Protocol of the Session on August 31, 2016

Frau Marx, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, es ist ja schon in einer der Reden meiner Vorredner darauf hingewiesen worden, dass es das Geburtsrecht, das die Staatsangehörigkeit mit sich bringt, doch schon in vielen anderen europäischen Ländern gibt. Der bekannteste und älteste Fall sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Recht, qua Geburt in dem Land, in dem man geboren wird, die Staatsangehörigkeit zu bekommen, das stammt von 1866. Das wollte ich hier noch einmal einfließen lassen. Es ist also ein sehr altes Recht. Wenn es so wäre, dass man mit einem solchen Recht schlechte Erfahrungen gemacht hätte, dann hätte gerade in den USA sicherlich sehr viel Gelegenheit bestanden, dieses Recht wieder abzuschaffen.

(Unruhe AfD)

Wie gesagt, seit 1866 haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika dazu entschieden zu sagen: Kinder, die hier geboren werden, sind amerikanische Staatsbürger. Die dürfen nebenbei auch noch, wenn die Eltern aus einem anderen Land stammen, ihre andere Staatsangehörigkeit behalten. Was hat hinter der Einführung dieses Staatsangehörigkeitsrechts gesteckt? Das war der Wunsch, ein Diskriminierungsverbot auch in der Verfassung abzusichern, dass Menschen, die in einem Land zusammenleben, nicht unterschiedlich behandelt werden. Sie von der CDU haben hier nun – und das finde ich schon ziemlich enttäuschend –,

(Unruhe CDU)

zwei Anlässe miteinander vermengt und sind dann zu einem Titel gekommen, der nirgendwo ansteht. Illegalen Staatsangehörigkeit verleihen will niemand. Es gibt keinen Vorschlag, den hier irgendjemand gemacht hat, auch nicht der Ministerpräsident. Der Ministerpräsident hat gesagt: Menschen, die sehr lange hier illegal leben und schon integriert sind, die sollen einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen können. Das ist also keine Staatsangehörigkeit – ein Aufenthaltsstatus, ein gesicherter Aufenthaltsstatus. Dann hat er noch gesagt: Kinder, die hier geboren werden, die sollen die Staatsange

(Abg. Berninger)

hörigkeit erhalten. Daraus einen Mischsatz zu machen, das ist eigentlich schon ziemlich unseriös und das hätte ich von der CDU nicht erwartet. Wenn Sie, Herr Präsident, sagen, wir sollen mit Andacht dem Herrgott lauschen,

(Unruhe CDU)

dann fragt man sich, aber, wenn der Herrgott Unwahres sagt, ob er es wirklich ist oder er im falschen Gewand oder im falschen Namen steckt. Wir haben übrigens in der deutschen Verfassung auch schon so eine Art Geburtsrecht verankert. Das wird Sie jetzt wundern, weil sehr viele Artikel in unserem Grundgesetz sprechen nicht von Deutschen, sondern von Menschen. Das beginnt schon in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das heißt, dass Kinder, die sich hier in unserem Land aufhalten, egal, welchen Status sie haben, Menschen sind, und auch sie sind dem Schutz des Grundgesetzes unterstellt. Wenn man so will, sind sie vielleicht keine formalen Staatsbürger, aber Verfassungsbürger allemal in sehr vielen verschiedenen Artikeln. Deswegen sollte man auch sehr vorsichtig sein, mit diesem Abstammungsgedanken allein dann zu sagen, das sollen keine Staatsbürgerinnen oder Staatsbürger werden. Herr Höcke hat sich ja sogar darin verstiegen, dass er sagt, die Staatsangehörigkeit ist ein Luxusartikel, der darf nur an verdiente Menschen verliehen werden. Ich weiß nicht. Meine beiden Töchter sind deutsche Staatsangehörige, aber im Moment ihrer Geburt hatten sie den Luxus noch nicht durch eigenes Tun verdient, sie hatten auch die Sprache noch nicht drauf.

