutschen Berechnungen beträgt der Gesamtschaden für die 1,7 Millionen Alkoholabhängigen circa 40 Milliarden DM pro Jahr. Das entspricht bei 90.000 Alkoholabhängigen in
Mecklenburg-Vorpommern einem Schaden von jährlich 2,1 Milliarden DM. Die exakten Kosten lassen sich freilich nur schwer ermitteln.
Im Jahr 1998 hat unsere AOK für alkoholbedingte Krankenhausfälle 31 Millionen DM ausgegeben. Für die circa 7.000 Fälle der Alkoholdiagnosen im Krankenhaus wurden durchschnittlich 4.500 DM je Fall ausgegeben. Eine leicht höhere Kostenmenge kann für ambulante Betreuungsaufgaben und Kuren unterstellt werden, da die Relation zwischen Krankenhauskosten und anderen Leistungskosten 40 zu 60 beträgt. Beachtet man die zunehmende Multimorbidität bei Alkoholkranken, so lassen sich die Diagnoseund Kostenabgrenzungen nur noch schwer nachvollziehen. Die direkten alkoholbedingten Krankheitskosten liegen allein bei unserer AOK wahrscheinlich wesentlich höher als die geschätzten 80 Millionen DM pro Jahr.
Die Zahl der alkoholbedingten Todesfälle in Mecklenburg-Vorpommern ist erfreulicherweise von 1.034 im Jahr 1995 auf 905 im Jahr 1998 zurückgegangen. Jedem Einzelfall geht allerdings eine komplizierte und volkswirtschaftlich sehr aufwendige Krankengeschichte voraus und oft auch nach. Nach Expertenaussagen erbringen Alkoholkranke nur 75 Prozent der durchschnittlichen Arbeitsleistungen, fehlen 16-mal häufiger, sind zweieinhalbmal häufiger krank als der Durchschnitt der Beschäftigten. Darüber hinaus sind 225.000 Familienangehörige in MecklenburgVorpommern psychisch und sozial dadurch betroffen, dass mindestens ein Familienmitglied alkoholabhängig ist. Auch die Zahl der Frühberentungen in direkter Folge von Alkoholkrankheit liegt in Mecklenburg-Vorpommern wesentlich über dem Bundesdurchschnitt.
Vor der Gruppe der Alkoholkranken stehen zahlenmäßig nur noch die abhängigen Raucher. Den 90.000 bis 100.000 jährlichen Sterbefällen infolge des Tabakkonsums stehen bundesweit circa 40.000 alkoholbedingte Sterbefälle gegenüber. Dahinter rangiert die Medikamentensucht mit einem leicht darunter liegenden Umfang. Drogen- und Spielsucht werden trotz ihrer individuellen Dramatik immer noch zu stark in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung gestellt, obwohl sie bundesweit nur mit einem Anteil von einem Prozent an allen Suchtkranken vertreten sind.
Sicher wird dieser Trend durch die besonderen sozialen Belastungen des Landes begünstigt, ganz sicher. Schließlich lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote des Landes 1998 um zwei Prozentpunkte über dem Ostniveau. Auch die Belastung durch Sozialhilfe liegt um 18 Prozent über dem ostdeutschen Niveau. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung in den neuen Bundesländern führt Arbeitslosigkeit oder die unmittelbare Bedrohung durch Arbeitslosigkeit zu besonderen gesundheitlichen Belastungen, die psychische Labilität und damit signifikanten Alkoholmissbrauch begünstigen. Dennoch muss dem exzessiven Alkoholverbrauch im Land auch politisch entgegengewirkt werden. Eine bundesweite Erhöhung der Alkoholsteuer oder besser noch eine zweckgebundene Gesundheitsabgabe für Alkoholprodukte würden dem Land und den Krankenkassen in besonderer Weise dienen. Gleiches gilt für die mögliche Entlastung der Kranken- und Rentenkassen in Mecklenburg-Vorpommern, die ohnehin durch Morbiditätsspitzen überdurchschnittlich belastet sind.
Weg vom Alkoholismus! Der Antrag fordert einen Bericht der Landesregierung ein, welches Drogenkonzept
sie verfolgt. Da ist Alkohol allein zu kurz gegriffen. Wir sollten unserer Regierung deshalb in verallgemeinerter Form mit auf den Weg geben, welche Grundzüge das Konzept haben soll. Wir gehen ja nicht davon aus, dass noch nichts gemacht wird. Und ich denke, es wäre an dieser Stelle auch falsch, die vielen Aktivitäten, die im Land bereits laufen, zu negieren. Man kann sie eigentlich nicht hoch genug würdigen, gerade weil sie gegen ein so verankertes gesellschaftliches Problem versuchen anzugehen.
Aus meiner Sicht sind einige Ansätze zur Primärprävention dringend zu nennen. Ziel ist eine Reduktion des Genuss- und Suchtmittelmissbrauchs und die Vermeidung des Einstiegs in den Konsum. Und da ist der erste Grundsatz: Sucht kommt nicht von den Drogen. Dennoch ist es richtig, die Verfügbarkeit von Sucht- und Genussmitteln einzuschränken. Für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen gibt es jetzt eine solche Einschränkung für den öffentlichen Raum durch das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit. Es wird allerdings konterkariert durch Werbepraktiken gerade an den Orten, an denen sich junge Leute gern aufhalten, zum Beispiel in Kinos und in Stadien. Völlig witzlos ist vor diesem Hintergrund dann das Verbot der Tabakwerbung im Umkreis von Schulen. Ich möchte es nicht abschaffen, aber ich möchte darauf hinweisen, wie wirkungslos gesetzliche Regelungen werden können, wenn das gesellschaftliche Umfeld nicht der Intention folgt. Der ungehemmte Einfluss von Werbung führt auch dahin, dass die Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit immer schwerer durchzuhalten sind.
Die Akzeptanz des Missbrauchs von Genussmitteln in der Gesellschaft ist zurückzudrängen – ein zweiter Grundsatz. Eine deutsche Tageszeitung titelt in diesen Tagen: „Beliebt, legal, gefährlich – Alkohol und Nikotin“. Konfirmations- und Jugendweihefeiern in mancher Familie in diesen Tagen illustrieren das deutlichst. Ich brauche das hier gar nicht weiter auszuargumentieren.
