Protocol of the Session on May 25, 2018

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es muss wieder möglich sein, dass diejenigen, die etwas mehr im Geldbeutel haben, genau auf dem

selben Flur wohnen wie diejenigen, die nicht so viel Geld im Beutel haben.

Wir haben an das Thema „ThINKA“ erinnert: Hier haben wir auch gemeinsam Richtlinien umgesetzt, haben den Kommunen ein Instrument an die Hand gegeben, um Armutsprävention vor Ort in den Kommunen durchzuführen. Das ist ein guter Schritt, und auch hier wissen wir, dass er von den kommunalen Gebietskörperschaften genutzt wird. Das kostenfreie Kita-Jahr ist erwähnt worden, Herr Thamm, und ich denke, hier haben wir, Rot-Rot-Grün, geliefert. Weitere Schritte werden sicher in einer weiterfolgenden Koalition kommen.

Das Thema „Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktprogramme“: Ich finde es schon sehr absurd, wenn man hier sagt, es ist unnütz. Wir brauchen diese Arbeitsmarktprogramme und die Kolleginnen und Kollegen auf der Tribüne werden das bestätigen: Menschen fühlen sich gut und sehr aufgenommen in diesen Programmen, um endlich aus der Stigmatisierung rauszukommen und ihr Leben auch wieder selbst ein Stückchen in die Hand zu nehmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beim Thema „Gemeinschaftsschulen“, Herr Thamm, kommen wir nicht zueinander. Es ist gut, dass wir sie in Thüringen haben.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir können so viele gute Programme und Ideen hier in Thüringen entwickeln, wie wir wollen, Dreh- und Angelpunkt ist für mich, für uns als Linke, dass natürlich die Armutsbekämpfung da ansetzen muss, wo sie auch gesetzlich normiert ist, und zwar im Bund. Für mich fällt die Expertise dabei eindeutig aus: In den letzten Jahren hat der Bund eigentlich nicht so sehr viel Gutes gemacht, um Armutsprävention auf den Weg zu bringen, sondern Gesetze sind immer wieder so gestrickt worden, dass viele Fallstricke auf den Weg gebracht worden sind, um Menschen nicht aus der Armut zu holen. Oder ich will es mal anders sagen: Meiner Meinung nach hat die Bundesregierung in den letzten Jahren beim Kampf gegen Armut einfach versagt.

(Beifall DIE LINKE)

Aus Sicht eines von Hartz IV Betroffenen könnte ich es auch so formulieren: Diese Menschen müssen sich bewerben, sie müssen nachweisen, welche Anträge sie gestellt haben. Das hat die Bundesregierung in den letzten Jahren nicht gemacht. Für mich käme da einfach die Forderung auf, ich hätte schon eine Sanktionierung auf den Weg gebracht, vielleicht hätte ich der Bundesregierung sogar schon die Leistungen gekürzt, weil wirkliche Armutsprävention nicht im Vordergrund steht. Kollegin Pelke hat vorhin darauf hingewiesen, dass der Bundesgesundheitsminister Spahn natürlich mit sehr negativen Schlagzeilen gleich in die Bütt gegangen

ist, nachdem er vereidigt worden ist. Ich glaube, von 416 Euro Hartz IV im Monat kann keiner leben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine Zumutung, wenn Menschen mit 416 Euro im Monat leben müssen; zu Recht haben die Sozialverbände dazu ihren Protest artikuliert.

