Protocol of the Session on September 30, 2015

Ich möchte abschließend sagen, dass Sie mit dieser Aktuellen Stunde erneut bewiesen haben, dass Sie Opposition erst noch lernen müssen. Sie kommen damit sehr nah heran an die ganz rechts außen hier im Haus sitzende Fraktion.

(Unruhe CDU)

Ich rate Ihnen, diese schäbige Taktik tatsächlich noch mal zu überdenken, und zwar ernsthaft. Sie schaden damit nicht Rot-Rot-Grün, Sie schaden damit den Flüchtlingen, Sie schaden damit dem Rechtsstaat und Sie schaden damit der Demokratie, meine Damen und Herren.

(Unruhe CDU)

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun hat Frau Abgeordnete Lehmann für die Fraktion der SPD das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich möchte zunächst noch mal eine grundsätzliche Sache sagen, und zwar, dass der Druck durch steigende Zahlen ein anderes Argument ist als Schutzbedürftigkeit und dass dieser Druck nicht dazu führen darf, dass wir menschenwürdige Flüchtlingspolitik infrage stellen. Dafür stehen wir auch innerhalb dieser Koalition.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf, über den wir heute sprechen, sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, die zu einer Verbesserung der Situation von Flüchtlingen führen, aber auch zur Verbesserung der Situation von Kommunen und von Ländern. Der wichtigste Punkt, über den haben wir auch hier im Hohen Haus in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder gesprochen, ist die Frage einer verlässlichen und strukturellen Finanzierung, nämlich einer pauschalen Finanzierung an das Land pro Flüchtling, sodass wir Planbarkeit haben bei den Einnahmen für das Land und damit auch Sicherheit für die Kommunen sicherstellen können. Darüber hinaus stellt der Gesetzentwurf Beträge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Höhe von 350 Millionen Euro zur Verfügung, eröffnet Integrationsmaßnahmen, zumindest für einen Teil von Asylbewerbern, deren Status noch nicht geklärt ist. Er stellt 500 Millionen Euro jedes Jahr für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung, eben nicht nur zur Flüchtlingsunterbringung, sondern für den sozialen Wohnungsbau, den wir in vielen Thüringer Städten dringend brauchen. Er gibt uns außerdem Mittel aus dem Betreuungsgeld des Bundes, zum Beispiel um Kitas auf die Herausforderungen einzustellen, die sich aus den steigenden Flüchtlingszahlen ergeben. Nichtsdestotrotz – und auch darauf möchte ich eingehen – gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die eine Verschlechterung der Situation von Flüchtlingen bedeuten und die ich persönlich aus fachlicher Sicht nicht nur für falsch halte, sondern ich glaube, dass hier an der einen oder anderen Stelle im Raum steht, ob die tatsächlich verfassungskonform sind.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein nicht ganz unwesentlicher Punkt ist zum Beispiel die Verlängerung der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen auf sechs Monate.

(Abg. Berninger)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Denken Sie, dass das Ihre Genossen in Berlin nicht verstehen und wissen?)

Abgesehen davon, dass ich das nicht für menschenwürdig halte, halte ich es auch für nicht besonders praktikabel. Denken wir an die Schülerinnen bzw. Jugendliche oder an Kinder, die schulpflichtig sind, die nach drei Monaten unter die Schulpflicht fallen, die in der Kommune, in der die Erstaufnahmeeinrichtung ist, beschult werden müssen, dann in die Kommune gebracht werden, dann wieder in eine neue Schule müssen. Das ist nicht nur für die Schülerinnen und Schüler und für die Lehrerinnen und Lehrer eine besondere Herausforderung, das ist auch eine besondere Herausforderung für die Kommunen, die diese Erstaufnahmeeinrichtungen zur Verfügung stellen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Darüber hinaus darf auch diese Verlängerung keine Verpflichtung sein, weil es bedeuten würde, dass wir die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht nur auf 6.000 bis 7.000 Plätze erhöhen müssen, wovon wir momentan ausgehen, sondern dass wir dann fast 15.000 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen stellen müssen. Wie wir das als Land sicherstellen sollen, ist mir – ehrlich gesagt – nicht klar.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Darüber hinaus ist der Punkt des Arbeitsverbots für Flüchtlinge, die aus sicheren Herkunftsstaaten kommen und einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben, problematisch sowie die Frage – das wurde hier auch schon unter dem Begriff „Fehlanreize“ angesprochen – der Rückkehr zu Sachleistungen. Nicht nur, dass es einen höheren Verwaltungsaufwand bedeutet, ich halte das auch nicht für menschenwürdig. In einem Punkt, der sicherlich gut ist, nämlich die Tatsache, dass der Bund angekündigt hat, dass er ein Einwanderungsgesetz einführen möchte, ist noch völlig unklar, wer unter welchen Voraussetzungen hier welchen Anspruch haben wird. Fernab von allem sind wir uns – glaube ich – einig, dass Integration eine wichtige Aufgabe ist, der wir uns alle stellen müssen. Die Frage, die ich mir tatsächlich stelle, ist: Was macht das Gesetz dahin gehend? Nicht hilfreich ist sicherlich die Trennung – und das macht das Gesetz ohne Frage – in gute und schlechte Flüchtlinge. Ich bezweifle tatsächlich, dass das zu mehr Akzeptanz der Flüchtlingspolitik in der Gesellschaft führt. Das Gesetz bringt Verbesserungen für bestimmte Personengruppen mit sich, die eine Zukunft in Deutschland suchen, sei es vorübergehend oder auch längerfristig. Es wird aber auch für einige Menschen schwerer werden, integriert zu werden. Das betrifft

