Bescheidenheit: Da fällt mir als Nächstes ein, dass sich der Fraktionsvorsitzende Höcke als letzte evolutionäre Chance und als Messias für das heilige Deutschland ansieht. Fleiß: Da denke ich an den Abgeordneten Henke im NSU-Untersuchungsausschuss, wo es gar nicht auffallen würde, wenn er mal nicht da wäre.
Oder auch Ehrlichkeit: Frau Muhsal, die zumindest verurteilt wurde, dass sie Steuergelder hinterzogen haben soll.
Das sind die typischen Tugenden, von denen die AfD hier redet. Und dann muss man, glaube ich, relativ klar mal sagen: Ja, wir haben definitiv Integrationsverweigerinnen nicht nur in Deutschland, sondern in Thüringen, wir haben eine Parallelgesellschaft, die sich herausgebildet hat und deren Vertreter teilweise kriminell sind, die ein gestörtes Verhältnis zur Menschenwürde haben, aber auch ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie,
die in Thüringen zum Teil Angstträume etablieren und vermutlich alle den Integrationstest nicht bestehen würden. Und da rede ich von den hier rechts außen sitzenden Abgeordneten und deren Anhängern, der AfD-Fraktion. Und am Ende bleibt dann nur zu sagen, dass sich bei der Frage, was ist Leit
kultur, ein wunderbares Anagramm bilden lässt – an der Stelle danke an Madita Pims auf Twitter –, das Anagramm von „was ist Leitkultur“ ist nämlich: „Wutkraut sei still“.
Und „Wutkraut sei still“ möchte ich Ihnen jetzt hier in diesem Plenum mitteilen in Bezug auf Ihren Gesetzentwurf, den Sie uns heute hier vorlegen und zu dem wir heute hier debattieren: Ich glaube, ich brauche nicht erklären, dass Rot-Rot-Grün diesen Gesetzentwurf definitiv ablehnt.
Zum Thema „Was sind typische Thüringer Gebräuche oder Sitten?“ möchte ich mal kurz ein paar Fragen stellen. Ist es denn typisch thüringisch und damit auch typisch, was Sie hier in die Verfassung schreiben wollen und was Sie damit meinen, dass man beim Holzkohlegrill keinen Spiritus verwendet, dass Bautzener Senf verboten ist, aber der aus Born oder auch der Altenburger Senf okay ist? Dass, wer den Thüringer Rasen nicht mäht, in Deutschland nicht integriert ist? Oder dass man am Sonnabend feiern geht im extra dafür gebauten Partykeller, um am Sonntag gemeinschaftlich Punkt 20.15 Uhr Mord und Totschlag im Tatort zu schauen? Oder dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht laut spricht, dass da, wo gefeiert wird, auch gesoffen wird und wer nicht mitmacht, gilt als nicht integriert? Dass Weihnachtsbäume mit mindestens 10 Prozent Lametta bedeckt sein müssen oder man nachts um eins oder um zwei an einer roten Ampel minutenlang stehen bleibt, obwohl seit Ewigkeiten kein Auto mehr von irgendeiner Seite gekommen ist? Und vor allem ganz wichtig für Thüringen: Ist es eigentlich auch Teil der deutschen Leitkultur, an jedes Wort ein „ge“ dranzuhängen, oder gilt das dann nicht? Und was ist eigentlich mit Menschen, die in Deutschland geboren wurden, die Deutsche sind, die nur von Ihnen nicht als solche identifiziert werden? Am Ende geht es Ihnen nicht um Leitkultur, nicht um Werte, nicht um Demokratie, nicht um Gleichberechtigung, sondern hier geht es um nichts anderes als Abgrenzung und insbesondere Abgrenzung von Menschen, die nach Ihrer Vorstellung eben keine Deutschen sind.