Nächster Grundsatz: Primärprävention ist nicht leistbar durch einzelne Ressorts, denn die Summe aller notwendigen Maßnahmen läuft darauf hinaus, ein umfassendes Programm der wirklichen Lebenskompetenzentwicklung zu erstellen. Und in dem Zusammenhang möchte ich auf den Änderungsantrag der CDU eingehen. So wünschenswert es ist, dass wir Aktionen oder konkret fassbare Maßnahmen vor uns liegen haben, und die sind ja vorhanden im Land, so gefährlich ist es auch, hier einen Aktionismus vorzustellen und einen Aktionsplan zum Allheilmittel zu machen, weil wir ja wissen, dass Einzelmaßnahmen landauf, landab bereits vorhanden sind.
Unser Problem ist doch einmal die Vernetzung dieser Maßnahmen und zum Zweiten die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. Und darauf kann ein Aktionsplan wirklich nur sehr bedingt Einfluss nehmen. Deshalb lehnen wir diese Änderung hin zu einem Landesaktionsplan ab. Dieser ist viel zu kurz gegriffen. Ich meine, wir sollten das gesamtgesellschaftliche Präventionskonzept einfordern und nicht einen Aktionismus. Es geht uns um die Bearbeitung des sozialen und des sozialökonomischen Bedingungsgefüges insgesamt, es geht um die Gestaltung von Alltagskultur, es geht um Bildung und Erziehung. All das kann man nicht in einem Aktionsplan erfassen. Der bekannte Slogan der Initiative „Keine Macht den Drogen“, der da lautet „Kinder stark machen – zu stark für Drogen“, weist in diese Richtung. Ein spannendes Projekt ist das Modellprojekt „ColumBus“, ein Ge
nussmobil zum Erfahren von Genuss ohne Grenzüberschreitung.
Zur Primärprävention gehören natürlich auch sachliche Informationen. Auch dafür wird bei uns viel getan. Behindert wird sachliche Argumentation aber zum Beispiel durch die ständige Neuauflage des Märchens, weiche Drogen wären Einstiegsdrogen und machten körperlich abhängig. Das ist inzwischen widerlegt und wird nur deshalb kultiviert, um das Verbot aufrechtzuerhalten.
Ich komme zur Sekundärprävention. Auch hier muss man schon sagen, Verbote, die verhindern, dass man auf die Betroffenen zugehen kann, sind völlig nutzlos und zeigen eigentlich nur unsere Hilflosigkeit im Umgang mit der Erscheinung. Ziel der Sekundärprävention muss es sein, unmittelbar Betroffene möglichst frühzeitig zu erreichen. Nur dann gibt es noch eine Chance, die Menschen aus dem besagten Kreislauf aus Drogenkonsum, sozialem Abseits und Krankheit herauszureißen. Hierher gehört zuallererst der Grundsatz: Sucht ist eine Krankheit und kein Straftatbestand. Wer die Konsumenten von Drogen erreichen will, muss sich konsequent gegen deren Illegalisierung engagieren. Wer Abhängigen helfen will, der muss alle bekannten Möglichkeiten zulassen, das zu tun. Der Ansatz, den öffentlichen Raum möglichst sauber zu halten, muss damit natürlich kollidieren. Ja, hier muss man sich entscheiden. Und ich erwarte, dass sich die rotrote Landesregierung zum Recht auch der Schwerabhängigen auf ein Leben in Menschenwürde bekennt.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hält ein flächendeckendes Netz von Suchtberatungsstellen vor. Auch das ist eine Chance zur Erreichung Betroffener und zur Unterstützung auf dem Weg heraus aus der Sucht. Schwerpunktpraxen Sucht, qualifizierter stationärer Entzug und Langzeittherapie für nasse Alkoholiker sind neue Wege, die hier bei uns gegangen werden.
Ich wies eingangs darauf hin, dass das Gesamtkonzept wie auch die auf Früherkennung und Frühintervention gerichteten Konzepte auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt werden müssen. Mit den vorhandenen Kapazitäten in Greifswald und Rostock hat unser Land dafür auch gute Voraussetzungen. Sie könnten optimiert werden durch die Schaffung eines Forschungsverbundes, der dann auch besseren Zugriff auf Bundes- und Europaforschungsprojekte hätte und zweierlei für die Politik leisten kann, nämlich valide Daten kurzfristig zur Verfügung zu stellen und neue Methoden zu entwickeln. Und beides brauchen wir dringend.
Lassen Sie mich mit einem Bild enden. Wenn eine ältere gebrechliche Dame auf der Straße zusammenbricht, dann springt sicher jeder eilig herzu, um sich nach dem Befinden zu erkundigen, um Hilfe zu leisten oder Hilfe zu holen. Stürzt ein Volltrunkener am Bordstein, dann schlagen die meisten einen großen Bogen um ihn. Ein menschliches Verhältnis zur Krankheit Sucht haben wir wohl erst gefunden, wenn wir zumindest den Krankenwagen rufen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Demokratie lebt von der Beteiligung und dem Einbeziehen möglichst vieler, im gedachten Idealfall aller zur Entwicklung und Gestaltung ihrer Lebensumstände. Zu ihren lebendigen Elementen gehört insbesondere die Auseinandersetzung mit Gegebenem oder Geplantem in Form von positiver oder negativer Kritik, Streit mit friedlichen Mitteln, Suche nach besseren Lösungen, das Unterbreiten von neuen Ideen, das Ringen um deren Verwirklichung. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft, untauglich Gewordenes, Unbrauchbares zurückzunehmen, sowie die Bereitschaft, vielen von einer Sache betroffenen Personen die reale Möglichkeit geben zu wollen zur Teilnahme an demokratischen Willensbildungs- und Realisierungsprozessen.
Das klingt nun recht abstrakt, entstammt trotzdem keinem Lehrbuch, sondern dem, was man uns Ostdeutschen gesagt hat, wie Demokratie denn so funktioniert. Abgesehen von der einen oder dem anderen, die oder der aus strafrechtlichen Konsequenzen heraus einer Einschränkung unterliegt, ist also die Frage nach einem Ausschluss von Personen aus demokratischer Verantwortung überhaupt nicht legitim.
Fragen wir konkret: Bis zu welchem Lebensalter ist denn demokratisches Mitwirken möglich? Mit Blick auf das Leben werden Sie antworten: Na, bis dass der Tod euch scheidet. Also eine Lebensalterhöchstgrenze gibt es dafür nicht.
Ich frage aber weiter: Ab welchem Lebensalter ist denn demokratisches Mittun möglich? Erfahrungsgemäß werden darauf Antworten gegeben, die Psychologie oder Pädagogik oder auch beides bemühen und darauf abheben, dass eine bestimmte Dauer des Erdendaseins schon vonnöten ist, um sich glaubhaft einmischen zu können. Mitunter wird dann die „sittliche Reife“ bemüht. Die fehlt jedoch nicht nur Herrn Pfeiffer in der „Feuerzangenbowle“, sondern real auch so manch erwachsenem Zeitgenossen, wenn wir ganz ehrlich sind.
