Entschuldigung, Sie habe ich natürlich vergessen. Das tut mir leid. Das nehme ich zurück. Das entzog sich sozusagen meinem Wahrnehmungsbereich.
Herr Scherer, ich muss sagen: Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten. Das erkenne ich an. Aber wo Ihnen zehn Thesen Ihres Innenministers reichen, da fängt es bei uns eben erst an. Es reicht nicht, kurz vor der Bundestagswahl zehn Thesen in die Welt hinauszuposaunen; damit dann auf Stimmenfang bei den Enttäuschten zu gehen, die eigentlich schon vorhaben, nicht mehr die CDU zu wählen. Und danach fehlt es an jeder politischen Initiative. Es kommt davon weder in den Landesparlamenten was noch im Bundestag. Deswegen ist die AfD jetzt in den Bundestag gewählt worden. Deswegen sitzen wir auch hier – damit wir eben auch die entsprechende Gesetzesarbeit formulieren.
Da bin ich bei der Frage, die Sie auch mit aufgeworfen haben: Braucht es überhaupt dieses Begriffs der Leitkultur? Reicht es nicht eigentlich auch, wenn wir auf unsere Verfassungsgüter verweisen, zum Beispiel auf die Gleichheit, auf die Bedeutung von Ehe und Familie? Da sage ich Ihnen ganz klar: Nein, natürlich nicht, denn die Verfassung ist niemals in der Lage, die Leitkultur zu ersetzen. Sie ist im Grunde Ausfluss der Leitkultur – nicht andersherum. Das sehen Sie exemplarisch beispielsweise am Wandel der Auslegung des Grundrechts auf Schutz der Ehe und Familie.
Wenn Sie einmal überlegen, was 1950 unter Familie verstanden worden ist und was heute weite Teile der politischen Gesellschaft darunter verstehen, dann merken Sie ganz schnell: Die Verfassung gibt Ihnen da überhaupt keinen Orientierungspunkt. Was am Ende unter diesem Grundrecht zu verstehen ist, das bestimmt die Mehrheit der Gesellschaft, die momentan leider bestimmte, aus unserer Sicht nicht vertretbare Auffassungen zu diesem Punkt vertritt, aber wir haben es zu akzeptieren. Das ist auch wieder ein Teil der Leitkultur.
Ja, meine Damen und Herren, Leitkultur wird gern ins Lächerliche gezogen oder man versucht, dem Begriff eine verprellende Wirkung zu unterstellen, das hat Frau Kollegin Astrid Rothe-Beinlich eben getan und hat gesagt: Allein der Begriff der Leitkultur hat so eine Art Vorrangstellung, die er für sich in Anspruch nimmt. Da hat sie recht. Und damit würgt man den Diskussionsprozess ab und das ist auch wieder typisch Links oder Links-Grün, dass, wenn man eine Initiative im öffentlichen Diskurs hat, die einem nicht passt, man sagt: Nein, damit will ich mich jetzt nicht auseinandersetzen; die Art und Weise, wie die Worte da gewählt worden sind von der Seite, die mir nicht gefällt, das verprellt mich,
damit will ich mich gar nicht weiter im Detail beschäftigen. – Oder man versucht es eben ins Lächerliche zu ziehen, da ist Matthias Quent ein super Vertreter, den man da zitieren kann. Der also sagt: Was gehört jetzt eigentlich zur Leitkultur, zählt da auch der Wickelkloß dazu? – Das ist natürlich peinlich. Das ist ein sehr, sehr peinliches Niveau der Auseinandersetzung bei diesem wichtigen Thema. Leitkultur, das kann man natürlich mit „Wickelkloß“ umschreiben, das kann man auch mit Goethe und Schiller, mit Feuerwehrverein, mit anderen regionalen Kochrezepten, mit Trachten zu erklären versuchen, aber das ist meines Erachtens alles falsch, denn im Grunde berührt man damit nur die Oberfläche der ausschlaggebenden Komponente, die uns deutsch sein lässt. Viel wichtiger sind die nicht sichtbaren und nicht direkt fassbaren Bereiche. Die deutsche Leitkultur ist nämlich im Wesentlichen eine in unserer Gesellschaft immer noch weit verbreitete innere Einstellung, die man einmal annimmt und dann im Leben nicht mehr wesentlich ändert. Sie umfasst viele Facetten. Die bekannteste ist sicherlich das Streben unter anderem nach Bildung und Erkenntnissen. Dadurch unterscheiden wir uns durchaus von anderen Gesellschaften.
