Herausgreifen möchte ich § 15 a Abs. 1 des Gesetzentwurfs. Ich finde es im Übrigen auch interessant, dass wir hier jetzt allerlei gehört haben, wie großartig und toll Ihr Gesetzentwurf sein soll, aber nicht einer von Ihnen bislang konkret darauf eingegangen ist, was in Ihrem Gesetzentwurf eigentlich wörtlich drinsteht.
In § 15 a Abs. 1 des Gesetzentwurfs wollen Sie die Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf verpflichten, „dass Kinder und Jugendliche“ – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis – „[…] in den sie betreffenden Angelegenheiten rechtzeitig, in geeigneter Form und möglichst umfassend unterrichtet sowie auf ihre Rechte hingewiesen werden.“
Schon aus dem Wortlaut ergibt sich das Problem, dass Formulierungen wie „rechtzeitig“, „in geeigneter Form“, „möglichst umfassend“ so unbestimmt sind, dass ziemlich viel darunter verstanden werden kann. Gerade wenn es darum geht, dass staatliche Institutionen Kinder im Zweifel vielleicht sogar gegen den Willen ihrer Eltern über etwas informieren, sollte doch Vorsicht geboten sein statt lascher Formulierungen.
Was ist „rechtzeitig“? So spät, dass das Kind noch schnell Ja sagen kann, bevor der Staat entscheidet, was gut und richtig ist? Die Formulierung „Kinder […] [sollten] in geeigneter Form […] auf ihre Rechte hingewiesen werden“ ist sachlich vollkommen überflüssig, wenn der Gesetzgeber nicht definiert, was „geeignet“ ist. Dahinter steht wohl linke Beruhigungspillenpolitik, nach dem Motto „Wenn wir es nett formulieren, dann fällt es schon niemandem auf.“ Die gleiche Rede haben wir gerade hier schon gehört.
Was die „möglichst umfassende“ Information angeht, lohnt ein Blick in § 8 SGB VIII, den Sie laut Ihrer Begründung konkretisieren wollen. Dort ist die Formulierung nämlich viel enger, was die Rechte des Staats angeht, und viel stärker umrissen. Ich zitiere: „Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“.
Schon die Aussage, dass die Kinder beteiligt werden, statt „auf ihre Rechte hingewiesen“, ist sachgerechter, Frau Rothe-Beinlich, da Kinder in diesen Dingen eben noch nicht selbst entscheiden dürfen, sondern eben die Sorgeberechtigten oder bei Versagen dieser der Staat für sie entscheidet, aber ihre Äußerungen als Kinder eben doch ernst genommen werden.
Satz 2 des § 8 Abs. 1 SGB VIII lautet dann – ich zitiere –: „Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen.“ Anders als in Ihrer schwammigen Formulierung bezieht sich die Information hier auf konkrete Rechte des Kindes im Verwaltungsverfahren, die dem Kind einen konkreten Nutzen bringen können, und eben nicht einfach umfassend auf alles Mögliche.
Schon allein anhand des Wortlauts sehen wir, dass der Bundesgesetzgeber sehr viel vorsichtiger ist, was das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie dem Staat angeht, auch viel vorsichtiger ist als Sie als rot-rot-grüne Ideologen.
In § 8 SGB VIII ist klar ausgesagt, dass der Staat nur dann zugunsten des Kindes einschreitet, wenn die Eltern versagen. Dieser Gedanke fehlt in Ihrem Gesetz vollkommen. Ihr § 15 a Abs. 1 ist eben keine Konkretisierung, wie Sie behaupten, sondern ein Einfallstor für Ideologie. Genau die taucht in Ihrer Gesetzesbegründung neben der UN-Kinderrechtskonvention dann auch auf. Angeblich sei – ich zitiere – für das „Aufwachsen in einer demokratischen Gesellschaft“ erforderlich, dass Kinder „möglichst früh[…] und umfassend[…]“ beteiligt würden.
Herr Ministerpräsident, ich würde Sie bitten, wenn Sie sich unterhalten wollen, das etwas leiser zu tun. Danke schön.
