Protocol of the Session on March 24, 2017

Das ist eine absolute Beschimpfung des Präsidiums. Für das Weiterreden erteile ich Ihnen einen zweiten Ordnungsruf, weil es eine Missachtung der Anweisungen des Präsidiums darstellt. Ich belehre Sie, dass Sie bei dem dritten Ordnungsruf die Tagung heute verlassen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Das kriegen wir hin!)

Frau Staatssekretärin Winter, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich habe jetzt keine 30-seitige Rede vorbereitet zu allen Details der Europapolitischen Strategie und zu allen Details der Inhalte. Es ist ja von den Vorrednern einiges gesagt worden. Ich möchte einige grundsätzliche Dinge zur Europäischen Union in Verknüpfung mit der Europapolitischen Strategie sagen. Ich spreche natürlich für die anwesende Landesregierung und in dem Wissen, dass in Sachen Europapolitischer Strategie und Europapolitik, wie wir für Thüringen agieren, der Minister und ich in enger Eintracht miteinander arbeiten und diese Strategie auch gemeinsam erarbeitet haben und gemeinsam ins Kabinett gebracht haben und dann auch hier im Landtag im Ausschuss diskutiert haben.

Ich möchte, wenn Sie erlauben vom Präsidium, mit einem Zitat beginnen: „Wir sind schon durch ein Dutzend Fürstentümer, durch ein halbes Dutzend Großherzogtümer und durch ein paar Königreiche gelaufen, und das in der größten Übereilung in einem halben Tag.“ Das ist nicht Thüringen vor der Gebietsreform, sondern das ruft der Hofnarr Valerio

(Abg. Henfling)

in Georg Büchners „Leonce und Lena“ seinem Prinzen zu, mit dem er auf der romantischen Italienreise ausgezogen ist.

Nun haben wir Fürstentümer abgeschafft und damit auch Grenzen überwunden. Aber weshalb ich mit diesem Zitat gern anfange, ist, es zeigt die Vielfalt und letztlich auch die kulturellen Ursprünge, die es in Europa gibt. Es sind nämlich nicht nationalstaatliche Grenzen, sondern eigentlich die Regionen mit ihrer kulturellen Vielfalt, die Europa prägten und bis heute prägen. Und das Motto der Europäischen Union ist ja „In Vielfalt geeint“ und das bedeutet die Vielfalt der Regionen, den Pluralismus der Regionen über Grenzen hinweg. Das ist der Grund, weshalb auch eine Region, ein Bundesland klug darin beraten ist, sich in Dingen Europas und der Europäischen Union – nein, das ist nicht das Gleiche, das stimmt – einzubringen und deshalb eine Europapolitische Strategie auf den Weg gebracht hat.

Es ist schon von den Vorrednern erwähnt worden: Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat der Minister an dieser Stelle die Europapolitische Strategie des Freistaats vorgestellt. Der Landtag hat sich seitdem intensiv mit der Vorlage befasst und es ist schon erwähnt worden, dass über Anhörungen und über Anregungen, die dann aufgenommen wurden, man jetzt hier von den Regierungsfraktionen zusammen mit der CDU eine Vorlage erstellt hat, die viele Anregungen beinhaltet. Diese Europapolitische Strategie war ein Aufschlag, nicht etwas, was man dann in der Schublade ablegt, und sagt, gut, dass wir das alles mal aufgeschrieben haben, sondern es ist – Achtung, Anglizismus – ein living document und work in progress, das heißt ein Aufschlag, an dem wir weiterarbeiten. Wir hatten damals beim Einbringen und auch im Ausschuss gesagt, Anregungen nehmen wir auf, um sie weiterzuentwickeln.

Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten von der Regierungskoalition und von der CDU, haben uns in der gemeinsamen Entschließung fundierte Schlussfolgerungen aus dem Diskussionsprozess mit auf den Weg gegeben. Wir werden sie bei der Fortschreibung – sie wird ja ständig fortgeschrieben – sicherlich beachten, denn Sie bestärken uns in der Grundhaltung zu einem modernen, solidarischen, sozialen Europa, einer Europäischen Union mit kulturellem Erbe, gemeinsamem kulturellen Erbe, einem Europa, das dringend eine soziale Dimension notwendig hat, und Sie bestärken uns darin, dass wir noch mehr Öffentlichkeitsarbeit machen sollen. Sie liegen damit mit uns, mit der Landesregierung, auf einer Wellenlänge, das ist uns wichtig und ich bedanke mich ausdrücklich dafür.

Das Thema „Kultur“ werden wir natürlich gern aufnehmen. Sie können sich vorstellen, da ich auch für Kultur zuständig bin, ist es mir fast peinlich, dass wir nicht selbst von vornherein daran gedacht ha

ben, aber besser spät als nie, wir nehmen es gern auf. Die Kultur – ich habe es gerade gesagt – in den Regionen ist vielfältig und historisch sehr stark gewachsen und verknüpft. Wenn eingangs einer der Vertreter – ich weiß gar nicht, wer es war – der AfD sagte, er hat sich ja auch auf die Kultur bezogen und auf die kulturellen Wurzeln, dass der Islam definitiv nicht dazu gehört, so frage ich mich, wie viel Geschichtswissen man haben kann, denn natürlich weit vor der Europäischen Union, aber in den gemeinsamen Wurzeln muss man nur nach Spanien gucken, da sind islamische Wurzeln, sarazenische Wurzeln sehr tief verankert,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Wann war das? Bis etwa ins 13. Jahrhundert!)

bis hin zum UNESCO-Weltkulturerbe der Alhambra, die ein deutliches Signal dafür ist, dass auch Muslime Europa mit geprägt haben.

Mit der Grundhaltung, die die Regierungskoalition und die CDU uns mit den Hinweisen mit auf den Weg gibt, ist der Antrag der AfD-Fraktion nicht vereinbar.

Herr Brandner, Sie haben es gerade selbst gesagt, Sie haben eigentlich kaum einen Punkt, den Sie in der Europapolitischen Strategie der Landesregierung letztlich unterstützen können, und dass Sie eine grundsätzlich andere Haltung haben. Damit wird es wenig verwundern, dass umgekehrt die Position, nämlich mehr Nationalstaat, was der Antrag der AfD-Fraktion letztlich beinhaltet, mit der Europapolitischen Strategie und der Grundhaltung der Landesregierung nicht übereinkommt und deshalb wird die Landesregierung die Forderung der AfD-Fraktion bei der Aktualisierung der Strategie nicht berücksichtigen.

Ich will auch klar sagen: Die Mehrheit der Bevölkerung ist gar nicht gegen die EU eingestellt. Das bietet jede Umfrage, ob in Deutschland oder auch in Europa. Die Mehrheit auch der deutschen Bevölkerung, die weit überwiegende Mehrheit, nicht nur eine knappe Mehrheit, ist pro Europa, für mehr Europa, für die Europäische Union, und sie wissen um die Vorzüge nicht nur wirtschaftlicher Art, nicht nur Reisefreiheit, sondern viele denken auch immer noch – daran müssen wir immer denken –, es ist das größte Friedensprojekt, das es weltweit gibt. Das ist das, was die Gründerväter auch wollten. Sie wollten eben nicht ein Europa der Vaterländer – das war eine Zwischenzeit, stimmt, das ist Oldschool, 60er-/70er-Jahre –, sondern die Gründungsväter – ich würde gern sagen Gründungsmütter, aber die standen wahrscheinlich in der zweiten und dritten Reihe, in der ersten Reihe standen in erster Linie oder ausschließlich Männer – wollten eigentlich Nationalstaaten überwinden. Sie haben

