Die Thüringer Verordnung über die Härtefallkommission in ihrer ursprünglichen Fassung wurde bereits im Jahr 2005 auf der Grundlage des § 23 Aufenthaltsgesetz von der damaligen Landesregierung erlassen – also keine Landesregierung, wie Sie immer sagen, die alles falsch macht, von Rot-RotGrün, sondern eine ganz andere Landesregierung. Bei Einführung dieser Regelung durch das Gesetz zum 01.01.2005 wurde zunächst eine Befristung bis zum 31.12.2009 vorgesehen, da es bis dato keine Erfahrungen mit einer solchen Regelung gab. Dementsprechend wurde auch die Thüringer Verordnung über die Härtefallkommission befristet. Da man aber bereits 2009 – also auch noch deutlich vor dieser Regierung – abschätzen konnte, dass die Härtefallkommission erfolgreich arbeitet, wurde die Befristung zunächst um fünf Jahre verlängert und dann 2014 ganz aufgehoben.
Wie arbeitet die Härtefallkommission? Zahlreiche ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, bei denen dringende humanitäre oder persönliche Gründe für einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechen, die aber nach den herkömmlichen Regeln des Aufenthaltsgesetzes kein Aufenthaltsrecht erhalten konnten, konnten nach dem Ersuchen der Härtefallkommission eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Also mit anderen Worten: Damit die Härtefallkommission überhaupt arbeitet, müssen genau die Dinge eingetreten sein. Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist eben gerade kein Recht zum Bleiben da und nur dann und erst dann tritt die Härtefallkommission überhaupt auf den Plan.
Die Fraktion der AfD meint nun, dass in Thüringen zu viele Ausreisepflichtige ein Aufenthaltsrecht durch die Härtefallkommission erteilt bekommen. Zur Begründung wird auf die stark gestiegenen Zuwanderungszahlen in den Jahren 2015 und 2016 und dadurch, was komplett logisch ist, auch auf die gestiegene Anzahl an abgelehnten Asylanträgen
verwiesen, in deren Folge naturgemäß auch mehr Härtefallanträge gestellt werden. Der Antrag übersieht jedoch völlig, dass ein negativer Asylbescheid selbstverständlich nicht ausschließt – und noch mal: das ist Sinn und Zweck der Härtefallkommission –, dass trotzdem dringende humanitäre oder persönliche Gründe vorliegen können, die den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertigen. Diese liegen, auch das ist in Thüringen geregelt, beispielsweise in einer gelungenen Integration, die sich durch gute Sprachkenntnisse, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, gute Leistungen der Kinder in der Schule zeigt. Darüber hinaus spielen auch vielfach, aber auch das ist ausdrücklich geregelt, Erkrankungen oder die familiäre Situation der Betroffenen eine Rolle.
Was mich tatsächlich in der Debatte – auch das hat Frau Marx schon angesprochen – besonders entsetzt hat, sind die Vorstellungen der AfD zur Zusammensetzung der Härtefallkommission und da insbesondere die Tatsache, dass die evangelische und katholische Kirche sowie die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge nicht mehr in dieser Kommission vertreten sein sollen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ausgerechnet die AfD diesen Generalangriff auf die christlichen Kirchen in diesem Land führt. Diese Institutionen sind Institutionen, die sich insbesondere in ihrer täglichen Arbeit, die sie leisten und für die ihnen großer Dank gilt, mit den Problemen der Geflüchteten beschäftigt.
Diese Institutionen haben tatsächlich einen Blick auf die Situation. Sie besitzen große Erfahrung bei der Integration von geflüchteten Menschen und sie können zweifelsfrei – und ich glaube, da sind wir uns zumindest hoffentlich alle einig – sehr gut beurteilen, ob die von Ausländern vorgetragenen Gründe für einen weiteren Verbleib im Inland tatsächlich stichhaltig sind. Für die beabsichtigte Herausnahme der Vertreter dieser Institutionen aus der Härtefallkommission lassen sich meines Erachtens keinerlei, aber auch wirklich keinerlei Sachgründe anführen. Vielmehr beruht dieser Vorschlag nach meiner Einschätzung auf einer ideologischen Voreingenommenheit gegenüber allen Institutionen, die sich in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren.
