Darüber, dass die Faktenlage so ist, gibt es überhaupt keinen Streit und Sie bestreiten das. Sie versuchen Jahre später in der Hoffnung, dass die Menschen möglicherweise die Fakten vergessen haben, uns wieder Sand in die Augen zu streuen und zu verhindern, dass wir an das Thema einer Institution, die rassistische Denkweisen – nicht als Einzelner, aber als Institution – in der Fallbearbeitung gezeigt hat, herangehen. Das muss man doch auch benennen dürfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Damit bin ich – und das enttäuscht mich sehr –, Herr Kollege Heym, bei Ihnen. Wenn nicht die Polizei, unsere Staatsanwaltschaften, die Parlamente und die gewählten Landesregierungen mit ihren Innenministern unsere Gesellschaft vertreten, wer denn dann? Wer denn dann? Das ist die Antwort auf Ihre Frage bzw. der Widerspruch zu Ihrer Behauptung, dass es keine gesellschaftliche Verantwortung gibt. Gibt es eine Verantwortung des Staats, gibt es immer eine Verantwortung der Parlamente, gibt es immer eine Verantwortung der Gesellschaft. Wir sind Spiegel dieser Gesellschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Deshalb ist es richtig, dass Rot-Rot-Grün sich heute ganz klar den Opfern stellt und sagen will, nicht,
wir wollen uns im Sinne von „dann haben wir keine Schuld mehr“ entschulden, sondern wir wollen um Verzeihung bitten. Wir wollen um Verzeihung für die Mitschuld auch dieses Freistaats bitten. Das ist das richtige Zeichen, einen Ort des Gedenkens zu schaffen und uns wenigstens den Opfern zuzuwenden. Vielen Dank.
Es gibt eine weitere Wortmeldung. Das Wort hat nun die Abgeordnete König-Preuss, Fraktion Die Linke.
Das ist an der Stelle wahnsinnig entscheidend und wichtig für die hier gerade stattfindende Debatte.
Es ist hier in Abrede gestellt worden, dass es rassistisch motivierte Ermittlungen gegeben hat. Ich möchte zumindest auch im Sinne der Angehörigen und Betroffenen, von denen, wie gesagt, einige heute hier über den Livestream zugeschaltet sind, klarstellen: Ja, die hat es gegeben. Die hat es unter anderem im Nachgang der Sprengstoffanschläge, aber eben auch im Nachgang jedes einzelnen Mordes gegeben.
Im Nachgang jedes einzelnen Mordes ist von den Angehörigen gesagt worden, dass es Neonazis waren. Im Nachgang jedes einzelnen Mordes ist darauf hingewiesen worden, dass die Täter, die mit Fahrrädern beobachtet wurden, eben Deutsche waren, weiße Deutsche, circa 1,80/1,90 m groß, kurze oder gar keine Haare. Diese Erkenntnisse, die nicht nur von den Angehörigen, sondern auch von Zeugen gegenüber der Polizei geäußert wurden, wurden komplett negiert. Genauso komplett negiert wurde im Jahr 2006 die Erkenntnis der Profiler, die eben darauf hingewiesen haben, dass es einen rassistischen, rechtsextremistischen Hintergrund gibt.
Wenn Sie sich mit den entsprechenden Veröffentlichungen dazu auseinandersetzen, sowohl aus dem Prozess in München als auch mit den Erkenntnissen des Bundesuntersuchungsausschusses oder allein mit den Erkenntnissen unseres Thüringer Untersuchungsausschusses, dann können Sie nicht von der Hand weisen, dass dem so war. Im Jahr 2006 sind Familien in Kassel und in Dortmund auf die Straße gegangen und sie haben gefleht, dass man sie unterstützt. Sie haben gefleht, dass es kein weiteres Opfer gibt, und sie haben darauf hingewiesen, dass es Neonazis waren, die ihre Angehörigen umgebracht haben. Und wir haben Ihnen damals nicht zugehört –
wir alle! – Ich finde, wir sollten ihnen zumindest jetzt, nachdem alles aufgeflogen ist, nachdem zumindest weite Teile bereits aufgeklärt wurden, zuhören und sollten ihre Erfahrungen auch ernst nehmen und nicht wie im Jahr 2006 oder wie im Zuge der rassistisch motivierten Ermittlungen einfach von der Hand weisen. Ich möchte wieder Angehörigen zitieren, diesmal aus dem NSU-Prozess, als diese dort ausgesagt haben und wieder Gamze Kubaşık: „Es ist schon schlimm genug, wenn man seinen Vater verliert, aber dass man uns den Stolz auch noch wegnimmt, das ist das Schlimmste für mich. Die haben uns so viel kaputt gemacht. Wir hatten vorher wenigstens Verwandte, Bekannte, Leute, die Nachbarschaft, die uns gemocht haben. Immer, wenn ich mit meinem Vater draußen war, wurde er gegrüßt. Durch die Gerüchte haben die alles kaputt gemacht. Die Polizei sagte, der ist nicht gut, der Vater, und dann sagen die Leute plötzlich so Dinge wie: Soll die Tochter doch so verrecken wie der Vater der den armen Kindern Drogen verkauft hat. Ich kann sagen, dass die Polizei dafür verantwortlich ist, dass man uns jahrelang das Leben genommen hat.“ Es ist fast allen Angehörigen unterstellt worden, dass sie Teil der organisierten Kriminalität sind, dass sie in mafiösen Strukturen sind, dass sie Drogen verkaufen. Es sind durch die sogenannte BAO „Bosporus“, die auch im Namen schon genau diesen strukturellen Rassismus wieder deutlich macht, unter anderem Mittel eingesetzt worden, um einen eigenen Dönerstand aufzumachen, weil man der Überzeugung war, dass die Angehörigen selber dafür verantwortlich sind. Den Angehörigen wurde zum Teil mitgeteilt, dass der Polizei Erkenntnisse vorlägen, dass der Ermordete eine Geliebte und weitere Kinder hätte. Nichts davon hat gestimmt – nichts.
