Protocol of the Session on July 12, 2000

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 42. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor.

Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich Herrn Johann Scheringer – ist er überhaupt da, ich kann ihn gar nicht sehen – herzlichen Glückwunsch zum heutigen Geburtstag sagen und alles Gute für das neue Lebensjahr wünschen.

(Beifall bei den Abgeordneten)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der PDS hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Rentenreform – Konsequenzen für die Einwohnerinnen und Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns“ beantragt.

Aktuelle Stunde Rentenreform – Konsequenzen für die Einwohnerinnen und Einwohner Mecklenburg-Vorpommerns

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Koplin von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Koplin.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die PDS hat das Thema der Rentenreform für die Aktuelle Stunde ausgewählt, da die Diskussion eine gesellschaftspolitische ist. Die Alterssicherung betrifft alle, nicht nur Rentner in unserem Land, sondern auch diejenigen, die mehr oder weniger weit entfernt von der Rente sind. Im Kern der Thematik geht es um die Beantwortung der Frage nach der Verwirklichung des grundgesetzlichen Anspruchs auf ein würdevolles Leben.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundesregierung wirbt um Vertrauen in die Alterssicherung und will den Zusammenhalt in der Gesellschaft bewahren – zwei grundlegende Ansprüche, die auch von der PDS mit Nachdruck getragen werden. Genauer besehen will die Bundesregierung diese Ansprüche aber mit Maßnahmen durchsetzen, die ganz andere Konsequenzen im sozialen Gefüge nach sich ziehen, als sie dem Vernehmen nach beabsichtigt sind. Angestrebt ist, den Stellenwert der solidarischen Rentenversicherung deutlich zu drücken. Dafür sollen Elemente wie private Versicherung, betriebliche Altersvorsorge und der Eigentumserwerb an Gewicht gewinnen. Mit dieser Philosophie wird der innere Zusammenhang, so meinen wir, des Generationenvertrages von der Logik der Solidarität zu einer Logik des Kapitalmarkts verschoben.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Nehmen wir nur die vermeintliche Bedeutung von Beitragsstabilität. Hier drängt sich doch förmlich die Frage auf, ob ein niedriger Beitragssatz wirklich ausschlaggebend ist für die Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung. Aus unserer Sicht liegt in der Beantwortung dieser Frage ein volkswirtschaftlicher Denkfehler. Ein niedriger Beitragssatz entlastet zwar aktuell die Versicherten und die Arbeitgeber, die Stabilität der Rentenversicherung insgesamt hängt jedoch viel maßgeblicher von der Anzahl der versicherungspflichtigen Erwerbstätigen ab.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Jede Erwerbstätigkeit, ob die des Arbeitnehmers oder des Selbständigen, des Beamten oder des Abgeordneten, muss versicherungspflichtig werden.

(Beifall Heike Lorenz, PDS – Dr. Margret Seemann, SPD: Denken Sie auch an die Lohnnebenkosten!)

Unsere Hauptkritik an der Rentendebatte richtet sich gegen die beabsichtigte Privatisierung der Solidarität. Hier befinden sich SPD, CDU und FDP in bemerkenswerter gedanklicher Übereinstimmung. So heißt es zum Beispiel im Beschluss des SPD-Parteivorstandes vom 3. Juli diesen Jahres: „Es ist notwendig, zwischen 2001 und 2008 in Schritten eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge aufzubauen. Beginnend mit 0,5 % sollen ab 2008 möglichst 4 % des Bruttoentgeltes dafür verwendet werden.“

Gestatten Sie mir, einen derartigen Eingriff in die sozialen Besitzstände des Einzelnen, bezogen auf die Einwohner unseres Landes, zu veranschaulichen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Arbeiter und Angestellten in unserem Land beläuft sich derzeit auf 48.700 DM. 0,5 Prozent würden eine zusätzliche Abgabe von 250 DM im Jahr bedeuten. Unter Vernachlässigung anzunehmender Lohnsteigerungen würden im Jahre 2008 mit 4-prozentiger Abgabe bereits 2.000 DM von jedem Arbeitnehmer abverlangt werden. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um die Belastung nur einer Seite der in die gesetzliche Rentenversicherung Einzahlenden, nämlich eine Belastung der Arbeitnehmer. Ihr Beitrag zur Absicherung einer Rente im Alter würde von derzeit 9,65 Prozent auf 13,65 Prozent ihres Bruttoverdienstes steigen.