ganz konkret die Menschen, die aus dem Westbalkan nach Deutschland kommen müssen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Klar ist, dass dieser Gesetzentwurf ein Kompromiss ist und in einem Kompromiss findet man eben nicht alles richtig, sonst wäre es kein Kompromiss. Es ist sicherlich keine ganz einfache Abwägung, ob die Fortschritte, die dieses Gesetz mit sich bringt, die Einschränkungen rechtfertigen. Da nützt es mir auch als Sozialdemokratin wenig, dass ich sagen kann, dass das immerhin noch ein besserer Gesetzentwurf ist als der, den das Bundesinnenministerium ursprünglich vorgelegt hat. Klar ist aber auch, dass wir auf das Geld des Bundes angewiesen sind und dass der Bund uns das nur unter bestimmten, nämlich diesen formulierten Voraussetzungen gewährt. Da haben wir schlicht und ergreifend keinen anderen Spielraum. Das ist der Spannungsbogen, dem wir uns hier auch stellen müssen, und das sind Fragen, die wir verantwortungsvoll miteinander lösen müssen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Lehmann. Das Wort hat nun Abgeordneter Möller für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen, die rot-rot-grüne Landesregierung fällt gern durch das Beschreiten von Sonderwegen auf. Es war interessant, den Ausführungen von Frau Kollegin Berninger zu lauschen, die uns Einblicke in die formaljuristische innere Verfasstheit der Landesregierung gibt und wie es zu solchen verschwurbelten Enthaltungsbeschlüssen kommt. Es ist aber so, dass rot-grüne Koalitionen, egal, ob in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen oder in Hessen, diesem Beschluss, der jetzt getroffen worden ist, dieser Reform, im Bundesrat zustimmen werden.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Was ist daran ein Vorbild?)

Das einzige Land, was das nicht tun wird, ist Thüringen. Die Landesregierung, angeführt von Bodo Ramelow, sekundiert von der Fraktionsvorsitzenden Hennig-Wellsow und natürlich unterstützt von den Grünen, geht dann wieder mal einen Sonderweg. Zwar ist bei einigen führenden Köpfen dieser Koalition zumindest ein Hauch von Einsicht erkennbar, so etwa bei Frau Siegesmund, die von einem tragfähigen Kompromiss sprach. Aber, wie Herr Herrgott schon erwähnt hat, es gibt eine Randnotiz im Protokoll, wo sich die Thüringer Landesregierung also freigezeichnet hat, wie sie dann am Ende

(Abg. Lehmann)

im Bundesrat abstimmen wird. Und sie tut das deshalb, weil schon die leichte Verbesserung der Effizienz von Abschiebungen und von Asylverfahren dieser Landesregierung einfach zu weit geht.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, Sie haben das Prinzip eines Kompromisses nicht verstanden. Bei einem Kompromiss muss jeder eine oder mehrere Kröten schlucken. Sie können nicht einfach das Geld nehmen, was Ihnen der Bund im Rahmen des Kompromisses offeriert, und die weiteren Maßnahmen ablehnen. Das ist unredlich.

(Unruhe DIE LINKE)

Das haben Sie schon letztes Jahr beim Asylkompromiss 2014 getan. Diese vollständige Ablehnung von Realpolitik durch die Thüringer Landesregierung ist umso schlimmer, als man sagen muss, dass diese Reform des Asylrechts, um die es hier gerade geht, nicht ansatzweise konsequent und umfassend genug ist, das hat Herr Herrgott auch schon herausgearbeitet. Ich bin froh, dass es da also auch schon eine gewisse Einsicht bei der CDU gibt.