Nein, das Erlernen und Befähigen zur Demokratie kann nicht früh genug einsetzen. Ich will nicht unbedingt mit dem Säugling beginnen,
obwohl sein Schreien auch eine, wenn auch sehr rudimentäre „Wortmeldung“ darstellt...
Genau.
... und er sehr wohl erfasst, wie darauf reagiert wird im Sinne einer Befriedigung seiner Bedürfnisse
und im Setzen von Grenzen, von ersten Normen. Aber ein zweijähriges Kind erlebt schon recht bewusst, welchen Stellenwert seine Wünsche und Forderungen in seiner kleinen Welt einnehmen und damit seiner Person entgegengebracht wird, auch aber, dass Ansprüche von Mutter, Vater und Geschwistern zu beachten sind.
Entsprechend der kindlichen Psyche, der Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit, ihrer Lebenserfahrung uns so weiter sieht Beteiligung eines sechsjährigen Mädchens oder eines zehnjährigen Jungen anders aus, anspruchsvoller und fordert die Personen, die mit ihnen umgehen, in ganz verschiedener Art und Weise. Und noch anders sieht es bei 12-Jährigen oder bei 15-Jährigen aus. Wer wüsste das von Ihnen nicht, meine Damen und Herren?!
Trotz dieser persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen wird das Zugestehen von konkreten und allgemeinen Rechten für Kinder und Jugendliche von den bestehenden Gesetzen abhängig gemacht. In der UN-Kinderrechtskonvention heißt es: Kinder und Jugendliche haben das Recht, eine eigene Meinung zu äußern und sich an Entscheidungen zu beteiligen. Und da gibt es gar keine Altersgrenze in dieser Konvention, nur die der Betroffenheit von 0 bis 18. Gleiches, aber noch detaillierter, fordert der Artikel 14 der Charta der Jugendrechte des Jugendforums der Europäischen Gemeinschaft von 1990.
Wie weit sind wir denn nun eigentlich bei der Umsetzung dieser Rechte? In der Anhörung zur UN-Kinderrechtskonvention am 1. September wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen um einen Schlüssel für die Sicherung aller Rechte der Kinder in ihrer Universalität und in ihrer Unteilbarkeit handelt.
Sehr oft wird, wenn es um die Wahrnehmung von Kinder- und Jugendrechten geht, auf das KJHG, also das Kinder- und Jugendhilfegesetz, verwiesen. Es ist schließlich nach gründlicher, mehr als 20-jähriger Reformdebatte mit der Deutschen Einheit in Kraft getreten – richtig – und es regelt wichtige Belange der jungen Generation – auch richtig. Ein Kardinalmangel besteht jedoch darin, dass Kinder und Jugendliche nicht Rechtssubjekt, sondern -objekt sind, dass andere die Belange der jungen Leute regeln – die Eltern, die Behörde et cetera. Für uns als PDS-Fraktion ist aber gerade wesentlich, dass Kinder und Jugendliche ihre Interessen und Rechte selbst vertreten können.
Wir haben durch gesetzliche Entscheidungen hier im Landtag Voraussetzungen geschaffen, um mehr Kinder und Jugendliche in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das ist längst nicht genug. Die politische Alltagsarbeit muss erreicht werden von den Stimmen der Kinder und Jugendlichen und da müssen wir mittun. Wir müssen das alltägliche Leben in Dörfern und Städten bereichern mit Kindern und Jugendlichen. Aber wie machen wir das von hier aus? Das ist schwierig. Voraussetzungen zu schaffen durch rechtliche Regelungen ist das eine, Partizipation in die tägliche Praxis einzubringen, das ist das Schwere. Es wird sehr viel vergeben dadurch, dass Kinder und Jugendliche nicht beteiligt werden, vergeben an Solidarität, es wird etwas vergeben an Gleichberechtigung, an ökologischer Umorientierung des Handelns in der Gemeinde und es wird etwas vergeben an unverkürztem Mitspracherecht zur Bestimmung der Zukunft.
Es ist mittlerweile eine Existenzfrage für eine demokratisch verfasste Gesellschaft, dass die jungen Menschen
dem Staat nicht weiter entfremdet werden. Auch das wissen wir alle und postulieren es hier oft. Im Gegenteil, notwendig ist tatsächliche Einflussnahme auf politische Entscheidungen, die dann ermöglicht werden kann, wenn Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung und Selbstbestimmung bis zu Formen der Selbstverwaltung, festgemacht an konkreten Projekten für möglichst viele, zunehmend alle greifen.
In diesem Sinne setzt sich der Landesjugendring ein für ein umfassendes Mitspracherecht bei Planungs-, Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen, die direkten und indirekten Einfluss auf die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen haben. Sie meinen Ortsgestaltung, Schule, Kitas und vieles mehr. Und warum sollten Kindern und Jugendlichen nicht in der Tat bessere Alternativen einfallen als den erwachsenen ExpertInnen? In ihrer Lebenswelt sind die jungen Leute die ExpertInnen.
Ich denke an die Kommunalverfassung MecklenburgVorpommern. Der Landesjugendring hat in der Anhörung zur Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern im Januar 1999 einen aus unserer Sicht wichtigen Vorschlag gemacht. Im Paragraphen 2 sollte eingefügt werden: „Die Gemeinde soll bei allen Planungen und Vorhaben, die die Interessen von jungen Menschen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Bei der Durchführung von Planungen und Vorhaben, die die Interessen von jungen Menschen berühren, soll die Gemeinde in geeigneter Weise darlegen, wie sie diese Interessen berücksichtigt hat.“ Damit würde Beteiligung zum selbstverständlichen Alltag, wenn, ja wenn es nicht so schwer wäre, die gesetzlichen Regelungen praktisch umzusetzen.
Meine Fraktion hält die Zeit für gekommen, Kinder- und Jugendrechte sowohl im Grundgesetz als auch in der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns zu verankern, um die Stellung von Kindern und Jugendlichen als GrundrechtsträgerInnen und eigene Rechtspersönlichkeiten zu stärken. Der Jugend eine lebbare Zukunft zu bereiten, und zwar sowohl für sie als auch mit ihr, ist eine gehörige Herausforderung für die Gesellschaft. Eine Kultur der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist gar nicht mal so sehr, wie es im Vorwort des vorliegenden Konzeptes heißt, ein „Wagnis“, sie ist vielmehr ein Erfordernis.