Ja, selbstverständlich ist das so und das mag Sie vielleicht erstaunen, aber da können Sie sich mal belesen. Und dass dieses Selbstverständnis ganz, ganz tief in uns verankert ist, auch in unserem kulturellen Erbe verankert ist, da können Sie beispielsweise mal Goethe lesen mit seinem Osterspaziergang. „Überall regt sich Bildung und Streben“ – was meinen Sie, was der damit zum Ausdruck bringen wollte? Was meinen Sie, was der damit...
Ergebnis dieses typisch deutschen Strebens, Herr Hey, Ergebnis dieses typisch deutschen Strebens ist der berechtigte Stolz unseres Landes, dass nahezu jede wichtige technische Entwicklung oder wissenschaftliche Erkenntnis der vergangenen 150 Jahre einen Ursprung in Deutschland hatte oder zumindest eine Beteiligung durch deutsche Wissenschaftler hatte. Entweder kommt also ein wichtiger Vordenker aus unserem Land oder sogar der entscheidende Impuls. Und auch der deutsche Arbeitsethos, der Ihnen nicht gefällt, ist legendär gewordener Ausfluss des Lebens mit typisch deutschen Tugenden. Die bei uns herausgehobene Bedeutung für Fleiß und Ordnung, eine weltweit einzigartige Genauigkeit und das Streben nach Verbesserung haben unser Land in künstlerischen,
Und ich sage Ihnen mal eins: Bei mir in der Familie ist ja meine politische Position nicht unumstritten. Meine Großeltern zum Beispiel, die sind tief rot, bis ins Mark, typische Linke-Wähler und sind trotzdem typisch deutsch. Denn die verabscheuen es trotz altersbedingter Schwäche bis heute, auf Hilfe von anderen angewiesen zu sein, und legen großen Wert darauf, eine eigenverantwortliche Lebensführung hinzubekommen.
Im Traum wäre denen nicht eingefallen, ihr Leben in der sozialen Hängematte zu vergeuden oder gar das bedingungslose Grundeinkommen für sich zu fordern. Das ist nämlich auch nicht typisch deutsch.
Und für die Linken, da helfe ich, und auch für die Grünen, da helfe ich Ihnen gern mal ein bisschen weiter, was auch typisch deutsch ist. Da darf ich Sie an das sechste Gebot der jungen Pioniere erinnern,
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie bestimmen nicht, was typisch ist und was nicht!)
Also nicht die Faulenzer, nicht diejenigen, die es sich in dem Sozialsystem unseres Landes, auf Kosten der Bevölkerung bequem machen wollen, obwohl sie arbeiten könnten. Das ist typisch deutsch, meine Damen und Herren, und schließt eine weitere typische Eigenheit nicht aus, nämlich dass man Schwachen hilft.
Die Sozialversicherung, Frau Rothe-Beinlich, ist schließlich eine Erfindung aus Deutschland und sie soll eben wirklich Bedürftigen zugutekommen,
nicht solchen, die durch zig andere Länder mit viel Geld, ohne Pass, aber mit Handy hierhergereist sind und dann sozusagen das Asylrecht für sich nutzen und hier Forderungen stellen. Meine Damen und Herren, es zählt nämlich nicht zur deutschen Leitkultur, sich verarschen zu lassen.
Zur deutschen Leitkultur zählt hingegen der Schutz des Schwächeren, das habe ich schon gesagt, die Pflege echter Bedürftiger und die Schonung des Unterlegenen. Andererseits zählen aber auch der robuste und konsequente Umgang mit Rechtsbrechern, die Verachtung von Feigheit und ehrlosem Verhalten und – ja – auch die Wehrhaftigkeit dazu. Der Stolz auf Stärke und Konsequenz in richtigem Maße angewendet, meine Damen und Herren, das ist auch deutsch. Ich sage es Ihnen ganz offen: Das fühlt sich gut an. Ich bin so aufgewachsen, in der DDR übrigens. Die DDR war in diesem Punkt teilweise wesentlich ehrlicher, auch wenn sie in einigen Teilbereichen sehr perverse Überzeichnungen dieser Stärke vorgenommen hat. Aber in dem Punkt hat sie deutlich klarer Kante gezeigt. Ich bin zu dieser Zeit, wie gesagt, mit diesen klassischen männlichen Idealen groß geworden. Ich bin davon überzeugt, dass man diese Ideale, nicht wie in der DDR zum Teil sehr verantwortungslos, sondern eben verantwortungsvoll handhaben kann, dass man damit nicht unbedingt nur eine Mauer bauen kann und auf Leute schießen kann und dass man damit nicht nur Konzentrationslager leiten kann, sondern dass man damit auch einen modernen freiheitlichen demokratischen Staat gut organisieren kann und gegen Ansprüche verteidigen kann, die nicht hierher gehören und die auch nicht bedient gehören.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In der DDR wurde ja auch auf Flüchtlinge geschossen!)
