Protocol of the Session on June 24, 2016

(Abg. Marx)

Amts die richtige Forderung ist – und nicht die Forderung nach mehr Personal und mehr Mitteln.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen ist es auch umso wichtiger, dass wir das ernst nehmen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir haben uns in Kenntnis unterschiedlicher Positionen das Amt betreffend zu wesentlichen Reformschritten verständigt. Das war ein sehr schmerzhafter Prozess, auch für Die Linke, weil es eine deutliche Abkehr früherer Positionen beinhaltete.

Aber wir haben darüber hinaus auch vereinbart, eine Expertenkommission einzusetzen, die genau dieser Frage auf den Grund geht, welche Notwendigkeit und welche Berechtigung ein nach innen gerichteter Geheimdienst eigentlich in der Auseinandersetzung mit Gefahren für die Demokratie hat. Wir fordern hier nachdrücklich, diesen Teil des Koalitionsvertrags umzusetzen, die Expertenkommission einzuberufen und die tatsächliche Diskussion darüber auch zu führen, weniger politisch hier von dieser Stelle aus, sondern wirklich mit Sachverständigen und Experten in dieser Frage.

Ich will aber zum Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission zurückkommen. Was beinhaltet der Bericht, der uns hier heute vorgetragen worden ist? Die ParlKK erfüllt ihren gesetzlichen Auftrag. Davon, meine Damen und Herren, sind auch wir ausgegangen, und darüber hinaus haben wir eine Aufzählung von Veranstaltungen, Organisationen und Straftaten gehört, die im Wesentlichen bereits seit Jahren der öffentlichen Medienberichterstattung unterlagen und deshalb auch bekannt waren. Nichts haben wir darüber erfahren, ob es möglicherweise auch nach dem NSU einen Ansatzpunkt gegeben hätte – aus unserer Sicht war dafür die dringende Notwendigkeit gegeben, dass man sich im Amt, aber auch im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle neu darüber verständigt –, ob die Einordnungskriterien, die seit vielen Jahrzehnten in der alten Bundesrepublik, aber seit 25 Jahren auch in den neuen Bundesländern gelten, für das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes überhaupt noch belastbar sind und hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Beurteilung nicht auch einer dringenden Revision bedürfen.

Da komme ich auch auf den Wesenskern unserer Kritik zurück. Denn was diesen Bericht trägt und dann eben auch in Fortsetzung die Arbeit des Verfassungsschutzes ausmacht, ist das nach wie vor vorhandene Stützen auf die Extremismustheorie, die permanente Gleichsetzung von Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus – als Extremismus zusammengefasst, als Gefahr für die Demokratie. Nun werden sicherlich viele, was die extreme Rechte anbetrifft, auch der Aussa

ge zustimmen, dass es sich hier um höchstgefährliche Entwicklungen handelt, um antidemokratische, rassistische Politikinhalte, die mit einer offenen und demokratischen Gesellschaft nicht in Vereinbarung zu bringen sind. Aber, meine Damen und Herren, der Extremismusbegriff ist genau untauglich in dieser Frage, eine inhaltliche Bewertung vorzunehmen und tatsächlich die Gefahren angemessen zu beschreiben.

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Nur weil es euch nicht passt, kommt …!)

Denn – und das ist eben der zentrale Kritikpunkt – der Extremismusbegriff ist ohne jeden Inhalt und hat nur eine Funktion: den demokratischen Verfassungsstaat jeder Kritik zu entheben.

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Unglaub- lich!)

Der Abgeordnete Fiedler hat in seiner Rede sehr deutlich gemacht, was eine Folge dieses Extremismusbegriffs und der Verwendung in der politischen Auseinandersetzung ist. Er forderte nämlich im Zusammenhang mit neonazistischen Konzertveranstaltungen, diese einfach aus dem Land zu treiben. Das zeigt eben, dass hinter diesem Extremismusbegriff keine Auseinandersetzung mit Politikinhalten, mit Einstellungen, die in dieser Gesellschaft weit verbreitet sind, stattfinden kann, sondern dass diese verhindert wird. Denn wenn man das ernst nimmt, was Herr Fiedler sagt, und fortsetzt und sich die in der letzten Woche veröffentlichte Mitte-Studie noch mal zur Hand nimmt, dann müsste Herr Fiedler sich hier vorn hinstellen und sagen, dass die komplette enthemmte Mitte aus dem Land gejagt werden müsste, und dann hätten wir ein sehr viel größeres demografisches Problem als das, was wir hier gestern diskutiert haben.