(Staatssekretärin Dr. Winter)

angefangen mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit, ja, richtig, es ging um ein Stück Binnenmarkt, Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl usw., aber angetrieben waren sie davon, dass sie Krieg unmöglich machen wollten. Um nichts weniger geht es auch heute immer noch, wenn wir uns in sicherlich schwierigen Zeiten wieder damit befassen, wie es mit der Europäischen Union weitergeht. Dazu kann und muss Thüringen seinen Beitrag in vielen Aspekten leisten. Dann geht man manchmal hinunter in die Niederungen der Ebene – Frau Walsmann hat es erwähnt –, das ist dann das Klein-Klein in der Ebene, die einzelnen Verwaltungsvorschriften, die Verordnungen und natürlich gibt es Bürokratie. Und natürlich gibt es manchmal die Krake Brüssel, die zu viel regeln will, und genau dafür gibt es demokratische Prozesse, sowohl im Europäischen Parlament als auch mit Einbringen auf Bundesebene als auch mit Einbringen auf Landesebene über die Subsidiaritätsprüfung, was wir nun eigentlich jedes Mal im Ausschuss auf der Tagesordnung haben, um zu sehen, was überreguliert wird und was gut auf den Weg zu bringen ist.

Natürlich sind wir an einem Punkt, wo sich die Europäische Union und alle Akteure überlegen müssen, wie es weitergeht, gerade in Zeiten von erstarkendem Nationalismus und Populismus. Es ist höchste Zeit, dass wir alle weiter den Hintern hoch kriegen und dafür streiten, dass dieses große Friedensprojekt – und nicht weniger ist es, ich komme darauf zurück – nicht scheitert. Diese Bewegung ist auf allen Ebenen erkennbar, es ist genau die Gegenbewegung zum Nationalismus, die auf dem Weg ist. Ich bin sicher – alle Umfragen zeigen es –, die Mehrheit der Bevölkerung steht dahinter, und das sollten wir immer beachten. Da können auch alle in diesem Landtag – vielleicht auch die, die mehr Nationalismus wollen –, sich ab und zu mal das Volk anhören und darauf hören, wie stark man für Europa ist.

Die Europäische Union ist nämlich genau der Garant für Rechtsstaatlichkeit, für Demokratie, für Freiheit und für Frieden. An dieser Stelle wiederhole ich die Zusage der Landesregierung, mit Ihnen hier im Landtag zusammen dafür zu streiten, jeder auf seiner Ebene, jeder in seiner Rolle. Wir wollen uns auch künftig einbringen, in der Strategie stehen die vielen Details. Wir nehmen gern Ihre Anregungen, von den Regierungsfraktionen und von der CDU, auf. Lassen Sie uns gemeinsam für das Friedensprojekt Europa streiten, für das, was die Gründungsväter vor über 70 Jahren wollten: Überwinden des Europas der Vaterländer, Überwinden nationaler Eigentümlichkeiten, Probleme nach Brüssel an den Verhandlungstisch tragen, das Aushandeln am Verhandlungstisch, so mühselig es ist, und nicht mehr auf dem Schlachtfeld. Danke.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe keine weiteren Wortmeldungen und schließe die Beratung. Es ist keine Ausschussüberweisung beantragt. Wir stimmen direkt über den Antrag der Fraktion der AfD in Drucksache 6/3565 ab. Herr Abgeordneter Möller?

Frau Präsidentin, ich beantrage namentliche Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln, und eröffne die namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD in Drucksache 6/3565.

Hatten alle die Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben? Ich schließe die Abstimmung und bitte um Auszählung.

Ich möchte die Auszählungszeit nutzen, um bekannt zu geben, dass sich der Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit im Raum 202 5 Minuten nach Beginn der Mittagspause trifft und der Ausschuss für Europa, Kultur und Medien im Raum 004 auch 5 Minuten nach Beginn der Mittagspause.

Ich darf Ihnen das Abstimmungsergebnis bekannt geben: Es wurden 78 Stimmen abgegeben, mit Ja stimmten 8, mit Nein 70 (namentliche Abstimmung siehe Anlage). Damit ist der Antrag der AfD in Drucksache 6/3565 abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt. Wir treten jetzt in eine Mittagspause bis 13.30 Uhr ein. Danach folgt die Fragestunde mit vier Fragen und danach setzen wir die Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 3 a fort.

Ich setze die Sitzung fort und rufe auf den Tagesordnungspunkt 27

Fragestunde

Dann beginnen wir mit der ersten Anfrage, der des Abgeordneten Kuschel, Fraktion Die Linke, in Drucksache 6/3610.

