Protocol of the Session on September 10, 2010

die ebenfalls die Abschaffung der Residenzpflicht forderte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin wirklich froh, dass wir dieses Thema hoffentlich auch sehr sachlich hier im Landtag diskutieren kön

(Abg. Holbe)

nen. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle auch für die Initiative der FDP-Fraktion, die diesen Antrag eingebracht hat.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es ist aber auch kein Geheimnis, dass es mehrere in diesem Landtag gibt, die schon sehr lange dafür streiten und das ist auch gut so. Ich glaube, genau darum muss es gehen, dass wir tatsächlich immer in der Sache schauen, wo wir Mehrheiten dafür finden. Jedenfalls würde ich mir an ganz vielen Stellen eine solche Politik und ein solches Vorgehen wünschen.

Herr Bergner hat dankenswerterweise auch die Stellungnahmen vorgetragen und wie die Beratung im Ausschuss dazu gelaufen ist. Ich möchte schon noch einmal auf einige Punkte eingehen, die sowohl von Ihnen genannt wurden als auch in den Redebeiträgen von Mitgliedern des Landtags, die jetzt vor mir gesprochen haben. Ich habe vorhin gefragt, als Sie gesprochen haben, das war eine Frage, die ich gern noch einmal wiederholen möchte, was denn daran schlimm ist, denn das hat es aus meiner Sicht suggeriert, wenn sich in Ballungszentren beispielsweise tatsächlich sichtbar auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund aufhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ganz ernsthaft, wir reden in Thüringen über den demographischen Wandel und jammern über die Abwanderung, die wirklich nicht schön ist. Wir haben gerade mal einen Anteil von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund von etwa 2 Prozent, die hier leben. Und dann sagen wir, es gibt in Ballungszentren schon jetzt gehäuft, zum Beispiel auf dem Erfurter Anger, Menschen mit Migrationshintergrund. Da müssen wir doch froh und dankbar sein, dass es die hier selbstverständlich gibt. Ich möchte, dass wir eine Willkommenskultur leben,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