Meine Damen und Herren, was Sie unter Demokratie verstehen, das haben Sie leider schon oftmals demonstriert. Um nur ein Beispiel zu nennen: Vertreter der Koalitionsfraktionen versuchen regelmäßig, eine demokratisch gewählte Fraktion des Thüringer Landtags zu diskreditieren,
indem sie ihre eigenen Fraktionen als demokratisch bezeichnen und uns davon ausschließen. Sie achten nicht einmal den Wählerwillen, und Sie sind es, die damit undemokratisch sind.
Sie benutzen übergeordnete Prinzipien wie Demokratie als bloßes Schlagwort, um sie tatsächlich auszuhöhlen. Unter dem Deckmantel von Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit laufen nach dem gleichen Prinzip Ideologieveranstaltungen ab, die letztlich darauf abzielen, Kinder zu moralisieren, ihnen einzutrichtern, was gut und richtig sei, und sie letztlich zu instrumentalisieren. Auch das ist keine Demokratie, sondern das genaue Gegenteil.
Wenn Sie uns als AfD fragen: Moralisierung und Indoktrination gibt es in staatlichen Institutionen doch schon viel zu viel. Ich habe gestern schon in der Aktuellen Stunde erklärt – und ich erkläre das für diejenigen, unsere Gäste und anderen Zuhörer, die vielleicht die Debatte nicht verfolgt haben, noch mal –, dass mich letzte Woche ein Vater anrief, der sagte, dass sich die Klasse seiner Tochter bei der Aktion „Fridays for Future“, also Schule schwänzen für das Klima, beteilige. Seine Tochter sei offenbar die Einzige, die nicht zu den Demonstrationen gehen wolle, sie traue sich aber nicht, das zu sagen. Überdies solle sie in dem Fall, dass sich doch jemand traue, das zu sagen, in den Unterricht der Parallelklasse gehen, sofern sie eben dort nicht mit hingehen wolle. Meine Damen und Herren, ich betone das noch mal: Das geht viel zu weit. Wir brauchen einen neutralen Staat, denn den garantiert unser Grundgesetz.
Wir wollen nicht, dass Sie neue Regeln schaffen, nach denen Kinder im Geiste links-grüner Ideologie beraten werden, und schon gar nicht, wie es in dem Gesetzentwurf steht, „möglichst früh[…]“.
Ein weiteres Beispiel zeigt, dass es Ihnen vor allem darum geht, links-grüne Institutionen zu pampern. Die Neufassung des § 17 Abs. 2 des Gesetzes soll dazu dienen, den Landesjugendring zu stärken. Abgesehen davon, dass der Landesjugendring wohlklingende Dinge tut, wie einen Preis für Toleranz und Zivilcourage auszuloben, hat sich der Landesjugendring explizit gegen die Aufnahme der Jugendorganisation einer im Thüringer Landtag vertretenen Partei gewandt, obwohl die Jugendorganisationen anderer Parteien sehr wohl dort ihren Platz haben – wohlgemerkt ohne dass diese Jugendorganisation überhaupt einen Antrag gestellt hatte, aufgenommen zu werden. Im Landesjugendring sitzen offenbar Leute, die schon ausreichend antidemokratisch gedrillt wurden.
Da wir als AfD antidemokratische Bestrebungen verurteilen, können wir auch hier Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Zur sogenannten Verstetigung der Schulsozialarbeit, auf die Sie im Gesetzentwurf eingehen, sei gesagt, dass Sie hier wieder einmal erst ansetzen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Schulsozialarbeiter werden dort eingesetzt, wo schon längst Probleme entstanden sind. Auch hier ist eine Stärkung der Familie als derjenigen, die die Erziehungsarbeit leistet oder leisten sollte, viel effektiver als das Aufsammeln der Scherben hinterher.
