Protocol of the Session on June 21, 2018

(Unruhe CDU)

Herr Abgeordneter Kuschel, es gibt eine Frage der Abgeordneten Meißner. Lassen Sie die zu?

Ja, selbstverständlich.

Frau Meißner, bitte.

Herr Kollege Kuschel, danke für die Möglichkeit der Nachfrage. Kein Mittel der Demokratie ist es, Lügen

zu verbreiten. Deswegen bitte ich Sie, die Behauptung zu belegen, dass die CDU die Bürgerbefragung bzw. das, was sich dort jetzt an Bürgerbegehren auf den Weg gemacht hat, unterstützt bzw. initiiert hat. Bitte belegen Sie das!

(Zwischenruf Abg. Müller, DIE LINKE: Das ist doch keine Frage!)

Aber schöner wäre, Frau Meißner, wenn Sie eine Frage gestellt hätten.

Wie können Sie das belegen, was Sie vorhin gesagt haben?

Ihre Frage ist doch Beleg dafür.

(Unruhe CDU)

Ihre Frage ist der Beleg.

(Zwischenruf Abg. Worm, CDU: Das ist ja selten dämlich!)

Herr Präsident – jetzt muss der Präsident doch mal eingreifen – oder?

Ja, sobald wir es zuordnen können.

Okay. Ich kann das ja verstehen, es ist kein guter Tag für Sie, wenn Sie eine Reform über Monate und Jahre blockieren und dann doch erleben, dass sie umgesetzt wird. Das ist schon hart für Sie. Aber wir können ja eine Selbsthilfegruppe gründen, ich kannte das aus Oppositionszeiten. Jetzt müssen Sie entscheiden, ob Sie bei der Reform mitmachen oder weiterhin Vollblockade machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Fiedler hat erneut die These aufgestellt, dass die Gemeinden sich angeblich ausschließlich aus finanziellen Erwägungen heraus neu ordnen. Also in der Region Ilmenau habe ich bisher nicht vernommen, dass dort eine Gemeinde dabei ist, die in einer Haushaltsnotlage ist oder so. Das haut alles hin. Herr Bühl wird sich ja damit beschäftigt haben, er will ja dort Oberbürgermeister werden und ist derzeit im Stadtrat. Also er hat die Kenntnisse, müsste also seinem Kollegen Herrn Fiedler in dem Fall aber erheblich widersprechen. Ähnlich ist es mit Bad Salzungen und Tiefenort und den Beteiligten. Also es gibt ganz wenige Beispiele, bei denen Gemeinden ausschließlich aus finanziellen Gründen Neugliederungen anstreben. Natürlich gibt es auch das Motiv Geld. Aber um noch mal das zu wi

derlegen, was hier Herr Fiedler wieder wahrheitswidrig behauptet hat. Er hat wieder gesagt: Geld ist weniger da, Rot-Rot-Grün stellt nicht genügend Geld zur Verfügung. Angaben des Landesamts für Statistik besagen, dass im Vergleich zum Jahr 2014 die Thüringer Gemeinden im Jahr 2017 700 Millionen Euro mehr zur Verfügung hatten. Das ist ein Fakt. Über 6 Milliarden Euro Gesamteinnahmen haben die Thüringer Kommunen inzwischen. Von den Mehreinnahmen kommen 400 Millionen Euro aus Steuermehreinnahmen, aber es kommen eben auch 300 Millionen Euro mehr vom Land, und zwar 2 Milliarden innerhalb des Finanzausgleichs und 1,3 Milliarden außerhalb des Finanzausgleichs.

(Unruhe CDU)

Das heißt, 55 Prozent der gemeindlichen oder kommunalen Einnahmen sind Landesgelder. Und wenn Sie bei diesen Fakten nach wie vor behaupten, dass angeblich wir dafür verantwortlich sind, dass manche Gemeinde in einer Haushaltsnotlage ist, hat das einfach mit der Realität nichts zu tun.

