Und die zweite Frage ist, ob Thüringer Ermittler kurz nach dem Mord an Michèle Kiesewetter die baden-württembergischen Ermittler darauf hingewiesen haben, dass sie zumindest Indizien dafür sehen würden, dass es einen Zusammenhang zu den Morden, den, wie es damals hieß, Dönermorden – so war die Formulierung gewesen – gibt. Wissen Sie das und wissen Sie, warum man diese Spur nicht weiterverfolgt hat?
Also ich beantworte die letzte Frage mal zuerst. Ich habe mich mit den NSU-Prozessermittlungen nie im Detail beschäftigt, deswegen weiß ich das nicht, aber es geht auch gar nicht darum, warum bestimmte Leute in den Ermittlungen und auch außerhalb der Ermittlungen, zum Beispiel in der Presse, bestimmte Vermutungen angestellt haben. Die Frage ist doch: Warum wollen Sie da rassistische Motive unterstellen? Es ist doch zulässig, dass ich als Journalist spekuliere, als Polizist überlege, aus welcher Richtung diese Straftaten erfolgt sind, und dabei lasse ich mich natürlich von Erfahrungen leiten. Und wenn ich eben beispielsweise bei der Untersuchung von ähnlichen Sachverhalten auf Verbindungen komme, zum Beispiel zur organisierten Krimi
nalität, dann ist es natürlich absolut zulässig sowohl für die Presse, also für den „Spiegel“, als auch beispielsweise für die Polizei,
entsprechende Motive, entsprechende Ermittlungswege zu suchen, und dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit Rassismus zu tun. Bitte schön.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Diskussion, soweit sie sich auf den „Spiegel“ bezieht, begrüße ich die Vertreter des „Spiegels“, die hier im Haus sind und aufmerksam zuhören können,
welche Verantwortung sie bei sich selber reflektieren können. Aber die Fragestellung, die mich bewegt, ist die Fragestellung der gesellschaftlichen Verantwortung. Wenn es um eine Dimension geht, bei der ich sage, Antisemitismus tötet, Rassismus tötet, nämlich dann, wenn man es zulässt, Antiziganismus tötet, wenn man zulässt, dass gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit auf einmal zum Alltagstauglichen wird, dann wird es gefährlich, weil dann die Abgrenzung und die Wehrhaftigkeit einer Gesellschaft auf einmal so vernebelt werden, dass auf einmal eine Ermordung dazu führt, dass man nicht mehr an den richtigen Stellen sucht. Um nicht mehr und nicht weniger geht es bei der Bewertung, wie das Klima um die Gruppe, die sich NSU genannt hat, war. Deswegen habe ich vorhin darauf hingewiesen, wie es Anfang der 90er-Jahre in Jena zugegangen ist. Das war eine offene Frage in Jena. Wenn jemand anderer Meinung war oder anders ausgesehen hat, konnte es sehr schnell geschehen, dass man dann ziemlich hart zusammengeschlagen wurde. Diese Erfahrung haben wir an vielen Stellen in Thüringen, aber auch in anderen Bundesländern gemacht. Deswegen habe ich bewusst das Thema „Häuser kaufen und von diesen Häusern Angst ausgehen lassen“ angesprochen. Das hat etwas mit Gefährlichkeit und gesellschaftlichem Gift zu tun.
Meine Damen und Herren, einiges, was ich hier hören musste, ist mir ziemlich auf den Magen geschlagen, weil ich das Gefühl habe, dass es eine sehr geschickte Verdrehung gibt. Auf einmal setzt man Menschen, die aus rassistischen Motiven ermordet worden sind, mit Menschen gleich, die von anderen Terroristen ermordet worden sind. Zu dem, was am Breitscheidplatz passiert ist, habe ich auch die Frage, wie viel gesellschaftliche und politische Verantwortung es dafür gab, dass das nicht gestoppt wurde.
