Protocol of the Session on September 16, 2011

Frau Hitzing, Sie möchten jetzt Ihre Frage stellen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Frau Kollegin Leukefeld, geben Sie mir denn recht, dass bei der Aktualität und der Schwierigkeit des Themas - wie wir es jetzt merken, dass wir unbedingt darüber reden müssen, weil es von hoher Bedeutung ist - es schon verwunderlich ist, dass die zuständige Ministerin sich dafür anscheinend wenig interessiert?

(Beifall DIE LINKE)

Da kann ich Ihnen jetzt nicht widersprechen. Das wäre sicherlich sinnvoll.

Ich will mich jetzt noch einmal auf die Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di zum Referentenentwurf des Gesetzes beziehen und möchte noch einmal kurz zitieren, was die Kollegen dazu sagen: „Mit der ständig zunehmenden Arbeitsverdichtung bei gleichzeitigen arbeitnehmerunfreundlichen Arbeitszeiten durch längere Öffnungszeiten und abnehmende Sicherheitsstandards“ - ich erinnere an das, was Wolfgang Lemb gesagt hat - „haben sich die Arbeits- und Lebenssituationen der vorwiegend weiblichen Beschäftigten im Einzelhandel in Thüringen seit Einführung des Thüringer Ladenöffnungsgesetzes stetig weiter verschlechtert. Da längere Öffnungszeiten in den Nachstunden oft nur als Chance zum Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz gesehen und von den Kunden nur gering in Anspruch genommen werden, erfolgt in der Regel in diesen Zeiten eine minimale Personalbesetzung, die damit aber gleichzeitig das Risiko der Beschäftigten, Opfer von Gewalttaten zu werden, erheblich erhöht.“ So weit das Zitat. Deswegen nehmen wir die Sorgen und Ängste und Bedenken

der Beschäftigten ernst. Wir sind der Meinung, dass ein Gesetz, welches Ladenöffnungszeiten von Montag 0.00 Uhr bis Samstag 20.00 Uhr und zahlreiche Ausnahmeregelungen für Sonn- und Feiertagsöffnung zulässt, dabei keine konkreten Regelungen zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit enthält, nicht wirklich dem Arbeitnehmerschutz dient und schon gar nicht zum Schutz der Familie oder zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf führt.

Meine Damen und Herren, einen weiteren Aspekt will ich nicht unberücksichtigt lassen. Längere Ladenöffnungszeiten haben dazu geführt, dass zunehmend Teilzeitbeschäftigte, befristet Beschäftigte, geringfügig Beschäftigte und Praktikanten eingestellt werden. Wir wissen genau, dass das zur Verdrängung tariflich bezahlter sicherer Arbeitsplätze führt und dass es auch den Druck auf die bestehenden Arbeitsplätze einfach verstärkt. Frau Hitzing, Sie haben vorhin von den Fachkräften im Handel gesprochen, die sicherlich auch nötig wären. Aber genau diese Entwicklung konterkariert das und verstärkt diesen Druck auf diese Arbeitnehmer.

Lassen Sie mich noch auf eines hinweisen: Es ist hier auch gerade von der FDP immer wieder angeführt worden, was die Unternehmen, die Händler angeht. Reden Sie doch mal - ich gehe davon aus, dass Sie das genauso tun wie wir - mit den kleinen Händlern in den Innenstädten und gehen Sie mal nach 20.00 Uhr durch Erfurt, Gera und Suhl, wie viel Bewegung da noch ist und ob da überhaupt ein Laden offen ist. Für die Klein- und Kleinstverkaufsstellen hat sich im Gegenteil ein Druck entwickelt, mithalten zu müssen. Es rechnet sich betriebswirtschaftlich schon gar nicht mehr, weil längere Öffnungszeiten nur zusätzliche Kosten verursachen Sie kennen das - durch Ausgaben für Energie, Sicherheitsdienste und auch die Nacht- und Sonntagszuschläge.