Übrigens: Die meisten Gemeinden sind aus strukturellen Gründen in einer Notlage, und deshalb reagieren sie ja auch und sagen: Wir müssen uns strukturell anders aufstellen, weil wir aus eigener Kraft zum Beispiel die Potenziale zur Haushaltskonsolidierung nicht haben. Auch reine Zahlen: Während bei Ihnen nahezu hundert Gemeinden jährlich keinen Haushalt hatten, waren es im vergangenen Jahr unter Rot-Rot-Grün nur noch 61. Das sind immer noch 61 zu viel. Aber es ist eine deutliche Tendenz erkennbar, dass sich die Finanzsituation der Gemeinden verbessert. Und trotzdem sehen die Gemeinden Handlungsbedarf, weil die Hauptherausforderung der neuen Verwaltungsstruktur nicht das Geld, sondern die Sicherung des Fachkräftepotenzials ist. Das ist das große Problem. Und in den Verwaltungsgemeinschaften mit durchschnittlich zehn Vollbeschäftigteneinheiten habe ich eben weder Einstiegsoptionen für Fachkräfte noch Aufstiegsoptionen. Und ich bekomme keine Fachkraft mehr für eine E- oder A8. Da bekomme ich einen ordentlichen Facharbeiter, aber ich bekomme keinen Kämmerer mit einem Hochschulabschluss. Das ist so, und von daher: Das ist das Hauptmotiv, weshalb sich Gemeinden aufmachen, diese Reform umzusetzen.

Eine letzte Anmerkung zu den Verwaltungsgemeinschaften, weil Herr Fiedler wieder nicht müde wird, irgendwo einen Konflikt zwischen dem Leitbild der Landesregierung und den Eckpunkten des Thüringer Landtags, die im Dezember verabschiedet wurden, zu erkennen: Bewusst – aus meiner Sicht auch richtig – ist im Leitbild der Landesregierung formuliert, dass die Verwaltungsgemeinschaften zukünftig keinen Bestandsschutz mehr haben. Jetzt könnte ich wieder juristisch argumentieren: Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, das ist das Ziel.

Wir sind jetzt in einer Freiwilligkeitsphase und wissen, wenn wir Anträge auf Freiwilligkeit umsetzen wollen, müssen wir für die, die sich noch nicht entschieden haben, mitdenken und Übergangslösungen schaffen.

Da ist wieder das typische Beispiel Ilmenau. Wir können eben Gehren und Pennewitz nur dann nach Ilmenau eingemeinden, wenn wir für die zwei übrigen Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft „Langer Berg“, nämlich Herschdorf und Neustadt, eine Lösung finden. Die Lösung ist jetzt da ab 01.01.2019, weil sich inzwischen Herschdorf und Neustadt für den Eintritt in die Landgemeinde Großbreitenbach entschieden haben. Das war zu Beginn des Gesetzentwurfs noch nicht klar. Trotzdem müssen wir eine Übergangslösung schaffen. Die Übergangslösung ist, dass beide Gemeinden jetzt schon in die Verwaltungsgemeinschaft Großbreitenbach gehen; ursprünglich hätten wir sie durch Ilmenau erfüllen lassen müssen, aber um eine Mehrfachveränderung innerhalb von wenigen Monaten auszuschließen, machen wir das jetzt gleich so. Das ist vernünftig, aber es ist eine Übergangslösung. Sonst hätten wir Ilmenau auch erst zum 01.01.2019 neu ordnen können. Da hätten Sie aber wieder in gleichem Maße protestiert und hätten gesagt: Wieso verzögert ihr das weiter, Ilmenau möchte gern jetzt neu strukturiert werden? Übrigens wollten die das schon zum 01.01.2018, von daher sind wir in dieser Situation, das ist klar. Aber Veränderungen bei den Verwaltungsgemeinschaften und den erfüllenden Gemeinden – so sieht das unsere Fraktion und ich habe auch bei den anderen beiden Regierungsfraktionen Gleiches zur Kenntnis genommen – sind Übergangslösungen. Am Ende muss das Leitbild stehen. Wann das Ende sein wird, ist noch nicht entschieden, ist noch nicht Gegenstand der jetzigen Debatten. Wir debattieren jetzt über freiwillige Gemeindeneugliederungen. Das, was Herr Fiedler angesprochen hat, dass manches nicht leitbildkonform ist, bezieht sich auf jetzt vorliegende Anträge. Da gibt es aber erst einmal eine Kabinettsbefassung, da ist der Landtag noch gar nicht dabei, da werden wir im Herbst dann Gelegenheit haben, umfassend dazu zu debattieren.

