Herr Kubitzki, vielen Dank für den Aufruf oder die Ansprache Ihrer musikalischen Halluzinationen. Sie kennen sicherlich die berühmte Filmszene, ich kann Ihnen das Lied vom Tod gern spielen lassen, verbunden mit der dringenden Bitte, sich anschließend nicht vom Diesseits ins Jenseits zu verabschieden.
Sehr geehrte Damen und Herren, in einer gemeinsamen Pressemitteilung haben AOK, KV, Landesärztekammer und Landeskrankenhausgesellschaft bereits vor gut zweieinhalb Jahren auf den drohenden Ärztemangel hingewiesen. Das Besondere an dieser Pressemitteilung ist weniger die Problematik des Ärztemangels an sich, das Besondere ist, dass die Akteure die Landesregierung ausdrücklich aufgefordert haben, die Verantwortung zu übernehmen. Frau Ministerin Werner legte vor zwei Jahren dar, welche Anstrengungen das Land gegen den Ärztemangel unternehme, und damals fiel auf, dass der Landesregierung – dem Gesetzgeber – eine untergeordnete Bedeutung zukam. Angesichts der mit dem Versorgungsstrukturgesetz und dem Versorgungsstärkungsgesetz geschaffenen rechtlichen Möglichkeiten und angesichts der Hoheit der Länder in Hochschulfragen darf sich der Freistaat Thüringen nicht länger nur auf eine Mittlerrolle beschränken. Das meint auch, wenn wir sagen, dass die Hochschule, die einzige Ausbildungsstätte für Mediziner in Thüringen, nämlich die Universität Jena, da eine Verantwortung hat, und an diese Verantwortung könnten Sie sie als Gesetzgeber nachdrücklich, ausdrücklich erinnern.
Schon allein der Blick auf die Zahlen macht den politischen Druck deutlich. Bei durchschnittlich 280 Absolventen der Medizin an der FSU Jena haben im Jahr 2011 gerade einmal 107 im Kammerbezirk eine Tätigkeit aufgenommen. Das heißt, die übrigen 160 sind aus Thüringen abgewandert. Man kann sagen, dass zwischen 2001 und 2011 ein Großteil der Absolventen der Universität Jena nie eine Tätigkeit in Thüringen aufgenommen hat. Das ist Ausdruck einer falschen Lenkung und einer Auswahl der Studienbewerber nach falschen Gesichtspunkten. Natürlich sind wir gegen Sozialismus. Ich bin auch auf dem Wege einer Lenkungskommission, einer sozialistischen Lenkungskommission 1988 nach Erfurt gekommen. Das ist ein Eingriff in meine persönlichen Freiheitsrechte gewesen. Es geht auch nicht darum, staatlichen Zwang auszuüben, sondern Anreize zu setzen, Bedingungen zu erleichtern, Bürokratie abzubauen. Das sollten wir in den Blick nehmen.
Thüringen wird niemals im Förderwettbewerb mit anderen Bundesländern bestehen, das heißt, dass man zukünftig von vornherein genau auswählen muss, wer hier studiert. Bewerber mit sozialem Engagement und Familie werden mit viel höherer Wahrscheinlichkeit in Thüringen bleiben. Ich sage es noch einmal: Wir geben den Bewerbern aus Zella-Mehlis den Vorzug gegen jenen aus Hamburg. Das kategorische Nein der FSU Jena zu einer stärkeren Berücksichtigung heimatverbundener Studenten sollte jedenfalls nicht das letzte Wort gewesen sein. Die Universität muss ihren Teil für die Allgemeinheit leisten, denn die Allgemeinheit ist es, der Steuerzahler ist es, der ein halbes Jahr auf seinen Termin wartet, aber mit seinen Steuermitteln 200.000 Euro pro Medizinstudienplatz erst ermöglicht, und wir haben keine Studiengebühren, meine Damen und Herren.
Es kann nur ein erster Schritt sein, die Anzahl jener Absolventen zu erhöhen, die ihre Lebensplanung auf Thüringen ausrichten.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist verfassungswidrig, was Sie hier referieren!)