Fazit: Das vorliegende Änderungsgesetz der Landesregierung ist aus unserer Sicht ein Alibigesetz. Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Beschäftigten im Einzelhandel sind nur marginal enthalten. Lassen Sie uns tatsächlich ergebnisoffen in den beiden Ausschüssen diskutieren und vielleicht bekommen wir aus beiden Gesetzen eine gute Lösung. Ich wünsche mir im Interesse der Beschäftigten im Handel, dass ihre Interessen mindestens genauso Berücksichtigung finden wie die Interessen der Menschen, die auch mit Freude shoppen gehen. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Günther zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Leukefeld, das ist natürlich kein Alibigesetz, was die Landesregierung vorgelegt hat, sondern ein Gesetzentwurf und Gesetzentwürfe können im parlamentarischen Gang beraten werden. Insofern ist es auch nicht richtig, was Frau Hitzing sagt, dass es ein Absprachegespräch zwischen den Koalitionsfraktionen ist. Ich habe es genau erst dann gelesen, als es uns zugeleitet worden ist. Änderungen sind möglich, die können Sie ja auch machen, Sie brauchen nicht jedes Mal einen eigenen Gesetzentwurf zu schreiben, sondern können sich da auch mit einbringen.

(Beifall CDU)

Wir sind auch in einigen Punkten gar nicht so weit auseinander, denn auch wir nehmen die Ängste und Sorgen der Beschäftigten im Einzelhandel sehr ernst. Wir haben damals das Gesetz verabschiedet und auf den Weg gebracht, weil wir der Meinung waren, so wenig Staat wie nötig, Entbürokratisierung, das war der Weg. Wir haben gesagt, sollen doch die Geschäfte öffnen, wie es die Marktlage erfordert.

(Beifall FDP)

Das war die Grundaussage. Es ging einher damit, dass auch immer wieder suggeriert wurde, es führt zu mehr Einstellungen in den Geschäften und im Einzelhandel.

(Zwischenruf Abg. Hitzing, FDP: Das ist wahr.)

Das war die Grunddebatte. Heute stellen wir fest, das ist nicht eingetreten.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: So ist es.)

Deswegen muss man darüber nachdenken, wie das Gesetz nachgebessert werden muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich persönlich denke auch, wenn die Mehrheit der Meinung ist, dass eine Öffnungszeit von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr nicht sinnvoll ist, muss man darüber reden, muss man schauen und muss Veränderungen suchen, keine Frage.

(Beifall CDU, SPD)

Aber wenn wir das Thema bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich ernst nehmen wollen - und jetzt bedaure ich es wirklich, dass Heike Taubert nicht da ist, wir sind nun wirklich auch freundschaftlich verbunden und ich werde es ihr dann draußen noch mal sagen oder im Ausschuss -, bin ich der Meinung, geht der Regierungsvorschlag, einen Samstag für Familien freizuschalten, nicht weit genug.

(Abg. Leukefeld)

(Beifall CDU)

Ich sage für meine Fraktion: Wenn wir das Thema anpacken, dann sind zwei Samstage der bessere Weg. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf ernsthaft zu betreiben. Dafür will ich werben und dafür werde ich auch im Ausschuss streiten. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Es gibt eine weitere Redemeldung; für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Ramelow.

