Dabei gab es gerade in Thüringen in diesem Jahr beachtenswerte Beiträge zur Auseinandersetzung mit den Wirkungen auf Gesellschaft, Politik und Kunst im Ergebnis der der Oktoberrevolution folgenden Umbrüche in der Welt, die bis heute in unterschiedlichen Maßen und Formen fortbestehen. So war die russische Oktoberrevolution 1917 Thema des diesjährigen Kunstfestes in Weimar. In Theater, Musik, Film und Literatur wurde der analytische Blick, die Aufarbeitung von Geschichte durch Zeitzeugen und deren Nachgeborenen thematisiert. Auch der Weimarer Verein Museion lud zur Kunstausstellung ein, der die Oktoberrevolution und die russische Avantgarde als Schaffensinspiration zugrunde lagen. Allesamt, meine Damen und Herren, Beiträge zur Debatte, die unvergleichlich sachlicher, konstruktiver, differenzierter und vor allem wertvoller waren als der Beitrag der AfD heute in diesem Plenum.
Für die Linke – und damit meine ich sowohl die Partei als auch die linke politische Bewegung – muss eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Wirkungen, Leistungen und Fehlleis
tungen der russischen Revolution 1917 als eines der zentralen historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts weiter vorangetrieben werden. Die Linke kann dabei auch positiv an die Tradition radikaler und aktiver Kriegsgegnerschaft, den entschlossenen und organisierten Kampf gegen kapitalistische Verhältnisse und den mit ihnen verbundenen Fortschritten bei der Gleichstellung der Geschlechter, dem Brechen des bürgerlichen Bildungsprivilegs und kulturellen Leistungen anknüpfen. Sie muss sich aber auch dem Geschehen, den Erfahrungen und konkreten Erlebnissen stellen, die nach meiner Überzeugung von nicht mit den Idealen des Sozialismus vereinbarendem Unrecht, Verfolgung, Beschränkung von Grund- und insbesondere politischen Freiheitsrechten zeugen. Ich sage ganz deutlich: So wie es keinen Sozialismus ohne Demokratie geben kann, gibt es auch keine sozialistische Zukunft, ohne sich dem Unrecht und auch den im Namen vermeintlich sozialistischer Ideale begangenen Verbrechen zu stellen.
Und genau dieser differenzierte Blick tut not und ist notwendig. Politische und ideologische Ziele stehen einer tatsächlichen Aufarbeitung von Geschichte, im Übrigen auch von Geschehnissen der Gegenwart, nicht nur im Weg, sondern verhindern diese auch mit diesem undifferenzierten Blick. In diesem Sinne wünsche ich mir mehr differenzierte Beiträge, wie wir sie in den letzten Wochen gehört haben. Ein solcher Beitrag ist von der AfD heute nicht vernommen worden. Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Besucher auf der Tribüne! Lassen Sie mich voranstellen, dass ich mich hier und jetzt in den verbleibenden fünf Minuten nicht an einem historischen oder wie auch immer gearteten Vergleich zwischen stalinistischer Diktatur und Linksextremismus beteiligen werde. Das wird den Opfern nicht gerecht.
Aber ich will etwas zum Ausmaß und zur Gewaltbereitschaft des Linksextremismus sagen, gerade nach den unvorstellbaren Gewaltexzessen anlässlich des G20-Gipfels im Sommer dieses Jahres in Hamburg mit über 500 verletzten Kolleginnen und Kollegen der Polizei, darunter mindestens auch 13 Verletzte aus Thüringen.
Vielleicht vorab kurz ein paar Fakten: Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnete dem gewaltorientierten, linksextremistischen Spektrum Ende 2016 insgesamt 8.500 Personen zu, darunter 6.800 Autonome. Von den insgesamt 5.230 Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund waren insgesamt ein Viertel, genau 1.201, linksextremistisch motivierte Gewalttaten. Der Blick nach Thüringen offenbart alarmierend, dass sich hier die Anzahl der Gewaltdelikte in dem Zeitraum von acht auf 15 nahezu verdoppelte. Das alles zeigt, dass trotz gleichbleibenden Zahlen von den bekannten 130 Linksautonomen in Thüringen die Szene insgesamt keinesfalls zu vernachlässigen ist. Mein Kollege Fiedler hatte erst vor wenigen Wochen hier an gleicher Stelle ausführlich auf die Entwicklung und vor allem auf das extreme Gewaltpotenzial der linksextremistischen Anhänger und insbesondere auch auf die Verrohung der Gesellschaft hingewiesen.
Auch die Verfassungsschützer der Länder haben im linksextremistischen Bereich fast unisono festgestellt, dass die Hemmschwelle im Hinblick auf Gewalt, insbesondere auch Gewalt gegen Polizisten, von Jahr zu Jahr sinkt. Denn Fakt ist mittlerweile doch eines: Linksextremismus ist keine Randerscheinung, sondern vielmehr eine besorgniserregende und sehr ernst zu nehmende Gefahr für unsere Gesellschaft. Diese Gefahren und Ideologien sind genauso zu verhindern und genauso zu bekämpfen wie jedwede Entstehung von Rechtsextremismus oder auch Islamismus. Es ist sicherlich kein Zufall, dass in Thüringen, ausgerechnet in Thüringen, die Angst vor politischem Extremismus mit 67 Prozent der Befragten einen bundesweiten Spitzenwert einnimmt; die Durchschnittszahlen im Bund liegen bei 62 Prozent.