Und darum liegt uns der Antrag heute vor. Wir sind gebeten um politische Unterstützung dieser Kampagne. Bei allen Vorbehalten, die man gegen diesen Begriff „Kampagne“ haben kann, wird doch sehr deutlich, wenn man sich mit dem Konzept beschäftigt, es handelt sich hier nicht um ein Strohfeuer. Wir haben gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen und nun müssen sie ausgefüllt werden und sie müssen ausgefüllt werden können. Und nicht der Appell, dass wir es tun sollten, hilft, sondern manchmal muss man die Akteure vor Ort an die Hand nehmen, ihnen zumindest die Chance geben, sich an die Hand nehmen zu lassen, wenn sie es wünschen. Sprich, wir müssen Kompetenzen entwickeln in den Kommunen, und zwar bei Verwaltungen, bei Politikern und auch bei Jugendlichen selbst. Das stellt heute keiner mehr in Abrede. Wir müssen anerkennen, dass Jugendliche unsere Formen von politischer Willensbildung tendenziell ablehnen, dass sie Amtsstuben lieber meiden. Das ist doch ganz klar, das liegt doch auf der Hand. Und da heißt es nun, wir müssen neue Formen finden von Einwohnerbeteiligung – sie müssen nicht nur gefunden, sie müssen erprobt und verallgemeinert werden. Und das kann allen
zugute kommen, nicht nur den Jugendlichen, die in diesem Antrag gemeint sind.
Was sind nun eigentlich gute Beteiligungsformen, ist die Frage. Ja, das muss man eben auch herausbekommen im Laufe der Beteiligung. Eines ist sicher: Mindestens zwei Elemente müssen zusammentreffen. Beteiligung muss mit Ernsthaftigkeit betrieben werden und jeder muss Folgen dieser Beteiligung auch wirklich wollen. Und Beteiligung muss stattfinden zu den Fragen, die Jugendliche nun wirklich interessieren.
Das Konzept selbst ist ein Beispiel für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Es wird im Laufe der Kampagne durch Jugendliche hinterfragt und weiterentwickelt werden. So finden Sie zum Beispiel den Vorschlag zur Einsetzung einer Ombudsfrau oder eines Ombudsmannes im Konzept. Dieser wird nicht als Kummerkasten und Feigenblatt gebraucht werden, sondern als Anwalt von Kindern und Jugendlichen, als Initiator von Maßnahmen zur Sicherung der Umsetzung der Rechte aus der UN-Kinderrechtskonvention. Dieser Vorschlag wird durch die Jugendlichen selbst im September diskutiert werden, er wird verbessert, bestätigt, vielleicht auch verworfen werden. Mit dem Ergebnis der Veranstaltung im September haben wir dann hier umzugehen.
Das Konzept ist auch Beispiel für die Übernahme von Verantwortung durch die Jugendverbände. Sie haben nicht nur politische Forderungen erhoben, denen wir teilweise schon entsprochen haben – das Wahlalter auf 16 Jahre herunterzusetzen, die Drittelparität in der Schulkonferenz einzuführen, die Novellierung der Kommunalverfassung steht uns ja noch bevor –, sondern sie mischen sich auch ein in die Weiterentwicklung der Lebenswirklichkeit. Sie bleiben nicht stehen beim Postulieren, sie wollen handeln und sie wollen helfen, dass eine wirkliche Beteiligungskultur entsteht. Wenn das nicht Beweis ist für einen langen Atem, dafür, dass man ihn haben will – und ich bin sicher, sie werden auch nachweisen, dass sie ihn haben –, dann weiß ich nicht, welchen Beweis wir sonst als Vorleistung erwarten, bevor wir Unterstützung zusagen.
Das Konzept ist auch hinsichtlich seiner Finanzierung ein Beispiel für die Übernahme von Verantwortung. Es liegt uns hier kein Förderantrag vor. Gleichwohl ist es richtig, dass der Landtag in den Ausschüssen prüft, ob und in welcher Weise über die politische Unterstützung hinaus ein finanzieller Beitrag möglich ist, vor allem um den Start der Kampagne zu ermöglichen. Wir beantragen die Überweisung in den Sozial-, Finanz- und Innenausschuss.
Eine persönliche Anmerkung von mir zu der Frage, wie wir mit den Ergebnissen der Aktion „Jugend im Landtag“ umgehen sollten. Ein wirkliches Bekenntnis und ein eindeutiges Signal an die jungen Leute, dass wir ihre Stimme ungeschminkt haben wollen, wäre eine Zusage zur Befassung hier im Plenum. Unverzichtbar ist in jedem Fall eine rasche Beratung in den Ausschüssen mit den Ergebnissen, dass wir im Juli hier zu einem Beschluss über die Unterstützung kommen können. – Vielen Dank.
Ich möchte erklären, warum ich mich an dieser Abstimmung nicht beteiligen konnte.
Der Antrag der CDU-Fraktion hat nach meiner Auffassung unzulässig zwei verschiedene Dinge miteinander in einer Weise verknüpft, die es mir unmöglich gemacht haben, mich hier zu beteiligen, nämlich erstens das Bekenntnis zur Bundeswehr, das man mir nicht abringen kann, und zweitens das Bekenntnis zu den Beschäftigten in Neubrandenburg.
Wir sind für den Erhalt der Arbeitsplätze, ich bin für den Erhalt der Arbeitsplätze in Neubrandenburg, aber der Weg ist nicht die Befürwortung der Bundeswehr auf ewig und ist nicht die Befürwortung von Rüstungsproduktion in Mecklenburg-Vorpommern, sondern der Weg ist nach meiner Auffassung, Alternativen für die Beschäftigen durch ein Konversionsprogramm zu eröffnen.
Das wurde von der CDU acht Jahre lang leichtfertig versäumt und deswegen ist dieser Antrag in meinen Augen nichts anderes als eine Geiselnahme des Parlaments.
Wir sind ja schon im kleinen Kreis sozusagen und durch einen langen Vortrag werde ich Ihr Interesse wahrscheinlich nicht wesentlich erhöhen können. Aber ein paar Klarstellungen möchte ich gerne einfügen zu Herrn Glawe.
Erstens. Herr Glawe, ich stimme Ihnen sehr zu, die große Regelung wäre schon wünschenswert. Und jawohl, dafür muss sich auch diese Landesregierung beim Bund einsetzen.
Zweitens möchte ich auf den Umstand hinweisen, dass dieser Antrag aufgrund einer gründlichen Auseinandersetzung des Landesjugendhilfeausschusses zu diesem Problem zustande gekommen ist. Nicht ganz ohne Stolz sage ich, auf die Idee, diesen Landesjugendhilfeausschuss direkt hier ans Parlament anzubinden, sind wir gekommen. Diese Idee finden wir auch nach wie vor gut, weil eben gerade die Probleme der Praxis aufgegriffen werden, die man hier nicht einfach so mal eben wegreden kann.
Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Antrag mitnichten einer irgendwie gearteten Kostenverlagerung
dient, denn die Frühförderung ist natürlich in allen drei Behinderungsbereichen kommunal finanziert. Bei anderen Förderarten ist es anders, aber bei der Frühförderung geht es tatsächlich nur um die Frage: Haben wir eine Möglichkeit, die Zuständigkeit für die Entscheidung in die sozialpädagogische Fachbehörde, nämlich das Jugendamt, zu legen oder müssen wir es beim Sozialamt belassen und damit auch eine Trennung der Zuständigkeiten hinnehmen?
Auf das Konnexitätsprinzip haben wir durch Zwischenrufe hier schon hingewiesen. Also die Unterstellung, dass wir durch irgendwie geartete Klarstellungen der Zuständigkeit Geld sparen wollen, dürfte seit der letzten Landtagssitzung eigentlich in die Mottenkiste gehören.
Ja, und noch ein Hinweis, der noch nicht in der Diskussion Erwähnung fand: Mit dem Antrag ist natürlich auch beabsichtigt, eine Lücke auszufüllen, nämlich die vom Ende des sechsten Lebensjahres bis zum Schuleintritt, die bisher nicht geregelt ist. Da gibt es wirklich eine Regelungslücke. Wenn wir da Gutes tun können, dann sollten wir das hier mit der Zustimmung zu diesem Antrag tun.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Shell-Studie wird von Jugendarbeitern, Mitarbeitern in den Jugendämtern und natürlich Jugendpolitikern stets gern aufgegriffen. Sie ist inzwischen die am meisten zitierte Studie, wenn es darum geht, sich mit Vorstellungen und Orientierungen junger Leute auseinander zu setzen. Die Aktuelle Stunde des Landtages hat sich mit landespolitischen aktuellen Fragen zu beschäftigen und da kann das Erscheinen der 13. Shell-Studie nur ein Aufhänger, aber nicht Gegenstand der Debatte sein.
Das Thema verleitet zum Philosophieren, zugegeben. Aber nun stellen Sie sich vor, es fragt Sie jemand tatsächlich, ob und warum es in Mecklenburg-Vorpommern schön ist. Da fallen uns doch gleich Wasser, Sonne, Wind, die wunderschöne Landschaft ein und wir sind ein ganz besonders netter Menschenschlag. Was aber, wenn da jemand die Frage nicht als Urlauber gestellt hat, sondern weil er einen Lebensort für sich und für seine zu gründende Familie sucht? Was sagen wir dann? Dann ist zu beantworten, welche Chancen unser Land seinen Einwohnern eröffnet. Dann muss sich dieses Land messen lassen an den Lebensansprüchen von Kindern und Jugendlichen. Und ihr erster Anspruch – wir haben es hier im Parlament nicht nur einmal vorgetragen und diskutiert – ist, selber mitbestimmen zu dürfen und als Subjekte ernst genommen zu werden, und nicht, ihnen eine Welt hinzustellen. Ich glaube, da sind wir uns auch überwiegend einig.
Die 13. Shell-Studie informiert uns über die Zukunftsorientierung junger Leute in der Bundesrepublik, sie zieht Vergleiche und stellt Unterschiede fest in den Beurteilungen und Lebensentwürfen junger Leute in Ost und West. Die Grundstimmung der Jugendlichen sei deutlich optimistischer als 1997, wenngleich die Jugend im Osten ihre Situation „im Vergleich zu Westdeutschen als belastender, zum Teil auch bedrückender“ erlebt.
Die Kluft in den Anschauungen und Erwartungen zwischen den Jugendlichen in Ost und West „ist größer und nicht kleiner geworden“. Treffen diese Wertungen in Mecklenburg-Vorpommern zu? Welches sind bedrückende und belastende Lebensumstände in Mecklenburg-Vorpommern? Welches sind positive Bedingungen? Die Bewertung kann wohl nicht in der Aktuellen Stunde geleistet werden. Es bedarf systematischer Analysen.
Und ich bin froh, dass das Sozialministerium sich auch in Bezug auf den Kinder- und Jugendbericht einen neuen Weg hat einfallen lassen und entschlossen ist, ihn zu gehen, nämlich eine indikatorengestützte Berichterstattung zu beginnen, damit wir über die Jahre hinweg die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern verfolgen können und wirklich Schlüsse für unser Land konkret auch nachvollziehen können.
Was lässt sich heute feststellen? Da ist zunächst ein Blick auf die sich weiter differenzierende finanzielle Situation von jungen Menschen und Familien angebracht. Mehr als 47.000 Menschen leben von Sozialhilfe, darunter ein Drittel unter 18 Jahren. Jedes vierte Kind lebt von Sozialhilfe. Ein unbekannter Teil lebt auf dem gleichen oder nur geringfügig besseren finanziellen Niveau. Dahinter steht die Armut der Eltern, die ihre Ursache vor allem in der Dauerarbeitslosigkeit hat. Arbeit, Arbeit, Arbeit, lautet daher die Forderung, um auch zu erreichen, dass alle Kinder am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt Anteil haben können.
Armut schließt zunehmend mehr Kinder vom gesellschaftlichen Leben aus. Unter dem Motto „Selbst ist der Mann, selbst ist die Frau, selbst ist das Kind – Selbstbeteiligung und persönliche Verantwortung an die Stelle von sozialer Hängematte“ werden viele abgeschnitten von Bildung, Freizeitsport, Kino, Büchern, Schwimmbad, Computern, aber auch von den Möglichkeiten gesunder Lebensführung. Dass immer weniger Kinder warmes Essen in der Schule zu sich nehmen, hat auch damit zu tun, dass das Kochen abends für vier Personen preiswerter ist als Schulspeisung und Kantine zusammengerechnet.
Familien sind aber auch von einer anderen Seite in Gefahr – durch die ungerechte Verteilung der Arbeit. Wo zwar das Einkommen hoch, der Zeitfonds für die Familie aber nahezu null ist, werden soziale Beziehungen zerstört. Laut Shell-Studie wollen junge Leute Familie und beziehen von dort einen großen Teil ihrer Wertvorstellungen.
Zu den wichtigsten Sorgen gehört die Angst davor, keine Ausbildung und Arbeit zu bekommen. Und die Sorgen sind begründet, auch wenn 1999 statistisch jedem Jugendlichen eine Lehrstelle angeboten werden konnte. Von 29.576 Bewerbern sind 9.322 in schulische Weiterbildung oder Arbeitsaufnahme gemündet, wie es so heißt. Das heißt bei vielen Warteschleife oder Resignation. Und trotzdem, ich will die Bemühungen nicht gering schätzen – die der öffentlichen Hand nicht und vor allem die der kleinen Unternehmen in unserem Land nicht. Wann erhalten sie die Unterstützung der großen Firmen, die nicht ausbilden und sich damit einen Kostenfaktor vom Hals halten?
