der Bundesregierung gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht, sobald begründete Aussicht auf Erfolg besteht, ebenso aufgenommen worden wie eine stärkere Berücksichtigung der Vertreter der Bürgerbündnisse im Programmbeirat des Landesprogramms.
Wir wissen, meine Damen und Herren, dass das Landesprogramm nicht alle Wünsche erfüllen und vor allen Dingen nicht allen gesellschaftspolitischen Positionen entsprechen kann. Demokratische Prozesse bestehen nun einmal aus der permanenten Bereitschaft zur Suche des gemeinsamen Nenners. Manchmal ist die Schnittmenge nur klein, manchmal fast deckungsgleich. Aber immer ist das Ergebnis ein Kompromiss und das ist wahrlich kein Schimpfwort.
Oberkirchenrat Wagner hat in seinem Schlussstatement in der großen Anhörung sinngemäß formuliert: Wenn bei derart weit auseinander liegenden fachlichen Auffassungen und gesellschaftspolitischen Positionen der Akteure ein zur Realisierung des Programms notwendiger und unumgänglicher Kompromiss nur Unzufriedenheit aller Beteiligten auslösen kann, dann ist uns dies gelungen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ja, dieses Landesprogramm hat allen Beteiligten viel, manchmal sehr viel abverlangt. Ich weiß sehr genau, dass dies auch für die beiden die Landesregierung tragenden Fraktionen gilt. Eine Gewinnerin gibt es, davon bin ich überzeugt, das ist die Demokratie.
Solche zugegeben schwierigen und manchmal auch schmerzhaften Kompromisse zu erarbeiten, die alleinige Wahrheit eben nicht zu beanspruchen, das, meine Damen und Herren, ist der Beweis für eine lebendige und funktionierende Demokratie in Thüringen. Ich bin angesichts der schweren Geburt der letztlich immer wieder erlebten Bereitschaft der vielen Beteiligten, um der Sache Willen sozusagen über den eigenen Schatten zu springen, mehr denn je davon überzeugt: Dieses Landesprogramm ist eine Riesenchance für alle demokratischen Kräfte in Thüringen, um zukünftig für eine bessere demokratische Kultur auf allen Ebenen zu sorgen, um mehr Demokratie zu wagen und um gemeinsam im Schulterschluss der Demokraten den Feinden der Demokratie die Stirn zu bieten. Dazu muss man beginnen, muss man anpacken und die Kraft jetzt in konkrete Handlungen, nämlich die Umsetzung des Landesprogramms setzen.
Meine Damen und Herren, die Präambel der Thüringer Verfassung, die gemeinsame Erklärung des Thüringer Landtags vom September 2009 und das Leitbild des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit weisen auf die leidvollen Erfahrungen mit überstandenen Diktaturen hin. Am heutigen Tag rufen wir diese Erfahrun
gen wieder nach ganz vorn in das Gedächtnis, wenn wir der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Dem Auftrag der Verfassung, die Freiheit und Würde des Einzelnen zu achten, ist das Landesprogramm verpflichtet. Den Appell des Thüringer Landtags an die Landesregierung, ein Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit zu erstellen, will ich nach dessen erfolgreicher Erarbeitung heute durch einen Appell der Landesregierung ergänzen. Die Thüringer Landesregierung appelliert an alle Abgeordneten dieses Landtags und an alle demokratisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger im Lande, helfen Sie mit bei der Umsetzung des Landesprogramms. Lassen Sie uns gemeinsam für mehr demokratische Kultur in Thüringen Sorge tragen und lassen Sie uns gemeinsam allen Gegnern unserer demokratischen Ordnung entschieden entgegentreten. Die Zivilgesellschaft, meine Damen und Herren, sind wir alle. Machen Sie mit, machen Sie weiter, machen Sie wieder mit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Ministerin Taubert, für die Regierungserklärung. Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat sich Frau Abgeordnete Renner von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.
Danke, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin Taubert, in Ihrer Regierungserklärung heute haben Sie deutlich das Problem rechtsextremer Einstellungen und Handlungen, insbesondere Strafund Gewalttaten, in den Mittelpunkt gerückt und Sie haben dem bürgerlichen Engagement einen hohen Stellenwert zugewiesen, dafür danke ich Ihnen.