Diese Frage muss lückenlos beantwortet werden. Deswegen bin ich froh, dass in Berlin tatsächlich die Frage der Aufklärung aufkam – von der CDU ist das mehrfach thematisiert worden, als in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung noch anders war –, ob man nicht einen Untersuchungsausschuss machen müsste. Ich glaube, diese Frage war berechtigt. Ich will das klar sagen, weil ich dagegen bin, dass man 14 verschiedene Namen eines Täters einfach unter den Teppich kehrt. Ich kann das schwer nachvollziehen, wie man das hat zulassen können. Da hat man das Gefühl gehabt – wenn man sich den Fall vom Breitscheidplatz genauer anguckt –, da soll es doch auch noch einen V-Mann-Führer und einen V-Mann gegeben haben, der den Täter auch noch hin- und hergefahren hat. Da bleibt doch wieder die Frage, ob die so hoch gelobten Dienste alle ihren Pflichten nachgekommen sind. Diese Frage ist berechtigt, erlaubt und notwendig. Herr Kellner, ich bin sehr bei Ihnen.
Ja, Wolfgang Fiedler, es mag dir nicht passen, dass in der Zeit, in der ihr die Regierung gestellt habt, der Vizepräsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz offensichtlich in Gera den Hauptkassierer von Blood & Honour als V-Mann geführt hat.
Er hat immer bestritten, dass er es getan hat. Er – nämlich dieser Mensch – hat im Moment ein Verfahren zu der Frage, ob er als V-Mann geführt worden ist. Das spielt in München im Prozess eine ziemliche Rolle. Die Rolle von Blood & Honour ist eben nicht eine, die man so nebenher erläutern könnte und sagen könnte, es war der Thüringer Heimatschutz oder ein Trachtenverein. Blood & Honour ist die in sich schlüssige, gewaltbereite Organisation aus England, die jetzt in Themar wieder komplett zu besichtigen war.
Insoweit haben wir da doch gemeinsam was zum Hingucken. Deswegen, Herr Kellner, bin ich bei Ihnen. Ja, ich würde mir wünschen, der Bund würde klare Entscheidungen treffen, aber ohne Thüringen – deswegen habe ich vorhin alle mit hineingenom
men und sage ausdrücklich, das haben wir gemeinsam gemacht. Wir haben gemeinsam die Linie eröffnet, bei der dann der Bund erst angefangen hat, viel genauer hinzugucken. Am Anfang wollte der Bund das nicht. Ich erinnere mich, als ich ein Telefonat mit Jörg Geibert hatte und der Versuch unternommen worden ist, die Akten aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sie im Bundestagsuntersuchungsausschuss ankommen. Da muss ich einfach sagen – und deswegen habe ich auch keine Lust, zu sagen, die CDU wäre nicht bereit und nicht gewillt, an der Aufarbeitung mitzuarbeiten. Das wäre völlig falsch. Clemens Binninger ist es, der im Bund der Garant dafür war, dass er als Polizist, Politiker und Bundestagsabgeordneter mit der gleichen Intensität an den Themen dran war, wie es der Thüringer Untersuchungsausschuss auch war. Ich war froh, dass es zwischen den beiden Untersuchungsausschüssen immer wieder ein hohes Maß an Austausch, Kooperation und an gemeinsamem Vorgehen gegeben hat.
Lieber Herr Kellner, Sie haben recht mit Ihrem Hinweis auf Herrn Beckstein. Ich habe mit Herrn Beckstein auch darüber geredet und es ist richtig, Herr Beckstein hat die Beamten in Marsch gesetzt und er hat immer wieder gesagt: Ich kann es nicht glauben. Aber er wollte es wissen. Wenn Sie den Gang aber zu Ende gehen – der letzte SoKo-Leiter von München hat später angegeben, wenn er die Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter gehabt hätte, hätte er anders untersucht. Er hat es nicht gewusst und es ist ihm nicht mitgeteilt worden, obwohl seine Beamten es angefordert haben. Das sagte der Soko-Leiter, also der Polizeibeauftragte, der für diese Ermittlungen zuständig war, und sagt: Ich habe nicht gewusst, was die Ämter gewusst haben, und wenn ich das gewusst hätte, hätten wir anders untersucht. Das ist doch die Frage, über die wir bei den beiden Tagesordnungspunkten einfach mit nachzudenken haben, ob es frühere – und das war meine Formulierung vorhin – Alarmzeichen gegeben hätte. Das fragen sich die Angehörigen: Gab es Alarmzeichen, die die Morde verhindert hätten? Wenn diese Alarmzeichen nicht aufgenommen worden sind, dann ist die Frage, wo sind die Alarmzeichen geblieben und warum haben die Richtigen sie zur richtigen Zeit nicht gehabt? Dann bleiben auch die Thüringer Zielfahnder – ich will es noch mal wiederholen –, die haben das doch zu Protokoll gegeben: Wir waren immer am richtigen Ort, aber zum falschen Zeitpunkt und im Nachhinein betrachtet, haben wir das Gefühl, wir sind immer in die Irre geführt worden.