Lassen Sie mich ein weiteres Problem anschneiden. Ein Wahlversprechen der SPD im Bundestagswahlkampf 1998 war die Abschaffung der von der Kohl-Regierung eingeführten so genannten demographischen Faktorregelung, die den Rentenanstieg reduziert. Durch die geplante Rentenreform aber verändert sich diesbezüglich überhaupt nichts. Der so genannte Inflationsausgleich kann die Kaufkraft der Renten nicht sichern, was sich zusätzlich negativ auf die Beschäftigung auswirkt.

Sehr geehrte Damen und Herren, nun ist festzustellen, dass sich die CDU zu einer Anwaltsrolle in der Rentendebatte aufschwingt. Frau Schnoor verlangte, wenn ich das richtig verfolgen konnte, vor der Senioren-Union die Anerkennung der gesamten Lebensleistung des Einzelnen. Das ist durchaus richtig. Haben Sie aber der Ehrlichkeit halber darauf hingewiesen, dass gerade die von Ihrer Partei initiierten Reformen die Lebensleistungen der Versicherten zum Teil in Frage stellen?

(Heike Lorenz, PDS: Richtig.)

Haben Sie erwähnt, dass zum Beispiel Hochschulabsolventen allein aus der Kürzung der anrechenbaren schulischen Ausbildungszeiten einen Verlust von bis zu vier Versicherungsjahren hinnehmen müssen? Haben Sie darüber gesprochen, dass Ihre Spargesetze eine durchweg rentenmindernde Wirkung zeigen?

Betrachtet man beispielsweise den Unterschied zwischen den durchschnittlichen Zahlbeträgen von Altersrenten im Rentenbestand und im Rentenzugang,

(Harry Glawe, CDU: Zu Ihrer Zeit gab es 350 Mark Rente, Herr Koplin.)

so zeigt sich bei den Männern im Rentenzugang ein spürbares Defizit gegenüber dem Rentenbestand.

Wir haben die Aktuelle Stunde, im Übrigen.

Die Männer Mecklenburg-Vorpommerns erhalten nunmehr durchschnittlich 121 DM weniger Rente im ersten Monat des Rentenerhalts als noch vor zwei Jahren. Sie, sehr geehrte Damen und Herren der CDU, sollten sich eher in Selbstkritik üben.

(Harry Glawe, CDU: Ja, von wegen!)

Darüber hinaus aber möchten wir Sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes von dieser Stelle aus aufrufen, auch – und damit komme ich zum Schluss – auf Landesebene in parteiübergreifende Gespräche zur Zukunft der Rentenversicherung einzutreten. Lassen Sie uns reden über die Möglichkeiten der Stärkung des solidarischen Charakters der gesetzlichen Rentenversicherung und der Gewährleistung einer gesetzlichen Rente auf lebensstandardsicherndem Niveau. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Rehberg. Bitte sehr, Herr Rehberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wenn heute die Frage nach den Auswirkungen der Rentenreform nach den Vorstellungen der Bundesregierung auf die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern gestellt wird, dann gibt es hierauf nur eine Antwort: Die Menschen fühlen sich systematisch belogen und trauen der Zukunft deshalb nicht recht.

Die damalige Bundesregierung aus Union und FDP hatte sich noch vor den Wahlen entschieden, den Menschen die Wahrheit zu sagen und den Reformbedarf offen zu legen, sei es nun in Sachen Steuerreform, bei der Gesundheitspolitik oder in der Frage der Rentenreform. Mit den Petersberger Beschlüssen haben wir eine anspruchsvolle Novelle zur Steuerreform vorgelegt. Wenn die SPD sie damals nicht blockiert hätte, wären wir heute schon wesentlich weiter. In der Gesundheitspolitik waren wir ehrlich genug zu sagen, dass es ohne Selbstbeteiligung nicht geht. SPD und Grüne haben es bekämpft, wider besseres Wissen, haben gegensätzliche Versprechungen gemacht und erleben jetzt mit dem Budgetierungsmodell ein Debakel, was nicht schlimm wäre, wenn es nicht zu einer Zweiklassenmedizin führen würde und damit zu Lasten des kleinen Mannes ginge.