Aber vielleicht denken Sie ja auch an etwas anderes, wenn Sie die deutsche Leitkultur in die Verfassung geschrieben haben wollen, nämlich Pegida, Thügida, die Identitäre Bewegung, vielleicht ist das für Sie ja die deutsche Leitkultur? Überfälle, etablierte rechte Strukturen, große Neonazikonzerte, die auch von Anhängern Ihrer Partei mit unterstützt werden, Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte – ist das die deutsche Leitkultur, von der Sie reden? Ist eigentlich ein deutscher Rechtsradikaler, der kein arabisch spricht, aber sich als Flüchtling ausgibt, Teil der deutschen Leitkultur? Ist ein Poli
zist, der Mitglied einer Neonazigruppe ist, die Mordanschläge auf linke Politiker begehen will, Teil der Leitkultur, oder auch die Schläger von Ballstädt? Ist es das, was Sie meinen, ist es das, wovon Sie reden? Ich vermute ja. Denn wenn man sich nach Mecklenburg-Vorpommern orientiert und mal schaut, was dort vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, ehemaligen Landessprecher, Holger Arppe in Chats geäußert wurde, in denen er übrigens nicht mit sich selber, sondern mit diversen anderen AfD-Mitgliedern und auch Landtagsabgeordneten geschrieben hat, dann ist klar, worum es Ihnen geht, wenn Sie von deutscher Leitkultur reden. Da muss man einfach ausrasten – ich zitiere jetzt aus diesen Chats – „und erstmal das Ganze rotgrüne Geschmeiß aufs Schafott schicken und dann das Fallbeil hoch und runter, dass die Schwarte kracht. Wir müssen ganz friedlich und überlegt vorgehen, uns gegebenenfalls anpassen und dem Gegner Honig ums Maul schmieren. Aber wenn wir endlich so weit sind, dann stellen wir sie alle an die Wand. Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben drauf.“ Nächstes Zitat: „In Polen ist die Welt noch in Ordnung. Ich bin fünf Stunden durch Breslau gelaufen und habe weder ein Kopftuch noch einen einzigen Neger gesehen.“ Oder auch die Fantasien von einem gewaltsamen Umsturz der Bundesrepublik und wie man durch ständige Stichelei das System zu destabilisieren versuche. Das ist genau das, was Sie seit dem Einzug hier in den Thüringer Landtag probieren hier in Thüringen. Das ist aber auch genau das, was Sie in anderen Landtagen und sehr wahrscheinlich auch zukünftig dann im Bundestag probieren. Und ich kann nur hoffen, dass dieses gemeinsame Gegenhalten gegen den Versuch der Destabilisierung, und zwar nicht nur in Bezug auf die Verfassung, sondern insbesondere in Bezug auf die erkämpften Rechte, in Bezug auf die erkämpften Freiheiten, standhält und man sich eben keinen Honig um das Maul schmieren lässt.
Eins noch zu Ihrem Gesetzentwurf: Der verstößt in seiner Gesamtheit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil er überhaupt nicht definiert, was die deutsche Leitkultur ausmacht, Sie sich gleichzeitig beschweren über die negative Umdeutung der deutschen Traditionen, die Sie hier in den Reden unter anderem dargestellt haben, dass eben die Werte in Deutschland nicht einfach aufgegeben werden sollten. Ich will Sie an der Stelle nur mal erinnern, ich bin froh, dass es immer wieder zu einer Änderung von Werten in Deutschland kommt. Um nur ein konkretes Beispiel zu bringen: Bis vor 20 Jahren, bis ins Jahr 1997 hinein, war Vergewaltigung in der Ehe noch nicht strafbar. An der Stelle kann man nur froh sein, dass die Gesellschaft immer freier geworden ist, dass die Gesellschaft immer mehr Rechte erkämpft hat, und zwar nicht nur für diejenigen, die als deutsch, weißdeutsch oder wie auch immer in
terpretiert werden, sondern für alle Menschen, die hier in Deutschland leben. Dazu gehören Homosexuelle, dazu gehören Menschen aus anderen Ländern, dazu gehören Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen mit anderer Religion. Am Ende ist nicht entscheidend, woher sie kommen, an was sie glauben, wie sie aussehen und mit wem sie eine Beziehung eingehen, sondern entscheidend ist, dass man sich grüßt, dass man sich zumindest anlächeln kann, dass man das Grüßen vielleicht auch in diversen Sprachen durchführt, entscheidend ist der Respekt vor dem jeweils anderen hier in Deutschland. Und den lassen Sie kontinuierlich vermissen und allein aus diesem Grund, unabhängig von den weiteren Inhalten, die ich hier dargestellt habe, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Danke schön.