Wenn man sich dann noch das Geschehen in der Jenaer Garage verinnerlicht, dann hat man doch das Gefühl, dass danach das Landesamt für Verfassungsschutz, geführt von Herrn Roewer und von
Herrn Nocken, dem Vizepräsidenten, den ich gerade erwähnt habe – die haben sich dann angemaßt, das alles aufzuarbeiten und nichts passierte mehr. Die Zielfahnder haben gesagt, sie seien nicht so informiert worden, wie sie hätten informiert werden müssen, damit es richtig funktioniert. Das war alles, bevor die Mordserie begonnen hat. Deswegen ist diese Frage, die die Angehörigen gestellt haben, berechtigt. Aber wir können sie hier juristisch nicht beantworten. Und, ehrlich gesagt, Herr Kellner, das will ich Ihnen gern einräumen, will ich nicht warten, was das Erfurter Gericht sagt, weil ich dann den Angehörigen – nachdem man ihnen jahrelang nicht zugehört hat, nachdem man sie jahrelang in die Ecke gestellt hat – zumute, dass sie wieder über jahrelange Prozesse gehen müssen. Die Frage also, ob es Verbindungen zu unserer Verantwortung gibt, ist doch die, die wir heute politisch klären wollen.
Dann sage ich: Ohne Thüringen hätte der Bund sich gar nicht bewegt. Meine Frage, die ich zurückfrage, ist: Wie weit wird sich denn der Bund jetzt bewegen, wenn wir uns bewegen? Sollten wir ihn denn nicht einladen, mit einer Überlegung, die wir heute anstellen, und sagen, wir sollten Clemens Binninger folgen. Clemens Binninger hat mir immer wieder gesagt, die Ermordung von Michèle Kiesewetter, das Tatgeschehen kann er als Polizist nicht akzeptieren, also das, was protokolliert worden ist – jetzt zitiere ich wirklich Clemens Binninger. Und wer bin ich, wenn ich jetzt sage, ich habe ein Misstrauen einem CDU-Bundestagsabgeordneten und Polizisten gegenüber? Er hat mich dann motiviert, sodass ich dahin gefahren bin und mir den Tatort zweimal angeguckt habe, weil ich wissen und einordnen wollte, was ist denn das, wieso kann das denn sein? Können wirklich zwei Thüringer Täter dorthin fahren, mit dem Fahrrad entlangkommen und zufällig an einer Stelle eine Thüringer Polizistin treffen, die sie möglicherweise kennen, an einem Tag, an dem sie gar nicht da sein könnte, weil sie eigentlich frei hat, und sie an einer Stelle erschossen wird, und diese Waffen sind diejenigen, die dann hinterher in dem Camper liegen? Das sind doch Fragestellungen, bei denen man sich dann wirklich fragen muss: Was hat da noch alles eine Rolle gespielt? Deswegen ist diese Frage verbunden mit der Erwartung, dass wir als Land Thüringen für uns eine Entscheidung treffen.
Dann frage ich Sie, ob es nicht möglich ist, wenigstens auch den Gedenkort zu bedenken? Warum sagen Sie, bei der Frage der Entschädigung soll der Bund rein? Da wäre ich sehr dafür, aber der Gedenkort ist eine Frage des Gedenkens. Wir sind nicht am Abschluss des Verfahrens. Wir wollen den Auftrag auslösen und ich werbe für die Auslösung des Auftrags.
um das klar zu sagen, der IS-Terror sind Terroristen, das sind Morde, es ist nicht irgendwas in einer anderen Kategorie, bei dem ich noch ganz andere Fragen habe, wer da noch alles in der Waffenbrüderschaft mit drin ist, wer da alles mitgeholfen hat, wer die alle mit Öl, Waffen, Geld und Munition versorgt hat – jetzt mit den Ermordeten gleichsetzt, die offensichtlich aus rassistischen Gründen in Deutschland ermordet worden sind. Sie sind offensichtlich aus rassistischen Gründen ermordet worden, aber sie sind doch keine vermeintlichen Opfer, sie sind doch reale Opfer.