Das nächste Nadelöhr ist die Facharztausbildung. Die bisherige Förderung hat sich als unzureichend erwiesen. Das häufig erwähnte Stipendium muss versteuert werden, wodurch so gut wie nichts übrig bleibt und was noch dazu in der Vergangenheit zu Steuerstrafbefehlen geführt hat. Hier muss das Land mehr bieten, um die Durststrecke bis zur Niederlassung erträglich zu machen. Das Land hat seit den vergangenen Gesundheitsreformen wesentlich mehr Mitwirkungsrechte in der Bedarfsplanung als bisher. Gerade aufgrund des neuen Beanstandungsrechts in Verbindung mit der Verantwortung für die stationäre Versorgung kann den Besonderheiten der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen stärker Rechnung getragen werden. Eine Möglichkeit wäre, in Regionen mit zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen. Das heißt aber nicht, dass wir die Mauer zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor einreißen müssen, Herr Kubitzki, das wäre dann nämlich wieder Staatsmedizin und Sozialismus. Und das ginge auch zulasten der niedergelassenen Kollegen, die über viele Jahre ein hohes persönliches und finanzielles Risiko auf sich nehmen, die Verantwortung für Patienten und Mitarbeiter tragen und die finanziellen Auswirkungen von Erfolg oder Scheitern ausschließlich und allein tragen.
Vor allem aber muss das Land zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung eine langfristige Strategie erarbeiten. Immer wieder wird ja die Stiftung angeführt und das Angebot der Stiftung ist gut, aber es sollte nur ein Baustein von vielen sein. Die KV kann mit ihrem Zulassungsverhalten die allgemeine Verteilung der Ärzte viel stärker mit bekannten Instrumenten beeinflussen. Die Nachbesetzung muss kritisch abgewogen werden. Man muss sich die Frage stellen, ob bereits vor Erreichen der 140 Prozent gegen die Nachbesetzung votiert werden kann. Wir haben eine Ballung von Fachärzten und -praxen in den Ballungszentren entlang der A 4, dort gibt es teilweise ein Überangebot, und wir haben in den weniger „attraktiven“ Regionen – Thüringen ist überall schön und lebenswert – eine Unterversorgung. Aus dem Landkreis Hildburghausen wurde mir letztens berichtet, dass es Monate dauert, bis ein Neupatient in einer Zahnarztpraxis einen Termin bekommt.
(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Dann gehen Sie doch mit gu- tem Beispiel voran!)
Es ist natürlich auch klar, wenn es bei 140 Prozent noch zusätzlichen Versorgungsbedarf gibt, dann ist der reelle Ärztemangel in Regionen mit geringerem Versorgungsgrad drastischer, als die statistischen Kennziffern vermuten lassen. Spätestens mit dem Versorgungsstärkungsgesetz können auch die Kommunen stärker an der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen mitwirken. Natürlich stellen sich zahlreiche rechtliche und finanzielle Fragen. Ebenso ist uns bewusst, dass die MVZ keine Allheilmittel sind und zu neuen und anderen Problemen führen. Sie führen unter anderem dazu, dass sich die Patienten dort oftmals wie auf dem Verschiebebahnhof fühlen. Es ist für den Patienten nicht immer nur von Vorteil, Patient/Kunde eines MVZ zu sein. Wir müssen die Antworten darauf geben, wie die Versorgung in solchen Gebieten gewährleistet werden kann, in denen die Bereitschaft zur Niederlassung zugegebenermaßen gering ist. Dazu gehören die MVZ bei aller Kritik daran. Die Kritik und die berechtigte Skepsis aus der niedergelassenen Ärzteschaft werden von uns wahrgenommen und verarbeitet. Der Ärztemangel im ländlichen Raum ist das Problem mit strukturellen Ursachen, und zwar überall in Deutschland. Auch die Brandenburger entscheiden sich zwischen Finsterwalde und Potsdam wahrscheinlich eher für Potsdam und in Thüringen fällt diese Abwägung nicht anders aus. Deswegen wäre es angebracht, wenn alle Akteure hier an einem Strang ziehen. Das Land sollte diese Anstrengungen im Sinne unseres Antrags koordinieren. Vielen Dank.
Doch, aber ich wollte einfach noch mal ein bisschen auf den Kollegen Kubitzki und auf den Kollegen Zippel eingehen, wollte da die Debatte noch mal kurz aus meiner Sicht zusammenfassen, ob ich das auch richtig verstanden habe.