Diese Schwerpunktsetzung der Regierungserklärung findet sich in Genese, Inhalt und strategischer Ausrichtung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz nicht wieder. Das ist ein Problem, und zu diesem Problem muss ich jetzt sprechen. Ein Landesprogramm für Demokratie hätte es verdient, vom Parlament beraten
und auch vom Parlament beschlossen zu werden. Nicht nur, weil damit der Faden der gemeinsamen Erklärung aller Fraktionen zu Beginn der Legislatur aufgenommen worden wäre, sondern auch, weil wir damit einem Programm Tiefe und Breite gegeben hätten. Entgegen der Zusagen von Ihnen, Frau Ministerin Taubert, in der ersten Zusammenkunft der
großen Runde, ist es aber nicht dazu gekommen. Dieser breite interfraktionelle Konsens wurde heute versäumt. Es galt auch nicht mehr das, was auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 10. Februar 2002 einhellig von allen Fachreferentinnen und -referenten aus Bundesländern mit Landesprogrammen als Anforderung an ein Thüringer Landesprogramm formuliert wurde, nämlich ein demokratischer, transparenter Prozess unter Einbeziehung aller im Landtag vertretenen Parteien sei das beste Fundament für ein wirksames Landesprogramm. Dies können Sie nachlesen in den Dokumenten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diesen Weg haben wir nicht beschritten und, ich denke, das müssen wir an diesem Tag kritisieren.
Unrealistisch erscheint heute aber auch die Hoffnung von vielen Aktiven - und da schließe ich mich dem Dank an diese Aktiven im Bundesland Thüringen an -, die gegen Neonazismus und für Demokratie auf die Straße gehen, dass wir ein wirklich wirksames Landesprogramm erhalten. Denn dieses Landesprogramm hätte eines leisten müssen, einen qualitativen und quantitativen Aufwuchs zu den Maßnahmen, die wir bisher in Thüringen durchgeführt oder gefördert haben. Nicht weil wir hier - und das ist ja häufig der unterschwellige Vorwurf - bei „Wünsch dir was“ sind, sondern weil Thüringen in qualitativer wie quantitativer Hinsicht eine Schwerpunktregion des Neonazismus ist. Jeden Tag ereignen sich drei rechtsextreme Straftaten. Die NPD hat in Thüringen einen ihrer mitgliederstärksten Landesverbände. Thüringen ist Rechtsrockland. Sie haben vorhin auf die Opferstatistik hingewiesen; nach den Angaben des Tagesspiegels haben wir in Thüringen seit 1992 fünf Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt zu bedauern. Diese besondere Ausgangssituation hätte niemals ein Weiterso mit neuem Namen bedeuten dürfen. Mit diesem Weiterso mit neuem Namen haben Sie die Hoffnung vieler Bürgerbündnisse in Thüringen zutiefst enttäuscht und Sie haben auch die eigenen Vorstellungen an den einen oder anderen Stellen über Bord geworfen. Ich möchte noch einmal die FriedrichEbert-Stiftung in Thüringen zitieren: „Am 5. November 2009 gab es ein Fachgespräch auf dem Weg zu einem Landesprogramm. Darin wurde festgestellt, das Landesprogramm muss einen klaren Bruch mit den bisherigen Aktivitäten der Landesregierung, sprich die Landesstrategie, zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus vollziehen. Das ist zum einen politisch, zum anderen aber auch als Signal an die Initiativen vor Ort nötig. Zu diesem Bruch ist es nicht gekommen, diesen Neuanfang haben Sie nicht versucht.
Ich möchte zu den einzelnen Teilen des Landesprogramms einige Kritikpunkte, sicherlich auch an den einen oder anderen Stellen positive Aspekte erwähnen.