(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Das hat vielleicht was mit den Rechtsrock- Konzerten mit Tausenden Nazis zu tun?)
Und ich finde es ausgesprochen bemerkenswert, dass in einer aktuellen Umfrage der „Thüringer Allgemeinen“ über die Hälfte, also 53 Prozent, der Thüringer der Aussage zustimmen, die Polizei habe Linksradikale zu wenig im Blick. Nach Parteipräferenz sehen dies 53 Prozent der Anhänger der CDU so, aber – und das ist, denke ich, doch sehr erstaunlich – auch 53 Prozent der mutmaßlichen Linke-Wähler stimmen dieser Aussage zu.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir sagen deshalb schon immer: Bei der Bekämpfung von Extremismus darf weder das rechte noch das linke Auge blind sein. Eine wehrhafte Demokratie benötigt daher eine starke, eine offene Gesellschaft, aber auch eine starke Sicherheitsarchitektur und damit einen starken Verfassungsschutz – einen Verfassungsschutz, der gerade bei den aktuellen Herausforderungen in der Lage sein muss, seine Aufgaben auch angemessen zu erfüllen. Ganz im Wider
spruch dazu haben die Linken fast genau vor einem Jahr bei ihrem Parteitag in Eisenberg beschlossen, den Verfassungsschutz abzuschaffen.
Und wenn ich dann an den Umgang der Linken und von Teilen der Grünen mit dem Verfassungsschutz und seinem Präsidenten denke, dann mache ich mir große Sorgen. Ich kann nur hoffen,
dass auch der neue Innenminister Georg Maier die Kraft besitzt und dem Versuch standhält, das Verfassungsschutzamt weiter zu schwächen. Unsere Unterstützung, Herr Minister Maier, haben Sie in jedem Fall.
Abschließend will ich jetzt nicht noch sämtliche Forderungen wiederholen, die meine Fraktion erst vor wenigen Monaten hier im Plenum zur Bekämpfung von Linksextremismus eingebracht hat. Zwei wesentliche Punkte greife ich aber dennoch auf: erstens die Schaffung einer gemeinsamen Verbunddatei „Linksextremismus“ auf Bundesebene nach dem Vorbild bestehender Antiterror- und Rechtsextremismusdateien und zweitens die Aufstockung des Amts für Verfassungsschutz. Das Amt agiert bereits jetzt an der personellen Grenze, um den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen. Das sage nicht ich, sondern das sagt der amtierende Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Meine Fraktion will daher den Verfassungsschutz ganz konkret in drei Bereichen personell stärken: im Bereich Islamismus, im Bereich Rechtsextremismus und im Bereich Linksextremismus. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank. Als nächster Redner hat Abgeordneter Adams, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, zunächst einmal ist es schön und zu begrüßen, dass die AfD das Konzept historischer Verantwortung langsam zu verinnerlichen scheint. Aber, Herr Höcke, in diesem Zusammenhang muss ich Sie natürlich fragen, gerade unter Berücksichtigung Ihrer Dresdner Rede: Wann erkennen Sie denn die gesamte deutsche Verantwortung für die Schoah an?
Es ist bemerkenswert widersprüchlich und inkonsistent, wenn die AfD in ihrer Begründung folgenden Satz schreibt: „Die historische Verantwortungslinie der Thüringer Politik reicht von der Oktoberrevolution über die stalinistische Verfolgung bis zum hierzulande aktiven gewaltbereiten Linksextremismus.“ Wollen wir uns diese Linie, meine sehr verehrten Damen und Herren, einmal sachlich anschauen. Die Oktoberrevolution und die Thüringer Verantwortung dafür: Richtig ist, das ist auch bekannt, dass Deutschland damals die Bolschewiki unterstützt hat und dass sie es Lenin ermöglicht hat, nach Sankt Petersburg oder Petrograd zu reisen, und ihn dort hingebracht hat. Literarisch mehrfach verarbeitet, meine sehr verehrten Damen und Herren – unbestritten! Aber eine Antwort darauf, wo der Thüringen-Bezug hier für die Oktoberrevolution herkommt, die Sie ja in einer Verantwortungslinie sehen, bleibt die AfD natürlich schuldig.
Herr Möller, Sie hatten Zeit, dies hier zu erklären, aber Sie haben es nicht und Sie können das auch nicht, weil kein vernünftiger Historiker diesem Unfug auch in irgendeiner Form eine belastbare Grundlage geben würde.