Gern will ich auch noch mal unsere Forderung als Linke an der Stelle wiederholen, weil ich auf den Anfang zurückkomme: Auf Bundesebene müssen auch gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Armut zu verhindern. Da bin ich beim Thema „Mindestlohn“ von mindestens 12 Euro, wenn nicht sogar noch mehr, um später eine Rente in Würde zu erreichen. Da bin ich bei einer sanktionsfreien Mindestsicherung von zurzeit mindestens 1.050 Euro netto im Monat. Da bin ich bei dem Thema „Sozialversicherungspflicht“, auch bei Mini- und Midijob. Da bin ich bei einem Kindergeld von 328 Euro, welches erhöht werden müsste, um Kinderarmut aufzulösen. Da bin ich auch bei der Forderung, das Kindergeld dürfte nicht auf Hartz IV angerechnet werden oder auf SGB XII, denn Kinder haben sonst nichts von diesen Erhöhungen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letztes Thema will ich noch mal sehr explizit hier erwähnen, das Thema „Rente“. Wir brauchen den Weg zurück zu einer Rente von mindestens 53 Prozent des ehemaligen Nettoeinkommens, denn das, was heute auf den Weg gebracht worden ist mit den 48 Prozent, produziert Altersarmut, Kolleginnen und Kollegen, die hier im Hause sitzen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich habe mir vor wenigen Tagen eine Renteninformation von einem jungen Mann angeschaut, 31 Jahre. Er übt das Handwerk aus, über das gestern hier so stolz gesprochen wurde. Er ist Zimmermann und Dachdecker, 31 Jahre alt. In seiner Renteninformation, die er vor wenigen Tagen erhalten hat, standen folgende gespeicherten Daten von 2004 bis 31.10.2017 – also vom 16. Lebensjahr bis zum 30. letzten Jahres –, das ergibt nach heutigen Hochrechnungen einen Rentenstand von höre und staune: 193,41 Euro. Mit Rentenbeginn am 01.08.2054 – das liegt für uns weit in der Ferne – steht als Betrag drin: 1.174 Euro. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage eindeutig: Das ist Altersarmut, die wir mit Löhnen auch in diesem Gewerk bei wirklich anstrengender Arbeit perspektivisch produzieren. Zurzeit sind die 6,5 Rentenpunkte, die der junge Mann auf dem Konto hat, einfach viel zu wenig.

(Beifall DIE LINKE)

Er hat sich nicht – wie vielleicht behauptet – in eine soziale Hängematte zurückgezogen. Er geht auf Arbeit, er geht auf Montage und trotzdem sprechen diese Zahlen im Moment für sich selbst.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt erwähnen, werte Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam haben wir hier im Landtag – ich denke, es war im Februar dieses Jahres – das Thema „DDR-geschiedene Frauen“ beredet und behandelt. In einem Antrag der CDU-Fraktion, den wir als Koalition mitgetragen haben, ist aufgefordert worden – ich zitiere, Frau Präsidentin –: Auf Bundesebene soll sich die Landesregierung einsetzen für die Errichtung eines steuerfinanzierten Entschädigungsfonds für die in der DDR geschiedenen Frauen. Der Entschädigungsvorschlag soll zügig und in Abstimmung mit den betroffenen Verbänden wie dem Verein der DDR-Geschiedenen erarbeitet werden und schnellstmöglich in Kraft treten. – Das ist ein guter Antrag, gar keine Frage. Aber dann schaue ich mir mal die Protokolle des Deutschen Bundestags von März/April dieses Jahres an. Dann bin ich schon etwas enttäuscht und traurig, wenn ein Antrag mit genau so einem Inhalt im Moment abgelehnt wird, dass die DDR-Geschiedenen wieder vertröstet werden mit der Option, dass man erst mal eine Kommission auf den Weg gebracht hat und schon was klären wird. In der Zwischenzeit haben viele Frauen, die von dieser Thematik betroffen sind, leider vielleicht ihr Lebensende erreicht. Ich denke, hierhin gehört auch eine gute Kommunikation mit Ihrer Bundestagsfraktion, Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, damit solche Anträge, die wir hier auf den Weg bringen, auch wirklich mit Inhalt und Verlässlichkeit beschlossen werden, und nicht, dass man hier sich im Thüringer Landtag hinstellt: Wir haben was getan, aber in Berlin, im Bund wird es abgelehnt. Danke schön. Ich bitte um Zustimmung für unseren Antrag. Recht herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat Abgeordnete Herold das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Besucher auf der Tribüne und Zuschauer im Netz! Sehr geehrter Herr Kollege Thamm, Sie haben ja gerade eingangs Ihrer Rede die Bundesregierung gelobt für die Einsetzung einer Rentenkommission. Ich hoffe und wünsche denen, die die Fürsorge dieser Rentenkommission angeht, dass die Bundesregierung an der Stelle ein bisschen schneller zu Ergebnissen kommt als dazumal bei der Behandlung des Themas der in der DDR geschiedenen Frauen, bei der

es 28 Jahre lang gedauert hat und sich der Kreis der Anspruchsberechtigten durch die biologische Lösung von 800.000 auf 350.000 praktisch selbst reduziert hat. Hoffen wir also, dass die jetzige Bundesregierung da ein klein bisschen schneller ist.