Sie können doch nicht vermeintliche Opfer sein und die Familien haben doch nicht vermeintlich den Druck der Behörden aushalten müssen, sondern sie sind konkret mit dem Misstrauen überzogen worden und mit ständig falschen Spuren. Deswegen noch mal: Die Zielfahnder habe ich erwähnt. Die Zielfahnder haben gesagt, sie finden sie. Sie wissen doch besser als ich, wie das mit Herrn Roewer geendet hat. Also lieber Wolfgang Fiedler, du kannst doch nicht ernsthaft Herrn Roewer hier noch in Schutz nehmen wollen und ernsthaft davon ausgehen, dass das alles seine Ordnung gehabt haben könnte. Das hat es ja nicht mal ansatzweise.
Gern, bitte. Aber mir die Geschichte von Roewer zu erzählen, das mache ich nicht mit – und das an dem Beispiel, bei dem wir über Tote und Ermordete reden und die Thüringer Täter offensichtlich über Tino Brandt mit Geld des Staates finanziert worden sind, bei dem man sagen muss, es ist erst mal mit dem V-Mann-Geld, mit dem dreckigen Geld, die Struktur gepampert worden, die am Ende die Ermordung mit ausgelöst hat.
Deswegen, meine Damen und Herren, war ich der festen Überzeugung, dass wir zwischen CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und den Linken eine gemeinsame Sicht darauf haben, dass es gut war, dass Herr Roewer keinen Dienst mehr hat, dass es gut war, dass die Verfahren gegen ihn eingeleitet worden sind, dass es schade ist, dass bis heute nicht klar ist, welche V-Männer alle in der Szene mit involviert waren, aber dass es auch gut war, dass diese V-Männer, die zumindest involviert waren und der Szene nahestanden, abgeschaltet worden sind.
Deswegen glaube ich, dass es auch gut und richtig ist, dass sich das Amt neu sortiert hat. Diese neue Sortierung – darauf hat Birgit Pelke hingewiesen – hat auch etwas mit einem Amtsleiter zu tun, der eine klare innere Haltung hat, und diese klare Haltung möchte ich nicht unter den Tisch fallen lassen.
Ja, meine Damen und Herren, die Frage des geschichtsrevisionistischen Herangehens, das hier von vorn verkündet worden ist, die Frage, wie man 180-Grad-Wenden in der Geschichtsbetrachtung begründen will...
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat keiner gemacht? Ha- ben Sie schon vergessen, oder was?)
Es gibt Menschen, denen fehlt sogar der Anstand, wenn man von Opfern als vermeintlichen Opfern spricht.
Wer so agiert und einen Fraktionsvorsitzenden hat, der in einer Rede von der 180-Grad-Wende gesprochen hat, der entlarvt sich damit selbst.
Deshalb, meine Damen und Herren, zitiere ich Dina Pronitschewa. Herr Präsident, ich zitiere: „Sie mussten sich bäuchlings auf die Leichen der schon Ermordeten legen und auf die Schüsse warten, die von oben kamen. Dann kam die nächste Gruppe. 36 Stunden lang kamen Juden und starben. Vielleicht waren die Menschen im Sterben und im Tod gleich, aber jeder war anders bis zum letzten Moment, jeder hatte andere Gedanken und Vorahnungen, bis alles klar war, und dann wurde alles schwarz. Manche Menschen starben mit dem Gedanken an andere, wie die Mutter der schönen fünfzehnjährigen Sara, die bat, gemeinsam mit ihrer Tochter erschossen zu werden. Hier war selbst zum Schluss noch eine Sorge: Wenn sie sah, wie ihre Tochter erschossen wurde, würde sie nicht sehen, wie sie vergewaltigt wurde. Eine nackte Mutter verbrachte ihre letzten Augenblicke damit, ihrem Säugling die Brust zu geben. Als das Baby lebendig in die Schlucht geworfen wurde, sprang sie hinterher.“ Das war heute vor 76 Jahren in Babi Jar. Heute vor 76 Jahren haben SS-Einsatzgruppen 36 Stunden lang 1.000 Juden pro Stunde, Schicht um Schicht, ermordet, und keiner der Offiziere ist dafür zur Verantwortung gezogen worden. Deshalb, wenn man dann von Geschichtsrevisionismus spricht, schäme ich mich für solche Reden hier im Landtag.