Wir machen darauf aufmerksam, dass es eine Ungleichheit der Versorgungsgrade zwischen Landund Stadtregionen in Thüringen gibt, und wir machen auf die langen Wartezeiten bei Fachärzten aufmerksam, die natürlich die Bevölkerung treffen. Wir sagen auch: Natürlich ist das seit Jahrzehnten so und hat momentan nach wie vor eine negative Tendenz in der Entwicklung. Wir appellieren in dem Zusammenhang an die staatliche Verantwortung, an die Verantwortung der Gesundheitspolitiker. Was macht die CDU? Die CDU sagt: Das macht doch die Kassenärztliche Vereinigung, da können wir doch gar nichts regeln. Herr Zippel, das ist ein Armutszeugnis. Sie als Gesundheitspolitiker sollten es eigentlich mal irgendwo nachgelesen haben, dass so ziemlich jede Gesundheitsreform der letzten 60 Jahre den Kassenärztlichen Vereinigungen ihren Alleinstellungsauftrag, ihren Versorgungsauftrag Stück für Stück aus der Hand genommen hat.
In dem Zusammenhang gehe ich gleich mal auf Herrn Kubitzki ein, der den Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung über den grünen Klee gelobt hat, und wie freiwillig die das doch alles machen. Herr Kubitzki, Sie müssten es doch genau wissen, die Kassenärztlichen Vereinigungen haben sich mit Händen und Füßen gegen diesen Terminservice gewehrt, die hatten überhaupt keinen Bock darauf, die sind dazu gezwungen worden.
Genauso können wir das natürlich auch in anderen Bereichen der Gesundheitspolitik machen, wo es notwendig ist, der Kassenärztlichen Vereinigung und anderen Akteuren in der medizinischen Versorgung auf die Sprünge zu helfen.
Herr Kubitzki, was mir da auch noch auffällt: Sie sagen, das alles wäre unnötig und man könne doch die Ärzte nicht zwingen. Aber der Staat kann locker mal 2 Millionen Euro in jeden Medizinstudenten investieren, dann kann er aber nicht bestimmen, wo der arbeitet. Das müssen Sie mir mal erklären. Auf der einen Seite geben wir Mittel aus für die Ausbildung der Mediziner.
Sie selbst sitzen doch im Wissenschaftsausschuss und wissen, was Sie den Universitäten alles ins Stammbuch schreiben, damit die Mittel bekommen, welche Bedingungen sie erfüllen müssen, damit sie Mittel bekommen. Genauso können Sie das natürlich auch hier bei der medizinischen Versorgung machen. Sie wollen es nicht. Nur sagen Sie es doch dann endlich auch.
Sagen Sie es doch der Bevölkerung, die wartet auf ihren Arzttermin. Sagen Sie, dass Sie keinen Bock darauf haben. Das, was Sie machen hier, Frau Henfling, Herr Kubitzki, Herr Zippel, das ist so dreist, dass es schon wieder cool ist.
Meine Frage war eigentlich, als Sie so schwungvoll über das Thema Kassenärztliche Vereinigung gesprochen haben, Sie als Rechtsanwalt müssten doch eigentlich das hohe Gut der Freien Berufe durchaus kennen.
Deswegen würde mich interessieren, ob Ihre Rede so zu interpretieren ist, dass Sie der Kassenärztlichen Vereinigung und den Ärzten den Stand der Freien Berufe und damit eben auch der eigenen Selbstverwaltung absprechen.
Also, lieber Herr Kollege Voigt, die Freien Berufe sind eine schöne Sache, aber wenn wir uns in einem staatlich regulierten System, fast in einer Art Planwirtschaft befinden – und das ist die medizinische Versorgung in Deutschland –, dann kann ich mich nicht auf den Markt berufen, Entschuldigung. Das ist dann natürlich ein bisschen billig. Ich muss dann auch akzeptieren, dass der Staat bei der medizinischen Versorgung – das ist natürlich ein Auftrag, der ganz wichtig ist, das ist ein staatlicher Auftrag – regulierend eingreift. Wenn die Kassenärztliche Vereinigung seit Jahrzehnten in bestimmten Bereichen versagt und sich das Ganze immer weiter verschlechtert, dann ist es Aufgabe des Staates, da natürlich regulierend einzugreifen. Das machen Sie in allen anderen staatlichen Bereichen mit Wonne und das können Sie natürlich auch im Bereich der medizinischen Versorgung machen, keine Frage.