Ihr Gesetz ist verfehlt und widerspricht den Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien. Deswegen lehnen wir es entschieden ab.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, das Gesetz macht eines deutlich: Wir nehmen Kinder und Jugendliche ernst, wir trauen ihnen etwas zu, wir arbeiten auf Augenhöhe mit ihnen zusammen, weil wir eines wissen:
Sie sind Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenssituation und sie sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Deshalb wollen wir, dass sie diese Zukunft auch selbst mitgestalten können. Das ist der Grundgedanke, der der Gesetzesnovelle zugrunde liegt. Er ist das Ergebnis eines langen Dialogs, den wir nicht nur hier im Parlament geführt haben, sondern auch als Koalitionsfraktionen mit zwei großen Fachveranstaltungen im Landesjugendhilfeausschuss und darüber hinaus auch in Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Jugendverbänden, von Mitbestimmungsgremien, aber auch mit Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe.
Bei der Einbringung des Thüringer Ausführungsgesetzes zum SGB VIII im August des vergangenen Jahres habe ich erklärt, warum dieser Gesetzentwurf meiner Meinung nach ein guter Gesetzentwurf ist. Es ist ein gutes Gesetz, weil es die Intention des Bundesgesetzgebers einschließlich der UN
Kinderrechtskonvention im Hinblick auf die Kinder, auf die Beteiligung Kinder und Jugendlicher, ihrer Eltern sowie der freien Träger und sonstiger Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe aufgreift und stärkt. Auf die Idee, dass Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen kinderfeindlich ist, kann auch nur die AfD kommen.
Es verlangt außerdem transparente, beteiligungsorientierte und verlässliche Jugendhilfeplanung, es stärkt die Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen und damit das Erlernen von Demokratie. Es schafft mit insgesamt mehr als 26 Millionen Euro eine bisher unvergleichliche Verbindlichkeit zur Mitfinanzierung des Landes im Bereich der örtlichen Jugendförderung und der Schulsozialarbeit und bietet damit Planungssicherheit für öffentliche und freie Träger. Es ist aber auch eine Grundlage für gute Arbeit in der sozialen Arbeit, weil auf Grundlage dieses Gesetzes keine Ausreden für zum Teil miserable Arbeitsbedingungen zugelassen werden können und leistet damit einen Beitrag zur Fachkräftesicherung.
Sehr geehrte Abgeordnete, das Bessere ist der Feind des Guten. Das gilt für technische Entwicklungen ebenso wie für demokratische Prozesse im Selbstverständnis dieser Koalition. Dementsprechend ist der gute Gesetzentwurf infolge der intensiven Beratung, insbesondere der Anhörung, noch besser geworden. Exemplarisch will ich nur auf einige Veränderungen eingehen, zum Beispiel die Aufnahme des Grundsatzes der jugendgerechten Ausgestaltung von Jugendhilfeausschüssen, der Beteiligung der Gesamtelternvertretung der Kindertageseinrichtungen in den Jugendhilfeausschüssen, aber auch die Vertretung zum Beispiel von Kreisschülervertretungen im Jugendhilfeausschuss. Herr Bühl hatte vorhin kritisiert, warum wir die Kreiselternvertretung Schule nicht auch noch verpflichtend aufgenommen haben. Wir haben uns dagegen entschieden – und Herr Bühl wüsste das, wenn er der Debatte intensiv gelauscht hätte –, weil natürlich auch die Frage der Größe eines Gremiums immer auch die Frage ist, wie arbeitsfähig ein Gremium noch ist. Wenn Sie sich den § 5 des aktuellen Ausführungsgesetzes ansehen, dann wissen Sie, dass es auch jetzt schon möglich ist, dass Jugendhilfeausschüsse selber entscheiden, dass Kreiselternvertretungen aufgenommen werden. In Erfurt ist das zum Beispiel der Fall.
Eine weitere Veränderung, die wir im Vergleich zum Gesetzentwurf noch vorgenommen haben, ist, dass es eine verpflichtende Dokumentation geben muss, wie die Interessen von Kindern und Jugendlichen in
der Jugendhilfeplanung tatsächlich berücksichtigt wurden, und es verlangt eine ausdrückliche Berücksichtigung der Schulsozialarbeit in der Jugendhilfeplanung.