Diese Firmen sitzen nicht in unserem Land. Die Ausbildungsumlage auf Bundesebene muss endlich kommen.
Wer nach Mecklenburg-Vorpommern kommt, findet ein ziemlich verstaubtes Bildungssystem vor, in dem Kindern ein längeres gemeinsames Lernen verwehrt wird, ein Bildungssystem eingeführt und aufrechterhalten wird unter dem Vorwand der Förderung von Leistung, das frühzeitig selektiert. Schule hat aber mehr Funktionen, als Wissen zu vermitteln und Leistung zu trainieren.
In unserem Land sind Kinder benachteiligt, wenn sie in kleinen Gemeinden leben. Sie büßen viel Freizeit ein durch
lange Wege zur Schule oder zur Ausbildung, der Besuch von Musikschulen und die Beteiligung an Sport- und Jugendvereinen wird erschwert, vielen auch unmöglich gemacht durch lange Wege.
In unserem Land konnte die Förderung der Jugendvereine und -verbände zumindest auf Landesebene verstetigt und 2000 sogar verbessert werden. Aber wenn wir ehrlich sind, verlassen können sich die jungen Leute auf unser Land nicht. Ich gehe davon aus, dass in diesem Raum keiner ist, der die Notwendigkeit dieser Fördergelder heute anzweifeln wird. Aber in Zeiten weniger prallgefüllter Kassen ist die Jugendförderung immer in Gefahr, zur Disposition gestellt zu werden. Und es fehlt noch ein Bekenntnis dieses Landtages, einen Festbetrag unantastbar zu machen. Es fehlt die Festlegung von 40 DM pro Kopf im Gesetz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sanktionen so das große Problem sind, aber dazu werden wir weiter diskutieren sicherlich.
Die PDS hat das Thema „Zu aktuellen Entwicklungen im rechtsextremistischen Spektrum in Mecklenburg-Vorpommern und zu gesellschaftlichen Maßnahmen ihrer Zurückdrängung“ auf die Tagesordnung gesetzt, ohne dass eine Gewalttat in diesem Land gerade eben die Bevölkerung erschüttert hätte. Der gewöhnliche alltägliche Rechtsextremismus erschüttert eben nicht so sehr, und dennoch: Es brennt!
Die Diskussion darum, ob Mecklenburg-Vorpommern ein größeres Rechtsextremismusproblem hätte als andere Länder, ist müßig. Die Frage, wie stark das Verhalten Jugendlicher von rechtsextremen Denkmustern geprägt ist, kann nicht ausschlaggebend sein für das Befürworten oder Ablehnen einer breiten antirassistischen Arbeit. In jedem Fall brauchen wir diese. Es reicht nicht, sich mit Rassismus, Sexismus, Neofaschismus theoretisch auseinander zu setzen und dem einen theoretischen Antirassismus entgegenzusetzen, und dennoch ist auch dieses notwendig.
Grundsätzlich ist zu bemerken – und viele Vorredner haben es ebenfalls getan –, rechtsextremistische Denkmuster und Verhaltensweisen finden wir in allen Schichten der Gesellschaft. Sie haben komplexe Ursachen. Sie sind kein Problem im landläufigen Sinn sozial benachteiligter Männer und Frauen, Mädchen und Jungen, wie das häufig vereinfachend dargestellt wird, und erst recht kein Problem allein von Menschen mit geringer Schulbildung. Sie sind eine Folge der Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche, in Gewinner und Verlierer, in Starke und Schwache und sind eine mögliche Folge des Gefühls, keine Chance zu haben in dieser Gesellschaft, oder auch der Unsicherheit, ob Mann oder Frau sich wird behaupten können.
Können wir davon ausgehen, dass es einen Minimalkonsens in der Gesellschaft bezüglich akzeptierter Werte und Solidarität wirklich gibt? Ich denke, wo alles danach beurteilt wird, ob es sich rechnet, wird dieser Konsens bereits Stück für Stück verlassen.
Ich bitte Sie, bei den nächsten Worten sehr genau zuzuhören, damit hier auf keinen Fall ein Missverständnis auftritt. Ich möchte Herrn Bundeskanzler Schröder nicht in die Nähe des Rechtsextremismus rücken und dennoch muss ich etwas sagen zu der durch ihn eröffneten, sehr verkürzten Diskussion um die so genannte Greencard. Auch mein Vorredner hat das angesprochen. Die Frage lautet ja nun verkürzt: Wollen wir Zuwanderung zulassen, wenn und solange sie dem Kapitalverwertungsstandort Deutschland nutzt, und wie sorgen wir zuverlässig dafür, dass der Mohr, wenn er seine Schuldigkeit getan hat, auch wirklich wieder geht?
Es geht nicht menschenverachtender, wenn man es so kurz macht. Um hier keinen Zweifel aufkommen zu lassen, sage ich es noch einmal ganz deutlich: Die Aufhebung national staatlicher Grenzen, die Freizügigkeit für jeden Menschen, sind erstrebenswert. Aber gerade das wird ja
mit der Greencard nicht angestrebt, geschweige denn erreicht werden können. Und übrigens hat es durchaus Parallelen – und da drücke ich mich gar nicht vor – zur Situation der Vertragsarbeiter in der DDR. War der Grund für ihre Anwerbung damals vor allem der, fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen, haben wir heute allerdings eine völlig andere Situation. Es stehen gleichzeitig Millionen Menschen vor den Türen der Arbeitsämter, weil es sich eben nicht rechnete, ihnen rechtzeitig die entsprechende Aus- und Fortbildung anzubieten.
Der Zorn dieser Menschen wird sich gegen die Ausländer richten, da anscheinend sie ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Die Entsolidarisierung geht also weiter. Wie soll der Ausgegrenzte den Zuwanderer als Bereicherung denn wahrnehmen?
Wie soll es denn gelingen, was mein Kollege Peter Ritter als unbedingte Notwendigkeit formuliert hat, dass mehr Menschen aufstehen gegen Rassismus, gegen Nationalismus, gegen autoritäre Politikmodelle? „Es gibt nicht d i e Lösung oder d a s Konzept, aber es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, gegen Vorurteile, Fehlerziehung und rassistischen Normalzustand vorzugehen.“ Das sagt der Jugendbeauftragte des Bundes der Antifaschisten Schwerin.