Zum Analyseteil: Dort heißt es lapidar, die NPD in Thüringen stellt keine Hochburg bei Wahlergebnissen dar. Sie haben diese Aussage in Ihrer Regierungserklärung heute zu Recht modifiziert; dafür auch noch mal herzlichen Dank, weil das so nicht stehen bleiben kann. Bei der letzten Landtagswahl versäumte die NPD ja nur knapp den Einzug in das Landesparlament und mit zwei Dutzend kommunalen Mandaten durch Neonazis in Thüringer Landkreisen und Städten haben wir auch ein Problem mittlerweile, was die kommunale Verankerung der NPD vor Ort angeht. Der Analyseteil hat natürlich neben diesen Aspekten eine generelle Schwäche, denn er atmet den Geist des staatlich verordneten Antiextremismus - so würde ich das mal nennen unserer Bundesministerin Frau Schröder. Wohin das führt, wenn man dieser Doktrin folgt, sieht man ja gerade mit Blick auf das, was auf Bundesebene passiert. Meine Fraktion im Bundestag hat eine Kleine Anfrage gestellt zu den Projekten, die dort finanziert werden, und als Antwort wurde mitgeteilt, dass z.B. inzwischen Kaffeefahrten der CDU-Jugend finanziert werden zu vermeintlich besetzten Häusern in Berlin. Anschließend landet man dann auf Steuerkosten in Nobeldiscos. In NRW finanziert man mit Geld für die Zivilgesellschaft Comics des Verfassungsschutzes und die Konrad-AdenauerStiftung erhält allein für ein Symposium zum Thema Linksextremismus 90.000 €. Dazu würde ich Fragen stellen, ob hier auch aus haushaltspolitischer Sicht mit diesem Geld sinnvoll und richtig umgegangen wird, von politischen Fragen ganz zu schweigen.
Deswegen finden wir es bedauerlich, dass im Analyseteil, aber vor allem auch im Leitbild des Landesprogramms dieser Extremismusdoktrin an der einen oder anderen Stelle gefolgt wird. Da hätten wir uns mehr Fachlichkeit gewünscht und weniger Ideologie. Das war auch eine der massivsten Kritiken, die in der großen Runde geäußert wurde.
Zum Bildungsteil, fürwahr der wichtigste Teil des Landesprogramms, die Prävention im frühkindlichen Bereich, im schulischen Bereich, im außerschulischen Bereich: Das, was in der Diskussion der letzten Jahre immer wieder deutlich wurde, auch auf den verschiedenen Fachkonferenzen, ist, wir brauchen hier einen Weg von unverbindlichen Maßnahmen. Wir brauchen ein Hin zur klaren Implementierung der Demokratieerziehung nicht nur in die Lehrer- und Lehrerinnen-, auch in die Erzieher- und Erzieherinnenausbildung, aber vor allem in die Lehrpläne und in den Bildungsalltag. An mehreren Stellen heißt es im Landesprogramm, das Landesprogramm fördert dies oder das. Aber es wird weder gesagt, durch wen, wie verbindlich, in welchem regionalen Ausmaß und mit welchen Mitteln. Das wird dazu führen, dass Schulen auch weiterhin
erst dann aktiv werden, wenn vor Ort ein rechtsextremes Problem auftritt. Hier rücken Sie sehr deutlich von den Vorstellungen ab, die bisher formuliert wurden. Wir hatten ja einen gemeinsamen Entwurf für ein Landesprogramm durch LINKE und SPD der letzten Legislatur vorgelegt. Hier hieß es im Bildungsteil, alle Lehrerinnen und Lehrer sind zu diesen Aspekten kontinuierlich fort- und weiterzubilden. Voraussetzung für die Qualität politischen Lernens im fächerübergreifenden und fachspezifischen Sinn ist neben entsprechenden spezifischen Inhalten in den Lernplänen die Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer. Deswegen sind schon in der Lehrerausbildung solche Problemstellungen zu berücksichtigen. Das war ein klarer Arbeitsauftrag hinsichtlich der Lehrerfort- und -ausbildung und hinsichtlich der Implementierung in die Lehrpläne. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede im Landesprogramm. Nun heißt es: Das Landesprogramm soll zur Qualifizierung von Beraterinnen und Beratern für Demokratiepädagogik beitragen. Das klingt doch verdammt nach der alten Landesstrategie gegen Rechtsextremismus. Viel Wortgeklingel, keine Verbindlichkeit, keine Implementierung in Ausbildung und Praxis, ich würde zugespitzt sagen, wir brauchen keine Beraterinnen und Berater für Demokratiepädagogik, sondern eine Pädagogik, bei der jede Lehrerin und jeder Lehrer an jeder Schule Demokratie lehren und zulassen kann.
