Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, heute ist die erste Lesung des Gesetzes von Rot-Rot-Grün zur Beseitigung der Wahlrechtsausschlüsse. Sie wollen hier das Thüringer Kommunalwahlgesetz und das Thüringer Wahlgesetz für den Landtag in den §§ 2 und 4 in den jeweiligen Gesetzen ändern und wollen die Absätze 2 und 3 komplett streichen und damit den Tatbestand auf den Richterspruch allein beschränken, so wie Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein. Dabei berufen Sie sich insbesondere auf die Erfüllung des Artikels 29 der UN-Behindertenrechtskonvention. In diesem Artikel 29 sind die Vertragsstaaten verpflichtet und haben sich dazu selbst verpflichtet, eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben zu ermöglichen.
Die Forderungen in Buchstabe b) des Artikels 29 sind in Deutschland schon weitestgehend umgesetzt, so stellen es mehrere Berichte unabhängig voneinander fest. Hier ist eine aktive Förderung eines Umfelds festgelegt, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung gleichberechtigt mit anderen an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können. Dazu zählt unter anderem die Mitarbeit in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen und an Tätigkeiten und der Verwaltung politischer Parteien, aber auch die Bildung von und die Mitarbeit in Organisationen von Menschen mit Behinderungen.
Abschnitt a) verlangt sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter und Vertreterinnen. Das schließt auch das Recht und die Möglichkeit ein, zu wählen und gewählt zu werden.
Das ist richtig so und findet auch eine gesellschaftliche Unterstützung und Konsens. Sie fordern aber nun, das Wahlrecht nicht von den vermeintlichen Fähigkeiten eines Menschen abhängig zu machen, sondern vielmehr dazu nötige Hilfen zur Verfügung zu stellen. Ob und wie das ermöglicht werden könnte, darüber sollten wir in den entsprechenden Ausschüssen reden.
Da der Bund und die EU sich dieses Themas bisher noch nicht angenommen haben, obwohl es – wie hier mehrfach gesagt wurde – gerichtlich so entschieden worden ist, sehen wir es ein wenig skeptisch, ob Thüringen hier mit vorangehen soll oder ob es nicht besser wäre, eine gute Lösung für alle Wahlen voranzubringen, weil es den Menschen letztendlich schwer zu erklären sein wird, weshalb sie bei Kommunal- und Landtagswahlen mitwählen dürfen und bei Europa- und Bundestagswahlen nicht. Nehmen wir als Beispiel nur einmal den 26. Mai 2019, wo wir verbundene Wahlen haben –
wenn ich auch weiß, Ihr Gesetz wird erst 2020 in Kraft treten –: Wie wollen wir den Menschen sagen, dass sie beim Wahllokal einen Wahlschein bekommen werden und den anderen Wahlschein nicht bekommen werden und nicht mit wählen dürfen?
Unter Buchstabe a) des Artikels 29 der UN-Behindertenrechtskonvention wurde festgelegt, dass die Wahlverfahren, Einrichtungen und Materialien geeignet, zugänglich, leicht verständlich und handhabbar sind. Hier sind die Kommunen, die Städte und Gemeinden bei jeder Wahl angehalten, für barrierefreie Wahllokale zu sorgen. In den meisten Fällen gelingt es auch und dafür gilt den Organisatoren sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltungen ein recht herzlicher Dank. An dieser Stelle finden wir es als CDU-Fraktion wichtig zu schauen, in welchen Bereichen wir bereits ohne Gesetzesänderung Voraussetzungen schaffen können und müssen, um Hürden für Menschen mit Behinderungen abzubauen – nicht nur bei Wahlen, sondern auch im alltäglichen politischen und gesellschaftlichen Leben. Hier ist auch das Gesetz zur Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu nennen, ein Landesgesetz, auf das wir schon seit Längerem warten.