(Beifall AfD)

Der heute zur Diskussion stehende Antrag behandelt ein ernstes und immer präsentes Thema – die Armutsfrage. In meinen Augen erscheint mir dieser Antrag auf den ersten Blick wie eine Art sozialpolitischer Kleinvulkan. Da hat sich vieles bei den Koalitionsfraktionen aufgestaut und sich dann letzten Endes wie eine Art Dekompensation in die Produktion von Papierbergen entladen. Jetzt haben wir seit fast anderthalb Jahren Anhörungen und unendlich viele Ausschusssitzungen später einen Antrag, der so vielfältig wie ein Sommereintopf ist und viele Dinge enthält, die erst mal nichts miteinander zu tun haben. Es fehlt der rote Faden.

Aber wir greifen trotzdem mal ein paar Punkte heraus. Auch Punkt 1, der jetzt zwar mit der Regierungserklärung und auch mit der Anhörung erledigt ist, kommt mir vor wie so eine Art großes gesellschaftspolitisches Sündenregister und so eine Rückversicherung für das eigene sozialpolitische Gewissen. Da wird alles hineingeworfen, was von der Rentenlücke über die Dorferneuerung bis zur Schulabstinenz und zum integrativen Schulkonzept geht. Das ist alles richtig und einzeln wichtig, aber es hat keinen inneren Zusammenhang. Ich kann daraus nicht erkennen, was das alles bringen soll, wenn man das alles mit einem großen Schwaps behandeln möchte, in Zukunft eine – sage ich mal – wirklich armutsfeste, gesellschaftliche Politik zu betreiben. Das meiste von dem, was hier behandelt oder vorgetragen wurde, ist auch dem durchschnittlich informierten Zeitungsleser bekannt.

Punkt 1, Kinder- und Jugendarmut, belegt es beispielhaft. Da gibt es zu den Lebenslagen von Kindern in Thüringen ernüchternde Zahlen. Jedes siebente Kind unter 18 ist im vergangenen Jahr auf Hartz IV angewiesen gewesen, bei Kindern unter drei Jahren lebt demnach sogar jedes sechste Kind in einer Familie, die Grundsicherung bezog. 50.000 Kinder in Thüringen sind zur Sicherung ihres Existenzminimums von staatlichen Transferleistungen abhängig. Das sind ungefähr 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen im Freistaat. Es gibt große regionale Unterschiede, ein deutliches Gefälle zwischen Stadt und Land. Im Eichsfeld- und Wartburgkreis – das ist vorbildlich – sind es nur 8 Prozent der Minderjährigen, während in Gera, in Erfurt und in Eisenach die jeweiligen Quoten deutlich über 20 Prozent liegen. Die Kinderarmut konzentriert sich also auf die Großstädte. Und da es die Zahlen von 2017 sind, stellt sich mir hier die Frage, welche Rolle auch die Zuwanderung von Fa

(Abg. Stange)

milien mit vielen Kindern in die Sozialsysteme gespielt hat.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat ja nur 2 Minuten ge- dauert! An allem sind immer nur die Zuwan- derer schuld! Immer diese alte Leier!)

Wir reden hier nicht von Schuld, sondern von Tatsachen. Die Leute sind nicht daran schuld, wenn sie dahin gehen, wo es Geld gibt, schuld sind die daran, die sie dazu ermuntern und ermutigen und dann hier in Hartz IV einfach hängen lassen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie sind so menschenver- achtend, das kann man kaum beschreiben!)