dass wir den Menschen, die hierherkommen wollen oder müssen - das sage ich ganz deutlich, weil sie beispielsweise aus ihrer Heimat vor Krieg, vor Gewalt oder vor schwierigen Umständen fliehen -, sagen: Seid herzlich willkommen, wir wollen euch hier gern eine neue Heimat geben, wenn ihr hier leben möchtet mit uns. Deswegen, denke ich, ist es ein ganz wichtiges Zeichen, Willkommenskultur auch durchzubuchstabieren. Da hoffe ich im Übrigen auch auf die neue Ausländerbeauftragte, die wir demnächst haben werden. Ich sage aber auch ganz deutlich, wenn es um die Residenzpflicht geht, geht es um das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit, um nicht mehr und nicht weniger. Ich weiß nicht, mit welchem Recht wir die Bewegungsfreiheit einschränken.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wenn ich dann von Herrn Mohring lese, dass die Aufhebung der Residenzpflicht oder die Ausdehnung auf das gesamte Land weder mit deutschem Recht vereinbar noch inhaltlich sinnvoll sei, dann muss ich Sie noch einmal fragen, ob denn dann das deutsche Recht beispielsweise in NordrheinWestfalen oder in Schleswig-Holstein, wo der Innenminister Emil Schmalfuß am 24.08. angekündigt hat, den Bewegungsradius auf das ganze Land auszudehnen, nicht gilt oder wovor wir eigentlich Angst haben. Ich zitiere, wenn ich darf, Frau Präsidentin, aus der Stellungnahme des Katholischen Büros, das auch unterstützt, „dass die Residenzpflicht konsequenterweise“ - so schreibt es Herr Weinrich - „auf ganz Thüringen ausgeweitet werden sollte“, sprich, dass die Bewegungsfreiheit endlich möglich ist. Herr Weinrich schreibt weiter: „Ich gehe davon aus, dass die neu zu erlassenden Regelungen auch auf die abgelehnten Asylbewerber im Status der Duldung Anwendung finden, da diese oftmals aus verschiedenen Gründen über Jahre in diesem ausländerrechtlichen Status verbleiben.“ Das ist heute hier noch gar nicht thematisiert worden, dass es diese Menschen auch trifft. Ganz besonders interessant fand ich auch, dass die Katholische Kirche schreibt, dass man immer wieder auch sehen muss, dass Thüringen doch ein sehr überschaubares Land ist und wie wenige Menschen es überhaupt sind, die dies trifft, aber die trifft es mit aller Härte. Wir haben diese Diskussion hier schon häufiger geführt. Wenn sich Menschen nicht frei bewegen dürfen, ist das eine grundlegende Einschränkung ihrer Grundrechte. So meinen jedenfalls wir. Und auch die willkürliche Festlegung von größeren Bezugsgrenzen ändert an dieser grundsätzlichen Problematik überhaupt nichts.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben zur Kenntnis genommen, dass sich die Koalitionsfraktionen - auch wenn sie anders wollen, weil es im Koalitionsvertrag nicht anders steht - genötigt sehen, den Antrag der FDP abzulehnen. Ich möchte trotzdem noch einmal - und das wird nicht der letzte Versuch sein - an Sie alle appellieren, diesem Antrag zuzustimmen, denn aus meiner Sicht wird Thüringen damit eindeutig gewinnen.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir leben damit Willkommenskultur, wir wenden uns gegen Diskriminierungen von hier lebenden Menschen und wir sagen ganz deutlich, selbstverständlich haben wir keine Angst davor, wenn sich Menschen frei bewegen können, sondern wir sind sogar froh darum, denn Bewegungsfreiheit ist Menschenrecht. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Der Innenminister spricht für die Landesregierung. Bitte schön, Herr Minister.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Rothe-Beinlich, auch die Landesregierung ist für eine Willkommenskultur. Aber für eine Willkommenskultur zu sein bedeutet nicht, dass man das gesamte Instrumentarium des Ausländer- und Asylrechts über Bord schmeißt und den Staat handlungsunfähig macht.

(Beifall CDU)

(Heiterkeit DIE LINKE)

Es gibt bei der Residenzpflicht meines Erachtens keinen Grund, diese zu perhorreszieren. Nicht alle Asylbewerber werden - wie Sie wissen - anerkannt und für die anerkannten Asylbewerber trifft die Residenzpflicht nicht zu. Auch für diejenigen, die das kleine Asyl genießen, und legitimerweise in Deutschland bleiben können, gibt es keine Residenzpflicht. Die Residenzpflicht gilt während des Schwebezustands und für diejenigen, die ausreisepflichtig sind. Natürlich beeinträchtigt eine Residenzpflicht die Asylbewerber in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Aber das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das ein Menschenrecht ist, wird nach unserer Verfassung nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Die Gesetze haben die Aufgabe, das öffentliche Interesse gegen das individuelle Recht auszugleichen und abzuwägen. Ein öffentliches Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einem funktionierenden Ausländer- und Asylregime ist unbestreitbar. Das ist für alle Länder der Welt in gleicher Weise der Fall.

Deswegen geht es nicht darum, die Residenzpflicht über Bord zu werfen, sondern darum, darüber nachzudenken, wie sie ausgestaltet werden muss, damit das Asylregime funktionsfähig bleibt und die Asylbewerber so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Die Ausländerbehörden des Freistaats Thüringen, Frau Abgeordnete Kanis, handeln in der Regel nicht willkürlich. Es mag einzelne Verwaltungsakte geben, die gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen; da gibt es Mittel, dagegen vorzugehen. Eine generelle Diskreditierung der Ausländerbehörden ist durch die faktischen Erfahrungen nicht veranlasst.