Das Gegenkonzept dazu, meine Damen und Herren, dem Sie auch folgen – das haben Sie auch zum Teil in Ihrem Redebeitrag zum Ausdruck gebracht –, sind die Begriffshülsen von Toleranz, von Buntheit und Vielfalt.
(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich habe in meiner Rede weder „Toleranz“ noch „Buntheit“ verwendet!)
Damit kann ich – ehrlich gesagt – nicht viel anfangen. Diese Begriffshülsen stehen eben nicht für Respekt, sondern bestenfalls für desinteressiertes Nebeneinanderherleben an und für sich inkompatibler Kulturen und Religionen. Faktisch werden diese Begriffshülsen zur Verdrängung all dessen missbraucht, was dieses Land für uns zur Heimat werden lässt. Am Ende sind das Scheinwerte, die verhindern sollen, dass sich unsere Bürger für den Erhalt unserer eigenen Lebensweise, unserer eige
nen Traditionen und Überzeugungen einsetzen. Und es sind Scheinwerte, die bei jedem weiteren Versuch der Dekonstruktion unserer Gesellschaft vorangetragen werden von interessierter Seite.
Lassen Sie es mich noch mal deutlich sagen: Jede einzelne deutsche Tugend und Regel und Tradition werden Sie natürlich diskreditieren können, indem Sie sagen, damit kann man eben auch einen Angriffskrieg vorbereiten und durchführen oder man kann damit den Holocaust sozusagen organisieren. Aber damit ziehen Sie im Grunde genommen nur unsere Leitkultur in den Dreck. Das ist unfair, das wissen Sie, denn diese Kultur ist viele hundert Jahre alt. Sie hat viele positive Leistungen vollbracht und deswegen ist es unredlich, Tugenden, wie zum Beispiel Fleiß, Ordnung, Genauigkeit, Perfektionsstreben, mit diesen Attributen zu versehen und zu sagen, dass man damit den Holocaust organisieren kann.
Meine Damen und Herren, der Wert der Leitkultur wird gerade in den letzten zwei Jahren immer deutlicher. Es wird immer deutlicher, dass nichts dafür spricht, dass die Probleme von selbst wieder verschwinden oder irgendwie in anderer Weise gelöst werden können, zum Beispiel auf europäischer Ebene. Sie werden sich mit dem Begriff der deutschen Leitkultur arrangieren müssen. Sie werden sich damit auseinandersetzen müssen. Er wird nicht wieder verschwinden, denn, meine Damen und Herren, die von Ihnen propagierte multikulturelle Gesellschaft wird angesichts der attraktiven Alternative, die es in Deutschland nun mittlerweile Gott sei Dank gibt, die man erkennen kann, nur noch wenige Realitätsblinde überzeugen. Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Möller, Sie haben die Worte „verarschen“ und „sülzen“ gebraucht. Ich ermahne Sie, solche unparlamentarischen Ausdrücke hier nicht noch mal zu wiederholen.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich weiß nicht, ob Sie darauf geachtet haben, wie der Abgeordnete der AfD-Fraktion hier in der Begründung in den Gesetzentwurf eingeführt hat. Er hat davon gesprochen, dass es in Deutschland historische Rückschläge gegeben habe. 6 Millionen ermordete Juden als historischen
Dazu gehört noch viel mehr die Negierung der Erinnerungskultur, die meines Erachtens zumindest aus der Perspektive von Rot-Rot-Grün und auch der CDU, das weiß ich definitiv, eine der maßstäblichen Erinnerungen hier in Deutschland, hier in Thüringen ist und auch sein sollte. Der Abgeordnete hat unter anderem davon gesprochen, was alles so die Tugenden wären, die Regeln, die Sitten, die Gebräuche, die spezifisch deutsche Leitkultur und unter anderem hat er da Pünktlichkeit erwähnt. Mir stellt sich die Grundfrage: Was ist denn überhaupt Pünktlichkeit? Was ist denn überhaupt deutsch, was ist thüringisch, was ist herrschende Leitkultur, die hier von der AfD nur allzu gern in die Verfassung aufgenommen werden würde? Pünktlichkeit und Genauigkeit, da fällt mir als Erstes ein, dass der Noch-Landtagsabgeordnete und Noch-Vorsitzende des Justizausschusses immer mal wieder zu spät kommt, wenn es darum geht, den Justizausschuss zu beginnen.