Protocol of the Session on November 27, 2015

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort dem Abgeordneten Wirkner.

Werter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten und vor allen Dingen verehrte Zuschauer, vor allen Dingen die vielen jungen Leute heute hier im Plenarsaal! Ich finde das wunderbar, das ist bestimmt für Sie ein interessanter Vormittag.

„Anerkannte Flüchtlinge mit Bleibeperspektive in den Thüringer Ausbildungs- und Arbeitsmarkt integrieren“, das ist kurz gefasst der Antrag der CDU, die Überschrift. Gestatten Sie mir, dass ich zunächst auf die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten von gestern eingehe, wo er im Ergebnis des Thüringen-Monitors hier kundgetan hat, dass gerade aus der Bevölkerungsgruppe der ehemaligen Vertriebenen aus dem Jahr 1945 und aus den daraus erfolgten Nachgenerationen eine große Zustimmung erfolgt ist, wenn es um das Thema „Flüchtlinge“ grundsätzlich geht und um die Probleme, die sich mit den Flüchtlingen daraus ergeben. Leid ist unteilbar und viele derer, die noch leben und die meistens schon im hohen Alter sind, können sich noch genau an diese Zeit erinnern, als sie auf der Flucht waren, Hunger hatten, Kälte erleben mussten. Und dann kamen sie 1945 in das Mutterland Deutschland aus den Ostgebieten. Es waren circa 14,5 Millionen Menschen und es gab keine Sozialsysteme, es gab kein Mindestlohngesetz. Es gab nur eines: nämlich den Willen anzupacken, das Leben in die Hand zu nehmen und wieder von vorn zu beginnen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen.

(Beifall CDU, AfD)

Daran möchte ich nur erinnern. Ich selbst bin der Sohn einer solchen Familie und bin natürlich besonders sensibilisiert, wenn es um das Thema „Flüchtlinge“ und die Bewältigung dieser Aufgaben in Deutschland geht. Ich bitte Sie, mir daher nachzusehen, dass ich in meinem Redebeitrag einige persönliche Meinungen dazu eingearbeitet habe, die etwas über das Thema hinausschießen, aber grundsätzlich die Voraussetzung bilden, um dieses Thema letztlich zu realisieren.

Frau Leukefeld, ich komme zum Schluss noch mal auf das Thema „Mindestlohn“ im Speziellen zurück, weil das nun eine Alibibehauptung von Ihnen ist, um diesen Antrag grundsätzlich abzulehnen. Ich habe das eigentlich erwartet, aber ich hatte gehofft, dass wir uns nach der gestrigen Debatte hier im Zusammenschluss finden. Denn wenn es um etwas

(Abg. Lehmann)

Positives geht, sollten wir über die Parteigrenzen hinaus gemeinsame Aktivitäten bringen.

(Beifall CDU, AfD)

Ich hatte Ihnen vorhin gesagt, 14,5 Millionen Menschen aus den Ostgebieten kamen damals hierher. Ich will Ihnen sagen, 25 Prozent der Bevölkerung in Thüringen machen genau diese Bevölkerungsgruppe aus. 25 Prozent, ein Viertel der Thüringer sind Abkömmlinge aus der Vertriebenenzeit von 1945, die hier nach Thüringen gekommen sind – 14,5 Millionen Menschen. Kann man den Statistiken Glauben schenken, befinden sich zurzeit circa 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg und der damit verbundenen Existenzangst, auf der Flucht vor Hunger und Verfolgung. Mit ihren letzten Habseligkeiten nehmen sie die schwere Last auf sich, in einem neuen Kulturkreis weitab von den Stätten ihrer Geburt, von den Stätten ihrer Eltern und Großeltern für sich und ihre Kinder eine bessere Welt zu finden, eine Welt, in der sie sicher vor Bedrohung und Gewalt sind, eine Welt, in der sie sich hoffentlich eine neue Existenz aufbauen können – unter besseren Rahmenbedingungen, als sie 1945 in Deutschland vorhanden waren, zumindest für die Zeit, in der noch Krieg und Verfolgung ein Leben in ihrer angestammten Heimat unmöglich machen. Die Zielrichtung ihrer Flucht ist Europa. Ein Kontinent, von dem man sich das erwartet, was dem Leben wieder neue Hoffnungen gibt. Deutschland ist dabei für viele das ausgewählte Land, von dem man sich all das erhofft, was ein wünschenswertes Leben ausmacht.