(Beifall CDU)

Der Innenausschuss hat in mehreren Sitzungen über den vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion beraten, ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt und ist letztlich zu der von Herrn Bergner vorgestellten Beschlussempfehlung gekommen. Dank an die Mitglieder des Ausschusses, dass Sie sich in ausgewogener Weise mit der Thematik befasst haben. Sie ist vielschichtiger, als es in der Öffentlichkeit und in manchen Redebeiträgen hier auf den ersten Blick erscheinen mag. Auf der einen Seite stehen die humanitären Interessen, die für die Lockerung der Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete in Thüringen sprechen. Deshalb haben sich die Koalitionspartner auch auf eine räumliche Ausweitung der Residenzpflicht verständigt. Das Kabinett wird in Kürze den Entwurf der Rechtsverordnung beschließen. Die Ressortabstimmung ist weitgehend abgeschlossen. Darüber hinaus ist vorgesehen, im Wege eines Erlasses sicherzustellen, dass auch geduldete Personen von der Neuregelung profitieren können. Ich gehe davon aus, dass die Verordnung im Oktober in Kraft treten kann.

Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, sind selbstverständlich auch die öffentlichen Belange zu beachten, die durch § 58 des Asylverfahrensgesetzes gesichert werden sollen. Dieser § 58 gewährleistet auch zur besseren Akzeptanz in der Bevölkerung und zur Ermöglichung einer Willkommenskultur, wie sie uns allen vorschwebt, dass sich die Asylbewerber nicht nur in Großstädten und Ballungsräumen massieren, für Behörden und Gerichte erreichbar sind und ein zügiges Asylverfahren durchgeführt werden kann.

(Beifall CDU)

Für vollziehbar ausreisepflichtige Geduldete dient die Aufenthaltsbeschränkung dazu, die Ausreisepflicht zu überwachen und die gesetzliche Verpflichtung zur Aufenthaltsbeendigung - die gibt es nämlich auch - durchzusetzen. Im Übrigen kommt eine Lockerung der Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete auf Landesebene nur auf der Grundlage des geltenden Rechts in Betracht.

Frau Abgeordnete Schubert, natürlich kann man das geltende Recht ändern - im Rahmen der Verfassung. Aber solange es gilt, ist es durchaus ein legitimer Aspekt, sich auf geltendes Recht zu berufen. Es ist nicht nur ein Aspekt, es ist eine Verpflichtung.

(Beifall CDU)

Im Rahmen des vom Innenausschuss durchgeführten schriftlichen Anhörungsverfahrens haben die Länder Hessen und Bayern klar festgestellt, dass eine generelle Aufhebung der Residenzpflicht in einem Land gegen Bundesrecht verstößt und somit nicht zulässig ist. An diese Rechtslage sind auch wir gebunden und wir teilen die Einschätzung der

(Abg. Rothe-Beinlich)

beiden Länder, selbst wenn sich die Länder Brandenburg und Berlin darüber hinweggesetzt haben und aus unserer Sicht rechtswidrig handeln. Die Mehrzahl der Länder hat freilich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf der Grundlage des § 58 Abs. 6 eine Erweiterung der räumlichen Beschränkung vorzunehmen. Die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben die Bewegungsfreiheit auf das Gebiet des jeweiligen Regierungsbezirks bzw. auf vergleichbare Bezirke ausgedehnt. Der Freistaat Bayern bereitet eine Änderung vor, die einen Regierungsbezirk plus die angrenzenden Landkreise umfassen soll.

Ich bin guten Mutes, dass wir mit dem erarbeiteten Entwurf unserer Rechtsverordnung einen praktikablen Ansatz gefunden haben, der sowohl dem Interesse der Betroffenen auf mehr Bewegungsfreiheit, auf Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, aber auch den öffentlichen Belangen Rechnung trägt. Deshalb bitte ich Sie, den undifferenzierten, zu weitgehenden Antrag der FDP-Fraktion abzulehnen.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank. Es gibt eine weitere Wortmeldung, Frau Abgeordnete Berninger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Kanis, Ihre Rede vorhin und auch dass Sie jetzt dem Innenminister Beifall geklatscht haben, sehr geehrte Damen und Herren der SPD, ist typisch sozialdemokratisch.