Noch ein Beispiel für mangelnde Konkretisierung und auch Untersetzung im Bereich der außerschulischen Jugendbildung: Wenn hier weiter gehende Aufgaben an die Träger formuliert werden - und das ist auch gut und richtig so -, dann hätte im Teil Finanzen des Landesprogramms weiter hinten auch eine Aussage zur immer noch ausbleibenden Aufstockung der Jugendpauschale stehen müssen.
Dann - Sie werden es mir nicht verdenken - noch ein paar Worte zur Würdigung des Verfassungsschutzes im Rahmen des Landesprogramms: Im Landesprogramm heißt es, der Verfassungsschutz soll lokale Projekte beraten. Hier sehen wir eine politisch für uns nicht hinnehmbare Vermischung von Geheimdienst und Zivilgesellschaft.
Gerade vor dem Hintergrund der DDR-Geschichte müssten Sie, müssten wir doch alle wissen, dass der Geheimdienst niemals Teil der Bürgergesellschaft sein kann.
Zudem ist der Verfassungsschutz untauglich, um kommunale Projekte oder Entscheidungsträger zu beraten. Ich erinnere, wir haben vor Kurzem hier den Vorgang GFAW-Fördermittel an einen Neonazi
diskutiert. Drei Monate dauert es, bis der Verfassungsschutz feststellen konnte, dass Sebastian Reiche ein NPD-Funktionär aus dem Landkreis Gotha ist. Sie haben es vorhin noch einmal wiederholt, ich kann es nicht verstehen. Der Verfassungsschutz liefert detaillierte Informationen. Das erzählen Sie doch mal den Bürgermeistern vor Ort, die von Immobilienkäufen der Neonazis oder von Rechtsrockkonzerten überrascht werden. Ich will es auch mal konkret machen, dass es nicht heißt, wir würden hier nicht den Beweis antreten. Fragen Sie mal in Bad Langensalza nach, wer dort den Bürgermeister über die drohende Nutzung einer Büroimmobilie durch die NPD informierte? Oder fragen Sie mal im Landkreis Schmalkalden-Meiningen nach, wer den Landrat darüber in Kenntnis setzte, dass seit zehn Jahren eine kommunale Einrichtung, ein Schullandheim, durch Neonazis, Rechtsextreme und auch für den Nazisaufmarsch verantwortliche JLO genutzt wird? Die Mär eines Frühwarnsystems Verfassungsschutz wird auch dadurch nicht richtiger, wenn Sie nun versuchen, diesen Dienst im Landesprogramm zu adeln.