Mit dem Strom von Flüchtlingen scheint man jedoch in Europa völlig überfordert zu sein. Der ungebrochene Strom von Tausenden Flüchtlingen aus allen Elendsgebieten dieser Welt stellt die Politik und damit auch uns vor die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, und das nicht nur in Deutschland, nein, darüber hinaus in ganz Europa. Während man sich in der Politik täglich um neue Lösungen bemüht, den Flüchtlingsstrom zu begrenzen – da denke ich zum Beispiel an die Diskussion, die europäischen Außengrenzen undurchlässiger zu machen oder wie neuerdings darüber nachzudenken, Obergrenzen für die Flüchtlingsaufnahme festzulegen –, werden wir von der Realität täglich eingeholt, dass monatlich neue Flüchtlinge zu Tausenden in unser Land kommen und wir täglich neu vor der Herausforderung stehen, diese Menschen würdig unterzubringen und denen, die gemäß Grundgesetz einen Anspruch auf Asyl und damit eine Bleibeperspektive haben, auch eine wirkliche Perspektive zu ermöglichen. Und dies, meine Damen und Herren, wird meiner Meinung nach so bleiben. Viele europäische Mitgliedstaaten werden sich der solidarischen Unterstützung gegenüber Deutschland verweigern. Da denke ich zum Beispiel an das Mitgliedsland Polen, das sich in den letzten Jahren immer der Solidarität Deutschlands

als größtem Nettozahler innerhalb der EU versichert sein konnte und jetzt nach der neuen Regierungsbildung darüber nachdenkt, überhaupt keine Flüchtlinge aufzunehmen. Das gibt dem Begriff Solidarität neue Dimensionen und innerhalb der Mitgliedschaft der EU sollte man meiner Meinung nach neu über die Verteilung der Finanzmittel im Hinblick auf die Hauptlastenverteilung nachdenken. Wer die Hauptlasten trägt, sollte auch anders bewertet werden als jene Staaten, die sich nur zögerlich oder sogar gar nicht an der Lösung der Flüchtlingsprobleme beteiligen wollen.

(Beifall AfD)

Deutschland wird also auch weiterhin die Hauptlast tragen, davon gehe ich persönlich aus, und man muss sich auf so eine Situation pragmatisch einstellen.

(Beifall CDU)

Der demografische Wandel in unserer deutschen Gesellschaft gibt Anlass darüber nachzudenken, ob diese Flüchtlingssituation auch Chancen für unsere Gesellschaft eröffnet, Menschen mit Anspruch auf Asyl und mit Bleibeperspektive zum Beispiel für die Absicherung unseres zu erwartenden Arbeitskräftemangels in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir wissen alle, händeringend wird nach Arbeitskräften gesucht. Wer wie ich mit Kleinbetrieben zu tun hat, weiß, wie die momentane Situation aussieht. Wenn Sie morgen eine neue Arbeitskraft in einem Handwerksbetrieb brauchen, müssen Sie vergeblich suchen, um da jemanden zu finden. Da nützen auch keine Zeitarbeitsfirmen mehr und auch keine Bundesagentur für Arbeit.

Schon jetzt steht fest, dass in den nächsten 15 Jahren mit einem erheblichen Arbeitskräftemangel zu rechnen ist. Wer soll für den uns so lieb gewonnenen Sozialstaat in Zukunft die entsprechenden Sozialbeiträge erarbeiten, wenn es keinen Zuwachs an Arbeitskräften aus eigener Kraft heraus mehr geben wird? Die Arbeitgeberverbände haben das schon längst erkannt und auch die IHKs und die Handwerkskammern fordern schon seit geraumer Zeit, die Chance zu nutzen und sich unverzüglich damit zu beschäftigen, wie man Flüchtlinge schnellstmöglich für den Arbeitsmarkt fit machen kann und vor allem jungen Menschen den Weg in eine neue berufliche Perspektive möglich machen kann. Jeder in Arbeit stehende Flüchtling und sein Arbeitgeber tragen zur Entlastung der Sozialsysteme bei.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Nicht mit Niedriglohn!)