(Beifall AfD)

Diese Reform ist eigentlich keine Reform, das ist mehr ein Reförmchen. Denn der Originalentwurf, der durchaus weitergeführt hätte, ist erstens entschärft worden, zweitens geht die Reform nicht weit genug und drittens enthält die Reform Irrwege. Die erste Fassung des Gesetzentwurfs sah zum Beispiel noch vor, dass offenbar unbegründete Asylanträge schon an der Grenze abgewiesen werden können. Das hätte die Übertragung des sogenannten Flughafenverfahrens auf den Landweg und damit eine enorme Verfahrenskürzung bedeutet. Klar ist auch, dass für eine solche Übertragung des Verfahrens systematische Grenzkontrollen, ja eine Grenzsicherung, erforderlich gewesen wären und eben die Bearbeitung der Anträge direkt an der Grenze. In der Asylverfahrensrichtlinie der EU heißt es hierzu übrigens, die Mitgliedstaaten sollten Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit und/oder Begründetheit von Anträgen vorsehen können. Dies ermöglicht, unter genau festgelegten Umständen an Ort und Stelle über solche Anträge zu entscheiden. Weitere Vorschriften beziehen sich dann eben auch auf die Landesgrenzen und sehen eine entsprechende Verfahrensbeschleunigung für diese Grenzverfahren vor. Diese rechtlichen Möglichkeiten und rechtlichen Hinweise oder politischen Hinweise, die sozusagen von der EU-Ebene gekommen sind, haben die Bundesregierung und die Länder in ihrem bisherigen Kompromiss nicht ansatzweise in ausreichendem Maße berücksichtigt und sozusagen mit einbezogen. Ich lasse es jetzt mal dahingestellt, ob es Unvermögen oder Vorsatz war.

Auch bei der Beseitigung von Fehlanreizen versagt die Reform. Ursprünglich war vorgesehen, dass vollziehbar Ausreisepflichtige nur noch Reiseticket und Reiseproviant gestellt bekommen. Der Beschlussentwurf sieht hingegen vor, dass vollziehbar Ausreisepflichtige ebenso wie aus sicheren Drittstaaten kommende Asylbewerber nach wie vor Sozialleistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Deutschland wird also auch weiterhin die Einwanderung in unseren Sozialstaat fördern, indem man eben solchen Menschen den Zugang zu unseren attraktiven Sozialleistungen gewährt. In diese Richtung geht übrigens auch die Ermöglichung der Einführung einer Gesundheitskarte durch den vorliegenden Gesetzentwurf. Auch das ist, das muss man einfach mal so sagen, angesichts der gigantischen Zuwanderungsbewegung, ein Irrweg.

(Beifall AfD)

Es stellt sich die Frage, wann die Bundesregierung und die mitwirkenden Länder endlich begreifen, dass eine solche Teilhabe an unserem Sozialstaat Migrationsbewegungen überhaupt erst anheizt. Die an diesem Asylkompromiss Mitwirkenden haben insofern nichts aus den Lehren der letzten Wochen und Monate gelernt. Sie sind deshalb mitverantwortlich dafür, dass diese gigantische Migrationsbewegung, die nur zu einem vergleichsweise kleinen Teil aus wirklich Verfolgten besteht, überwiegend eine Einwanderung ins Sozialsystem darstellt und die Belastung für unsere Bevölkerung damit weiterläuft und damit auch das absurde Ergebnis verbunden ist, dass die Aufnahmefähigkeit unseres Landes für tatsächlich Verfolgte erschöpft ist. Danke.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. Das Wort hat nun Abgeordnete Rothe-Beinlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, das Flüchtlinge willkommen heißt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was offenkundig die Intention für diese Aktuelle Stunde war oder ist, hat meine Kollegin Sabine Berninger schon ausgeführt.

Ich muss allerdings auch ein paar Sätze zu meinem Vorredner sagen: Wer heute im Vorfeld dieser Aktuellen Stunde eine Pressemitteilung herausgibt unter der Überschrift „Das Boot ist übervoll und wird kentern“, verkennt die mörderischen Realitäten im

(Abg. Möller)

Mittelmeer, wo Tag für Tag Menschen sterben. Das Mittelmeer ist mittlerweile zu einer tödlichen Falle für Flüchtlinge geworden. So eine zynische Pressemitteilung wie von Ihnen von der AfD sagt mehr über Sie als über vieles andere.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe AfD)

Das setzt sich auch fort: Wenn Sie dann am Ende des ersten Absatzes eine Grenzsicherung notfalls durch den Einsatz der Bundeswehr fordern, merkt man einmal mehr, dass Sie sich außerhalb jeglicher Verfassung befinden und überhaupt nicht verstanden haben, wie unser Rechtsstaat funktioniert. Das soll aber auch genug zu Ihnen sein.

(Unruhe AfD)