Das sind rassistisch motivierte Ermittlungen. Ich bitte die CDU, sich heute hier nicht mit der AfD gemein zu machen,
sondern sich hinter Ihre Bundeskanzlerin zu stellen, hinter unsere Bundeskanzlerin zu stellen, die ganz klar auf dieser Veranstaltung zum Gedenken, zur Erinnerung im Jahr 2012 gesagt hat: „Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen.“ Schließen Sie sich dem heute nicht an, enthalten Sie sich, wenn Sie nicht zustimmen können. Mir wäre es persönlich lieber – und ich glaube, das wäre auch den Hintergründen und den Anträgen mehr als gerecht –, wenn Sie heute hier den beiden Anträgen zum Opferentschädigungsfonds und zu Erinnerungsort und Mahnstätte auch Ihre Zustimmung geben. Danke schön.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch noch eine hitzige Debatte geworden. Ich möchte eins vorwegschicken, Herr Kubitzki, aber auch Frau König-Preuss, uns in eine Richtung zu schieben nach dem Motto, wer mit uns nicht stimmt, hat keinen Anstand, kein Mitgefühl und würde nicht verstehen, was die Täter den Opfern angetan haben, das muss ich an der Stelle entschieden zurückweisen.
Ich denke, ich habe das doch begründet, warum die CDU-Fraktion diesen Anträgen so, wie sie gestellt werden, nicht zustimmen kann. Das habe ich ganz sachlich begründet. Was man jetzt macht, uns in eine Ecke zu stellen, ohne dass man die Argumente aufgenommen hat, die unsere Fraktion vorgetragen hat,
Vielleicht kann ich das noch mal wiederholen. Schwerpunkt für uns ist, dass bei uns Gerichte über Schuld oder Unschuld entscheiden; über Mitschuld oder nicht Mitschuld entscheiden nach wie vor Gerichte.
Zum Schluss. Ich habe darauf hingewiesen, dass hier in Erfurt das Gerichtsverfahren anhängig war, wo genau diese Frage geklärt werden sollte. Hat der Staat, der Freistaat Schuld an den Morden, die verübt wurden? Das sollte geklärt werden. Man hat das aber nicht zugelassen oder nicht abgewartet oder warum auch immer, sondern man hat letztendlich dem Gericht diesen Opferentschädigungsfonds mitgeteilt und dann hat das Gericht gesagt, das setzen wir aus, jetzt machen wir den Fonds und damit ist die Sache erledigt.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist dem Gericht nicht mit- geteilt worden, Herr Kellner!)
Rückhaltlose Aufklärung: Wer ist schuld, wer hat das verursacht? Dafür haben wir überall Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Das spielt jetzt keine Rolle – wer schuld ist –, sondern wir sagen, der Staat ist schuld, weil an dieser und jener Stelle der Staat nicht so gehandelt hat, wie man es im Nachgang hätte wissen müssen. Wir sagen, im Nachgang sind wir immer schlauer. Das ist auch so.
Herr Adams und auch Frau König-Preuss, weil Sie auch die Ermittlungstätigkeit in Bayern kritisiert haben, dazu will ich mal daran erinnern, Herr Beckstein, der damalige Innenminister, war der Erste, der notiert hat, könnte es hier einen rechtsradikalen Hintergrund geben? Darüber hat noch kein Mensch nachgedacht.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Exakt, und dennoch hat die Poli- zei anders ermittelt und die Staatsanwalt- schaft auch!)
Ich habe selbst mit dem Innenminister gesprochen. Wir haben ein langes Gespräch geführt, auch in einer anschließenden Podiumsdiskussion. Da hat er uns mitgeteilt, was sie alles gemacht haben. Er hat 200 Beamte abgestellt, die nichts anderes gemacht haben, als die rechte Szene zu untersuchen, ob es da Verbindungen zu diesen Morden gibt. Man kann