Insofern vielen Dank an alle, die konstruktiv an diesem Prozess mitgewirkt haben, meinen Glückwunsch an die betroffenen Gemeinden, sie können ab Juli dann in den neuen Strukturen agieren. Es werden weitere Gemeinden noch in diesem Jahr folgen, die dann ab 2019 neu gegliedert sind. Dann kann der Wähler durchaus einen Vergleich durchführen, welches Konzept besser ist: ein Konzept, planlos wie die CDU, entgegen jeden landesplanerischen und raumordnerischen Grundsätzen, oder ein Reformansatz, für den sich Rot-Rot-Grün entschieden hat auf Grundlage eines Leitbilds. Danke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Herr Abgeordneter Worm, für den Vorwurf „selten dämlich“ muss ich Ihnen einen Ordnungsruf erteilen.

Dann kommen wir jetzt zur Frau Abgeordneten Scheerschmidt für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Bürgermeisterkollegen – ich habe Sie bereits begrüßt – bzw. ehemalige Kollegen – ich war ja auch 18 Jahre Bürgermeister einer Gemeinde.

Das erste freiwillige Neugliederungsgesetz, das wir heute hier beschließen und verabschieden möchten: Wir haben bereits eine lebhafte, hitzige Diskussion hier gehört, ich möchte mal auf einen anderen Aspekt eingehen, wo ich auch nicht müde werde, das immer zu thematisieren. 1990 lebten im Freistaat 2,61 Millionen Einwohner. Im Jahr 2035 werden es nicht mal mehr 1,88 Millionen sein. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter: Derzeit haben wir circa 1,3 Millionen Erwerbstätige im Freistaat, es werden dann noch circa 950.000 sein, das heißt 350.000 Erwerbstätige weniger. Das heißt aber auch, 350.000 Arbeitskräfte fehlen, 350.000 Steuerzahler fehlen. Das sind Fakten. Demgegenüber stehen aber dann circa 34 Prozent der Bevölkerung mit einem Lebensalter von mindestens 65 Jahren. Diese Veränderung der Bevölkerungsstruktur wird sich natürlich in Thüringen territorial unterschiedlich auswirken – das ist klar –, aber es wird den Freistaat in Gänze betreffen und es wird gravierende Auswirkungen auf die finanzielle Ausstattung des Freistaats und natürlich auch auf die Ausstattung der Kommunen haben. Wenn es uns im Moment auch gut geht und die Steuerquellen sprudeln, die Kurve der Finanzeinnahmen des Landes wird nach unten gehen; wir brauchen nicht die Augen davor verschließen. Das wird natürlich auch Auswirkungen auf die angemessene Finanzausstattung haben. Ich denke, wir wissen das alle: finanzielle Mindestausstattung, angemessene Finanzausstattung; das eine unabhängig von der Finanzkraft des Landes, das andere abhängig von der Finanzkraft des Landes. Die Einnahmen werden geringer. Wenn wir 34 Prozent der Bevölkerung mit mindestens Lebensalter 65 haben, wird demgegenüber die Nachfrage an sozialen Leistungen sprunghaft ansteigen. Diese Kurve wird im Vergleich zu den finanziellen Einnahmen nach oben gehen.

Wir müssen die Herausforderungen der IT-Entwicklung, der Digitalisierung stemmen, aber unsere Kommunen, unsere Städte müssen auch wettbe

werbsfähig sein. Wir brauchen Standortattraktivität. In Thüringen haben wir kleine und mittelständische Unternehmen, wir suchen Fachkräfte. Für eine Fachkraft ist es zunehmend nicht mehr in erster Linie unbedingt der Lohn, sondern es ist ein attraktives, ein lebenswertes Umfeld mit Infrastruktur. Größere Verwaltungseinheiten haben ganz einfach andere Spielräume, in freiwillige Leistungen im Bereich Kultur, Sport, aber auch Jugend und Familie zu investieren. Es ist Fakt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stichwort Europa: Wir brauchen Europa. Thüringen profitiert von der europäischen Förderung. Gerade die kleinen Kommunen, die von diesen Förderungen partizipieren könnten, die können Förderprogramme gar nicht nutzen, weil sie – der Kollege Kuschel hat es gesagt – gar nicht die nötige Manpower in ihren Verwaltungen haben, um diese Programme überhaupt zu handeln; ob das Quartierförderung ist, ob das Städtebauförderung ist. Es ist nicht leistbar, denn die kleinen Kommunen haben nicht die Fachkräfte, die das händeln können.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Nein, das ist kein Quatsch. Wir erleben, dass dort sehr fleißige Sachbearbeiter sitzen, aber dass kompetente Bearbeiter fehlen. Es ist in vielen Verwaltungsgemeinschaften so, dass Kommunen für Hoch- und Tiefbauarbeiten teure externe Ingenieurbüros beauftragen müssen, weil im Bauamt ganz einfach die entsprechenden Fachkräfte nicht da sind, weil sie nicht bezahlt werden können.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da kann man diskutieren, wie man will, da guckt man in die Verwaltungen rein: Es ist oft schwer, die Aufgaben des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises überhaupt noch zu erfüllen.