Danke, Herr Präsident.

Landkreisübergreifende Neugliederungen von Gemeinden auf Grundlage des Vorschaltgesetzes zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen

Im Vorschaltgesetz zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen heißt es in § 4 Abs. 4: „Neugliederungen von kreisangehörigen Gemeinden

(Staatssekretärin Dr. Winter)

nach Absatz 3, die die derzeitigen Landkreisgrenzen überschreiten, sind möglich, sofern diese der Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte nicht entgegenstehen und diese Neugliederungen nicht vor der Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte nach § 2 Abs. 4 und § 3 Abs. 4 in Kraft treten.“

Mir liegen Informationen darüber vor, dass im Zusammenhang mit geplanten landkreisübergreifenden Neugliederungen von Gemeinden mögliche Vetorechte von Kreistagen gegen diese Neugliederungspläne geltend gemacht werden.

In einer Presseerklärung vom 24. Februar 2017 hat auch der Landrat des Landkreises SchmalkaldenMeiningen im Zusammenhang mit einem Beschluss des Oberhofer Stadtrats zur Aufnahme von Fusionsgesprächen mit der Stadt Suhl erklärt – ich zitiere: „Zudem gibt der Landrat zu bedenken, dass nach gültiger Gesetzeslage die Landkreise bei Fusionen über Kreisgrenzen hinaus angehört werden müssen und ein entsprechender Antrag Oberhofs spätestens hier kassiert würde.“

Ich frage die Landesregierung:

1. Haben betroffene Landkreise im Zusammenhang mit landkreisübergreifenden Neugliederungen nach § 4 Abs. 4 des Vorschaltgesetzes zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen ein Vetorecht gegen diese Neugliederungen? Wenn ja, wer kann das konkret in welcher Form ausüben und wie begründet die Landesregierung ihre Auffassung?

2. Wie bewertet die Landesregierung in diesem Zusammenhang die Äußerung des Landrats des Landkreises Schmalkalden-Meiningen, einen Antrag Oberhofs zur Fusion mit der Stadt Suhl „zu kassieren“?

Für die Landesregierung antwortet Herr Staatssekretär Götze.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kuschel beantworte ich für die Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Nach § 4 Abs. 3 des Thüringer Vorschaltgesetzes zur Neugliederung der Landkreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden sollen kreisangehörige Gemeinden unter Beachtung des § 5 ThürGVG mit benachbarten Gemeinden desselben Landkreises zusammengeschlossen, durch Eingliederung vergrößert oder in kreisfreie Städte eingegliedert werden. Gleichwohl sind nach § 4 Abs. 4 ThürGVG Neugliederungen

von kreisangehörigen Gemeinden, die die derzeitigen Landgrenzen überschreiten, möglich, sofern diese der Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte nicht entgegenstehen und diese Gemeindeneugliederungen nicht vor der Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte in Kraft treten. Soweit die Gemeinderäte der benachbarten Gemeinden Strukturänderungen beschließen, die die derzeitigen Kreisgrenzen überschreiten, können sich die betroffenen Landkreise durch Beschlüsse hierzu positionieren. Ein Vetorecht in der Weise, dass kreisübergreifende Gemeindeneugliederungen, für die überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls sprechen und die aufgrund des Vetos des betroffenen Landkreises nicht zustande kommen, besteht nach den oben genannten gesetzlichen Regelungen im derzeitigen Prozess der flächendeckenden kommunalen Neugliederung nicht. Unabhängig davon besteht die rechtliche Verpflichtung zur Anhörung der beteiligten Landkreise gemäß § 92 Abs. 4 Thüringer Kommunalordnung. Dieser Anhörungspflicht wird im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Rechnung getragen.

Zu Frage 2: Ich verweise auf die Antwort zu Frage 1 und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Gibt es Nachfragen? Das sehe ich nicht. Dann kommen wir zur nächsten Anfrage von Frau Abgeordneter Mühlbauer, Fraktion der SPD, in Drucksache 6/3618.