Protocol of the Session on September 10, 2010

(Beifall DIE LINKE)

Die interessieren Sie einen feuchten Kehricht, um es mal auf gut Deutsch zu sagen. Sie haben die parlamentarische Anhörung zur Farce verkommen

(Minister Prof. Dr. Huber)

lassen und haben sich auch damit demokratisch erneut delegitimiert.

Frau Holbe hat die neue Verordnung angepriesen eben. Diese Verordnung, ich habe es eingangs schon gesagt, die wird keine Bürokratie abbauen, die wird Verunsicherung bei den Flüchtlingen schüren, sie wird Polizisten verwirren. Sie haben selber eben, Herr Innenminister, noch einmal Beispiele angeführt, wo Bundesländer Regierungsbezirke zu Residenzpflichtgebieten benannt haben oder - wie in Bayern - Regierungsbezirk und angrenzende Landkreise. Das sind allesamt Gebiete, die größer sind als der Freistaat Thüringen, und Sie schaffen mit Ihrer neuen Verordnung - ich habe die Tabelle einmal mitgebracht, wo man hinkann, wenn man beispielsweise aus Eisenach kommt oder aus Jena - 21 unterschiedliche Residenzgebiete. Wie da noch jemand durchkommen soll, seien es die Ausländerbehörden, seien es die Polizeibeamten, die die Flüchtlinge kontrollieren, oder die Flüchtlinge selbst, das muss mir einmal jemand erklären. Ich kann es nicht verstehen.

Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit. So steht es in Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Der Staat würde handlungsunfähig, hat der Innenminister gerade argumentiert, wenn man die Residenzpflicht aufheben würde. Sind alle anderen Staaten, außer Deutschland, in Europa handlungsunfähig, Herr Minister? Ich glaube nicht, das hätte man in irgendeiner Zeitung einmal gelesen. Sie sprechen von dem Schwebezustand. Es sei nur ein kurzer, begrenzter Zeitraum, in dem die Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Im Falle von langjährig geduldeten Flüchtlingen sind es aber zum Teil acht, neun, zehn Jahre oder mehr, in denen sich diese Menschen nicht selbstbestimmt ohne Erlaubnis frei bewegen können.

Sie sagen - ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich das korrekt zitiere -, aber Sie sagen, das Asylregime müsse funktionsfähig bleiben. Aus meiner Sicht haben Flüchtlinge ein Interesse daran, ihre Asylverfahren nicht hinauszuzögern. Flüchtlinge werden in ihre Post sehen, ob ein Brief vom Bundesamt da ist oder vom Anwalt. Denn wenn Flüchtlinge während des Asylverfahrens Post verzögern, dann sind Widerspruchsfristen ganz schnell einmal zu Ende. Flüchtlinge werden also nicht wochenlang verschwinden und die Post muss ihnen dann hinterher reisen, um sie während des Asylverfahrens wieder ausfindig zu machen. Das sind Scheinargumente, die Sie hier bringen. Auch Frau Holbe hat das vorhin angedeutet, dass die Verfahren verzögert würden. Die Ausweitung der Residenzpflicht heißt nicht, dass die Flüchtlinge nicht mehr verpflichtet sind, den Wohnsitz dort zu haben, wo es die Ämter sagen. Sie verwischen und verschleiern und tun so, als könnten die Flüchtlinge dann hingehen, wo sie hinwollen. Darum geht es nicht. Es geht um kurz

zeitiges Sich-bewegendürfen. Sie haben während der gesamten Debatte fadenscheinig argumentiert. Sie sagen, Sie hätten gar keine Regelungskompetenz. Länder wie Berlin und Brandenburg beweisen, dass es anders geht. Sie sagen, man dürfe laut Gesetz diese Residenzpflicht gar nicht auf alle Bezirke der Ausländerbehörden ausdehnen; „mehrere“ heiße schließlich nicht „alle“. Frau Holbe geht sogar so weit, das mit dem Saarland zu begründen. Vielleicht ist es auch rechtswidrig, dass im Saarland das Landesverwaltungsamt die Ausländerbehörde ist. Es steht schließlich auch nicht in dem Gesetz drin. Das müssen wir einmal prüfen.