Aber Gemeindefusionen haben nicht nur einen Effekt nach innen. Ich war gestern – der Kollege Bühl war auch da – zur Regionalkonferenz des Regionalverbandes. Die Dachverbände, Dachorganisationen, übergeordneten Behörden, die jetzt über 800 Kommunen in verschiedensten Dingen befragen müssen, statistisch erfassen müssen, Zuarbeiten erwarten, auch dort kann Verwaltungspersonal eingespart werden. Die Arbeit kann verschlankt, die Verwaltung kann viel einfacher gestaltet werden, wenn ich nicht 800, sondern wenn ich nur 400 Kommunen dort mit meinen Datenerhebungen befragen muss. Das macht auch dort die Arbeit einfacher und übersichtlicher. Ich sage es noch einmal: 350.000 Arbeitsplätze stehen uns in Zukunft nicht mehr zur Verfügung und die Einnahmen gehen nach unten. 40 Prozent unserer Kommunen haben unter 500 Einwohner. Diese Zahlen spre

(Abg. Kuschel)

chen für sich. Das kann man schlechtreden und das kann man ausblenden. Das sind Fakten, vor denen können wir uns nicht verschließen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann dieses erste Neugliederungsgesetz schlechtreden, man kann das Leitbild so oder so interpretieren. Das kann man tun, aber die Fakten kann man nicht wegdiskutieren. Und, Herr Kuschel hat es gesagt, es ist egal, es wird in Zukunft egal sein, welche Farbe die regierungstragenden Parteien in diesem Freistaat haben. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, und es müssen noch weitere folgen – auf freiwilliger Basis. Man muss natürlich immer schauen, dass man das öffentliche Wohl im Auge hat; dabei muss es sehr wohl auch Übergangslösungen geben. Den Aspekt, dass sich Gemeinden nur aus finanziellen Notzwängen zusammenfinden, muss ich zurückweisen. Wir haben hier schon Ilmenau, Bad Salzungen gehört. Die Gemeinde Springstille aus meinem Heimatbezirk, die finanziell super dasteht, abundante Gemeinde, die hat überhaupt keine Not zu fusionieren. Aber die Gemeinde hat einen sehr sinnigen Bürgermeister, und dort hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Es stimmt nicht, dass es nur Gemeinden betrifft, die finanziell in Schieflage sind und nur wegen des Geldes fusionieren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da kann man hier polemisch hertreten – vielleicht auch in einer unangemessenen Überheblichkeit – und von „Konsumtüten“ reden. Für die Zukunft dieses Landes gibt es keine Alternative;

(Unruhe AfD)

wir müssen größere Einheiten schaffen; unsere Kleingliedrigkeit hemmt nicht nur Thüringen und unsere Kommunen in ihrer Leistungsfähigkeit. Und da kann man Ängste schüren – wir kommen dort nicht umhin, die Fakten liegen auf der Hand. Jeder, der ein wenig politische Verantwortung für dieses Land besitzt, muss einsehen, dass es in Zukunft außer Gemeindezusammenschlüssen keine andere Möglichkeit gibt, damit wir die Leistungsfähigkeit dieses Landes erhalten und die Aufgaben, die in Zukunft auf uns zukommen, überhaupt noch lösen können. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. Als Nächster hat Abgeordneter Henke für die AfD-Fraktion das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Werte Abgeordnete, werte Gäste, um es hier gleich auf den Punkt zu bringen: Der vorliegende Gesetzentwurf zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden leidet im Wesentlichen an drei Punkten. Zunächst einmal erfolgt eine nicht unerhebliche Anzahl der geplanten Fusionen in Wirklichkeit nicht freiwillig. Zudem berücksichtigt er bei einer Vielzahl der geplanten Fusionen auch nicht die Belange kleinerer Gemeinden, wie sie sich im Rahmen des schriftlichen Anhörungsverfahrens offenbarten. Und er beinhaltet schließlich auch Regeln, die im erheblichen Maße in die kommunale Personalhoheit eingreifen.