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie weit sie sich integriert haben, fragt man sich dann bei Teenagern auch immer mal. Ich will das jetzt hier auch nicht ins Lächerliche ziehen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Machen Sie aber gerade!)

Nein, das mache ich nicht. Ich rede über Menschenrechte in einer globalisierten Welt und da ist Ihr Ansatz schon ein bisschen sehr antik.

Wie gesagt, seit 1866 macht man in den USA damit gute, richtige Erfahrungen. Der Ministerpräsident hat zwei sehr bedenkenswerte und – ich finde auch – gute Vorschläge gemacht. Menschen, die sehr lange hier sind und noch keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, sich aber sozusagen als Menschen hier befinden und die sich integriert haben, sollen einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen, und Kinder, die hier geboren werden, sollen unabhängig von der förmlichen Regelung des achtjährigen Aufenthalts und des endlosen Aufenthaltsrechts der Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. So what – das war jetzt schon wieder englisch –, was soll’s? Was ist daran so schlimm? Ich vermag es – ehrlich gesagt – nicht zu erkennen

und fordere alle auf, noch mal in Ruhe und unideologisch darüber nachzudenken. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lauinger. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Zuhörer und liebe Zuschauer! Das Thema der von der CDU-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde steht im Kontext einer momentan breit geführten gesellschaftlichen Debatte. In ihr geht es um das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft und die Frage, wer sich ihr rechtlich und faktisch zugehörig fühlen darf. Im Kern geht es um den Satz der Bundeskanzlerin, den sie vor genau einem Jahr gesagt hat, nämlich den Satz: „Wir schaffen das!“, einen Satz, den ich immer für gut und richtig gehalten habe.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Die muss ja nicht recht haben!)

Demgegenüber setzen einige Akteure vor allem auf das Schüren von Ängsten und auf populistische Abgrenzung. Für die Landesregierung steht mit vielen weiteren Akteuren im Bund und in den Ländern der Fokus auf einer verantwortungsvollen Migrationspolitik. Diese orientiert sich an den Prinzipien sowohl der Humanität als auch der guten Entwicklung unseres Landes. Humanität ist in erster Linie gefragt bei der Aufnahme von Verfolgten sowie von Hilfsbedürftigen, insbesondere aus Krisengebieten. Gegenüber den Menschen, die aus ihren Heimatländern geflohen sind, weil sie um ihr Leben und das Wohlergehen ihrer Familien bangen mussten, hat Deutschland, hat Thüringen rechtliche wie moralische Verpflichtungen, die aus Sicht der Landesregierung nicht infrage zu stellen sind. Ihnen ist eine sichere Zuflucht, sind menschenwürdige Unterkunft, Versorgung und Betreuung anzubieten.

Daneben ist für die Landesregierung ein weiterer Aspekt von besonderer Bedeutung: Deutschland braucht Zuwanderung, um die erwartbaren negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der aktuellen demografischen Entwicklung abmildern zu können. Dies gilt noch viel mehr als für den Rest von Deutschland für Thüringen. In Thüringen, das wissen Sie genauso gut wie ich, haben wir in vielen Firmen eine Belegschaft, die größtenteils kurz vor dem wohlverdienten Ruhestand steht. Wir haben aktuell in Thüringen hervorragende Arbeitsmarktda

(Abg. Marx)

ten. Wir haben schon jetzt Tausende unbesetzte Ausbildungsplätze in Thüringen. Daher setzt sich diese Landesregierung dafür ein, die bisher zur Verfügung stehenden Instrumente der Einwanderungssteuerung weiterzuentwickeln.

