Bei der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zum Bundesteilhabegesetz sind folgende Punkte besonders wichtig: Alle Menschen mit Behinderungen, die auf Teilhabeleistungen angewiesen sind, müssen unabhängig von Art und Umfang des Unterstützungsbedarfs ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht bei der Leistungsgestaltung haben. Die Leistungen müssen sich am Bedarf der behinderten Menschen orientieren und nicht daran, wo die Leistung erbracht wird.
Die Reform muss Alternativen zu den heutigen stationären Einrichtungen, zum Beispiel Wohnheimen, stärken. Jedem behinderten Menschen müssen Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben offenstehen. Gleichzeitig darf gesellschaftliche Teilhabe nicht auf das Arbeitsleben beschränkt werden.
Vielmehr müssen Leistungen zur sozialen Teilhabe den gleichen Stellenwert haben wie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Es muss ein bundesweit einheitliches und nachvollziehbares Verfahren zur Bedarfsentwicklung geben. So wie es jetzt ist, geht es nicht, denn der vorliegende Entwurf ist schlicht
Konkret heißt das: Es wurden neue Kriterien definiert, die man zukünftig erfüllen muss, um Unterstützung zu bekommen. Es wurde hier schon gesagt, es sind genau neun Lebensbereiche, die sie beschreiben, und man muss nachweisen, dass man in mindestens fünf dieser Bereiche Unterstützung braucht. Aber warum sollen Menschen, die in vier Lebensbereichen Unterstützungsbedarf haben, die Unterstützung zukünftig nicht bekommen? Warum soll es nicht so sein, dass nicht drei oder sechs oder nur ein Lebensbereich ausreicht? Ein Mensch, der nur in einem Lebensbereich Unterstützungsbedarf hat, braucht die Unterstützung doch trotzdem. Ein weiteres Beispiel: Der Druck, aus der eigenen Wohnung oder einer Wohngemeinschaft in ein Heim umzuziehen, wird künftig steigen. Wir werden junge Menschen mit Behinderungen haben, die in Altenwohnheimen wohnen müssen.
Aus Sicht Thüringens ist noch wichtig: Der Bund nimmt zu wenig Geld in die Hand und lässt die Länder und Kommunen im Regen stehen. Aus unserer Sicht ist die eigentliche Herausforderung, die vor uns liegt, die inklusive Gesellschaft. Dabei geht es nicht mehr und nicht weniger um dieses Gesetz. Das heißt, wir müssen diese Gesellschaft fundamental umgestalten, damit sie für Alte, Junge, Behinderte und alle Menschen funktioniert. Das ist eine große Aufgabe und wir machen uns große Sorgen, dass der Beitrag, den die Bundesregierung hier leisten will, nicht ausreicht. Wer einen Unfall hatte und danach plötzlich im Rollstuhl sitzt, möchte natürlich trotzdem weiterhin am Leben in der Gesellschaft teilnehmen. Und wer ein behindertes Kind hat, der möchte natürlich, dass auch dieses Kind gute Bildungschancen hat und später einen Arbeitsplatz findet, der zu seinen Interessen passt. Daran müssen wir arbeiten.
All das sind Rechte, die die Menschen haben, und das müssen wir ihnen ermöglichen. Sollte es keine Änderungen an diesem Gesetzentwurf geben, wird auch unsere Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen diesem Gesetz nicht zustimmen. Herzlichen Dank.
Danke schön. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit erhält Frau Ministerin Werner für die Landesregierung das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren Abgeordnete, der im Bundestag vorliegende Gesetzentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – kurz Bundesteilhabegesetz genannt – ist das Ergebnis einer bereits seit 2003 von verschiedenen Ebenen, insbesondere innerhalb der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, diskutierten Forderung nach einer Reformierung der Eingliederungshilfe. Grundsätzlich begrüßen wir als Thüringer Landesregierung das Vorhaben des Bundes, in dieser Legislaturperiode ein Bundesteilhabegesetz zu schaffen, um Menschen mit Behinderungen die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Ein Bundesteilhabegesetz, mit dem die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem Fürsorgerecht herausgelöst würden, wäre ein konsequenter Schritt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Rechte und Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen würden deutlich gestärkt.