Nach wie vor sucht man auch oft vergebens nach Formularen oder Informationen in einfacher Sprache. Nach wie vor sind Zugänge zu Informationen, Bildung oder Weiterbildung durch fehlende niedrigschwellige Angebote noch verbaut. Aber darüber wollen und müssen wir in diesem Zusammenhang reden, um grundlegende Voraussetzungen zu schaffen. Um den Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte politische Willens- und Meinungsbildung zu ermöglichen, muss es keine Gesetzesänderung werden. Hier steht zuerst der Handlungsbedarf bei der Sicherstellung der Grundvoraussetzungen. Die Prüfung der Gesetzesänderungen möchten wir gern zur weiteren intensiven Beratung an den zuständigen Ausschuss, den Innen- und Sozialausschuss, überweisen und wir werden die Beratung als Fraktion gern – natürlich auch positiv – begleiten. Dabei wäre es natürlich von Interesse, was die beiden Länder, die es schon eingeführt haben, für Erfahrungen damit haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss: Die CDU-Fraktion, wir sagen Ja, Ja zur weiteren Verbesserung, zur Teilhabe und zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen – hier mit Blick auf die politisch aktive und passive Teilnahme im Sinne des Artikels 29 der UN-Behindertenrechtskonvention und deren Umsetzung.
Meine Damen und Herren, ich hätte hier bei der Einführung des Gesetzes, Frau Müller, vielleicht noch mal eine Richtigstellung oder eine Klarstellung gebraucht. Sie sprechen bundesweit von 81.000 Menschen in der Vollbetreuung und allein in Thüringen wären es laut Ihrem Antrag 40.000. Hier wäre
eine Richtigstellung wichtig, ob allein in Thüringen 40.000 Menschen unter diese Behinderung im normalen Wahlrecht fallen. In Ihrem Antrag steht es oben so drin. Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Thamm, auf das Gleichstellungsgesetz warten wir im Prinzip schon über zehn Jahre. Die letzte Legislatur hat es nicht hinbekommen. Ich gehe aber davon aus: Spätestens im Januar werden wir es haben, diese Legislatur wird hier noch eine Novelle des Gleichstellungsgesetzes erleben und wir werden uns darüber noch inhaltlich auseinandersetzen; da bin ich doch ganz bei Ihnen. Manchmal braucht gut Ding etwas länger.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute über den Gesetzentwurf von Rot-Rot-Grün, der die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse in Thüringen mit auf den Weg bringt. Wir sind zwar mit unserem Gesetzentwurf nicht das erste Bundesland, das dieses unternimmt, aber auch nicht das letzte. Die Bundesregierung hat bis heute nur angekündigt – anlässlich des 3. Dezember dieses Jahres, anlässlich des Tages der Menschen mit Behinderungen –, Anfang 2019 einen diesbezüglichen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. Ob dieser Gesetzentwurf, werte Kolleginnen und Kollegen, so weitreichend ist wie der, den wir Ihnen heute vorlegen, lässt sich abwarten.
Aber zurück zum Land Thüringen: Sie haben gerade bei der Einbringung gehört, aber auch von Herrn Thamm, was wir als rot-rot-grüne Koalition vorhaben, Menschen, die in Vollbetreuung sind, aber auch Menschen, die ihr Leben im Moment wegen schuldunfähig begangener Straftaten in einer Forensik vollziehen, von den Wahlrechtsausschlüssen zu befreien.
Ja, wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention in den Mittelpunkt gestellt. Bereits heute Morgen haben wir darüber diskutiert, dass natürlich UNRecht geltendes Recht ist und dass es in Thüringen umgesetzt wird und darum der Artikel 29 „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben“ nicht nur in Deutschland, sondern auch hier in Thüringen in Bezug auf die Wahl umgesetzt werden muss.
