Protocol of the Session on December 12, 2017

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU-Fraktion könnte also, wenn sie es ernst meint, jederzeit einen eigenen Antrag auf Wahl eines neuen Ministerpräsidenten nach Artikel 73 der Thüringer Verfassung stellen. Sie erfüllt das erforderliche Quorum von einem Fünftel der Mitglieder des Landtags. Aber genau das tun Sie nicht, denn dann müssten Sie ja die erforderliche Mehrheit aufbringen und die haben Sie nicht. Das ärgert Sie natürlich und das kann ich auch nachvollziehen. Also versuchen Sie es heute über den Umweg, der Landtag möge den Ministerpräsidenten auffordern, dass er selbst den Antrag auf eine Vertrauensfrage stellen möge. Aber warum sollte er das?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Emde)

Bislang hat ihm das Parlament keinen Anlass dazu gegeben. Im Gegenteil: Alle Anträge der Landesregierung finden ihre Mehrheit im Parlament. Wir hätten uns deshalb diese Zeit hier auch sparen können und uns gleich der Tagesordnung widmen können, damit wir als Parlament wichtige Gesetze und Anträge beraten können.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und Sie als Opposition haben ja auch noch Ihre Weihnachtsfeier auf dem Terminplan, die Ihnen so sehr am Herzen liegt, dass Sie dazu sogar eine Verkürzung unserer Tagungszeit am Donnerstag erbeten haben. Dem sind wir gerne nachgekommen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in der Großen Koalition von 2009 bis 2014 gab es übrigens schon einmal im September 2013 einen Antrag mit einer Rücktrittsforderung an die damalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Das waren die Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Die Gründe für diese Rücktrittsforderung könnten sich sogar recht ähnlich anhören: Die Landesregierung sei nicht in der Lage, Politik für die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat Thüringen zu gestalten, der Vorrat an politischen Gemeinsamkeiten zwischen den Koalitionspartnern sei erschöpft, die Koalition bekomme keine ordentliche Haushaltsführung hin und schließlich gab es damals auch noch Ermittlungsverfahren gegen einige Mitglieder der Regierung. An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, möchte ich gern den Abgeordneten Volker Emde zitieren, der hier eben eingeführt hat, der zu diesem Antrag der Linken während der 135. Plenarsitzung am 22.11.2013 gesprochen hat. Ich zitiere ihn hier sehr gern wörtlich. Sie haben damals der Linken zugerufen: „Ich will es Ihnen formal noch mal darstellen. Es gibt den Artikel 73 in unserer Verfassung und der lautet ganz klar: Das Misstrauen kann nur durch die Wahl eines Nachfolgers ausgesprochen werden. […] Dann stellen Sie so einen Antrag, wenn Sie eine kraftvolle Opposition sein wollen.“

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Abg. Gentele, fraktionslos)

Das haben Sie damals den Linken entgegengehalten. Hätten Sie die Tagesordnung des Plenums sorgfältig gelesen, wäre Ihnen aufgefallen, dass Sie auch kein Sonderplenum gebraucht hätten, um über die Gebietsreform zu diskutieren. Das können wir unter Tagesordnungspunkt 11 zur Genüge tun. Auch eine Aktuelle Stunde hätten Sie beantragen können.

(Zwischenruf Abg. Müller, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vergessen!)

Wir als Koalition sind diese notwendige und längst überfällige Gebietsreform endlich angegangen und wir verfolgen dieses Ziel auch weiter. Wir haben lediglich unseren Kurs korrigiert.

(Unruhe CDU)

Die Ziele gelten weiterhin. Wir gehen nun einen neuen Weg,

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Gegen alle!)

indem wir den Landkreisen die Hand ausstrecken

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ja, ja, die Hand ausstrecken!)

und mit ihnen gemeinsam die interkommunale Zusammenarbeit ausbauen und die freiwilligen Gemeindezusammenschlüsse unterstützen.

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das glaubt ihr doch selbst nicht!)

Das haben Sie als CDU im Übrigen doch selbst gefordert. Ich zitiere den Kollegen Fiedler – immer noch aufzufinden auf Ihrer Website –, der uns erst vor einigen Wochen aufforderte, die Kraft zur Selbstkorrektur aufzubringen. Ja, das haben wir dann gemacht.