Aus den Reihen der Abgeordneten gibt es jetzt noch eine weitere Wortmeldung. Herr Möller, Sie haben nicht mehr viel Redezeit, 30 Sekunden.
Gut, dann mache ich es recht kurz. Also, Frau König-Preuss hat im Grunde genau das gemacht, was sie hier schon angekündigt hat, sie hat versucht, das ins Lächerliche zu ziehen. Sie hat sich in absichtlichen Missverständnissen versucht und
ich kann Ihnen eins sagen, Frau Kollegin KönigPreuss: Deutsch sein, das ist keine genetische Frage für uns, das ist auch keine Frage des Herkunftsorts, auch keine Frage der Hautfarbe, da brauchen Sie sich nur mal unsere Mitglieder angucken, da finden Sie also durchaus auch Menschen mit anderer Herkunft, die aber wahrscheinlich in weiten Teilen deutscher sind, als es so mancher ist, der in der Linkspartei oder bei den Grünen ist.
Ja. Und genau das ist der Punkt, auf den es uns ankommt: Klarzumachen, dass es eine Haltungsfrage ist. Und diese Haltungsfrage gehört auch entsprechend gepflegt und unter Schutz unserer Verfassung gestellt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Möller, ich war ein bisschen enttäuscht, muss ich gestehen. Ich hatte mir einiges mehr versprochen von der Debatte über die deutsche Leitkultur.
Das ist eine beachtliche Bemerkung. Sie wollen etwas in eine Verfassung schreiben und Sie schaffen es nicht, in 5 Minuten das auszuführen, was die deutsche Leitkultur ist. Das finde ich – offen gestanden – etwas ärmlich.
Ich habe mir lange überlegt, ob ich was dazu sage, weil ich diese Debatte für mich im Kopf sehr, sehr häufig führe und glaube, dass wir diese Leitkulturdebatten nicht verniedlichen dürfen, weil sie in der Tat eine sehr hohe Bedeutung haben für das, wie wir uns in einer globalen Welt eigentlich verstehen. Aber – und das will ich Ihnen vorwerfen, Herr Möller – ich hätte mir gewünscht, dass Sie klarer machen, dass wir in einer Zeit leben, wo es eine Unterscheidung gibt zwischen Dingen, die unverhandelbar sind, und zwischen Dingen, die wir aushalten müssen. Deswegen will ich Ihnen schon eines mitgeben für die nächste Debatte, die bestimmt kommen wird und die wir zum Thema „Leitkultur“ hier führen: Ich glaube, dass genau der Witz an der Leitkulturdiskussion folgender ist: dass wir darin Stärke und innere Sicherheit suchen, um damit auch klarzustellen, dass in dem Wissen, was unsere eigene Kultur ist, wir auch toleranter gegenüber anderen auftreten können. Ich glaube, das ist ganz wesentlich.