Nun zu den durch das Landesprogramm zu fördernde Strukturen und Projekte: Eine zentrale Fragestellung, die wir aufwerfen wollen, ist, warum Sie den lokalen Aktionsplänen diese herausgehobene Stellung inhaltlich wie strukturell zuweisen? Was meine ich mit herausgehobener Stellung? Allein in der heutigen Rede hat die Darstellung der lokalen Aktionspläne mehr Raum eingenommen als alle anderen Strukturprojekte zusammen. Ich kann es auch am Finanzrahmen nachweisen, zehn lokale Aktionspläne werden durch das Bundesprogramm gefördert, kommen in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt ein Aktionsplan hinzu, der durch 50.000 € gefördert werden soll laut Landesprogramm, sind allein 650.000 € - das ist mehr als die Hälfte der Gesamtmittel des Landesprogramms für diese lokalen Aktionspläne gebunden. Kein anderes Strukturprojekt, weder die Mobile Beratung noch die Opferberatung, noch andere Strukturelemente im Landesprogramm haben dort eine finanzielle Etatisierung. Allein die lokalen Aktionspläne sind mit jeweils 50.000 € ausgewiesen. Das finden wir eine falsche Gewichtung und damit sind auch eine ganze Menge inhaltlicher Probleme verbunden. Nach Ihren Vorstellungen sollen nur die Landkreise und kreisfreien Städte antragsberechtigt sein. Bisher nutzen aber auch Städte wie die Stadt Nordhausen lokale Aktionspläne. Sie bringen diese Städte jetzt in Bedrängnis. Was ist zukünftig mit deren Finanzierung? Dann ist bei Ihnen keine Kofinanzierung vorgesehen. Ich finde, man sollte die Kommunen nicht entbinden, eigene Anstrengungen zum Themenfeld Rechtsextremismus und Demokratieförderung auch nachzuweisen, wenn man sich mal um einen lokalen Aktionsplan bemüht. Ich
denke, wir brauchen noch mal eine Klarstellung. Die lokalen Aktionspläne sind nicht die Bürgerbündnisse gegen Rechts vor Ort, es sind Einrichtungen, die sehr heterogen arbeiten und, wenn man sich die konkrete Arbeit der zehn lokalen Aktionspläne in Thüringen anschaut, oftmals in ihrer Zielgruppe reduziert, mit Jugendlichen und Schülern und Schülerinnen arbeitend. Das ist gut und richtig, aber Sie haben zu Recht vorhin ausgeführt, Rechtsextremismus ist kein Jugendproblem und kein alleiniges Gewaltproblem.
Sie haben vorhin gesagt, rechtsextreme Strukturen stellen nur die Spitze des Eisbergs dar in einem Umfeld, in dem entsprechende Einstellungen in allen Gesellschaftsgruppen vertreten sind und das belegen ja auch die neuesten Forschungsergebnisse, zum Beispiel die Heitmeyer-Studie. Die sagt, Rassismus, menschenfeindliche Einstellungen durchdringen immer mehr die bürgerlich situierte Mitte der Gesellschaft. Deshalb bräuchten wir Projekte vor Ort, die eben nicht allein auf Jugendliche und Schülerinnen fokussieren.
Es gibt noch weitere Probleme, die anzusprechen sind. Wenn ich den Kommunen Geld gebe, besteht natürlich immer die Gefahr - und das passiert auch bei den lokalen Aktionsplänen -, dass mit den Mitteln eine Substitution freiwilliger Aufgaben vorgenommen wird, die durch die Finanznot an anderer Stelle nicht mehr zu leisten sind, Aufgaben im Bereich Sport, Freizeit, Kultur. Das hat aber zur Folge, dass die Gelder, die eigentlich spezifisch im Kampf gegen Rechtsextremismus eingesetzt werden, dann breit gestreut werden und die einzelnen Maßnahmen oftmals wenig nachhaltig, wenig fachlich untersetzt und die Einzelprojekte auch nicht aufeinander abgestimmt sind. Deshalb - und da hätte man vielleicht mal in die anderen Bundesländer schauen sollen - steht in keinem anderen Landesprogramm in einem Bundesland die Struktur des lokalen Aktionsplans im Mittelpunkt der Strukturmaßnahmen. Das ist ein Thüringer Spezifikum; ich denke, das ist eine falsche Entscheidung. Ich spreche nicht gegen eine Förderung der lokalen Aktionspläne, aber ich habe vorhin auf die Finanzen hingewiesen; mehr als die Hälfte der Gesamtmittel des Landesprogramms allein für diese Strukturmaßnahmen sind meiner Meinung nach eine falsche Entscheidung und, ich denke, darüber wird es auch noch eine ganze Menge an fachlicher Auseinandersetzung geben.
Was wäre nötig gewesen im Bereich der Projekte? Ich glaube, was wir in Thüringen brauchen, sind mutige Projekte.