(Heiterkeit CDU)

Wenn Sie diese Selbstkorrektur nun als Scheitern bezeichnen, frage ich Sie, warum. Warum ist es Ihnen denn eigentlich so überaus wichtig, eine Kurskorrektur als Scheitern zu verkaufen? Weil Ihnen Ihr einziges bisheriges Wahlkampfthema für 2019 verloren zu gehen droht?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist denn eigentlich Ihr politisches Ziel bei der Ablösung des Ministerpräsidenten? Dass Sie das selbst machen wollen, was wir jetzt bereits machen? Das ergibt doch auch keinen Sinn. Deswegen habe ich mal nachgelesen bei alten, weisen Menschen. Max Weber – sein berühmter Vortrag „Politik als Beruf“ wird nächstes Jahr 100 Jahre alt – hat uns Folgendes ins Stammbuch geschrieben: „Denn es gibt letztlich nur zwei Arten von Todsünden auf dem Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft, aber nicht immer damit identisch – Verantwortungslosigkeit. Die Eitelkeit: das Bedürfnis, selbst möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, führt den Politiker am stärksten in Versuchung, eine von beiden oder beide zu begehen. Um so mehr als der Demagoge auf ‚Wirkung‘ zu rechnen gezwungen ist, – er ist eben deshalb stets in Gefahr, sowohl zum Schauspieler zu werden, wie die Verantwortung für die Folgen seines Tuns leicht zu nehmen und nur nach dem ‚Eindruck‘ zu fragen, den er macht. Seine Unsachlichkeit legt ihm nahe, den glänzenden Schein der Macht statt der wirklichen Macht zu erstreben, seine Verantwortungslosigkeit

aber: die Macht lediglich um ihrer selbst willen, ohne inhaltlichen Zweck, zu genießen. Denn obwohl oder vielmehr: gerade weil Macht das unvermeidliche Mittel und Machtstreben daher eine der treibenden Kräfte aller Politik ist, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als das parvenümäßige Bramarbasieren mit Macht und die eitle Selbstbespiegelung in dem Gefühl der Macht, überhaupt jede Anbetung der Macht rein als solcher. Der bloße ‚Machtpolitiker‘, wie ihn ein auch bei uns eifrig betriebener Kult zu verklären sucht, mag stark wirken, aber er wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose. Darin haben die Kritiker der ‚Machtpolitik‘ vollkommen recht.“ Das Bramarbasieren ist übrigens ein altes Wort – es handelt sich um eine historische Persönlichkeit –, „Angeben“ war gemeint. Max Weber ist in seiner Formulierung vielleicht etwas komplex oder auch etwas anspruchsvoll, man kann es vielleicht auch noch einfacher fassen: in die Geschichte des Schwiegersohnes, der gebetet hat, dass seine Schwiegermutter wieder genesen möge. Die Geschichte geht dann wie folgt weiter: Die Genesung der Schwiegermutter rief eine seltsame Leere in ihm hervor und das gleich zweifach. Da war nicht nur das Gefühl der Unzufriedenheit mit der sich abzeichnenden unbestimmten Dauer des weiteren Lebens mit der Genesenden. Es schmerzte ihn auch der Verlust der hingebungsvollen Pose des Bittenden, in der er sich selbst und anderen so gut gefallen hatte. So weit der Schwiegersohn.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben, wenn wir über Gebietsreform und auch über Ängste und Sorgen diskutiert haben, die sich die Leute machen, hier sehr viel über die Angst vor dem Verlust regionaler Identitäten gesprochen. Wenn man mal über den Tellerrand von Thüringen hinausschaut, dann hat mich in der letzten Woche eine Nachricht schockiert, die nicht in Thüringen stattfindet, sondern ganz woanders, nämlich in Nordrhein-Westfalen. Es ging um die kleine Gemeinde Immerath. Davon haben Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört, aber das ist eine Geschichte vom Verlust regionaler Identität, denn in der letzten Woche hat der Abriss des Doms von Immerath begonnen. Ein Schmuckstück neoromantischer Baukunst war Sankt Lambertus, erbaut von 1888 bis 1891. Bauern des Dorfs hatten mit üppigen Spenden den Bau nach Entwürfen des Kölner Baumeisters Erasmus Schüller ermöglicht. Die Kirchenfenster stammten von einer berühmten Glasmalereiwerkstätte aus Köln. Den „Dom von Immerath“ nannten die Leute die Kirche wegen ihrer Pracht und Größe. Sie steht unter Denkmalschutz, doch das nützte ihr nichts: Die Kirche muss den Braunkohlebaggern weichen. Dass der Dom nach der Entwidmung von 2013 noch stand, ließ die Hoffnung aufkeimen, die Kirche werde nicht abgerissen,

aber der Tagebau fraß sich weiter voran. Im Februar fiel schon die Sankt-Martinus-Kirche von Borschemich, 5 Kilometer von Immerath entfernt. Auch die alte Linde, die seit 400 Jahren auf dem Dorfplatz stand, wurde gefällt. Das Dorf war lange vorher umgesiedelt worden. In drei Tagen riss der Bagger das Kirchenschiff samt Sakristei und Altarraum ab, nach drei weiteren Tagen war auch der Turm weg und nun wird Immerath für eine längst überholte Energiegewinnungsquelle abgerissen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Kommen Sie doch mal zum Thema!)