Wie notwendig das ist, hat unter anderem die OECD in einem ihrer Berichte deutlich formuliert. Dort heißt es: Das deutsche Zuwanderungssystem stelle wegen seiner bürokratischen Hürden aktuell de facto einen „Anwerbestopp mit Ausnahmen“ dar. Aus Sicht der Landesregierung ist dies Grund genug dafür, dass auf Bundesebene ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden muss, der potenziellen Einwanderern wie potenziellen Arbeitgebern umfassende und klar verständliche Regeln bietet. Hinzu kommt, dass durch die Schaffung legaler Einwanderungsmöglichkeiten das aktuelle Asylsystem entlastet werden kann. Menschen, die zwar nicht vor Verfolgung oder Bürgerkrieg, aber aus anderen menschlich nachvollziehbaren Gründen fliehen, werden von irregulärer Migration und lebensgefährlichen Fluchtrouten nur dann abgehalten, wenn es Alternativen hierzu gibt. Der Weg der gesteuerten Arbeitsmigration kann eine solche Alternative sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch deshalb artikuliert die Landesregierung deutlich ihre Impulse zur sinnvollen Systematisierung, Entbürokratisierung und Liberalisierung der bundesrechtlichen Rahmenbedingungen von Arbeitsmigration. So tritt die Landesregierung unter anderem für die Einführung eines kriteriengeleiteten Steuerungssystems, die Vereinfachung der Visa-Verfahren, die Erleichterung des Familiennachzugs sowie die vollständige und dauerhafte Abschaffung der Vorrangprüfung ein. Zudem regt sie eine Diskussion über die Ermöglichung eines Aufenthaltswechsels, also des sogenannten Spurwechsels, vom Asylsystem in die Arbeitsmigration für bestimmte Bereiche an.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu einer realistischen und verantwortungsvollen Migrationspolitik gehört auch die Frage, wie mit den Menschen umzugehen ist, die seit längerer Zeit in Deutschland als Flüchtlinge, Geduldete oder als Asylsuchende leben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie: Ist es vernünftig, Menschen, die aufgrund ihrer Situation in ihrem Heimatland über lange Zeit geduldet waren und sind, Angebote zur Integration in die deutsche Gesellschaft zu verweigern? Oder ist es nicht vielmehr sinnvoll, Familien, die aufgrund jahrelanger Asylverfahren in Deutschland bereits Wurzeln geschlagen haben, eine Perspektive in unserem Land zu geben? Sollte nicht stattdessen diesen Menschen Rechtssicherheit gewährt und die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Po

tenziale besser als bisher in die deutsche Gesellschaft einzubringen?

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Entsprechend formulierte auch Frank-Jürgen Weise, Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und der BA, bei einem Gespräch im Kabinett am 3. Mai die Notwendigkeit einer Altfallregelung für Menschen, die vor einem bestimmten Stichtag nach Deutschland eingereist sind und noch immer keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben.

Meine Damen und Herren, es geht der Landesregierung ganz offensichtlich nicht um die Zuerkennung von Staatsangehörigkeit für illegale Flüchtlinge, wie der CDU-Antrag zur Aktuellen Stunde suggeriert, sondern es geht um die Frage, wie die deutsche Gesellschaft ihrer humanitären Aufgabe gerecht wird, die ihr anvertrauten Potenziale nutzt und Integration der in Deutschland lebenden Migranten bestmöglich gestaltet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang wird nun auch schon seit einiger Zeit die Frage diskutiert, ob die bisherigen Regelungen zum Erwerb der Staatsangehörigkeit bei in Deutschland geborenen Kindern integrationspolitisch sinnvoll sind. Momentan gibt es in der politischen Debatte Vorschläge, dass mit der Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erworben wird, sofern ein Elternteil einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel besitzt. Dieser Vorschlag ist nach Auffassung der Landesregierung politisch und gesellschaftlich zu diskutieren. Die Landesregierung wird sich dieser Debatte auch nicht verschließen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Allerdings möge man dabei bei allem Verständnis für die Notwendigkeit pointierter politischer Ausdrucksweise die Diskussion nicht so sehr verkürzen oder verzerren. So zu tun, als gehe es um die Staatsangehörigkeit für Illegale, stellt jedoch eine solche Verkürzung und Verzerrung dar.