Dann sind Sie in die stalinistische Verfolgung gegangen. Unbestritten ist, dass Lenin die Radikalität als Grundlage bildete, die natürlich später unter Stalin zum Stalinismus wurde und in den Säuberungen und Verfolgungen gemündet ist. Unbestritten! Jetzt muss man sich das aber historisch noch mal vor Augen führen. Ein markantes Beispiel hierbei ist die von Stalin mutwillig ausgelöste Hungerkatastrophe in der Ukraine, ein Unrecht, das in der Ukraine immer noch sehr lebendig ist. Und da frage ich die AfD und Herrn Rudy und Herrn Kießling: Wo war Ihre historische Verantwortung, als Sie in die Ostukraine gereist sind und den russischen Separatisten den Rücken gestärkt haben? Wo ist Ihre historische Verantwortung?
Da müssen Sie sich sehr an Ihre Nase fassen, Herr Möller, und nicht mit ausgestrecktem Finger auf andere zeigen.
Thüringen heute – auf der Fläche der früheren DDR-Kreise Erfurt, Gera und Suhl – hat natürlich auch eine Vergangenheit, in der wir Stalinismus aufzuarbeiten haben. Alle Landesregierungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, seit der
friedlichen Revolution haben sich dieser Verantwortung gestellt und Aufarbeitung ermöglicht. Und um das für alle Menschen klarzustellen, hat diese Regierungskoalition das explizit in ihrem Koalitionsvertrag im Leitsatz, in der Präambel, verankert. Wer das nachlesen möchte: auf der Seite 6, Mitte unterer Abschnitt. Da sind alle wesentlichen Punkte im Bekenntnis zum Unrecht und im Bekenntnis zur Aufarbeitung getätigt. Wer das anzweifelt oder wer damit Probleme hat, soll das doch hier benennen. Darüber können wir diskutieren, aber nicht über dieses Schwammige: Sie wissen schon, wer, und wir legen einfach mal den Verdacht nahe, dass diese Landesregierung irgendwie im Erbe der Oktoberrevolution und stalinistischer Säuberung liegt. Herr Möller, das ist nicht nur unredlich, das ist sogar wahnsinniger Unfug.
Das ist auch wahnsinniger Unfug, den Sie da gemacht haben, wenn man darauf schaut, dass es natürlich eine Verklärung der Oktoberrevolution in der DDR gegeben hat. Genau deshalb gibt es in diesem Jahr unter Leitung der Staatskanzlei in der Landeszentrale für politische Bildung eine Veranstaltungsreihe zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution. Und davon wüsste Herr Höcke Ihnen auch zu berichten, wenn er denn auch tatsächlich zu den Kuratoriumssitzungen dieser Landeszentrale für politische Bildung kommen würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch zum Linksextremismus kommen. Wer heutige Linksextremisten in die Reihe der Oktoberrevolution stellt, verkennt, dass große Teile, die von Ihnen als extreme Linke erkannt werden, autonome Menschen sind. Und diese Autonomen haben eher ein Erbe, das von den russischen Anarchisten herstammt, die von Stalin verfolgt wurden und den Säuberungen zum Opfer gefallen und eben gerade nicht Beteiligte an der Oktoberrevolution gewesen sind.
Man darf unter dem Strich sagen: Was die AfD uns hier angeboten hat, ist schlimmer Unfug, ist ahistorisch und taugt nicht zur Beratung im Thüringer Landtag. Vielen Dank.
Aus den Reihen der Abgeordneten liegen mir jetzt keine Wortmeldungen mehr vor. Herr Minister Hoff, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die AfD beantragt am 12. Dezember 2017, also mehr als einen Monat nach dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November 1917, eine – Achtung! – Aktuelle Stunde mit dem Titel „100 Jahre Oktoberrevolution – 100 Millionen Tote. Die historische Verantwortung der Thüringer Politik angesichts vergangener stalinistischer Verfolgung und des heutigen gewalttätigen Linksextremismus“. Sehr geehrte Damen und Herren der AfD, der Titel der Drucksache wirkt wie mit dem Pürierstab zusammengerührte Vorurteile gegenüber der Landesregierung. Es ist der Versuch – genau darauf zielten Sie ja schon im Entwurf Ihrer Beantragung der Aktuellen Stunde ab –, die Thüringer Landesregierung und damit die diese Koalition tragenden Parteien – immerhin die Grünen, immerhin die Sozialdemokraten – in eine Reihe der stalinistischen Verbrechen zu stellen. Das ist historisch grober Unfug.
Ich gestatte mir namens der Landesregierung folgende Ausführungen: Erstens, die stete Erinnerung an die Opfer von Gewaltherrschaft ist dieser Landesregierung ein ernsthaftes Anliegen. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur, ebenso wie der Verbrechen des Stalinismus in seiner Gesamtheit benutzt diese Landesregierung nicht als ein billiges Instrument der parteipolitischen Auseinandersetzung. Insofern gehe ich wohl nicht zu weit, wenn ich Ihnen unterstelle, dass Ihnen kein einziges der Opfer des Stalinismus ein tatsächliches Anliegen ist, sondern Sie benutzen sie erneut als ein Objekt von Propaganda. Sie missbrauchen sie. Daran wird sich diese Landesregierung aus Respekt vor den Opfern nicht beteiligen.