Wir haben in unserem Land einige Projekte und vor allem engagierte Leute, die sich mit dem alltäglichen Rassismus nicht abfinden. Wir haben zum Beispiel beim Landesinstitut für Aus- und Fortbildung Angebote zum interkulturellen Lernen. Es gibt die Demokratietour der DGB-Jugend. Es gab und gibt die „StrandGut“-Tour des Landesjugendringes. Es gibt den Versuch der Landeszentrale für politische Bildung mit einem Angebot „Pro Zivilcourage – Strategien gegen Rechts“. Es gibt die Broschüre des Innenministeriums „Skinheads“, die Informationen für Lehrer, Eltern, Jugendarbeiter zur Verfügung stellt, die regionale Arbeitsstelle Antirassismus e.V., die sehr sinnvolle vorurteilsvorbeugende Angebote an Schulen unterbreitet. „Bunt statt Braun“ nicht zu vergessen.
Aber, wie sagt Friedrich Dürrenmatt: „Der Versuch des Einzelnen, für sich zu lösen, was viele angeht, muss scheitern.“ Diese einfache Wahrheit haben die Akteure in Projekten inzwischen längst erfahren. Sie drängen heute darauf und arbeiten daran, ihre Arbeit zu vernetzen. Unseres Erachtens käme der Landeszentrale für politische Bildung hier eine andere Rolle zu, als sie sie heute einnimmt. Sie muss ihr Engagement im Spektrum Geschichte des Faschismus und des deutschen Militarismus wesentlich verstärken. Sie muss sich zu einem Kompetenzzentrum der politischen Bildung entwickeln, Projekte anregen, Erfahrungen auswerten, Gutes verallgemeinern und Kampagnen anstoßen, Multiplikatoren schulen, zum Beispiel Lehrern zu helfen, die ja nicht böswillig sind, die manchmal Symbole nicht erkennen oder auch nicht wagen, dagegen vorzugehen.
Leider ist die Redezeit zu Ende, ich hätte noch mehr.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Auf den ersten Blick erscheint dieser Antrag kompliziert und verwoben und nicht jeder will sich das antun, wie es aussieht. Der Antrag macht zunächst eines deutlich: Es gibt verschiedenste Initiatoren auf den verschiedenen politischen Ebenen – im Land, im Bund, europaweit –, die mit den unterschiedlichsten Begrifflichkeiten ähnliche Ziele beschreiben. Auf den zweiten Blick erschließt sich, Adressat ist immer die Kommune.
Nun steht die Frage: Brauchen wir eine Deklaration dieses Landtages gerichtet an die Gemeinden in unserem Land? Brauchen wir eine Belehrung der Kommunen, was sie für Kinder, Familien und Jugendliche tun sollen? Brauchen wir weitere Sonntagsreden zum Thema Kind, wo doch das Jahrhundert des Kindes vorbei ist? Nein, all das brauchen wir nicht und haben es mit diesem Antrag auch nicht vor. Vielmehr halten wir es für erforderlich, die Gemeinden bei ihren Vorhaben zu unterstützen. Wichtige Möglichkeiten der Unterstützung sind ganz sicher die Informationen über europäische und bundesweite Initiativen und die Organisation, möglicherweise Institutionalisierung, von Erfahrungsaustauschen, zu denen wir hier anregen wollen.
Die Initiative des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen der EU will einen Beitrag leisten, um auf die Bedürfnisse von Familien und Kindern, auf Erfordernisse besserer Lebensbedingungen für deren Leben in ihren Lebensorten einzugehen, sie im zusammenwachsenden Europa zu fördern. Sie regt an, ganz besondere Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Lebenschancen nachwachsender Generationen zu richten. In diesem Sinne sollen sich europäische Städte vernetzen und regelmäßig den Meinungs- und Erfahrungsaustausch pflegen.
Ein Wort am Rande: Es ist bedauerlich, dass dieser Beschluss der Würzburger Konferenz nur mit großem Aufwand zu beschaffen ist. Die Kollegen aller Fraktionen haben da sicherlich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht – vermute ich. Und wie ich gehört habe, hatte es auch die Staatskanzlei schwer, sich die Unterlagen zu beschaffen. Um so wichtiger erscheint es mir, dass wir zur Verbreitung des Gedankens alle beitragen.
Dieser Logik entsprechend bringt sich das Bundes-, Jugend- und Familienministerium mit einem Modellversuch ein, anknüpfend an einen Bundeswettbewerb der CDU/FDP-Regierung – also schon alt. Ein Rahmenkonzept, entwickelt von einem Hannoveraner Institut, wird für zunächst zwei Jahre in ausgewählten Kommunen in Ostund Westdeutschland erprobt. Das Modellprojekt der Bundesregierung soll zur Einrichtung regionaler Zirkel führen.
Dass keine Kommune aus unserem Land zu den ausgewählten gehört, sollte uns nicht davon abhalten, die Einrichtung regionaler Zirkel auch bei uns anzustreben, denn das Rahmenkonzept steht uns ja zur Verfügung, auch wenn wir nicht Ausgewählte sind, und Erfahrungsaustausch ist die billigste Investition. Wir haben viele gute Beispiele kinderfreundlicher Städte und Gemeinden im Land und wohl auch einen Grundkonsens aller Gemeinden, kinder- und familienfreundlich sein zu wollen. Dabei unterscheiden sich freilich die Ansichten, was unter den Begriffen „Kinderfreundlichkeit“ und „Familienfreundlichkeit“ zu fassen sei.