Zum Zweiten beabsichtigt die AfD eine erhebliche Verschärfung der Ausschlussgründe für einen Härtefallantrag. So sollen Personen ausgeschlossen werden, die einmalig wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens 60 Tagen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind. Natürlich – das sage ich auch ganz klar und deutlich – ist die Straffreiheit
ein wichtiges Kriterium, um die Integration der Betroffenen hinreichend würdigen zu können. Aber auch genau dies wird bereits in den bislang geltenden Regelungen berücksichtigt.
So sieht § 23a des Aufenthaltsgesetzes vor, dass die Ausnahme eines Härtefalls in der Regel ausgeschlossen ist, wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Dies findet sich auch in den Regelungen der Thüringer Verordnung über die Härtefallkommission wieder, sodass wir genau diese Dinge auch tatsächlich regeln. Selbstverständlich sind auch Personen ausgeschlossen, von denen eine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht. Bei diesem Personenkreis wiegt das Ausweisungsinteresse immer besonders schwer. Die von der AfD vorgeschlagene Verschärfung der Ausschlussgründe für einen Härtefallantrag ist daher auch in diesem Punkt weder sachlich nachvollziehbar noch hinreichend begründet.
Schließlich kritisiert die AfD, dass über die Härtefallersuchen der Kommission keine Informationen veröffentlicht werden. Dies will sie dadurch lösen, dass bei Härtefallersuchen das Abstimmungsverhalten der Mitglieder darzustellen ist und der Petitionsausschuss des Landtags vierteljährlich die Entscheidungen der Härtefallkommission veröffentlichen soll. Dies, meine Damen und Herren, widerspricht aber ganz elementar dem Gedanken, auf dem die Arbeit dieser Härtefallkommission basiert. Die Mitglieder der Härtefallkommission sollen nämlich unabhängig und frei von Weisungen entscheiden: „Beratungsinhalte, im Verfahren bekannt gewordene Daten sowie das Abstimmungsverhalten unterliegen“ – und darauf haben bereits mehrere Abgeordnete hingewiesen – „der Verschwiegenheitspflicht.“ Und nur so ist tatsächlich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Härtefallkommission möglich.
Zwei Punkte sind mir noch in der Debatte aufgefallen. Sie haben immer wieder davon gesprochen, dass die Landesregierung diese Härtefallkommission missbraucht. Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass die Landesregierung nicht ein Stimmrecht in dieser Härtefallkommission hat?
Niemand von dieser Landesregierung sitzt in dieser Härtefallkommission und entscheidet daher mit. Wie Sie auf die Zahl kommen, dass in Thüringen 1.900 – die zweite und dritte Ziffer habe ich nicht verstanden, 1.909 habe ich mir notiert – Menschen abgetaucht sind, das würde mich mal tatsächlich interessieren.
Herr Minister, eine Sekunde bitte. Liebe Abgeordnete, also der Lärmpegel ist wieder unerträglich, nicht nur wegen der Zwischenrufe der AfD, auch die allgemeine Geräuschkulisse ist wirklich interessant.
Im Ergebnis drängt sich also der Verdacht auf, dass die AfD-Fraktion – wie ich schon eingangs gesagt habe – den humanitären Sinn und Zweck des § 23a des Aufenthaltsgesetzes völlig verkannt hat und versucht, dessen humanitäre Zielsetzungen mit allen Mitteln zu torpedieren.