Was hat das mit uns zu tun? Wir hätten die Kirche im Dorf gelassen, anderswo wird auch diese abgeräumt. Die Menschen auch aus dieser Region würden sich sehr über Regierende freuen, die umdenken. Das gilt sowohl für die jetzige als auch für die vorherige nordrhein-westfälische Regierung. Deswegen fasse ich hier noch einmal zusammen und Sie könnten ruhig zuhören und als christliche Partei auch ein Mitgefühl haben, wenn es um abzureißende Kirchen geht: Wenn Entscheidungsträger lernfähig sind, ist das kein Grund, ihre Regierungsfähigkeit anzuzweifeln – im Gegenteil, das ist gerade die verantwortungsvolle Wahrnehmung von Regierungsmacht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es hat Abgeordneter Höcke für die AfD-Fraktion das Wort.

Ich liebe Max Weber, Frau Kollegin Marx.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielleicht hören Sie mal drauf!)

Ein großartiger Denker, der uns so viel zu sagen hat!

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Weber hätte Sie verachtet!)

Aber trotzdem fand ich die Rede irgendwie nicht zielführend. Ich weiß nicht, wie es den Kollegen von der Opposition gegangen ist.

(Beifall AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, sehr geehrte Besucher auf der Tribüne, ich habe Bodo Ramelow, den Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, 2014 mal einen „historisch-politischen Sündenfall“ genannt. Ich habe das deswegen getan, um darauf hinzuweisen, dass es lediglich knapp 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, nach dem Ende einer menschenverachtenden Diktatur, nach dem Ende der SED-Diktatur, ei

(Abg. Marx)

nem Mann gelungen war, in eines der höchsten Regierungsämter der Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, der selbst Mitglied der Ex-SED ist.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Hä?)

Drei Jahre Regierungstätigkeit von Rot-Rot-Grün, drei Jahre schlechte Politik für Deutschland lässt mich diese Bewertung von 2014 aufrechterhalten.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben wahrlich nicht viel gemeinsam!)

Diese Regierung, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, hat wahrlich Großes geleistet. Sie hat allerdings nichts Großes auf der pragmatisch-praktischen Ebene der so wichtigen Politikfelder geleistet, die unserem Freistaat Thüringen eine gute Zukunft sichern könnten. Dort hat sie wahrlich nichts geleistet. Großes geleistet hat sie dort – und da schlägt auch ihr Herz und das will ich hier auch gar nicht streitig machen, dass ihr Herz für etwas schlägt –, wo wir im Bereich der Ideologie unterwegs sind. Dort hat sie ihr Herzblut, dort hat sie ihre gesamte Energie investiert und das bedauern wir sehr.

(Beifall AfD)

Ich kann mich noch gut an Ihre erste Regierungserklärung erinnern, Herr Ministerpräsident Ramelow. Da haben Sie nämlich das Projekt „Buntes Thüringen“ – was nichts anderes als die Multikulturalisierung unseres Freistaats bedeutet – zur Chefsache erklärt, also als Ihre persönliche Herzensangelegenheit in den öffentlichen Raum gestellt. Der Winterabschiebestopp war, glaube ich, so ziemlich Ihre erste Amtshandlung bzw. die erste Amtshandlung Ihrer Landesregierung. Wenige Monate später haben uns dann Ihre Inschallah-Rufe auf dem Bahnhof von Rudolstadt doch mehr als irritiert. Sie, Herr Bodo Ramelow, Sie und Ihre Landesregierung kämpfen und kämpften um jeden Einwanderer, der es über die Grenze schafft. Sie erklärten und erklären ihn pauschal wider Recht und Gesetz zum Neubürger und halten die Abschiebequote in unserem schönen Freistaat skandalös niedrig.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmt ja nicht mal!)

Und diejenigen, die auf die Gefahren einer nicht bedarfsorientierten, millionenfachen illegalen Einwanderung für unsere innere Sicherheit, für den Bestand unseres Sozialstaats hinweisen – wie beispielsweise die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag – werden stigmatisiert und mundtot gemacht. Aber das werden wir nicht zulassen.

(Beifall AfD)