An dieser Stelle möchte ich noch mal all denen in der Anhörung danken, die sich sehr konstruktiv und intensiv mit dem Gesetzentwurf befasst haben und ihre Expertise eingebracht haben. Voller Überzeugung kann ich sagen, dass uns dieser Dialog in den Anhörungen und die vielen Anregungen nicht nur in der eingeschlagenen Richtung bestärkt haben, sondern auch für eine Präzisierung und Verbesserung gesorgt haben. Ich will nicht verschweigen, dass ich mich über die überwiegend positiven Einschätzungen des Vorhabens sehr gefreut habe, auch weil das nicht allzu oft vorkommt, dass sich Anzuhörende in einer Sache überwiegend einig sind.
Wir wissen, dass ein gutes Gesetz die unverzichtbare Grundlage für Verwaltungshandeln und für eine erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik ist. Wir wissen aber auch, dass ein gutes Gesetz nur dann funktioniert, wenn es in der Praxis gut umgesetzt wird. Deshalb gibt es den in der Drucksache 6/6828 vorliegenden Entschließungsantrag. Er betont, wie wichtig die Arbeit der kommunalen Jugendämter, der Jugendhilfeausschüsse, des Landesjugendamts und des Landesjugendhilfeausschusses ist. Weil dies so wichtig ist, will ich den Entschließungsantrag auch nutzen, um an die Landkreise und kreisfreien Städte folgende Botschaft zu richten: Leistungsfähige, personell und finanziell gut ausgestattete kommunale Jugendämter sind Rückgrat und Voraussetzung für die Umsetzung des Kinderund Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes – eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Aus zahlreichen Untersuchungen und aus Ereignissen, insbesondere aus dem Kinderschutz, wissen wir aber, dass es in dieser Hinsicht vielerorts dringenden Handlungsbedarf gibt. Und wir wissen aus der Praxis, dass die Jugendämter im kommunalen Verteilungskampf der Haushaltsmittel einschließlich des Stellenplans häufig einen schweren Stand haben. Umso mehr gilt das innerhalb der Jugendhilfe für Arbeitsbereiche, die wir im vorliegenden Gesetz besonders ansprechen und die eher präventiven Charakter haben, zum Beispiel die Rolle der Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit. Genau dazu leistet die Gesetzesnovelle einen Beitrag, weil sie die Landkreise und kreisfreien Städte mit der sogenannten Jugendpauschale in genau dieser Aufgabe unterstützt und diese mit mindestens 15 Millionen Euro gesetzlich verankert.
Ich weiß die verantwortungsvollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern, dem Landesjugendamt und die Mitglieder der Jugendhilfeausschüsse sehr zu schätzen, und zwar in allen Arbeitsbereichen. Gerade weil das so ist, will ich, dass sie unter den Bedingungen arbeiten können, in denen sie dieser Verantwortung auch gerecht werden. Ich hoffe, dass sich die realen Anforderungen und Herausforderungen für die haupt- und ehrenamtlichen Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe in künftigen Fachberichten der Jugendforschung und der Jugendhilfeplanung widerspiegeln. Das gilt für die öffentlichen Träger ebenso wie für die freien. Dazu kann meiner Meinung nach auch die Jugendforschung, für die wir uns in dem Entschließungsantrag aussprechen, einen Beitrag leisten.
Im Mittelpunkt der Gesetzesnovelle und des Entschließungsantrags stehen all die Empfehlungen an die Landesregierung, die sich mit der Stärkung der Mitbestimmung junger Menschen auseinandersetzen. Letztlich geht es darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Mitbestimmungsstrategie der Landesregierung auch umzusetzen. Anfang dieses Jahres haben wir dazu hier im Landtag eine Fachtagung mit Vertreterinnen und Vertretern von Jugendverbänden, kommunalen Mitbestimmungsgremien, von Schülervertretungen, aber auch mit Fachkräften und Multiplikatoren durchgeführt. Wer das Engagement, wer die Lust dieser jungen Menschen auf das Mitmachen, auf Gestaltung, auf Übernahme von Verantwortung vom Spielplatz über die Freizeiteinrichtung in die Schule bis hin zur Mitwirkung im parlamentarischen Gremium an dem Tag hier erlebt hat, dem muss um die Demokratie nicht bange werden.