Ich will Ihnen ankündigen, dass wir das Thema nicht auf sich beruhen lassen werden. Ich habe bei der Landtagsverwaltung ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, nämlich zu der Frage, ob „mehrere“ auch „alle“ sein kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass „mehrere“ durchaus „alle“ sein kann. Wir nehmen einmal 88 Landtagsabgeordnete, das sind ja mehrere. Wenn die alle da sind, sind „mehrere“ auch „alle“. Ich glaube, wir sind da logisch auf dem richtigen Weg. Wenn dieses Rechtsgutachten vorliegt, werden wir den Landtag wieder damit beschäftigen. Ich möchte schon einmal vorsichtshalber, falls die FDP es nicht tut, namentliche Abstimmung zu diesem Antrag beantragen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke schön. Ich sehe die Wortmeldung des Abgeordneten Fiedler für die CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Fiedler.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon manchmal verwunderlich, wie man manche Dinge hier darlegt. Ich glaube, wir befinden uns zurzeit bundesweit in einer Diskussion, ob denn die abgehobene Kaste der Politiker sich vom Volk entfernt hat oder nicht. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir solche Diskussionen führen und sie nicht abwürgen. Wenn ich das teilweise verfolge, was hier so genannt wird, kommen mir schon manchmal Bedenken. Es muss doch möglich sein - ob das der LINKEN passt, ob das der SPD passt oder der FDP -, auch noch zu sagen, dass die CDU z.B. zu dem einen oder anderen Thema eine andere Meinung hat. Das gehört doch wohl auch mit dazu.

(Beifall CDU)

Wir schöpfen unsere andere Meinung nicht nur aus populistischen Dingen, sondern auch aus der Praxis vor Ort und aus dem, was wir dort erleben. Mein Kollege Horst Krauße war jahrelang in der Ausländerbehörde tätig. Er könnte das sicher fachlich hier

(Abg. Berninger)

noch weit besser untermauern, aber, ich glaube, das will man gar nicht hören. Da kommt die Frau Berninger und da wird dann von Hardlinern gesprochen. Wenn Sie meinen, ich bin ein Hardliner, nehme ich das gern von Ihnen entgegen, aber, ich glaube, ich bin auch jemand, der dem Volk auf das Maul schaut - und das lasse ich mir von niemandem nehmen - und dort höre ich eben auch andere Dinge. Da höre ich, dass es Probleme gibt und dass man vor diesen Problemen nicht wegschauen sollte, sondern dass man dort aufpasst, dass man das nicht einfach bagatellisiert.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Was denn?)

Ach, ich weiß schon, Sie wollen mich aus der Hütte locken. Sie wissen ganz genau, was ich meine. Aber Sie locken mich heute nicht aus der Hütte und trotzdem sage ich es hier.

(Beifall CDU)

Ich sage Ihnen eines, ich widerspreche ausdrücklich - das hat der Innenminister dankenswerterweise auch schon getan - den willkürlichen Entscheidungen der Ausländerbehörden. Dann bitte ich schon darum, wenn man meint, dass so etwas da ist, dann möge man es auf den Tisch legen und möge es dem zuständigen Minister zuarbeiten, damit man diese Willkür abstellt. Das ist nämlich eine untere staatliche Behörde und die hat nach Recht und Gesetz zu handeln.

(Beifall CDU)

Nach Recht und Gesetz wird auch gehandelt und danach handelt auch der Innenminister. Ob nun das Land Berlin und das Land Brandenburg meinen, dass sie da ihre eigenen Dinge machen, ich glaube, sie handeln dort nicht richtig, sondern, ich denke, da halte ich es eher mit Hessen und mit Bayern. Ich glaube, die Ausweitung der Residenzpflicht, wie sie jetzt kommen soll, ist für uns die Grenze dessen, was wir wollen. Wir wollen nicht eine auf das ganze Land ausgedehnte Residenzpflicht. Das wollen wir nicht und deswegen sage ich das auch. Es muss doch wohl noch möglich sein, dass man noch etwas sagen kann. Frau Berninger, immer sich so hinzustellen, wenn Ihre Meinung nicht durchkommt, wie im Ausschuss: „wegstimmen“ und „Schauveranstaltungen“ - so ist es nicht. Sie können das nach wie vor behaupten, Sie wissen, es gibt das Minderheitenrecht.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Machen wir sie doch öffentlich.)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Adams, ach wissen Sie, über Sie rege ich mich heute nicht auf, Sie wissen sowieso alles besser.