Richtig ist auch, werte Kolleginnen und Kollegen, dass viele Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, psychische Beeinträchtigungen haben und deshalb eine umfassende Unterstützung für den Alltag brauchen. Die bisherigen pauschalisierten
Wahlrechtsausschlüsse der kommunalen und Landtagswahlen gehen aber davon aus – gemessen an der Realität –, dass diese Menschen nicht in der Lage seien, ihre politische Auffassung zu artikulieren. Die Betreuung, die man ihnen angedeihen lässt, wird durch die jetzigen Ausschlüsse vom Wahlrecht oft dazu genutzt, dass es zu einer Art Diskriminierung kommt, denn damit wird den Menschen die Möglichkeit genommen, ihre politische Auffassung zu artikulieren, die sie sich bilden können. Es ist in meinen Augen somit sogar eine gesellschaftliche Bestrafung, die in den zurückliegenden Jahren an der Stelle damit einherging. Ich denke – da sind wir uns hier einig, zumindest soweit ich die Rednerinnen gehört habe, die hier gerade am Pult zu diesem Thema gesprochen haben –, dass politische Meinungsäußerung und politische Entscheidungen gefällt werden können, egal ob ich unter Vollbetreuung stehe oder nicht. Auch Menschen, die in psychiatrischen Einrichtungen leben, können meiner Meinung nach auch genau dieses tun. Sie haben und sollten die Möglichkeit bekommen, bei Kommunal- und Landtagswahlen von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, es ist gut – und an der Stelle will ich das noch einmal wiederholen –, dass wir diesen Gesetzentwurf an die Ausschüsse überweisen. Es ist genauso gut, dass zu diesen Gesetzentwürfen eine breite politische Diskussion durchgeführt werden muss durch Betroffenenverbände, durch juristischen Sachverstand und dass wir dann mit noch mal verstärkten Inhalten hier in die zweite Lesung gehen können und hier unsere gesetzliche Grundlage noch im Frühjahr kommenden Jahres abstimmen können.
Wir als Linke haben in den zurückliegenden Legislaturen immer gefordert, dass die Wahlrechtsausschlüsse abgeschafft werden, denn zu den Menschen- und Bürgerrechten gehört meiner Meinung und der Meinung der Fraktion Die Linke nach auch, dass die Menschen in die Wahllokale gehen können und dort ihre politische Auffassung kundtun können.
Es ist gut und an diesem Prinzip sollten wir auch zukünftig festhalten, dass Selbstbestimmtheit und Selbstermächtigung behinderter Menschen wirklich durchgeführt werden können. Sie sollten nicht von arroganter Bevormundung geprägt sein, die nicht behinderte Menschen über sie ausüben.
Wir haben heute Morgen gehört, dass die Gefahr groß ist, dass man gern zwar über Behinderte redet, aber sie selten mitentscheiden lässt. Dagegen verwahren wir uns sehr ausdrücklich.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben bereits darauf hingewiesen, dass eine Anhörung durchgeführt werden muss. Ich will ein kurzes Zitat noch bringen, welches auch aus Thüringen hätte stammen können. Einem „SPIEGEL“-Artikel aus dem Jahr 2017 ist zu entnehmen, wie ein junger Mann gefragt worden ist, wie er sich auf die Landtagswahl 2017 vorbereitet. Es ging um Pascal aus Dortmund und er sagte, er kenne die CDU, er kenne die SPD und die Grünen und auch die Linken, er wisse auch, wer Angelika Merkel ist und Siegmar Gabriel. Und er wird in seinem Bundesland auch zur Wahl gehen. Die Besonderheit ist – und auch das ist in Thüringen immer wieder zu finden –, dass der junge Mann geistig behindert ist und eine Betreuung hat. Er hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass die Betreuung nicht die leiblichen Eltern sind, sondern dass er einen Betreuer zugeteilt bekam. Was aber war passiert? Pascal P. bekam eine Vollbetreuung und die Vollbetreuung hätte gar nicht sein müssen, aber Pascal war an dem Tag, als er bei dem Gutachter war, sehr eingeschüchtert, war einsilbig, war schlecht auf das Gespräch vorbereitet. Somit passierte es, dass er statt einer Teilbetreuung für einzelne Bereiche – Sie wissen ja, Gesundheit, Geldvorsorge, Punkt, Punkt, Punkt – die Vollbetreuung bekam. Darüber hat sich natürlich auch der ihm dann zugeordnete Betreuer, er kommt von der Lebenshilfe, sehr erregt und meinte, eigentlich ist das nicht in Ordnung. Sie haben sich dann gefreut, dass das Bundesland, aus dem Pascal kam, diese Wahlrechtsausschlüsse bereits abgeschafft hatte und er somit auch an der Wahl zu den Landtagswahlen teilnehmen konnte.
Genau das sollten wir uns zum Vorbild machen und mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf die Möglichkeit geben, dass die in Thüringen 781 Personen, Herr Thamm, die unter Vollbetreuung stehen, und die 77 Personen, die im Maßregelvollzug untergebracht sind, an einer zukünftigen Wahl, zur Kommunalwahl, unserer Landtagswahl, partizipieren können. Das sind die richtigen Zahlen, jetzt haben Sie sie gehört.