Tatsächlich greift der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Vielzahl von Maßnahmen auf, die schon seit Jahren seitens Thüringens und der anderen Länder gefordert wurden. Die Eingliederungshilfe soll stärker auf den einzelnen Menschen zugeschnitten werden, es soll ein Budget für Arbeit geben. Die Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen werden im Sinne der Betroffenen verbessert. Die Mitwirkungsmöglichkeiten von Schwerbehindertenvertretungen werden gestärkt und einiges mehr. Jedoch wurden wesentliche Forderungen nicht umgesetzt. Zum Beispiel wird das lange in der Diskussion stehende Teilhabegeld nun doch nicht eingeführt. Die Leistungsbeschränkungen für in Einrichtungen der Behindertenhilfe lebende pflegebedürftige Menschen werden weiterhin beibehalten. Einkommen und Vermögen werden auf die Eingliederungshilfe angerechnet. All dies führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin als Gegenstand staatlicher Fürsorge behandelt werden. Das ist sehr bedauerlich. Offensichtlich hat die Bundesregierung hier dem Sparziel den Vorrang vor der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben gegeben. Statt Fürsorge brauchen wir einen individuellen finanziellen Nachteilsausgleich. Nur dadurch gewinnen Menschen mit Behinderungen die volle Souveränität über ihr Leben. Aus diesen Gründen haben wir die Bundesregierung aufgefordert, den Gesetzentwurf nachzubessern. Wir haben dazu im Bundesrat auch konkrete Vorschläge unterbreitet, an denen sich die Bundesregierung gern orientieren kann, sowohl gemeinsam mit den anderen Bundesländern als auch mit einem eigenen Entschließungsantrag. Die Länder haben um
fangreiche Änderungsanträge im Bundesrat eingebracht. Thüringen hat immer dann zugestimmt, wenn diese Änderungsanträge im Interesse der Menschen mit Behinderungen waren – einige wenige Beispiele –, wenn es um die Nichteinschränkung leistungsberechtigter Personen geht, das sogenannte Zwangspoolen, als auch, wenn es um die auskömmliche Finanzierung des Bundesteilhabegesetzes einschließlich einer Dynamisierung durch den Bund geht.
Darüber hinaus hat Thüringen einen Entschließungsantrag eingebracht, der folgende Forderungen zum Gegenstand hatte:
2. keine Leistungsbeschränkungen für in Einrichtungen der Behindertenhilfe lebende pflegebedürftige Menschen,
4. die Verdopplung der Höhe der zu zahlenden Ausgleichsabgabe bei Arbeitgebern vorzunehmen, die keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.
Frau Herold – Sie sind jetzt leider nicht mehr da –, genau darin liegt das Problem, dass Menschen mit Behinderungen vom Erwerbsleben, obwohl sie gern teilhaben wollen, ausgeschlossen werden. Dieser Anspruch der Menschen ist zu erfüllen. Das ist nicht eine Entscheidung der AfD, sondern es ist die Entscheidung des einzelnen Menschen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich sehe, dass die Bundesregierung gewillt ist, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nicht mehr als Almosenleistung aufzufassen. Aber ich vermisse die Konsequenz in der Tat. Mit dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, reißt die Bundesregierung das selbstgesteckte Ziel, Menschen mit Behinderungen die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Hier muss also kräftig nachgebessert werden. Ich denke, über hundert Änderungsanträge, beispielsweise im Bundesrat, sprechen eine deutliche Sprache.
Ich habe Stichworte genannt – Teilhabegeld und Einkommen sowie vermögensunabhängige Eingliederungshilfe. Der Staat hat den Auftrag, die Voraussetzungen für gleichberechtigte Teilhabe zu schaffen. Ein wie auch immer gearteter Eigenbeitrag der Berechtigten beinhaltet eine Relativierung dieses Auftrags. Menschen mit Behinderungen, die beruflich erfolgreich sind, werden somit für ihre Fähigkeiten und Anstrengungen benachteiligt. Menschen ohne Behinderung müssen demgegenüber
keine vergleichbare Abgabe leisten. Das widerspricht dem Grundsatz der Inklusion, dem das Gesetz eigentlich folgen möchte.
Wie gesagt, unter anderem aus diesen Gründen ist der Gesetzentwurf zwingend nachzubessern. So habe ich auch Frau Stange verstanden, die gesagt hat: Wenn es keine grundsätzlichen Änderungen am Gesetzentwurf gibt, gibt es die Aufforderung an die Thüringer Landesregierung, dann dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. Als Freistaat Thüringen werden wir natürlich diesen Prozess weiterhin kritisch und konstruktiv im Sinne der Menschen mit Behinderungen begleiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Weitere Wortmeldungen gibt es nicht, sodass ich diesen Teil der Aktuellen Stunde schließe und nunmehr den vierten Teil der Aktuellen Stunde aufrufe
d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD zum Thema: „Werbung für rot-rot-grüne Politik auf Steuerzahlerkosten in Thüringen“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/2976
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne! Egal, wo wir derzeit unterwegs sind in unserem schönen Freistaat – überall begegnet uns die Werbekampagne der Thüringer Landesregierung zu ihrer „Gebietsdeform“.
Diese Werbekampagne kostet den Thüringer Steuerzahler 290.000 Euro, die ganz nebenbei einer SPD-Werbeagentur zugeschustert werden – auch das darf man an dieser Stelle mal sagen. Der Thüringer Steuerzahler muss also 290.000 Euro bezahlen, um sich von etwas überzeugen zu lassen, wozu er bereits eine feste Meinung hat. Nur passt Ihnen, sehr verehrte Landesregierung, diese Meinung nicht. Aber dass das Volk eine andere Meinung hat, hat Ideologen ja noch nie gestört.