Apropos Selbstkritik: Meine Damen und Herren von der PDS, die Rente im Osten ist eine Erfolgsgeschichte der Deutschen Einheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Großmutter hatte 1989 330 Mark Mindestrente und mein Großvater nach 50 Arbeitsjahren 500 Mark Rente. Und da sage ich Ihnen, das war am Rande des Existenzminimums, auch zur damaligen und gerade zur damaligen Zeit. Wenn Sie sich heute die Eckwerte angucken, dann, denke ich, sind die letzten zehn Jahre mehr als positiv gelaufen.

(Angelika Gramkow, PDS: Eine einseitige Darstellung.)

Aber wir mussten uns auf das Übelste beschimpfen lassen, als wir mit dem demographischen Faktor ein Rentenniveau von 64 Prozent erreichen wollten und erreichen mussten. Wir haben Herrn Schröder und Herrn Riester

das Zugeständnis abgerungen, dass sie bei ihrem Modell bei 54 Prozent gelandet wären. Das ist die Wahrheit.

Die erste Lüge der aktuellen Bundesregierung bestand also darin zu behaupten, die Rentenreform der Union sei ungerecht. Die zweite, die wesentlichere Lüge ist im Februar 1999 vom Bundeskanzler gekommen, als er versprach, dass die Entwicklung der Renten nettolohnbezogen bleibe. Und die dritte Lüge war dann diejenige, dass es wenigstens eine Inflationsanpassung geben würde. Statt der dann nötigen 1,8 Prozent gibt es aber nur 0,6 Prozentpunkte.

Und, Herr Koplin, darüber hätten Sie reden sollen,

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

dass mit dieser Politik, mit der Abkopplung von der allgemeinen Einkommensentwicklung die Rentenangleichung zwischen Ost und West überhaupt nicht mehr möglich sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

Das heißt, die Rentner im Osten haben doppelt und dreifach die Lasten der Schröder’schen Rentenpolitik zu tragen.

(Torsten Koplin, PDS: Die Syste- matik haben Sie eingeführt.)

Und wo ist denn die Konzeption der Bundesregierung? In den letzten sechs Wochen, am 30. Mai, am 13. Juni und am 3. Juli, legte man teilweise völlig neue Konzeptionen auf den Tisch. Dass bei diesem Herumgewurschtel nichts Vernünftiges rauskommen kann, sieht man an folgenden Punkten:

Es ist für die Union nicht hinnehmbar, dass auch im Jahr 2001 die Steigerung der Renten noch nach Inflationsrate erfolgen soll.

Es ist für die Union nicht hinnehmbar, dass die Familienförderung für einen Familienvater mit zwei Kindern und einem Bruttojahresgehalt von 36.000 DM – meine Damen und Herren, hören Sie zu – lediglich 1,67 Mark pro Kind und pro Monat betragen soll.

Es ist für die Union nicht hinnehmbar, dass auf den Rückgriff auf unterhaltspflichtige Kinder im Bedarfsfall verzichtet wird, sondern die Kommunen unmittelbar zur Kasse gebeten werden.

Es ist für die Union nicht hinnehmbar, dass in der aktuellen Version nicht mehr garantiert wird, dass der Beitragssatz 22 Prozent nicht überschreiten darf, sondern dass nur noch formuliert wird, dass der Beitragssatz möglichst bei 22 Prozent bleiben solle.

Es ist für die CDU nicht hinnehmbar, dass Riester ständig seine Rentenrechnung schönrechnet, indem er die Ökosteuer schlicht und einfach weglässt.

Und es ist nicht nachvollziehbar, meine Damen und Herren, dass Riester zu Beginn die 22 Prozent Beitragssatz bei einem 54-prozentigen Rentenniveau festschreiben wollte und mittlerweile behauptet, bei ansonsten gleichen Rahmenbedingungen seien 64 Prozent Rentenniveau erreichbar.

Diese Rentenkonzeption ist sachlich und fachlich falsch und letztendlich nicht umsetzbar und insbesondere nachteilig für ein Land wie Mecklenburg-Vorpommern, wo fast