(Beifall CDU)

Ich denke, wir sollten einfach darauf achten, dass wir den Parlamentarismus nicht selber kaputt machen. Aus gutem Grund gibt es auch Minderheitenrechte und dieses Minderheitenrecht bedeutet auch, dass man hier eine schriftliche Anhörung verlangen kann und dass diese dann auch entsprechend durchgeführt wird. Sie wissen auch, dass man dort Beschränkungen hineinbringen kann, wie viele anzuhören sind usw. Im Innenausschuss sagen wir zu mindestens 90 oder weit über 90 Prozent, bitte schön, es werden alle angehört, die meinen, dass sie hier mitzureden haben oder wollen. Herr Adams, da nicken sogar Sie, das ist schon wunderbar, dass wir also auch in diese Richtung agieren. Das einfach so abzutun und zu sagen, das ist alles nur Schaulaufen - Sie müssen uns zugestehen, dass wir auch in die Menschen hineinhören und dass wir dort andere Meinungsäußerungen bekommen. Jeder, der bei uns hier zu Gast ist, der soll auch als Gast behandelt werden, aber er muss sich auch an die Dinge halten, die in dem Land notwendig sind und die laut Gesetz da sind und daran halten wir uns.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Als Nächste hat sich Frau König gemeldet von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei Frau Holbes Redebeitrag vorhin ist mir - aus welchen Gründen auch immer - schlecht geworden. Ich bin jedenfalls rausgegangen, um meine Form von Menschlichkeit, die ich für eine grundmoralische Einstellung insbesondere von Christen erachte, weiterhin beibehalten zu können. Ich finde es ganz schwierig, wie hier von Menschen gesprochen wird, die aus unterschiedlichsten Notsituationen zu uns nach Deutschland kommen, dass davon gesprochen wird, dass sie erst dann ein Anrecht auf Integration haben, wenn sie denn nicht zurückgeführt werden, das heißt, in ihrem gesamten Aufenthalt, der in Deutschland, wie meine Kollegin bereits erklärt hat, zum Teil bis zu 12, 13, 14 Jahre betragen kann, ihnen Integration nicht zusteht. So jedenfalls die Meinung der CDU.

Herr Fiedler spricht davon, dass er dem Volk „aufs Maul“ schaut. Ich hoffe nicht, dass Sie damit die 50 Prozent meinen, die laut Thüringen-Monitor meinen, dass Deutschland gefährlich überfremdet ist.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ach wissen Sie, Ihre dumpfen Sprüche können Sie sein lassen.)

(Abg. Fiedler)

Herr Abgeordneter Fiedler, bitte mäßigen Sie sich.

(Unruhe im Hause)

Ich fand meine Sprüche, ehrlich gesagt, nicht so dumpf wie manch andere, die ich heute hier gehört habe.

Wenn Sie diese 50 Prozent meinen, Herr Fiedler, denen Sie aufs Maul schauen,

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Muss ich mir von Ihnen so was gefallen lassen?)

(Zwischenrufe aus der Fraktion DIE LINKE: Ja.)

(Zwischenruf Abg. Renner, DIE LINKE: Sie müssen wir auch ertragen.)

dann halte ich das für schwierig, wenn Sie daraus Ihre Meinung beziehen und diese Meinung dann hier für die CDU-Fraktion auch darstellen.

(Beifall DIE LINKE)

Die CDU beansprucht ja für sich, christlich zu sein. Eines der zehn Gebote ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Bei mir stellen sich da zwei Fragen. Die erste Frage ist: Sind Sie in der Lage, sich selbst zu lieben, wenn Sie so mit Flüchtlingen umgehen, die hierherkommen? Oder - zweite Frage sollten Sie vielleicht das „C“ aus Ihrem Parteinamen nicht besser streichen?

(Beifall DIE LINKE)

Danke schön. Als Nächste spricht Frau Abgeordnete Pelke von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wünschte mir sehr, dass wir diese Diskussion zu einem solchen Thema wie heute und hier an dieser Stelle so führen, dass wir nicht einem bestimmten Potenzial - das hat Frau König eben angesprochen - Wasser auf die Mühlen geben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das ist das, was wir überhaupt nicht wollen. Das würde ich mir sehr wünschen.

Weshalb ich aber nach vorn gegangen bin, waren die Ausführungen von Herrn Fiedler, der hier sehr deutlich die Position der CDU beschrieben hat. Das ist sein gutes Recht. Aber demzufolge haben wir natürlich als SPD auch das gute Recht, ganz deutlich zu machen, was unsere politische Position ist. Frau Berninger hat sehr deutlich beschrieben, was

in unserem Regierungsprogramm steht. Ja, die SPD ist für die Ausweitung der Residenzpflicht auf ganz Thüringen. Das ist der Fakt. Wir wissen aber auch, was es heißt, Regierungsverantwortung zu übernehmen, einen Koalitionsvertrag zu formulieren und Kompromisse eingehen zu müssen. Und der Kompromiss, den wir hier eingegangen sind mit der CDU gemeinsam, ist aus unserer Sicht der kleinste gemeinsame Nenner, aber ein Schritt in die Richtung, die wir gern gehen wollen.

(Beifall SPD)