Es kommt dann eine zweite Folge hinzu, die ich Ihnen sehr deutlich benennen will. Sie brauchen, um den Extremismusbegriff in der politischen Auseinandersetzung fortleben zu lassen, natürlich die drei Bereiche von Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus oder Islamismus, wie es jetzt sehr konzentriert heißt. Hinter dieser praktisch zusammenfassenden Vereinheitlichung von inhaltlich völlig unterschiedlichen politischen Konzepten droht auf der einen Seite nämlich tatsächlich die Verharmlosung von gefährlichen Entwicklungen in sehr unterschiedlichen Bereichen, und es droht auf der anderen Seite auch, dass Sie einen Popanz aufbauen, der überhaupt keine Grundlage hat, wenn es um demokratiegefährdende Einstellungen geht. Dann will ich Ihnen auch nachdrücklich mal ans Herz legen, was selbst vom Bund, von Ihrer Bundesregierung geförderte Programme zutage gebracht haben, die sich über mehrere Jahre mit dem Phänomenbereich des Linksextremismus auseinandergesetzt haben und dann im Ergebnis zusammenfassend feststellen, dass sich

nach drei Jahren Projektdauer, intensiven Auseinandersetzungen mit externen Partnerinnen und über 400 Teilnehmenden sagen lässt, „dass sich ein Vorhandensein linksextremer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlossene linksextreme Welt- und Menschenbilder nicht konstatieren lässt“ – so das Ergebnis der Projekttätigkeit der EJB in Weimar, gefördert im Rahmen des Bundesprogramms.

Ich meine, das Amt für Verfassungsschutz und auch die Parlamentarische Kontrollkommission wären gut beraten, sich mit derartigen Befunden einmal auseinanderzusetzen und diese zum Anlass zu nehmen, ob man die Arbeit des Amts für Verfassungsschutz und damit in der Folge auch der Parlamentarischen Kontrollkommission tatsächlich auch grundlegend einer Revision unterzieht. Ich will Ihnen auch mal ein konkretes Beispiel aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der AfD benennen, wo deutlich wird, welchen praktischen Ausfluss das wirklich hat und was damit in der Konsequenz verbunden ist. Wenn Sie die Anlage linksextremistischer Aktivitäten in dieser Drucksache zur Hand nehmen, dann werden Sie unter „Linksextremistische Aktivitäten“ einen Eintrag vom 4. November 2015 finden. An diesem Tag haben 1.700 Menschen gegen einen rassistischen Aufmarsch der AfD demonstriert.

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Frau Präsi- dentin, also ich bitte Sie, das ist doch...!)

Das ist eine linksextremistische Aktivität, weil – und das können Sie nachlesen – die MLPD zu dieser Demonstration mit mobilisiert hat.

(Unruhe AfD)

Was Sie allerdings nicht in dieser Antwort auf die Große Anfrage der AfD finden, ist ein entsprechender Eintrag am 4. November 2015 bei den „Rechtsextremistischen Aktivitäten“.

(Beifall DIE LINKE)

dass Organisationen wie die NPD, die Identitäre Bewegung und die Partei Die Rechte erkennbar als Gruppierung, als Organisation an dem rassistischen Aufmarsch der AfD teilgenommen haben. Das …

(Beifall DIE LINKE)

Herr Abgeordneter Dittes, Ihre Redezeit ist um.

(Unruhe AfD)

Ich muss Sie bitten, die Redezeit ist um.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU)

(Unruhe im Haus)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das ist un- glaublich!)

Ich will noch mal wirklich in diesem Haus bitten, auch der Rest … Die Kommentare meinerseits – ich bin noch gar nicht fertig. Dann unterlasse ich das, das haben Sie sich jetzt selbst zuzuschreiben.

Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Herr Adams, Sie haben das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Gäste hier im Thüringer Landtag! Ich will versuchen, noch mal ganz kurz auf einiges hier einzugehen. Herr Brandner, ich habe wahrgenommen, dass Sie noch im BrexitTaumel sind und dass Sie das zum Anlass genommen haben, hier eine, meine ich, wirklich verfehlte Rede zu halten zu dieser wirklich wichtigen Frage, wie wir den Verfassungsschutz organisieren und – was heute das Thema ist – wie wir ihn kontrollieren. Wer in dem Zusammenhang behauptet, dass es einen Kuhhandel in diesem Haus gegeben hat, liegt nicht nur falsch, sondern versucht einfach, einen falschen Eindruck zu erwecken und eine Missstimmung in der Gesellschaft zu schaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Kommission ist in ihrer Größe durch ein Gesetz bestimmt und diese Kommission wird gefüllt mit Mitgliedern des Landtags aufgrund einer Wahl bzw. Bestimmung durch den Landtag.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dabei ist nichts kuhgehandelt, sondern dabei sind Menschen ausgewählt worden, denen alle hier vertrauen können. Darüber sollten Sie im Wesentlichen nachdenken.

(Beifall CDU)

Wenn Sie gesetzliches Handeln als „Kuhhandel“ bezeichnen, sollten Sie in dem Zusammenhang auch noch mal über Ihre Rechtsstaatstreue nachdenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Parlamentarische Kontrollkommission – und das ist in dem, meine ich, etwas zu wenig beachteten ersten Teil von Herrn Kollegen Hausold in seinem Bericht deutlich geworden – hat vor allen Dingen eine Aufgabe – zumindest sehe ich das als meine wichtigste Aufgabe in dieser Kommission –, nämlich, sich in einem Spannungsverhältnis in einer Balance zu bewegen: Erstens, um Gefahren frühzeitig erkennen zu können durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, also möglichst breit aufgestellt zu sein, zu wissen, wo Gefahren lauern

(Abg. Dittes)

können. Und das andere Spannungsfeld, der andere Pol, ist, möglichst keinen Menschen in diesem Land als Gegenstand von solchen Maßnahmen betroffen sein zu lassen. Es ist die Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission, hier nach der Balance zu suchen. Das ist nicht einfach, auch in einer sich sehr schnell und ständig verändernden gesellschaftlichen Lage und Weltlage.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir – und da schließe ich alle Kollegen hier mit ein – machen das nach bestem Wissen und Gewissen und wachen über diese Balance.

(Beifall CDU)

Wir haben auch in dem ersten Teil darüber gesprochen, dass wir in einem neuen Verfassungsschutzgesetz – das mir persönlich bei den Kontrollbefugnissen auch nicht weit genug ging – wesentliche, neue, wirklich auch weitergehende Kontrollbefugnisse und vor allen Dingen systematisierte Kontrollbefugnisse bekommen haben. Das ist ein guter Fortschritt, das darf nicht das Ende der Fahnenstange sein. Aber das ist ein absoluter Fortschritt und es erleichtert unsere Kontrolltätigkeit hier absolut, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Der Vorsitzende hat nicht vorgetragen, um uns hier noch einmal Fernseh- oder Medienwissen langweilend darzulegen, sondern der Vorsitzende hat uns mit öffentlich zugänglichen Nachrichten aufgezeigt, mit welchem großen Bereich und in welcher Tiefe wir uns in der Parlamentarischen Kontrollkommission auseinandersetzen müssen.

(Beifall CDU)

Kollege Dittes, es sollte Sie nicht langweilen, wenn ich das ganz deutlich sagen darf. Ich will auch ganz klar eines für unsere Koalition hier in den Mittelpunkt rücken: Wir haben zu der Frage des Verfassungsschutzes im ersten Satz unseres Koalitionsvertrags sehr deutlich gemacht, dass wir hier unterschiedliche Positionen haben. Insofern ist es gerechtfertigt, dass Sie hier eine andere Meinung haben, aber es muss auch eine andere Meinung danebenstehen können. Wir kommen von sehr unterschiedlichen Seiten, wir haben sehr unterschiedliche Positionen, manchmal sogar innerhalb unserer Fraktion.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die große Kunst ist es, das auszuhalten und dennoch fruchtbar zu machen. Deshalb möchte ich eine Sache sehr deutlich klarstellen, gerade nach dem, was heute in der Zeitung stand. Da war die Überschrift, zumindest in einer Zeitung: „Mehr Personal für Verfassungsschutz“ – Kollege Dittes war dann auch darauf eingegangen. Aber schon in der Unterüberschrift steht: „Das Kontrollgremium fordert zudem, mehr Informanten in Kreisen mutmaßlicher Islamisten zu finden.“ Das zeigt schon das Span

nungsfeld, dass diese einfache Aussage, dass hier mehr Personal für das Landesamt für Verfassungsschutz gefordert wird, überhaupt nicht dem gerecht wird, was der Vorsitzende vorgelesen hat.