Erlauben wir uns einen Rückblick. Ich zitiere – mit Genuss, das gebe ich zu – die Anlage zum Jugendpflegeerlass des Preußischen Ministers der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 18. Januar 1911. Dieser Erlass, der mit dem beachtlichen Fonds von 1 Million Reichsmark ausgestattet war, sollte die vielfältigen Aktivitäten der bürgerlichen Jugendbewegung kanalisieren und kontrollieren und vor allem die Arbeit der Jugendbewegung unterdrücken. Dennoch ist es interes
sant, ihn hier auszugsweise aufzuführen, zeigt er doch, welche Vorstellungen über Bedürfnisse junger Menschen und Wege zu deren Befriedigung am Anfang dieses Jahrhunderts bestanden. Also da heißt es unter der Überschrift „Grundsätze und Ratschläge für Jugendpflege“: „Es kommen als Mittel der Jugendpflege in Frage und haben sich als solche zumeist schon gut bewährt Bereitstellung von Räumen zur Einrichtung von Jugendheimen, Gründung von Jugendbüchereien, Einrichtung von Musik-, Gesangs- und Lesevortragsabenden, von Aufführungen mit verteilten Rollen, überhaupt Gewährung von Gelegenheiten zu edler Geselligkeit und Unterhaltung, Ausnutzung der volkstümlichen Gelegenheiten eines Ortes wie Museen und dergleichen, geschichtlich, naturkundlich, landwirtschaftlich und so weiter sehenswerten Orten, Bereitstellung von Werkstätten für Handfertigkeitsunterricht und dergleichen, Bereitstellung von Spielplätzen und bedeckten Räumen für Leibesübungen,“ – das finde ich spannend – „Schaffung möglichst unentgeltlicher Möglichkeiten zum Baden, Schwimmen und Schlittschuhlaufen. Die Aufzählung der vorstehend genannten Mittel und als wünschenswert bezeichneten Einrichtungen soll nicht bedeuten, dass dies alles erst beschafft oder bereitgestellt werden müsse, ehe mit der Pflege der Jugend begonnen werden könne. Wo Leiter und Leiterinnen mit einigem Geschick und mit Liebe zur Sache und zur Jugend vorhanden sind und von einem tatkräftigen und umsichtigen Ortsausschuss unterstützt werden, wird in der Regel sofort mit irgendeinem Zweig der Jugendpflege begonnen werden können. Es erhöht für die beteiligte Jugend den Reiz der Sache und ist von großem erzieherischen Werte, wenn sie selbst nach Möglichkeit zu dem Ausbau der Einrichtungen beitragen und an ihrer Verwaltung selbstständig mitwirken kann. Zu einer aufbauenden Einwirkung auf die schulentlassene Jugend bedarf es neben der zielbewussten Gewöhnung und Übung vor allem auch der Erweckung eines selbsttätigen Interesses der Jugend für die Zwecke der zu ihren Gunsten getroffenen Veranstaltungen, bedarf es mannigfacher Gelegenheit zu einer selbständigen Betätigung innerhalb und zum besten der Jugendvereinigungen.“ Soweit der Preußische Jugendpflegeerlass, gefunden in einem Reader des Kollegen Claus Wergin. Für mich ist erstaunlich, wie konstant die Auffassungen Erwachsener über junge Menschen und notwendige Angebote sind.
Ist es nun freundlich, so ist die Frage, gegenüber jungen Menschen und Familien, wenn ihnen Angebote gemacht werden? Ja, sicher. Aber ist eine Kommune freundlicher als die andere, weil sie mehr Angebote hat? Ist es freundlich gegenüber jungen Menschen und ihren Familien, wenn das Handeln der Verwaltung und Ergebnisse des Handelns nur verträglich sind? Ja, sicher. Aber ist eine Kommune freundlicher als die andere, weil sie verträglicher ist, oder gibt es andere Qualitäten, durch die sich eine Gemeinde auszeichnen muss, in der Kinder, Jugendliche und Familien gern leben? Ja, es gibt zumindest aus meiner Sicht einen wesentlichen Aspekt, der stärker in den Vordergrund zu stellen ist, und das ist die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Familien an den Entscheidungsprozessen selbst, über Verträglichkeitsprüfung hinausgehende Möglichkeiten aktiven Eingreifens, und das selbstverständlich in der Kommune.
In der Anhörung zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes am 1. September 1999 hier im Sozialausschuss machten Kirchen, Kinderschutzbund und Jugendverbände vor allem eins deutlich: Wir brauchen die Betei
ligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht Objekte politischer Entscheidung sein. Erwachsene müssen anerkennen, dass junge Menschen natürliche Experten ihrer eigenen Angelegenheiten sind. Und wenn das so ist, dann ist die Umsetzung der Rechte gemäß dieser Konvention in ihrer Unteilbarkeit und Universalität nur möglich durch Beteiligung junger Menschen.
Der Sprecher des Landesjugendringes erneuerte die nun schon Jahre alte Forderung dieses Dachverbandes, die Kommunalverfassung unseres Landes zu ergänzen um eine verpflichtende Regelung zur Einbeziehung junger Menschen in die Entscheidung der Gemeinden, analog zur Regelung Schleswig-Holsteins. Die dortigen Erfahrungen zeigen eindeutig, dass eine solche Regelung nicht nur kinder- und jugendfreundlich, sondern auch sehr gemeindefreundlich ist. Hier werden wir als Landtag, denke ich, demnächst gefordert sein.
Nun hat das Sozialministerium die EU- und Bundesinitiativen auch zu seinem Anliegen gemacht und will mit dem Landeswettbewerb familienfreundlichen Gemeinden Aufforderung und Ansporn geben, damit sich in den Lebensorten Mecklenburg-Vorpommerns ein stärkeres Bewusstsein und Verständnis für die Bedürfnisse der Familien mit Kindern ausprägt und damit einhergehend die Öffentlichkeit sensibilisiert wird. Das ist verdienstvoll, zumal eine Dokumentation fortgeschrittener Erfahrungen im Internet erfolgen soll, was die Nachnutzung ganz gewiss anregen wird.
In den Kriterien für die Bewertung stellt die Partizipation der Betroffenen leider nur ein untergeordnetes Element dar – als letzter Anstrich unter dem Stichwort Verwaltung. Wir meinen, hier kann man nachlegen. Aus diesem Grund bitten wir die Landesregierung mit diesem Antrag, insbesondere solche Erfahrungen aufzugreifen und die Konstituierung regionaler Zirkel zu unterstützen, analog zum Bundesmodellprojekt, da wir ja nicht direkt Beteiligte sind.
Es ist kaum möglich, die vielen Initiativen von Städten und Gemeinden aufzuzählen, die sich um echte Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche bemühen. Zur Verdeutlichung der Vielfalt hier nur stichpunktartig einige Projekte: Kinderparlamente zum Beispiel in Güstrow, das Skater-Parlament in Güstrow, das Agenda-21-Büro in Bützow, Jugendratsversammlungen, Jugendrathäuser, Jugendsprechstunden beim Bürgermeister, das Projekt „Brücken bauen“ im Landkreis Parchim. Viele weitere könnte man anführen. Und wahrscheinlich könnte jeder von uns aus seinem Wahlkreis noch fünf, sechs, acht, ein Dutzend Beispiele hinzufügen. Es lohnt sich also, diesen Faden aufzunehmen und zu versuchen, ein Netz zu spannen. Ich bin ganz sicher, dass noch viele neue Ideen gerade von Kindern und Jugendlichen selbst geboren werden, die jedem die Chance geben, sich einzumischen. Diese Art von Kinderfreundlichkeit, diese Art von Jugendfreundlichkeit, diese Art von Familienfreundlichkeit sollte ein Markenzeichen von Mecklenburg-Vorpommern als Region in Europa werden.