Und jede Ausbildung sorgt dafür, später, falls es friedliche Bedingungen in dem Heimatland gibt, dort Aufbauleistungen zu erbringen. Das hört sich einfach an, aber das ist natürlich infolge einer eventuellen Ausbildung die Möglichkeit, die sich daraus

ergibt. Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion will dazu beitragen, dass dieser Forderung schnellstmöglich Rechnung getragen wird. Im Wesentlichen fordern wir in diesem Antrag die Landesregierung auf, über die bisher bekannte Zahl von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive zu berichten, welche Qualifikationen diese haben, was bisher unternommen wurde, sie kurzfristig in den Arbeitsmarkt zu vermitteln und welche Maßnahmen ergriffen wurden, um Flüchtlingen mit Bleibeperspektive eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Darüber hinaus wird die Landesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge mit Bleibeperspektive für die Dauer ihrer Ausbildung – in der Regel drei Jahre – und nach Möglichkeit darüber hinaus im Land verbleiben dürfen und dass entsprechende Ausbildungslehrgänge mit dem Ziel angeboten werden, einen allgemeinbildenden Schulabschluss in Verknüpfung mit intensiver Sprachausbildung zu erlangen.

Weiterhin wird die Landesregierung aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine betriebliche Absenkung des Mindestlohns einzusetzen, wie vorhin diskutiert, während einer Einarbeitungszeit von sechs Monaten – ähnlich wie bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen. Hierzu möchte ich Ihnen noch einmal berichten, dass es am 25.11.2015 – also vor einigen Tagen – einen Zeitungsartikel gab: „IHK will Mindestlohn für Flüchtlinge aussetzen“. Man sieht also, dass hier insgesamt schon darum gerungen wird, welche Möglichkeiten es gibt, den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu vereinfachen.

Es gibt ein Mindestlohngesetz und daran möchte ich noch einmal erinnern. Darin steht in § 22 Abs. 4: „Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht.“ Langzeitarbeitslose laut § 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch III sind: „Arbeitslose, die ein Jahr und länger arbeitslos sind.“ Also für Langzeitarbeitslose gilt, dass man ein halbes Jahr den Mindestlohn unterschreiten kann.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Das ist aber falsch!)

Sie fordern heute für Flüchtlinge den gleichen Mindestlohn wie für die Arbeitenden. Das ist eine Diskriminierung der Langzeitarbeitslosen. So etwas muss ich grundsätzlich ablehnen.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Sie haben es in das Gesetz gebracht!)

(Zwischenruf Abg. Leukefeld, DIE LINKE: Sie haben es in das Gesetz gebracht!)

Im Übrigen möchte ich noch mal darauf hinweisen – leider ist Herr Ramelow heute nicht anwesend –, er hat gestern in seiner Ansprache einen interessanten Satz geäußert.

(Zwischenruf Abg. Korschewsky, DIE LINKE: Er hat viel gesagt!)

Wir wollen den Flüchtlingen die Möglichkeit der Arbeitserprobung geben. Arbeitserprobung heißt, sie kommen in den Betrieb und man muss erst mal sehen, ob man miteinander klarkommt, ob das mit der Sprache funktioniert, ob die Voraussetzungen überhaupt gegeben sind, dort tätig zu werden. Für diesen Zeitraum gilt es, den Mindestlohn zu unterschreiten, weil man das gegenüber den anderen, den Langzeitarbeitslosen, im Prinzip nicht verantworten kann.

(Unruhe DIE LINKE)

Das noch mal grundsätzlich zu der ganzen Angelegenheit Mindestlohn.

Weiterhin ist es wichtig, sich auf Bundesebene für die Abschaffung der Vorrangprüfung für anerkannte Flüchtlinge mit deutschen Sprachkenntnissen einzusetzen, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das sage ich Ihnen aus meiner praktischen Erfahrung. Wenn Sie heute Arbeitskräfte aus Deutschland suchen, haben Sie es sehr schwer. Ich habe auch noch nie die Möglichkeit gehabt, ausländische Arbeitskräfte in den Betrieb zu integrieren, weil noch keine da waren. Ich finde, auch das ist eine überzogene Regelung. Man sollte das zumindest für einige Zeit aussetzen.