Am diesjährigen Volkstrauertag beteiligten sich wiederholt Neonazis an öffentlichen Gedenkveranstaltungen. Kaum ein demokratischer Politiker, eine Politikerin, die sich daran störte, dass neben ihr oder ihm die NPD, also die Mörder und Verbrecher
im Geiste, Kränze zum Andenken an Kriegstote ablegten. Wir können nicht an der einen Stelle als Demokraten und Demokratinnen immer wieder betonen - und das ist ja auch wichtig -, dass die NPD keine Partei wie jede andere ist, und dann mit ihr gemeinsam Veranstaltungen bestreiten. Wer soll hier den Finger in die Wunde legen? Deswegen habe ich gesagt, wir brauchen mutige Projekte in Thüringen. Welcher LAP hat so einen Vorgang schon mal thematisiert? Und kann er das überhaupt? Wird eine Einrichtung, die in der Regel direkt in einer Behörde der kommunalen Verwaltung geführt wird, überhaupt den Bürgermeister oder die örtlichen Parteigrößen kritisieren? Wenn Heitmeyer - ich habe auf die Studie hingewiesen - recht hat, dass wir es mit einer Verrohung in der Mitte der Gesellschaft zu tun haben, dann müssen solche Projekte auch in die Lage versetzt werden, z.B. die Rechtsaußenavancen eines Bürgermeisters in Arnstadt an die Pro Deutschland-Bewegung deutlich zu thematisieren.
Eine behördennahe Einrichtung, die direkt vom Wohlwollen des Landrats und des Bürgermeisters abhängig ist, wird dies niemals leisten können und wollen. Da hoffe ich auf Ihr Verständnis, denn niemand beißt in die Hand, die einen füttert oder pflegt.
Zu den anderen Strukturprojekten, die bei Ihrer Rede und dem Landesprogramm fast untergehen, wie die Mobile Beratung, Opferberatung, Aussteigerberatung, Beratung in Sport und Feuerwehr, findet sich keine finanzielle Untersetzung und auch keine inhaltliche Aussage im Landesprogramm dahin gehend, wie diese Projekte weiterentwickelt werden sollen. Ich habe vorhin gesagt, ein Weiterso hätte es nicht mehr geben können. Aber hier ist einfach der Status quo festgeschrieben. Diesen Status quo hätten wir mit oder ohne Landesprogramm, die Kofinanzierung dieser Projekte hätten wir mit oder ohne Landesprogramm. Dafür wäre ein Landesprogramm gar nicht notwendig gewesen.
Ich habe vorhin auch auf das Papier der FriedrichEbert-Stiftung hingewiesen. Ein wichtiger Aspekt ist ganz untergegangen, der damals im November 2009 dort als Anforderung an ein Landesprogramm formuliert wurde, nämlich die Frage der Regionalisierung. Dazu gibt es keine Aussage mehr im Landesprogramm. Zu inhaltlichen Problemen wird auch nichts gesagt. Sie haben zu Recht auf die Bedeutung der Rolle der freiwilligen Feuerwehren in der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Einstellungen und Rechtsextremismus hingewiesen. Aber es gibt ein Problem. Was ist, wenn sich die örtliche Feuerwehr vor Ort gar nicht daran stört, wenn z.B. ein Aktivist der verbotenen HDJ bei ihnen die Jugendfeuerwehr betreut? Der Thüringer
Feuerwehrverband hat keine Durchgriffsmöglichkeit gegenüber der örtlichen Feuerwehr. In welchem Rahmen soll es dann zu einer Diskussion kommen? Das hätte z.B. bei der Frage freiwillige Feuerwehrverantwortung in diesem Landesprogramm formuliert werden müssen. Auf welchen Wegen kommt es dann auch zu Interventionen vor Ort? Wer ist der Träger der Intervention vor Ort?
Das sieht beim Sport schon etwas anders aus. Da habe ich eine Dachstruktur entsprechend auch mit einer Satzung. Aber das habe ich bei den freiwilligen Feuerwehren nicht.
Ja, bei den Feuerwehrvereinen, die sind aber nicht das Problem. Dazu - das ist nur ein Einzelaspekt gibt es hier überhaupt gar keine inhaltliche Überlegung. Das meine ich mit Weiterentwicklung. Es wird einfach das, was es gibt in Thüringen, aufgeschrieben, aber es wird nicht gesagt, wo denn im Augenblick auch Weiterentwicklungsbedarfe da sind und wie diese durch das Landesprogramm gestärkt werden könnten.