Dennoch sei noch ein abschließender Gedanke formuliert, der das Stichwort der Illegalität noch einmal aufnimmt und von einer anderen Seite beleuchtet. Die Landesregierung kann und wird nicht die Augen davor verschließen, dass in Deutschland eine Vielzahl von Migranten lebt, die aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation de facto schutz- und rechtlos sind. In der Illegalität ist ihnen zum Beispiel die medizinische Versorgung oder auch die Anrufung rechtsstaatlicher Institutionen verwehrt. Auch hier – das sage ich ganz deutlich – bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Debatte, wie man mit dieser faktischen Situation umgehen will. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Minister Lauinger)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. Weitere Redner gibt es nicht und ich schließe den ersten Teil der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den zweiten Teil

b) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Schnelle Rehabilitierung und Entschädigung von nach § 151 StGB der ehemaligen DDR und dem früheren § 175 StGB verurteilten ‚Justizopfern‘ in Thüringen sichern“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/2586

Das Wort hat Frau Abgeordnete Stange für die Fraktion Die Linke.

Liebe Gäste auf der Tribüne und am Livestream, sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ 1994 wurde § 175 Strafgesetzbuch abgeschafft. Die von 1945 bis 1969 ergangenen Urteile blieben bestehen. 2002 rehabilitierte die Bundesrepublik Deutschland die verurteilten Homosexuellen aus dem Nationalsozialismus und man sprach das Bedauern über die Urteile und die Folgen aus und entschuldigte sich. Aber die von 1945 bis 1969 ergangenen Urteile blieben bestehen. 2013 bedauerte auch der Thüringer Landtag die Verurteilung homosexueller Männer; ein richtiger und wichtiger Schritt, aber auch hier muss man konstatieren: Die von 1945 bis 1969 ergangenen Urteile blieben bestehen. Hier frage ich, wie lange wir wohl noch um unsere Würde und die Würde der anderen kämpfen müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren, erst am Wochenende zog ein großer bunter Zug lebensfroher Gemeinschaft durch die Straßen von Erfurt und feierte ein wunderbares Fest. Ich empfinde es als schön, dass der Christopher Street Day zu einer sehr schönen Tradition hier in Erfurt und Weimar und somit auch in der Gesellschaft geworden ist. Die LSBTI-Gemeinschaft hat auch in diesem Jahr erneut ihre Forderungen an Politik und Gesellschaft formuliert, erneut, wie sie es schon seit vielen Jahren tut. Eine zentrale Forderung ist dabei die Rehabilitation der nach § 175 Strafgesetzbuch von 1945 bis 1969 in der Bundesrepublik, aber auch der bis 1968 nach § 151 der DDR-Gesetzlichkeit verurteilten Homosexuellen. Nicht erst mit der Abschaffung des § 175 im Jahr 1994 wurde festgestellt, dass ho

mosexuellen Männern Unrecht widerfahren ist, Menschen gelitten haben, Menschen diskriminiert wurden, ihrer Menschenwürde beraubt wurden und somit auch gesellschaftliche Akzeptanz verloren, aber auch Existenzen vernichtet wurden. Die Abschaffung ist 22 Jahre her, 22 verlorene Jahre für die Betroffenen, sage ich, aber auch 22 verlorene Jahre für ein klares Bekenntnis gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

Sehr geehrte Abgeordnete, im Mai erschien ein Rechtsgutachten, erstellt im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durch Prof. Dr. Martin Burgi. Das Gutachten spricht eindeutig davon, dass der Gesetzgeber zum Handeln und zur Rehabilitation verpflichtet ist. Ebenfalls unbedenklich und anzuraten ist eine Rehabilitierungsmaßnahme einer kollektiven Entschädigung. Im Vorwort des Gutachtens sagte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: „Die Veröffentlichung des Gutachtens soll bislang geltend gemachte rechtliche Bedenken überwinden helfen und die politisch Verantwortlichen endlich zum Handeln bewegen, bevor es für viele Betroffene zu spät sein könnte.“ Ich denke, diesen Worten ist nichts mehr hinzuzufügen, außer dem Handeln.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)