Dies sind nur einige wesentliche Forderungen aus unserem Antrag an die Landesregierung. Nutzen wir also die Chancen, die uns geboten werden, auch wenn viele Menschen kritisch mit der Flüchtlingszuwanderung umgehen. In den kommenden zehn Jahren müssen 250.000 Arbeitsplätze bei uns neu besetzt werden. Schon jetzt gibt es akuten Arbeitskräftemangel.

Zu Beginn dieses Jahres waren 5.000 Lehrstellen unbesetzt. Sicherlich gibt es dafür auch Gründe, über die ich schon mehrmals hier mein Missfallen zum Ausdruck gebracht habe. Ich denke dabei nur an den Akademikerwahn in Deutschland und an die Novellierung der Handwerksordnung, die den Meisterzwang bei zwei Dritteln aller Handwerksbetriebe abgeschafft hat, und kein Mensch bildet mehr aus. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, dass wir heute das Ergebnis dessen haben, was wir vor vielen Jahren falsch entschieden haben. Dabei spreche ich parteiübergreifend.

Wenn wir heute nicht beginnen, uns endlich um unsere Zukunft zu bemühen, was den Arbeitsmarkt betrifft, werden wir den Herausforderungen der nächsten Jahre nicht gerecht werden. Der Arbeitsmarkt muss liberalisiert werden, institutionelle Über

forderung muss durchbrochen und den Unternehmen muss Luft zum Atmen gelassen werden. Dies ist ein wichtiger politischer Ansatz, an den wir bei all unserem Handeln denken müssen. Probleme können zwar auf der Straße besprochen und kritisiert werden. Auch das lässt unser Grundgesetz zu – Herr Höcke, das war jetzt mal an Sie gerichtet –, wie es auch denen Schutz gewährt, die berechtigt sind, in unserem Land Asyl zu beantragen. Die Probleme zu lösen, ist Aufgabe der Politik, und dazu sind wir gewählt. Das sollte sich jeder in diesem Hohen Haus zu Herzen nehmen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte und wird dafür vielerorts gescholten: „Wir schaffen das“. Ich sage Ihnen: Wir müssen das schaffen.

(Beifall CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unserer eigenen Zukunft und der Generationen wegen, die nach uns kommen, für unsere Kinder und Enkel: Beginnen wir mit dem Thema „Arbeit“, dem besten Mittel für gezielte Integration. Davon bin ich persönlich überzeugt. Beginnen wir jetzt damit, um das Morgen nicht zu verspielen, und nutzen wir die Chance, die sich jetzt und heute bietet. In diesem Sinne möchte ich die Regierungskoalition nun noch einmal bitten, ihre Entscheidung zu überdenken, und ich bitte um Ihre Zustimmung für diesen Antrag.

(Beifall CDU)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Genau! So ist das!)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wirkner. Bevor ich den nächsten Redner aufrufe: Herr Wirkner hat die Schüler hier oben auf der Tribüne so herzlich begrüßt. Das sind Schüler aus der Regelschule in Roßleben, 9. Klasse, der Berufsschule Jena und – deswegen mache ich das noch mal ganz besonders – vom Ratsgymnasium sind Partnerschüler aus Südafrika hier. Herzlich Willkommen hier im Thüringer Landtag.

(Beifall im Hause)

Als Nächster hat Abgeordneter Höcke für die AfDFraktion das Wort.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die armen Schüler!)

Sehr verehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kollegen Abgeordnete, sehr verehrte Besucher auf der Tribüne! Frau Rothe-Beinlich, Sie sagten gerade „arme Schüler“.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)

Ich denke, die Schüler freuen sich, jetzt mal eine wirkliche Oppositionsrede zu hören. Das wird nämlich die erste sein, die wir jetzt im Hohen Hause zu übernehmen haben.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Harzer, DIE LINKE: Eine Hetzrede!)

Nein, entspannen Sie sich. Natürlich muss ich als Fraktionsvorsitzender der einzigen Oppositionsfraktion im Thüringer Landtag etwas Wasser in den Wein der Suppe gießen, die Sie, die entsprechenden Altparteien, hier zusammengerührt haben.