Der Toleranzbegriff, der speist sich genau aus dieser Frage, dass ich genau weiß, wo ich herkomme und wo ich stehe. Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dann muss doch vollkommen logisch sein, dass es nicht um biologische deutsche Leitkultur gehen kann, sondern dass es um etwas gehen muss, was uns zu etwas Eigenem macht, aber zu nichts Besonderem. Bei Ihnen schwingt manchmal der Ton mit, dass wir Deutsche etwas ganz, ganz
Besonderes sind. Das finde ich schwierig, weil uns manches einen kann, aber auch manches trennen von anderen Ländern. „Andere Länder, andere Sitten“, das ist eine gute alte deutsche Weisheit und die lässt sich natürlich auch belegen. Jetzt will ich Ihnen sagen, dieser Leitkulturbegriff setzt sich ja aus zwei Bereichen zusammen, einerseits aus der Frage der Kultur, und deswegen ist Ihr Antrag, das in die Verfassung zu übernehmen, auch falsch, weil Kulturbegriffe sich nicht durch Rechtsregeln definieren lassen,
sondern sie letztlich umgeschriebene Begriffe und Regeln eines Zusammenlebens sind. Darum geht es auf der einen Seite bei Leitkultur. Und das Zweite: Da geht es genau um diese Frage, was uns leitet. Das heißt aber nicht, was wir anderen vorschreiben wollen oder wozu wir andere verpflichten wollen. Deswegen finde ich, es ist ein öffentlicher Aushandlungsprozess und lässt sich nicht einfach durch eine Verfassungskodifizierung irgendwie vorschreiben und damit einklagbar machen und dann im Zweifel vielleicht – wenn es um Moscheedebatten geht – schön rausgreifen, damit man es politisch instrumentalisieren kann. Ich finde, das ist eine falsche Herangehensweise.
Natürlich, wenn man undifferenziert versucht zu verallgemeinern, kann man sich dem Vorwurf aussetzen, dass es natürlich immer Ausnahmen gibt, aber ich finde, dass wir schon darin übereinkommen sollten, dass, wenn wir über Leitkultur diskutieren, wir letztlich doch eines klar im Blick haben, nämlich dass es diese ungeschriebenen Regeln unseres Zusammenlebens gibt, dass wir wissen, was unsere Gesellschaft zusammenhält, aber dass – und das ist die eigentliche Hoffnung, die ich auch an Sie richten möchte als Alternative für Deutschland –, Ihnen klar ist, dass dieser kleine Mikrokosmos, in dem Sie sich hier bewegen, nicht alleinig die Welt ist, und dass wir auch herausgefordert sind mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die wir den Menschen draußen erklären müssen. Ich wünsche mir einfach, dass wir das nicht nutzen zu Verhetzungspotenzialen, wo wir versuchen, die gegen die auszuspielen, also quasi die, die alles richtig machen, und dann die anderen, die uns bedrohen, sondern ich würde mir wünschen, dass wir diese Flucht in die Einfachheit nicht angehen, sondern vielleicht definieren Sie es einmal genauer. Wenn Sie ein Forum machen, ich komme da gern mal dazu und wir diskutieren mal über diese Fragen.
Im Ausschuss? Nein, ich würde es gern mal öffentlich machen. Denn ich erlebe Sie doch in Ausschüssen häufig genug. Wenn Sie da sind, machen Sie den Mund nicht auf, weil es ja kein öffentliches Forum ist.
Deswegen wünsche ich mir, und das sage ich Ihnen hier zu: Wenn Sie ein Leitkulturforum machen, da komme ich und dann diskutiere ich mit Ihnen. Aber da will ich nicht über solche Fragen „Bratwurst – ja oder nein?“ diskutieren, sondern ich will darüber diskutieren, was uns speziell macht, aber nicht besonders.
Und wenn uns das gelingt, dann schaffen wir auch, gesellschaftlichen Konsens zu organisieren. Aber das, was Sie machen, Sie tragen selbst solche Begriffe, die wichtig für die öffentliche Diskussion sind, in den Bereich der Verhetzung und das finde ich schade.
Das wollte ich Ihnen quasi hier nur zurufen, weil ich es äußerst undifferenziert fand, was Sie heute hier abgeliefert haben. Schönen Dank.