Ein anderes Schlaglicht wirft der Kindersozialbericht auf das Schicksal der Alleinerziehenden, die in allen Redebeiträgen entsprechend gewürdigt wurden, wobei ich persönlich aber die Rezepte vermisse. Das Einzige, was es in den letzten Jahren dazu gab, war die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, was durchaus gerechtfertigt und dringend erforderlich war. Ein Drittel der Thüringer Alleinerziehenden mit einem Kind und die Hälfte der Alleinerziehenden mit mindestens zwei Kindern leben unter dem Existenzminimum. Familien mit drei und mehr Kindern gehören zu den am meisten von Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen. Es ist ein großes und ausuferndes Problem, dem sich aber die politisch Verantwortlichen bisher nicht in dem Maße gestellt haben, wie es dringend erforderlich wäre. Ich frage mich an der Stelle schon lange, warum wir nicht einfach da mehr zur Primärprävention greifen. Jeder redet über die Armut von Alleinerziehenden. Primärprävention, das sind für die, die hier mit dem Begriff nichts anfangen können, Handlungen, die dazu beitragen, dass eine Krankheit überhaupt erst gar nicht ausbricht. Da wäre es doch an der Stelle, wenn Armut in Alleinerziehung so ein riesengroßes Risiko ist und so eine ernsthafte Bedrohung auch für das Kindeswohl – und das sehe ich durchaus so –, mal angebracht, zu fragen: Was können wir dann als Gesellschaft tun, um das Schicksal Alleinerziehung erst gar nicht aufkommen zu lassen. Die Jugendlichen wünschen sich nach einer Bertelsmann-Studie und vielen anderen Dingen dringend nichts mehr als eine Familie und zu einer Familie gehören in erster Linie Vater, Mutter und Kind.

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Was ist denn das für ein Bild?)

Dann müssen wir uns doch fragen, was wir tun können, um dieses System stabil zu halten, und wenn es in die Krise kommt, gesellschaftliche Instrumente zu entwickeln und anzubieten, um den jungen

Leuten das Schicksal Alleinerziehung möglichst zu ersparen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Stange, DIE LINKE: Sie sprechen Alleinerziehenden die Erziehungs- kompetenz ab!)

Die Alleinerziehenden kommen häufig in die Lage, arm zu sein und auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein, weil sie ihre Erwerbstätigkeit nicht im gewünschten Maße ausüben können. Das geht hier auch anderen so. Teilzeit ist oftmals ein unfreiwilliges Schicksal. Da sollte man auch ein Auge darauf werfen und sagen: Schauen wir doch mal, was können wir denn tun, damit die Alleinerziehenden Vollzeitstellen annehmen können. Wie können wir die Kinderbetreuung – auch die finanzielle Seite der Kinderbetreuung – so organisieren, dass sich auch alleinerziehende Väter oder Mütter diese Kinderbetreuung wirklich leisten können

(Beifall AfD)

und nicht in dem Moment ins Minus rutschen, wenn sie einen teuren Kita-Platz in Jena, Gera, Weimar oder Erfurt annehmen müssen, um in irgendeinem schlecht bezahlten Job arbeiten gehen zu können und am Ende wieder zum Amt laufen zu müssen, weil sie Wohngeld beantragen müssen. Da sollten wir wirklich mal energisch tätig werden.

(Beifall AfD)

Auf die Rentenproblematik möchte ich hier – außer dem Hinweis auf die Rentenkommission der Bundesregierung – nicht weiter eingehen. Wir haben uns mit unseren Anträgen im Februar-Plenum ausführlich und detailscharf dazu geäußert. Hier liegen die Dinge dank der Schröderschen Agenda-Politik so stark im Argen, dass diese nicht im Rahmen einiger Unterpunkte eines insgesamt etwas überladenen Pro-Forma-Antrags zur Armutsprävention abgehandelt werden können.

Zum inklusiven Schulwesen bleibt zu sagen: Was soll ein inklusives Schulwesen zur Armutsbekämpfung beitragen? Lernerfolge in leistungshomogenen Gruppen sind im Durchschnitt höher als in leistungsheterogenen Gruppen.

(Beifall AfD)

(Zwischenruf Abg. Dr. Lukin, DIE LINKE: Wer hat Ihnen denn diesen Blödsinn erzählt?)

Das hat sich mittlerweile in der Bildungsforschung weit herumgesprochen. Von dieser gesicherten pädagogischen Erkenntnis abweichend beharren Sie in Ihrem Antrag auf ertraglosen Ideologieprojekten.