(Beifall DIE LINKE)

Frau Kanis, Sie zählen erst die Probleme auf, Sie zählen erst die Risiken auf, ich will nur beispielsweise nennen Bürokratieaufwand, der hohe Kontrolldruck, die soziale Isolation, und dann begründen Sie, warum Sie einer Regelung, die genau dieselben Dinge wieder hervorrufen wird bzw. nicht abschaffen wird, zustimmen wollen.

Im Regierungsprogramm der Sozialdemokraten hier in Thüringen stand zu lesen: „Die Residenzpflicht weiten wir auf ganz Thüringen aus.“ Da stand nicht, wenn wir mit der CDU regieren, dann müssen wir das irgendwie wieder zurücknehmen,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Woher wollen Sie das wissen?)

sondern da war es garantiert, dass Sie so handeln, „die Residenzpflicht weiten wir auf ganz Thüringen aus“.

Als der Koalitionsvertrag abgeschlossen worden war, haben Sie davon gesprochen, dass Sie 80 Prozent Ihrer Inhalte und Forderungen umgesetzt haben; Flüchtlinge gehören wahrscheinlich zu Minderheiten für Sie und den 20 Prozent, die nicht so wichtig sind.

Wenn Sie heute, wie auch schon im Ausschuss, den Antrag der FDP-Fraktion ablehnen, dann beherrschen eben solche Hardliner wie Herr Fiedler oder Frau Holbe Ihre Politik und dann diskreditieren Sie sich selber für die nächsten Jahre.

(Beifall DIE LINKE)

Anfang dieser Woche - das ist schon erwähnt worden - hat die Evangelische Kirche Mitteldeutschland noch einmal appelliert, dass die Residenzpflicht in Thüringen auf das ganze Gebiet des Freistaats ausgedehnt werden soll. Ich habe mich sehr gefreut über diesen Aufruf und auch über die vielen Menschen, die diesen Aufruf unterschrieben haben. Ich möchte mal Bodo Ramelow zitieren, der am Montag geäußert hat, das sei ein beachtenswerter Appell für das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und jetzt zitiere ich wörtlich „ihn zurückzuweisen wäre ein Affront gegen die humanistische Tradition der SPD und gegen das christlich begründete Wertefundament der CDU; sich nicht nur christlich nennen, sondern auch christlich handeln“, so Bodo Ramelow am Montag,

(Beifall DIE LINKE)

„sei das Gebot der Stunde.“ Ich möchte diesen Appell noch mal erneuern. Handeln Sie christlich, handeln Sie humanistisch und weiten Sie die Residenzpflicht auf das Gebiet des Freistaats Thüringen aus. Es ist rechtlich möglich.

Ich möchte auch noch mal auf die Anhörung im Ausschuss zu sprechen kommen. 13 von 17 Anzuhörenden unterstützen in ihren Stellungnahmen die geforderte Ausweitung auf Thüringen. Die meisten davon äußerten sich auch zu dem dritten Punkt im FDP-Antrag, sie schrieben nämlich, dass die Residenzpflicht auf Thüringen ausgeweitet werden soll, solange nicht dieses Gesetz auf Bundesebene abgeschafft ist.

Aber die Beschlussempfehlung aus dem Innenausschuss, die mit der Mehrheit von SPD und der CDU gefasst worden ist, die belegt, diese Anhörung war eine reine Farce, ein reines Schaulaufen. Die hätten wir uns eigentlich auch sparen können. Die hätten Sie mit Ihrer Mehrheit wegstimmen können. Die Argumente der Angehörten interessieren die Abgeordneten von CDU und SPD nicht.

(Beifall DIE LINKE)