Werte Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz in Westdeutschland hieß „Ladenschlussgesetz“ und regelte einen festen Beginn und ein festes Ende der Ladenöffnungsmöglichkeiten. Es war in Westdeutschland entwickelt worden als Arbeitnehmerschutzgesetz, das den Ausgleich zwischen Markt, Verbrauchern und Beschäftigten mit einem Maß an Schutz belegen sollte. Kollege Günther hat genau zu Recht eben darauf hingewiesen, wie die Argumente 1989 waren. 1989, als der lange Donnerstag eingeführt wurde, wurde es begründet mit den Flexibilisierungsansprachen der FDP, denn da bleibt sich die FDP bundesweit treu, alles muss flexibel gestaltet werden. Das Heilsversprechen war erstens, es steigert sich der Umsatz, zweitens, es steigern sich die Beschäftigungen. Tatsächlich hat es eine Verschiebung gegeben, die Monopolisierung in der Einzelhandelsstruktur hat enorm zugenommen. Von den damals 1989 noch vorhandenen Ketten, die am Markt teilgenommen haben, sind fast keine mehr da. Wir haben es im Lebensmitteleinzelhandel nur noch mit drei großen Anbietern zu tun, die den Markt kontrollieren und die dann mit ihrer Marktmacht auch organisieren, wie sie kleineren Händlern das Leben schwer gemacht haben bis hin zur Vernichtung der Existenz der selbstständigen Beschäftigten und der Arbeitnehmer. Wir haben es gleichzeitig zu tun mit einer unglaublichen Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse - ja, Frau Hitzing, 400-Euro-Jobs sind für uns nicht zu akzeptierende Beschäftigungsverhältnisse und Sie können es auch nicht verniedlichen und beschönigen mit Dazuverdienstmöglichkeiten, wenn auf einmal ganze Auffüllkolonnen im Einzelhandel unter diesen Bedingungen gezwungen sind zu arbeiten. Das heißt, wir treiben sie geradezu in die Hartz-IV-Aufstockerlogik und das sind die Dinge, die wir einfach ablehnen.

(Beifall DIE LINKE)

Gemessen an all den Argumenten, die 1989 zur Öffnung der Ladenschlusszeiten und Drehung dann zum Ladenöffnungsgesetz genannt wurden, hält das keiner wissenschaftlichen Analyse stand. Dar

auf hat Kollege Günther völlig zu Recht hingewiesen. Alle Argumente, die im Bundestag damals genannt worden sind, halten einer Überprüfung nicht stand. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Bedingungen haben sich heftig verschlechtert. Jetzt haben wir die Regionalisierung des Gesetzes im Rahmen der Föderalismuskommission, jetzt haben wir 16 verschiedene Gesetze. Das Ergebnis ist, dass wir jetzt die Konkurrenzsituation des Bundeslandes A gegen das Bundesland B haben und wir haben die Situation - und, Frau Hitzing, da sind wir mit Ihnen überhaupt nicht einer Meinung -, dass der Sonntag mittlerweile freigegeben wird, als wenn es ein ganz normaler Arbeitstag ist.

(Beifall DIE LINKE)

Da, werte Kollegin Hitzing, gehe ich mit Ihnen überhaupt nicht einher. Der siebente Tag, also Sie haben …

(Unruhe FDP)

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Bleiben Sie doch bei der Wahrheit! Das stimmt doch gar nicht.)

„Du sollst nicht lügen“, das steht auch in dem Buch, auf das ich jetzt hinweisen wollte.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“)

Die Abteilung der politischen Insolvenz meldet sich jetzt laut an.

(Beifall DIE LINKE)

Aber, meine Damen und Herren, hier eine Wertedebatte im Landtag führen zu wollen aus Anlass des Papstbesuchs und dann den Sonntag dem schnöden Mammon zu opfern und dann noch zu sagen, es könnten ja auch die Adventssonntage sein. Man hat das Gefühl, als wenn Ihnen überhaupt nichts heilig ist.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wie war das gerade mit dem Lügen?)

Aber Arbeitnehmerrechte sind Ihnen sowieso nicht heilig, das wissen wir.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Und mit dem Gerede vom Flexibilisieren wollen Sie eigentlich nur,

(Unruhe FDP)

dass die großen marktdominanten Unternehmen noch mehr Umsatz und noch mehr Zulauf zugetrieben bekommen.

Ich will auf ein Problem aufmerksam machen, das angesprochen worden ist von Frau Leukefeld, die

(Abg. Günther)