Es ist Ausschussüberweisung beantragt. Wir stimmen über die Überweisung an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmen der AfD-Fraktion und der CDU-Fraktion. Gegenstimmen? Das sind die Koalitionsfraktionen und der Abgeordnete Gentele. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt. Ich schließe den Tagesordnungspunkt.
a) Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen (Gesetz zur Neuregelung der Sperrklausel) Gesetzentwurf der Fraktion der AfD - Drucksache 6/3939 ERSTE BERATUNG
b) Siebtes Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes (Gesetz zur Ab- senkung der Sperrklausel) Gesetzentwurf der Fraktion der AfD - Drucksache 6/3940 ERSTE BERATUNG
Wünscht die Fraktion der AfD das Wort zur Begründung? Herr Abgeordneter Kießling, Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordnete, liebe Bürger! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen soll die Sperrklausel zum Einzug der Parteien in den Thüringer Landtag neu geregelt werden. Durch das Gesetzespaket wird einerseits die verfassungsrechtliche Normierung der Sperrklausel gestrichen, zugleich soll die nunmehr einfachgesetzlich festgeschriebene Sperrklausel von 5 Prozent auf 3 Prozent abgesenkt werden.
Für das Fortbestehen der Sperrklausel in der jetzigen Höhe von 5 Prozent können kaum vernünftige Gründe angeführt werden, hingegen spricht vieles für eine Absenkung auf eine 3-Prozent-Hürde. Das Thüringer Parlament soll den politischen Willen des Souveräns möglichst vollständig abbilden. Leider ist dieses Parlament kaum noch Abbild des echten Volkswillens.
Das liegt vor allem daran, dass sich immer weniger Menschen durch die Altparteien politisch vertreten fühlen. In der seit Jahren rückläufigen Wahlbeteiligung findet die Ablehnung der Altparteienpolitik in Thüringen ihren deutlichsten Ausdruck. Doch aus Angst vor neuen politischen Kräften und Furcht vor einem freien Spiel mit fairen Regeln haben die Altparteien hohe Zäune um dieses Haus errichten lassen. Es soll ja niemand dieses Haus betreten, um neuen Schwung – wie zum Beispiel die AfD – in die politische Debatte zu bringen.
In den vergangenen 25 Jahren wurde hier im Rund kein einziges Mal über die Sperrklausel zu den Landtagswahlen debattiert, da braucht es erst eine Volkspartei AfD. Man hat es sich gemütlich gemacht und eingerichtet, doch der Preis, den das politische System und die Demokratie dafür zahlen, ist sehr hoch. Die 5-Prozent-Hürde grenzt andere aus, sie verhindert und sie hält klein, sie unterbindet, dass neue und kleine Parteien in das Parlament
einziehen und neue Ideen einbringen können. Sie raubt Tausenden Wählern die Stimme, sie ist zugleich ein unfaires Hindernis im politischen Wettbewerb. Wenn Wähler befürchten müssen, dass die bevorzugten Parteien aufgrund der Sperrklausel nicht in das Parlament einziehen, werden andere Parteien gewählt oder aber die Bürger üben sich in Wahlenthaltung.
Aus diesem Grund sinkt die Legitimation, die das Hohe Haus im Volk genießt. Doch Legitimation ist die Grundfeste und das Fundament, auf denen das Staatswesen und das politische System der Demokratie fußen. Aus genau diesem Grund muss die Sperrklausel einer Korrektur unterzogen werden. Wenn immer mehr Menschen dem Parlament den Rücken kehren, verliert das System an Legitimation und es führt zur Erosion der politischen Stabilität. Obwohl die Sperrklausel eingeführt wurde, um zur staatlichen Ordnung beizutragen, unterminiert sie doch längst selbst diese intendierte staatliche Ordnung.
Es wird also Zeit, im Hier und im Heute über die Sperrklausel zu diskutieren. Sie muss im Lichte der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse neu beachtet werden. Dies gebietet nicht nur der Erhalt des Parlamentarismus und die Legitimation des politischen Systems. Dies gebietet ebenso die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das dem Gesetzgeber genau diesen Auftrag ins Stammbuch geschrieben hat. Wir sind es auch den Bürgern schuldig, hier eine Anpassung vorzunehmen. Wir freuen uns auf eine lebhafte und vor allem konstruktive Debatte. Vielen Dank.
Ich eröffne die gemeinsame Beratung. Als Erster hat Abgeordneter Scherer, Fraktion der CDU, das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich die Gesetzentwürfe zum ersten Mal gesehen habe, habe ich gedacht: Na ja, die AfD ist sehr vorausschauend, denkt schon zwei Jahre voraus.