Kolleginnen und Kollegen, Sie haben bereits gehört, dass Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg usw. an der Stelle schon etwas eifriger waren als wir. Wir werden in Thüringen perspektivisch den nächsten Schritt tun. Nun werden Sie im Gesetzentwurf gelesen haben, dass er erst 2020 in Kraft treten soll. Ich sage aber an der Stelle auch – und da bin ich optimistisch –, dass wir vielleicht gemeinsam als rot-rot-grüne Landesregierung und auch die Kollegen der CDU-Fraktion gute Argumente finden, dass der heutige Gesetzentwurf noch so schnell verabschiedet werden kann, dass er vielleicht schon vor den Kommunalwahlen und den Landtagswahlen im kommenden Jahr greifen könnte.
Dann hätten wir wirklich eine gute Variante, um ein Versprechen, welches auch in der UN-Behindertenrechtskonvention formuliert worden ist, die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse hier in Thüringen für die betroffenen Menschen umzusetzen. Da bin ich sehr gespannt; an uns als Linke wird es an der Stelle nicht liegen. Ich glaube, wir brauchen die guten Argumente, um rechtssicher die Kommunalwahlen und Landtagswahlen an diesem Punkt vorzubereiten. Ich bedanke mich für die gute Diskussion bisher, sage ich ausdrücklich. Die Überweisung an die Ausschüsse ist bereits benannt worden. An der Stelle, denke ich, werden wir eine gute Diskussion haben. Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Ja, also nach dem Gesetzentwurf, der hier vom rot-rot-grünen Regierungslager vorgelegt worden ist, dürfen demnächst, wenn er durchgeht, alle wählen, die in allen eigenen Angelegenheiten die Betreuung notwendig haben. Das trifft auch auf Leute zu, die nach dem Strafgesetzbuch in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden sind. Das alles leiten Sie aus der UN-Konvention her. Da muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist einfach unzutreffend. Denn die UN-Behindertenrechtskonvention sagt dazu gar nichts aus, die will Diskriminierung vermeiden.
Und um Diskriminierung geht es hier überhaupt nicht beim Wahlrechtsausschluss für Vollbetreute, denn hier geht es um eine durchaus sachlich gerechtfertigte Andersbehandlung. Und das ist eben gerade keine Diskriminierung im Sinne des Verfassungsrechts.
Denn letztlich beruht eine Betreuung in allen Angelegenheiten auf dem Urteil eines Berufsrichters – Herr Adams –, eines Berufsrichters, der dazu ausgebildet worden ist, Recht zu sprechen, und der die Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
hat. So einem Urteil geht eine Einzelfallprüfung voraus, bei der die konkreten Umstände, die psychologische und auch die soziale Situation des Betroffenen, berücksichtigt werden. Wenn also ein Richter zum Beispiel einen Komapatienten für nicht entscheidungsfähig hält – und wer will daran zweifeln –, dann soll dieser Komapatient auch nicht wählen, weil er es nämlich auch gar nicht kann. Das ist eigentlich so logisch, dass man es gar nicht wirklich erklären muss. Dann ist dieser Wahlrechtsausschluss gerechtfertigt.
Wieso? Es sind genau solche Komapatienten, die Sie wählen lassen wollen. Solche Komapatienten wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf wählen lassen. Genau darum geht es auch.
(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein Komapatient wird wohl aufste- hen und wählen gehen oder was?)
Da sage ich noch eines dazu, wenn Ihnen das eine Beispiel nicht gefällt: Dann nehmen wir mal das Beispiel des Pascal, was die Frau Kollegin Stange eben gebracht hat. Also ich sage Ihnen mal eines: Sie machen damit Widersprüche in der Rechtsordnung auf, die kriegen Sie gar nicht wieder zugeschüttet. Denn dieselben Aussagen, die Ihnen der Pascal genannt hat, die nennt Ihnen auch mein zehnjähriger Sohn. Warum wollen Sie den denn nicht wählen lassen? Er weiß auch, wer Angela Merkel ist; der weiß auch, wer die SPD ist; der weiß auch, wer die Linke ist; der weiß sogar, wer die AfD ist. Der weiß sogar ein bisschen mehr als Pascal.
Warum wollen Sie den nicht wählen lassen? Sie wissen doch genau, dass Sie dann keine Grenze mehr ziehen können