47.000 Menschen haben mittlerweile eine Petition gegen die „Gebietsdeform“ unterschrieben. Anstatt sich nun ernsthaft mit dieser Petition auseinanderzusetzen, besitzen Sie nicht nur die Unverfrorenheit, dagegen zu klagen, nein, Sie wollen mit einer Werbekampagne den Menschen auch noch weismachen, sie hätten das Ganze nur nicht verstanden. Das muss hier und heute mal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Sehr verehrte Landesregierung, kommen Sie vielleicht mal aus Ihrer postdemokratischen Matrix heraus und verstehen Sie endlich, dass Politik nicht nur ein Kommunikationsproblem ist!
Mit Ihrer „Gebietsdeform“ wollen Sie die Menschen dumm machen, anders kann man Sprüche wie „Gegen die Gebietsreform kann man nicht sein“ oder „Wenn Sie weiterhin eine gute Betreuung haben wollen“ nicht interpretieren.
Allerdings stellen Sie sich damit nur selbst ein Armutszeugnis aus. Wenn die Qualität der Betreuung unserer Kinder etwas mit der „Gebietsdeform“ zu tun hätte, würde das im Umkehrschluss ja heißen, dass die Qualität der Betreuung stark leidet, wenn die „Gebietsdeform“ nicht stattfindet. Und hier bin ich mal auf die Ausführungen der heute leider abwesenden zuständigen Ministerin Klaubert gespannt, die mir dieses Rätsel sicherlich leicht lösen könnte. Und wenn die Regierung schon dabei wäre oder irgendwann dabei sein wird, Rätsel zu lösen, könnte sie mir noch ein anderes Rätsel lösen: Was soll eigentlich diese „Gebietsdeform“ – Frau Taubert, die Finanzministerin, ist leider heute auch nicht im Haus –, was soll diese „Gebietsdeform“ eigentlich kosten? Das fragen wir uns, glaube ich, alle, und immer wenn mein Kollege Kießling im Finanzausschuss danach fragte, wurde er entsprechend von IM Kuschel auf eine unangenehme Art persönlich angegriffen. Fakt ist, sehr verehrte Landesregierung: Bis auf bunte Karten, die unseren Freistaat Thüringen in deformiertem Zustand zeigen und darstellen, haben Sie noch nichts vorgelegt. Sie haben keine Kostenanalyse vorgelegt, Sie haben noch keine Kostenstruktur vorgelegt, Sie haben gar nichts vorgelegt, was irgendwie Wert, Sinn und Verstand abbilden würde. Und für dieses Nichts, denn mehr ist es nicht, nehmen Sie nun 290.000 Euro Steuergelder in die Hand, um es dem Bürger zu erklären. Sie verschwenden damit nicht nur Steuergelder für Regierungspropaganda, Sie verhöhnen die Bürger unseres Freistaats.
Aber glauben Sie mir, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete, sehr verehrte Landesregierung, die Menschen werden sich nicht für dumm verkaufen lassen, auch nicht für 290.000 Euro. Ich glaube, Sie werden eher mit Abwehrreflexen reagieren, das steht zu vermuten, denn das wäre die logische
Denn die Menschen in Thüringen wissen, um es in Ihren Worten zu sagen: Gegen diese „Gebietsdeform“ kann man nicht sein, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete, gegen diese „Gebietsdeform“ muss man sein. Vielen Dank!
Danke schön, Herr Höcke. Ich wäre Ihnen im Übrigen aber dankbar, wenn Sie beim Thema „Gebietsreform“ dann auch von „Gebietsreform“ reden und nicht von „-deform“, alles andere steht Ihnen natürlich völlig frei. Herr Abgeordneter Fiedler erhält das Wort für die CDU-Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon einiges deformiert in dem Land, was wir heute hier bereden müssen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, anstatt dass die Landesregierung die Bevölkerung mit Argumenten und Fakten von ihrer Gebietsreform überzeugt, versucht sie es mit einer Werbekampagne. Vielleicht will man aus Amerika lernen, wo ja alles beworben wird, was irgendwie zu verkaufen ist. Vielleicht ist das der neue Trend und man will damit von der Gebietsreform überzeugen. Mit kostspieligen Anzeigen in allen Thüringer Tageszeitungen sowie mit Plakaten soll auf das Thema aufmerksam gemacht werden – ich kann nur in Klammern sagen: wenn überhaupt, dann sehr, sehr spät. Zudem soll mit der Kampagne, so der Ministerpräsident, zum Nachdenken und Einmischen angeregt werden. Da will ich an der Stelle vielleicht mal den Herrn Ministerpräsidenten darauf hinweisen, dass der Ministerpräsident mit seiner „ACAB-Affäre“, dass Polizisten alles Bastarde sind, sich selber überlegen sollte, wie er mit seinen Werkzeugen dort umgeht. Nicht, dass er etwa die Polizisten unterstützt hätte, sondern er hat das quasi noch gutgeheißen – und das finde ich wirklich eine berechtigte Kritik